Protocol of the Session on February 28, 2019

Die Politik reagiert auf solche Vorkommnisse gerne mit Gesetzesverschärfungen. Die Erhöhung des Strafrahmens des § 176 Abs. 3 StGB im Falle des besonders schweren Falles des sexuellen Missbrauchs von Kindern, die Erhöhung des Strafrahmens des § 176 a Abs. 2 und 3 StGB im Falle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und die Erhöhung des Strafrahmens des § 184 b Abs. 3 StGB im Falle des Besitzes von Kinderpornografie sind richtig und notwendig - aber das darf nicht alles sein, meine Damen und Herren. Ein potenzieller Täter schaut nämlich nicht erst ins Bundesgesetzblatt, bevor er seine Tat begeht. Es reicht daher nicht, sich auf Gesetzesverschärfungen zu beschränken. Potenzielle Täter müssen von möglichen Straftaten abgeschreckt werden. Es muss aber auch die Tatausführung erschwert werden, und das Risiko, entdeckt zu werden, muss möglichst hoch sein.

Aus diesem Grund wird die FDP-Fraktion kurzfristig einen erweiterten Antrag vorlegen. Dieser wird Vorschläge für Gesetzesverschärfungen enthalten, aber auch deutlich darüber hinausgehen; denn die

Verurteilung von Tätern scheitert fast nie an den Gesetzen, sondern fast immer an der Praxis. Daher muss die Personalsituation bei den Staatsanwaltschaften und bei der Polizei, die mit der Verfolgung des Missbrauchs von Kindern befasst sind, deutlich verbessert werden.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Es müssen Lösungen für Situationen gefunden werde, in denen irrsinnig große Datenmengen vorliegen, aber nicht rechtzeitig ausgewertet werden können. Solche Situationen dürfen nicht dazu führen, dass Straftaten verjähren oder Täter abtauchen können. Zudem müssen Netzwerke geschaffen werden, um einen Austausch zwischen Kinderärzten, Jugendämtern, Schulen und anderen Beteiligten besser zu organisieren. Mögliche Taten dürfen nicht unentdeckt bleiben! Insoweit begrüßen wir auch ausdrücklich, dass die Justizministerin eine Kommission für Kindesschutz eingerichtet hat. Das war ganz sicher ein richtiger Schritt.

(Beifall bei der FDP und sowie Zu- stimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Am besten ist es jedoch, meine Damen und Herren, wenn es gar nicht erst zur Tatausführung kommt. Deshalb wird der dritte Schwerpunkt unseres Entschließungsantrags bei der Prävention liegen. Ein gesundes Selbstbewusstsein und das Wissen, wo man im Zweifel Hilfe erhalten kann, ist ein wichtiger Schutz für Kinder. Ziel muss es sein, die Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu stärken und sie dabei zu unterstützen, Gefühle, Bedürfnisse und Grenzüberschreitungen wahrzunehmen und auch zu benennen.

Außerdem werden wir in unserem überarbeiteten Antrag die Frage der Entschädigung der Opfer stärker berücksichtigen.

Meine Damen und Herren, wir werden diese Fragen im Rechtsausschuss sicherlich eingehend diskutieren, und ich würde mich freuen, wenn wir am Ende zu einem gemeinsam getragenen und möglichst umfassenden Antrag hier im Niedersächsischen Landtag kommen könnten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Genthe. - Für die Landesregierung spricht nun Frau Justizministerin Havliza. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle - das kann ich sagen - sind schockiert über die immer wieder zu Tage tretenden Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern. In jüngster Vergangenheit waren dies beispielsweise die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und jetzt der Missbrauchsskandal im nordrheinwestfälischen Lügde.

Eines will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Die Justiz schaut bei dem Thema sexueller Missbrauch nicht weg. Das hat sie nie getan, im Gegenteil: Die niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden arbeiten stets konsequent daran, die Verantwortlichen solcher abscheulichen Taten zu ermitteln, ihnen den Prozess zu machen und sie zu verurteilen. Je schneller, desto besser!

Ich bin daher für die Anmeldung dieser Aktuellen Stunde dankbar, lenkt sie doch den Fokus auf diejenigen, die unsere Hilfe ganz besonders verdient haben, nämlich auf wehrlose Kinder, die Opfer von Missbrauch geworden sind oder leider zukünftig noch werden.

Es ist an uns allen, dafür Sorge zu tragen, dass sich solche fürchterlichen Taten möglichst nicht wiederholen. Innerhalb der Justiz setze ich mich dafür mit Nachdruck ein. Lassen Sie mich dazu drei Punkte ansprechen.

Erstens: die konsequente Strafverfolgung. Diese ist mir ein ganz besonderes Anliegen. Und ich weiß, wovon ich spreche. Als Vorsitzende einer Jugendschutzkammer war ich über viele Jahre täglich mit solchen Fällen konfrontiert. Das, was Sie da zu lesen und zu hören bekommen, vergessen Sie nie! Es muss allen Tätern klar sein, dass in Niedersachsen jeder Fall eines Missbrauchs mit allen der Strafverfolgung zur Verfügung stehenden Mitteln nachdrücklich und konsequent verfolgt wird. Einen milderen Umgang oder gar eine Art des Wegschauens für bestimmte Tätergruppen oder Tätertypen gibt es dabei nicht.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Ich habe nach Erscheinen der Studie zum sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche deshalb von Anfang an sehr deutlich gemacht,

dass die umfassende Aufklärung der im Raume stehenden Vorwürfe selbstverständlich Aufgabe der Justiz und nicht der Kirche ist.

Daher habe ich - das wissen Sie - im Rahmen eines Treffens Mitte November 2018 mit Vertretern der Bistümer Hildesheim, Osnabrück und Münster deutlich klargestellt, dass die Kirchen sich einer juristischen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle keinesfalls zu verschließen haben. Die Kirchen in unseren Bistümern sind meiner Erwartung nachgekommen und gewähren den Ermittlungsbehörden umfassenden Zugang zu den erforderlichen Unterlagen. Das ist ein richtiger und vor allen Dingen auch ein notwendiger Schritt.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Staatsanwaltschaften werden die noch verfolgbaren Taten ebenso gründlich bearbeiten wie alle anderen Fälle des Verdachts auf sexuelle Missbräuche auch.

Zweitens: die Kriminalprävention. Auf meine Initiative hin ist nach Erscheinen der sogenannten MHG-Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche in Niedersachsen eine gesamtgesellschaftliche Expertenkommission zur Prävention des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch den Vorstand des Landespräventionsrats ins Leben gerufen worden. Aufgabe dieser Kommission ist es, bis Ende 2019 Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis zu erarbeiten.

Es freut mich sehr, dass mehr als 30 Institutionen und Personen aus Niedersachsen dort aktiv mitwirken. Dies zeigt, wie vielfältig das Problem ist und dass dies auch erkannt wird. Die Auftaktveranstaltung dazu hat gestern stattgefunden; das haben Sie den Medien wahrscheinlich entnommen. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich den Ergebnissen dieser Kommission - wie wir alle wahrscheinlich - mit sehr großem Interesse entgegensehe.

Dritter und letzter Punkt; die Unterstützung von Opfern. Meine Damen und Herren, wir lassen in Niedersachsen die Opfer nicht allein, sondern halten für Betroffene vielfältige Angebote vor, um den verschiedenen Bedürfnissen - seien sie materiell oder immateriell - gerecht zu werden.

Dies geschieht zum einen durch die von der Niedersächsischen Landesregierung schon im Jahr 2001 errichtete Stiftung Opferhilfe. Die Angebote der Stiftung orientieren sich an den individuellen Problemen der Betroffenen und reichen von unbü

rokratischen Soforthilfen über finanzielle Beiträge zur Therapie bis hin zu Vorleistungen für den „Fonds sexueller Missbrauch“.

Im Jahr 2018 sind so 1 694 Personen neu von der Stiftung Opferhilfe betreut worden; davon sind 80 % weiblich. Im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab es gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme um 61 auf insgesamt 593 Beratungsfälle. Sie machen damit den größten Anteil in der Opferberatung und Opferbetreuung aus. Unter den Neufällen im Jahr 2018 befanden sich auch 57 Kinder bis 13 Jahre. 200 Opfer waren Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 14 bis 20 Jahren. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig die Arbeit der Stiftung Opferhilfe ist, die ich mit meinem Hause nachdrücklich unterstütze.

Zum anderen bietet die psychosoziale Prozessbegleitung Opfern von Straftaten und deren Angehörigen eine umfassende Hilfestellung und umfangreiche Beratung, und zwar vor, während und nach dem Strafverfahren. Dieses Angebot richtet sich speziell auch an Kinder, Jugendliche oder besonders schutzbedürftige Erwachsene; auch die gibt es schließlich.

Und zu guter Letzt bietet die Fachstelle Opferschutz im Landespräventionsrat Niedersachsen zusätzliche Informationen und Orientierung für Opfer von Straftaten. Mittels einer landeseinheitlichen Internetpräsenz können sich von Straftaten Betroffene und deren Angehörige über ihre Rechte und Möglichkeiten der Unterstützung informieren.

Meine Damen und Herren, die Erkenntnisse, zu welch schrecklichen Straftaten es zum Nachteil der Schutzwürdigsten unserer Gesellschaft - unseren Kindern - kommen kann, schockiert. Aber es lässt mich keineswegs verzagen. Dass darf auch nicht geschehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit unserem Engagement unsere Kinder besser schützen können. Wir dürfen allerdings auch nicht verschweigen - das ist mir ganz wichtig -, dass der wichtigste Schutz und die wichtigste Unterstützung aus der eigenen Familie kommen müssen. Auch dort gilt es, noch viel Informationsarbeit zu leisten. Aber gerade mit den frühen Hilfen und den Leistungen zur Familienunterstützung sind wir dort auf einem guten Weg.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin Havliza. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Besprechung des Antrages der CDU-Fraktion zur Aktuellen Stunde schließen kann.

Ich eröffne die Besprechung zu

c) Schulen schlagen Alarm! Scheitert die Inklusion? - Antrag der Fraktion der FDP -

Drs. 18/2970

Ich erteile für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Försterling das Wort. Bitte, Herr Kollege!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Hilferuf der Leiter der Gesamtschulen im Raum Hannover sollte Anlass genug für eine Bestandsaufnahme sein, wie es um die Inklusion in Niedersachsen bestellt ist.

Ich will gleich vorweg sagen: Niemand hat die Absicht, den Kompromiss und die Gemeinsamkeiten, die wir im Zuge der Debatte zur Einführung und Umsetzung der Inklusion erzielt haben, infrage zu stellen. Aber die Berichterstattung hat deutlich gemacht, dass die tatsächliche Situation an den Schulen eine andere ist, als die Statistik es suggeriert.

Statistisch gesehen haben wir in Niedersachsen in Sachen Inklusion einen riesigen Aufholbedarf wettgemacht. Statistisch gesehen stehen wir dadurch, dass wir die Förderschulen Lernen haben auslaufen lassen, im Primarbereich gut da. Statistisch gesehen werden in Niedersachsen viele Kinder inkludiert. - Aber die Statistik ist das eine, und das Leben in der Schule ist das andere, und da gibt es nun einmal Nachholbedarf.

Aus unserer Sicht ist wichtig, dass wir zu einer vernünftigen Betrachtung der Inklusion zurückkehren. Inklusion muss das Recht der Kinder sein - sie darf nicht die Pflicht der Kinder sein. Das heißt, wir treten nach wie vor dafür ein, dass Eltern und Kinder nach entsprechender pädagogischer Beratung wählen können, ob sie sich für die Förderschule und die dortige Beschulung oder ob sie sich für das inklusive System entscheiden.

(Beifall bei der FDP)

Ich weiß, dass dann immer die Unkenrufe kommen: „Das kostet mehr Geld!“ Aber das ist es aus unserer Sicht wert.

(Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz übernimmt den Vorsitz)

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir jedes Kind erfolgreich inklusiv beschulen können. Dies lassen die Rahmenbedingungen momentan einfach nicht zu. Es wird immer Kinder geben, für die der Besuch der Förderschule der bessere Weg ist, um in die Lage versetzt zu werden, später ein eigenverantwortliches, selbstbestimmtes Leben zu führen.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen das Problem angehen, dass es in Niedersachsen immer noch keine einheitlichen Qualitätsstandards für Schulbegleiter gibt. Jeder, der in der Kommunalpolitik und in den Schulen unterwegs ist, stellt fest, dass die Schulbegleiter ganz unterschiedlich ausgebildet sind. Wir sehen dort die komplette Bandbreite von Ein-Tages-Kurs bis hin zu hochqualifizierten Fachkräften.

Wir müssen auch das Problem lösen, dass es in den Schulen zu wenig multiprofessionelle Teams gibt. Ohne die Unterstützung von Fachkräften werden es unsere Lehrer nicht schaffen.

Natürlich brauchen wir für eine erfolgreiche Umsetzung der Inklusion auch kleinere Klassen und eine gute Unterrichtsversorgung.