Protocol of the Session on October 24, 2018

Der gemeinsame Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP in der Drucksache 18/1935 zielt auf eine Annahme des Antrages in einer geänderten Fassung.

Der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 18/1861 wurde, wie Sie der Drucksache 18/1936 entnehmen können, inzwischen zurückgezogen.

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beratung. Mir liegt eine Wortmeldung der Kollegin Editha Westmann, CDU-Fraktion, vor. Bitte schön, Frau Kollegin!

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Lebensleistungen der allermeisten Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler sind auf

harte Arbeit, ein hohes Maß an Selbstverantwortung und ganz viel Fleiß zurückzuführen. Seit vielen Jahren erleben wir, dass unsere Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler eine tragende Säule unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, aber auch besonders hier bei uns in Niedersachsen sind. Sie sorgen überwiegend in vorbildlicher Art und Weise dafür, dass ihre Kinder eine gute Schul-, aber auch Berufsausbildung erhalten. Dieser Sachverhalt führt dann auch dazu, dass die Kinder wiederum unser Rentensystem in einem sehr erheblichen Teil stützen.

Meine Damen und Herren, als die Fremdrente nach der Wiedervereinigung für unsere Spätaussiedler um rund 40 % gekürzt wurde, um diese den ostdeutschen Renten anzugleichen, war das der damaligen Situation geschuldet. Nun hat sich zum Glück das Rentenniveau zwischen Ost und West im Laufe der Jahre fast vollständig angeglichen. Doch die Fremdrenten, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind dabei auf der Strecke geblieben; denn hier gab es keine kontinuierliche Anpassung. Es gab in Wirklichkeit gar keine Anpassung.

Geringe Rente und hohes Altersarmutsrisiko bei Spätaussiedlern - so haben es die Wissenschaftler des anerkannten Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften auf den Punkt gebracht. Das Armutsrisiko für diese Gruppe ist innerhalb von zwei Jahrzehnten von 16 auf 75 % angestiegen - 75 %! Das muss man sich einmal überlegen. Die Kürzung der Fremdrente für unsere Spätaussiedlerinnen um 40 % ist zutiefst ungerecht und bedarf einer schnellen und nachhaltigen Nachbesserung.

Meine Damen und Herren, zwischen SPD, CDU, Grünen und FDP haben wir uns darauf verständigt, dass wie im Sozialausschuss des Bundesrates in diesem Zuge auch über die sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlinge beraten werden soll, dass diese Thematik aufgegriffen werden soll, auch wenn die Ausgangssituation dieser beiden Gruppen natürlich völlig unterschiedlich ist. Darüber sind wir froh, und wir hoffen natürlich, dass die breite Unterstützung aus Niedersachsen zu einem guten Ergebnis in Berlin führen wird.

Ich freue mich, dass wir hier in diesem Hohen Hause mit einer so breiten Mehrheit die Arbeit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland weiterhin unterstützen und vor allem auch dafür sorgen wollen, dass der Bund der Vertriebenen und die Landsmannschaft finanziell unterstützt

werden, um ihre Arbeit weiterhin professionalisieren zu können.

Meine Damen und Herren, es ist gut und wichtig, dass wir diese Gruppen in dieser Form unterstützen und dass dieser Antrag von hier aus auf den Weg gebracht wird. Schön, dass unsere Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und die jüdischen Kontingentflüchtlinge Niedersachsen an ihrer Seite wissen!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat nun für die Fraktion der SPD die Kollegin Schröder-Köpf. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“ Diese Worte des Philosophen Søren Kierkegaard spiegeln das Selbstverständnis unserer größten Zuwanderergruppe der vergangenen 20 Jahre wider: der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler; denn in diesem Selbstverständnis spielt der historische Rückbezug auf das erlittene Schicksal eine ebenso identitätsstiftende Rolle wie das Bewusstsein, in Gegenwart und Zukunft ein bereichernder Teil der Gesellschaft in unserem Land zu sein. Diese Schicksale und die historischen Leistungen dauerhaft im kollektiven Bewusstsein zu verankern und auch zu würdigen, darum geht es in dem gemeinsamen Antrag.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gewaltsame Vertreibung und gesellschaftliche Verbannung, Diskriminierung und kriegsbedingte Verfolgung kennzeichneten das Schicksal der Russlanddeutschen über weite Strecken des 20. Jahrhunderts. Zur Geschichte der rund 400 000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Niedersachsen zählt aber ebenso ihr Integrationsverlauf in unserem Land. Dass die Integrationsprobleme der 1990er-Jahre weitestgehend verschwunden sind, ist vor allem ihr eigenes Verdienst. Mit viel Mut und Leistungswillen haben sich die Deutschen aus Russland eine Existenz aufgebaut, sind in der Gesellschaft angekommen und leisten wichtige

Beiträge für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes.

Sehr geehrte Damen und Herren, neben den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern sind in den späten 1980er-/1990er-Jahren auch rund eine Viertelmillion sogenannter jüdischer Kontingentflüchtlinge aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik eingewandert. Trotz aller historischen und besonders verwaltungsrechtlichen Unterschiede: Auch die jüdischen Zuwanderer haben unser Land, das Land der Schoah, seither maßgeblich geprägt und bereichert. Ein Geschenk! Denn diese Menschen, so der Berliner Historiker und Kurator Dmitrij Belkin, retteten de facto ein institutionalisiertes jüdisches Leben in Deutschland. Gegenwärtig gibt es 100 000 bis 105 000 Jüdinnen und Juden, die Mitglieder in jüdischen Gemeinden sind. Mindestens 90 % davon sind Migrantinnen und Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion.

Insofern können und müssen wir auch in Niedersachsen dieser Zuwanderergruppe dankbar sein für ein lebendiges jüdisches Gemeinwesen mit derzeit rund 6 600 registrierten Mitgliedern. Auch ein Großteil der jüdischen Einwanderer ist bereits im Rentenalter oder steht kurz davor. Viele von ihnen plagt verständlicherweise die Angst vor drohender Altersarmut. Anspruch auf eine Fremdrente haben sie wohlgemerkt nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Regelungen wie das 1996 geänderte Fremdrentenrecht der Realität von heute nicht mehr entsprechen und den sozialen Bedürfnissen der Betroffenen nicht mehr gerecht werden, dann müssen sie auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls geändert werden. Insofern halte ich es für den richtigen Weg, die Lebensleistung der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und auch der jüdischen Einwandererinnen und Einwanderer gebührend anzuerkennen, indem sich die Bundesregierung baldmöglichst mit allgemeinverträglichen Lösungen beschäftigt, wie es der Bundesrat bereits mit Zustimmung Niedersachsens auf den Weg gebracht hat.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Onay das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Vorrednerinnen haben es schon gesagt: Neben den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern kamen in den 90erJahren auch sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge. Das war im Grunde eine besondere rechtliche Konstruktion, die man damals gewählt hat, um auch diesen Menschen die Einwanderung zu ermöglichen. Ich möchte hier ganz zu Beginn meiner Rede noch einmal den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen aus dem Innenausschuss meinen ausdrücklichen Dank dafür aussprechen, dass wir hier zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind, der auch diese Personengruppe berücksichtigt.

Vielleicht dazu noch ein bis zwei Sätze.

Die Kollegin Doris Schröder-Köpf hat es ganz richtig gesagt: Das heutige institutionelle jüdische Leben in den Gemeinden wäre ohne diese Menschen gar nicht denkbar. Es sind mehr als 100 000 Mitglieder, die wir heute in den Gemeinden zählen dürfen. In den 80er-Jahren, also vor der Einwanderung, lag diese Zahl bei knapp 30 000 Gemeindemitgliedern. Das heißt, ohne diese Immigration, ohne diese Zuwanderung, würde es, glaube ich, ein solches jüdisches Gemeindeleben institutioneller Art außerhalb der Ballungszentren und der urbanen Räume in dieser Form nicht geben.

In dem Antrag sprechen wir ein wenig förmlich: Der Landtag begrüßt, dass wieder jüdisches Leben möglich ist. - Ich glaube, ich spreche im Sinne aller Kolleginnen und Kollegen, wenn ich sage: Wir begrüßen das nicht nur, sondern wir sind sehr froh, überglücklich und sehr dankbar, dass ein solches Leben hier wieder entstanden ist und so blühen kann, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Aber natürlich geht mit einer solchen Einwanderung und einem solchen jüdischen Leben - das wir begrüßen, das wir wollen, und das wir ausdrücklich unterstützen - auch sehr viel Verantwortung einher. Ein Großteil der Gemeindemitglieder ist schon über 60 bzw. über 70 Jahre alt. Damit kommen wir zur selben Problematik, die die Kollegin Westmann

schon beschrieben hat, nämlich zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Rente, weil - und das ist das Grundproblem - nach der Migration bei vielen Menschen die Leistung, die sie in einem anderen Land erbracht haben, nicht oder - wie es das Fremdrentengesetz ermöglicht - nur zu einem Teil anerkannt wird. Die verbleibende Arbeitszeit reicht gar nicht aus, um das aufzufangen. Das führt in vielen Fällen - ich habe mir das einmal von der Liberalen Jüdischen Gemeinde hier in Hannover schildern lassen - und bei vielen alten Menschen tatsächlich zu Altersarmut und schwierigen Situationen. Insofern halte ich es ausdrücklich für richtig, die Prüfung, die der Antrag vorsieht, um diesen Personenkreis zu erweitern.

Ich bedanke mich ganz herzlich, dass es möglich ist, dass wir das heute mit einem gemeinsamen Antrag beschließen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Onay. - Für die FDP-Fraktion hat sich nun der Kollege Oetjen gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass es uns hier bei einem zweiten Thema gelungen ist, eine einstimmige Beschlussfassung im Innenausschuss herbeizuführen, und dass dieses Haus dies mit einer großen Mehrheit unterstützen wird.

Es geht hier um Menschen, die aus Russland nach Deutschland zurückgekehrt sind - so muss man es ja sagen -, also um Menschen, die deutsche Wurzeln haben. Für die Spätaussiedler, die in den 90er-Jahren gekommen sind und unsere Gesellschaft bereichern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist es wichtig, dass wir dieses Thema aufgearbeitet und intensiv diskutiert haben. Ich finde, dass es uns mit dem Entschließungsantrag, der ja von den regierungstragenden Fraktionen eingebracht worden ist, gut gelungen ist, ein Signal zu setzen.

Erstens erkennen wir damit an, dass diese Menschen eine großartige Integrationsleistung vollbracht haben und unser Land insgesamt mit vorbildlichem Einsatz nach vorn gebracht haben. Hier

möchte ich insbesondere noch einmal auf das Museum Friedland hinweisen. Friedland ist für viele dieser Menschen ja das Tor nach Deutschland, das Tor in die freie Welt gewesen.

Zweitens ist die Unterstützung der ehrenamtlichen Tätigkeit der Landesgruppe Niedersachsen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zu nennen.

Drittens: das Rententhema. Ich möchte noch sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, viele Russlanddeutsche, die mich ansprechen, empfinden die vorgegebene Regelung zu den Rentenanrechnungspunkten als große Ungerechtigkeit. Sie empfinden es beinahe als Schmach, dass sie aufgrund dieser Rentenregelung ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können und auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sind, obwohl sie doch ihr gesamtes Leben lang gearbeitet haben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wirklich wichtig, dass die Landesregierung an der Stelle nachlegt und in Form einer Bundesratsinitiative tätig wird, um diese wirklich ungerechte Situation zu verändern.

Bitte gestatten Sie mir einen letzten Satz, Herr Präsident.

Die Ergänzung, die von der Fraktion der Grünen zum Thema jüdischer „Kontingentflüchtlinge“ eingebracht worden ist, die das jüdische Leben in Deutschland bereichern und vielerorts erst wieder möglich gemacht haben, ist eine sehr sinnvolle Ergänzung, die wir als FDP gerne mittragen; denn für diese Personengruppe gilt im Prinzip das Gleiche wie für die Deutschen aus Russland. Insofern absolute Zustimmung der FDP-Landtagsfraktion!

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung bei der CDU und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Für die Fraktion der AfD hat sich nun der Kollege Christopher Emden gemeldet. Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten diesen Antrag heute ja zum zweiten Mal. Ich hatte schon beim letzten Mal einiges dazu ausgeführt. Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass ich ganz besonders darüber erfreut bin, dass man auf diese Art und Wei

se - wir als AfD müssen ja eher über Bande spielen - doch sagen kann: Die AfD wirkt! - Denn immerhin waren wir es, die im April einen Antrag eingebracht haben, um überhaupt einmal wieder die Deutschen aus Russland hier im Hause in Erinnerung zu rufen

(Editha Westmann [CDU]: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)

und zu besorgen, dass endlich auch diese Menschen - ich habe es schon einmal betont -, die nicht nur Opfer des Nationalsozialismus waren, sondern auch Opfer eines zweiten Regimes, des sowjetkommunistischen Regimes - also Opfer zweier totalitärer Regimes -, gebührend zu würdigen sind und dass deren Leid zu würdigen ist. Aber es ist auch ganz besonders zu würdigen, welche Leistungen diese nach ihrer Heimkehr nach Deutschland erbracht haben und dass sie ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft geworden sind. Das ist erfreulich, das ist eine Erfolgsgeschichte. Ich bin froh und glücklich, dass diese Menschen bei uns sind.

Ich bin auch froh und glücklich über die Erweiterung des Antrags auf die sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlinge. Ich begrüße das, und unsere Fraktion hat das ja auch vollkommen unterstützt. In ihrem Fall besteht eine Besonderheit. Da der Antrag erst jetzt um sie erweitert worden ist, möchte ich die Aufmerksamkeit und meine Rede insbesondere auf diesen Punkt lenken.

Man darf nicht vergessen - das ist eben schon ein paar Mal angeklungen -: Diese Menschen jüdischen Glaubens sind in ein Land gekommen, in dem ihren Glaubensbrüdern und -schwestern der ultimative Horror widerfahren ist. Nach dem, was sie und ihre Angehörigen hier vielfach haben erleben müssen, hierher zu kommen und bereit zu sein, ein Teil dieser Gesellschaft zu werden, sich einzubringen, Leistungen zu erbringen und eine Brücke zu schlagen, über die beide Seiten gehen können, ist eine ganz besondere Leistung. Über diese Brücke können auch die Deutschen gehen. Denn alle haben im Endeffekt noch unter dem zu leiden, was in diesen zwölf unsäglichen Jahren von 1933 bis 1945 passiert ist, weil wir genau wissen, was für eine Schuld wir auf uns geladen haben. Dass diese Menschen trotzdem hierher gekommen sind, uns die Hand gereicht haben und bereit waren, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein, das ist eine ganz besondere Leistung, die es auch zu würdigen gilt.