Sehr geehrte Damen und Herren, dieses Schicksal beginnt mit dem wohl bekanntesten Anwerbemanifest der Geschichte: dem Kolonistenbrief der Zarin Katharina der Großen aus dem Jahr 1763. Gelockt mit Vorteilen wie Selbstverwaltung und Glaubensfreiheit folgten Zehntausende deutsche Siedlerinnen und Siedler dem Aufruf in das Zarenreich und wurden allmählich zu treuen und sich aufopfernden Untertanen. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges begann indes die lange Zeit der Unterdrückung. Während der Sowjetzeit verstärkten sich die Repressionen und mündeten in politisch-ethnisch motivierten Säuberungsaktionen.
Mit dem sogenannten Stalinbefehl vom 28. August 1941 wurde der schicksalhafte Weg für Zwangsumsiedlungen fast aller in der Sowjetunion lebenden Deutschen bereitet. Mehr als 850 000 Menschen waren von diesen Zwangsmaßnahmen betroffen. Sie erlebten schreckliche Zeiten in Arbeitslagern, viele kamen grausam zu Tode. Kurzum: Die Biografien der Opfer und ihrer Nachfahren sind Geschichten politischer Willkür, und noch heute ist kaum eine Familie ohne Wunden aus jener Zeit. Erst im Zuge der Perestroika emigrierte die Mehrheit der Russlanddeutschen zurück in die unbekannte Heimat ihrer Vorväter und -mütter, auch sie mit der Vorstellung, es sei ein verheißungsvolles und Wohlstand bringendes Land.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Ort Friedland, hier in unserem Bundesland Niedersachsen, symbolisiert wie kein anderer diese identitätsprägende Sehnsucht nach Rückkehr und den Aufbruch in ein neues Leben. Denn die allermeisten der heute etwa 400 000 in Niedersachsen lebenden Aussiedlerinnen und Aussiedler, Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler sowie ihre Nachfahren haben hier das Tor zur Freiheit durchschritten. Und sie tun es, wohlgemerkt, immer noch! Geschichte hat kein Ende. 2017 kamen 653 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nach Niedersachsen, bis Juni 2018 wurden 258 Menschen verteilt.
So bietet sich mit dem Museum Friedland gleichsam der beste Ort, dem historischen Schicksal dieser heute größten Zuwanderergruppe in unserem Bundesland angemessen zu gedenken. Das geschieht bereits mit der eindrucksvollen Ausstellung „Fluchtpunkt Friedland“. Der vom Land Niedersachsen geförderte Ausbau des Museums zu einem innovativen Besucher- und Dokumentationszentrum bietet ab 2022 eine gute Gelegenheit, der Geschichte der Russlanddeutschen als wichtigen Teil deutscher Geschichte noch größere Aufmerksamkeit als bisher zu schenken.
Sehr geehrte Damen und Herren, zu dieser Geschichte zählt wohlgemerkt auch der gelungene Integrationsverlauf der russlanddeutschen Zuwanderer. Leicht hatten sie es ganz sicher nie - die Erfahrung der Entwurzelung und ständigen Identitätssuche, das Fremdsein in der Heimat, nach der man sich einst so gesehnt hatte. Was Theodor Fontane in einem Gedicht beschrieb - „Und zur Fremde wird die Heimat, und zur Nähe wird die Ferne“ -, mussten viele Russlanddeutsche am eigenen Leib erfahren oder kennen es aus Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. Umso beeindruckender sind die Integrationsleistungen.
„sind mit einem vergleichsweise hohen Bildungsstand nach Deutschland gekommen. Sie finden sich relativ gut auf dem Arbeitsmarkt zurecht, und viele Faktoren weisen darauf hin, dass sie sich aktiv um die Integration in der Gesellschaft bemühen.“
Mit Fleiß, Mut und Leistungswillen haben sich die Russlanddeutschen ihren festen Platz in unserer Gesellschaft hart erarbeitet. Sie sind in jeder Hinsicht eine geschätzte Gruppe, eine große Bereicherung für Niedersachsen.
Folgerichtig spricht auch Jannis Panagiotidis, Juniorprofessor des bundesweit einzigen Lehrstuhls für russlanddeutsche Migration und Integration an der Universität Osnabrück von einer „Erfolgsgeschichte, aus der die heutige Politik auch einiges für den Umgang mit neuen Migranten mitnehmen könnte und sollte“. Die Russlanddeutschen können gerade heute anderen Zuwanderungsgruppen Mut machen und Vorbild sein, wie es im vorliegenden Antrag heißt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jede und jeder von Ihnen hat im Freundes- und Bekanntenkreis sicherlich Angehörige von Spätaussiedlerfamilien und kennt selbst etliche Beispiele für diese gelungenen Integrationsgeschichten. Und wer das nicht haben sollte, kann sich in kurzer Distanz von hier anschauen, wer bei Hannover 96 so in der Mannschaft ist.
Diese Erfolgsgeschichte findet ihren Ausdruck aber auch im großen Engagement des Landesverbandes der Deutschen aus Russland. Die Kontakte zwischen der Landesregierung und der Landesgruppe Niedersachsen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland sind seit vielen Jahren ganz eng und hervorragend. Frau Lilli Bischoff und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich auf die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Land Niedersachsen verlassen.
Ich denke, das haben kürzlich auch die wertschätzenden Worte unseres Innenministers im Rahmen der Gedenkveranstaltung der Landsmannschaft noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Auf diese Solidarität und vielfältige Unterstützung wird die Landsmannschaft auch in Zukunft setzen können, zumal ihre Mitglieder in ihrer Rolle als Brückenbauer zwischen Niedersachsen und Russland immer wichtiger werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, der gemeinsame Antrag unterstützt das Vorhaben einer Bundesratsinitiative, in deren Rahmen geprüft werden soll, inwiefern die im Herkunftsland vollbrachte Arbeitsleistung bei der Rente angemessen berücksichtigt werden kann. Im Jahr 1996 hatte sich die CDUgeführte Bundesregierung unter Helmut Kohl zu weitreichenden Einschnitten in die im Fremdrentengesetz geregelten Leistungen für Vertriebene und Spätaussiedler entschieden. Begründet wurde dies seinerzeit u. a. damit, eine Besserstellung gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen zu vermeiden.
Ich verstehe dieses Argument, aber auch das Anliegen der Russlanddeutschen, wie alle Bürgerinnen und Bürger eine der Würde des Alters entsprechende Rente zu beziehen. Deshalb halte ich es für einen richtigen Weg, gemeinsam mit anderen Bundesländern zu allgemeinverträglichen Lösungen wie Sozialversicherungsabkommen mit den einzelnen Herkunftsländern zu kommen. Es geht dabei um nicht weniger, als die individuelle Arbeitsleistung und die kollektive Lebensleistung der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler gebührend anzuerkennen.
Sehr geehrte Damen und Herren, in diesem Sinne hoffe ich auf erfolgreiche Gespräche auf Landes- und Bundesebene und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um den von CDU und SPD auf den Weg gebrachten Antrag „Vertreibung und Gewalt nicht vergessen - Leistung der Deutschen aus Russland anerkennen“ nachvollziehen zu können, muss man die Geschichte der Deutschen aus Russland kennen.
Sie beginnt in der Zeit Katharinas der Großen im Jahre 1763 mit dem von ihr verfassten sogenannten Einladungsmanifests. Dieser Einladung folgten Tausende Deutsche in der Hoffnung auf Eigentum und Wohlstand. Die Deutschen erlebten in den Gebieten, die ihnen zugewiesen wurden, allerdings
schwere Enttäuschungen; denn das Leben war von Entbehrungen und von sehr harter Arbeit geprägt. Aber sie gaben die Hoffnung nicht auf und arbeiteten so lange hart, bis sie eine auskömmliche Lebensgrundlage geschaffen hatten.
Über Generationen hinweg lebten die Deutschen an der Wolga und in der Südukraine fast ausnahmslos unter sich. Das große Russische Reich profitierte erheblich von den Deutschen. Doch mit dem Einmarsch der nationalsozialistischen deutschen Truppen in Sowjetrussland nahm das Schicksal der Deutschen in den Siedlungsgebieten eine grausame Wendung.
Am 28. August 1941 erklärte die stalinistische Diktatur alle in Russland lebenden Deutschen pauschal zu Staatsfeinden. Sie wurden unverschuldet für die Gräueltaten der NS-Truppen unter Generalverdacht gestellt. Es folgte eine Welle der Vertreibung, der Flucht und der Deportation von ca. 1 Million Deutschen. Die Deportation fand unter unmenschlichen Bedingungen statt. Tausende starben an den Folgen von Unterernährung, Kälte, Strapazen und Gewalteinwirkungen.
Die meisten Deutschen wurden nach Sibirien und Mittelasien verschleppt. Die Lebensbedingungen waren dort unwirtlich, unmenschlich - und wieder standen die Deutschen vor dem Nichts. Das Leben der Deutschen in Russland wurde zu einem Martyrium, zu einer Tragödie, deren Folgen noch heute spürbar sind. Das große Leid der Deutschen aus Russland ist nicht nur mit diesen Strapazen und Entbehrungen zu beschreiben. Besonders leidvoll war das Verbot, die deutsche Kultur zu leben, die deutsche Sprache zu sprechen und die deutschen Werte hochzuhalten. Kurz gesagt: Sie sollten ihrer Identität beraubt werden.
Doch die Deutschstämmigen haben nicht aufgegeben. Sie haben schnell gelernt, so unauffällig wie möglich und so gut wie möglich zu leben. Soweit es ihnen überhaupt möglich war, haben sie - meist im Verborgenen - die deutsche Kultur gelebt, die deutschen Werte an die Kinder und Enkel weitergegeben und die deutsche Sprache gesprochen. Nicht selten stärkte das Singen deutscher Lieder und das Lernen deutscher Gedichte den Überlebenswillen. Ihrer Zielstrebigkeit und ihrem Fleiß ist es zu verdanken, dass viele der Deutschen aus Russland hervorragende Schulabschlüsse und Berufsqualifikationen erreichten.
In der alten Heimat Deutschland leben zu dürfen, war für die meisten Deutschen aus Russland für viele Jahre ein scheinbar unerreichbarer Traum,
eine Sehnsucht, die über Generationen hinweg anhielt. Doch dann wurden endlich die politischen Weichen gestellt: Deutschland übernahm die Verantwortung für das Schicksal der Deutschen aus Russland. Die Ausreise in die alte Heimat wurde ermöglicht. Tausende Aussiedler nutzten diese Chance und kamen zurück.
Viele Aussiedler, die in den 80er- und 90er-Jahren kamen, erlebten einen regelrechten Kulturschock, wie ich aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen weiß. So wurden hier kaum noch die alten Heimatlieder gesungen, und die Gedichte der großen deutschen Dichter waren vielen hier Geborenen mitunter nicht einmal bekannt. Stattdessen liefen im Fernsehen so merkwürdige Sendungen - Sie erinnern sich vielleicht - wie Tutti Frutti. Diese Freizügigkeit in Deutschland war befremdend für sehr, sehr viele Ausländer.
Diese Zeit war sehr prägend für die Menschen. Das hatten sie einfach nicht erwartet. Aber daran gewöhnte man sich.
Doch viel schlimmer war, dass die Aussiedler hier in Deutschland oft nicht als Deutsche angesehen wurden, sondern als „die Russen“. Das tat nicht nur schrecklich weh, es stürzte viele Aussiedler in eine neue Identitätskrise, auch heute noch. Schul- und Berufsabschlüsse sind über Jahre nicht hinreichend anerkannt worden, und die Nachqualifikationen sind nur schleppend gelaufen. Wir haben das große Potenzial über viele Jahre nicht genutzt.
Aber die Spätaussiedler und Aussiedler haben hier nach der Methode weitergelebt: Nur nicht auffallen, arbeiten, egal was - Hauptsache, man kann die eigene Familie ernähren! - Sie haben die Ärmel hochgekrempelt, haben sich jeden Pfennig vom Mund abgespart. Vielen Deutschen aus Russland ist es so gelungen, sogar das eigene Häuschen zu bauen. Dabei war die Unterstützung von Nachbarn, von Freunden und von anderen Aussiedlern immer eine Selbstverständlichkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis heute halten sich Gerüchte wie das, dass Aussiedler Tausende von Euro zur Begrüßung bekommen, noch immer hartnäckig. Das war nie der Fall! Das ist sehr wichtig, das müsste auch der Letzte irgendwann mal begreifen;
denn das führt zu einer Neiddebatte und zu Ablehnung. Der Lebensweg unserer Aussiedler und Spätaussiedler war kein leichter. Daher bin ich davon überzeugt, dass unsere Landsleute aus Russland unsere Solidarität verdienen. Ich bin davon überzeugt, dass ohne die hervorragende Arbeit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland die Eingliederung vieler Aussiedler und Spätaussiedler nicht so reibungslos verlaufen wäre.
Natürlich ist es schön, wenn wir Politiker zu den Veranstaltungen der Deutschen aus Russland gehen und mit ihnen feiern. Doch das darf nicht alles sein! Die Landsmannschaft muss künftig stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, beispielsweise bei dem Ausbau des Museums Friedland. Friedland ist das Tor der Freiheit. Es ist aber auch die heimliche Hauptstadt der Deutschen aus Russland, wie Lilli Bischoff so gerne sagt. Wer könnte ein besserer Ratgeber für den weiteren Ausbau sein als die Menschen, deren persönliches Schicksal so eng mit diesem Ort verbunden ist?
Es ist überfällig, dass wir uns stärker um die Belange dieser Gruppe kümmern und uns für mehr Gerechtigkeit einsetzen.
Meine Damen und Herren, auch in diesem Jahr werden wieder ca. 7 000 Spätaussiedler zu uns nach Deutschland kommen, ungefähr 600 von ihnen nach Niedersachsen. Da müssen wir uns doch kümmern! Darum müssen wir die Arbeit der Landsmannschaft auch finanziell stärker unterstützen, damit sie ihre Arbeit professionalisieren kann.
Meine Damen und Herren, im Zuge der Wiedervereinigung stand Gesamtdeutschland vor einer großen Herausforderung, um die Renten in Ost und West zu sichern. Wir alle wissen, dass nach der Wiedervereinigung eine sofortige Angleichung der Renten in Ost und West unmöglich war. Das Rentenniveau in Ostdeutschland lag weit unter dem in Westdeutschland. Aus diesem nachvollziehbaren Grunde wurden seinerzeit die Fremdrenten für unsere Aussiedler um 40 % gekürzt
und die Entgeltpunkte wurden für Einzelpersonen auf 25 und für Paare auf 40 gedeckelt. Im Laufe der Jahre hat sich das Rentenniveau in Ost und West angeglichen, mittlerweile fast vollständig. Doch die Fremdrente der Aussiedler wurde nicht
Wir alle sollten gemeinsam auf der Bundesebene dafür sorgen, dass sich diese Situation ganz schnell verbessert; das ist dringend. Ein letzter Satz. Es ist mir völlig klar, dass es auch noch andere Gruppen gibt, die in unserem Rentensystem nicht berücksichtigt werden. Auch hier sollten wir uns gemeinsam auf den Weg machen, um nach Lösungen zu suchen.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Antrag hat, wenn man so will, mit der Pressemitteilung von der vergangenen Woche eine etwas eigene Vorgeschichte. Man kann sagen, dass die CDU bei diesem Vorhaben ein bisschen als Tiger gestartet ist, und dann ist man letztendlich mit diesem Antrag geendet.