Das bedeutet nicht den Verzicht auf Streit. Streit ist nicht nur erlaubt - der Alterspräsident hat dies ebenfalls betont -, sondern Streit ist im Ringen um die beste Lösung unverzichtbar. Streit ist keine Schwäche der Demokratie, sondern eines ihrer konstitutiven Merkmale, genauso wie die Fähigkeit zum Kompromiss, so mühsam die Suche danach auch immer sein mag; denn für das Ergebnis muss gelten: Nicht das gut Gemeinte, sondern das gut Gemachte ist die Essenz des Politischen.
Das erfordert viel Geduld, es verlangt uns einiges ab. Vielleicht kommt manchen von Ihnen jetzt der bekannte Satz von Max Weber in den Sinn, wonach die Politik „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ sei. Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß - diese drei Qualitäten forderte Weber für Politikerinnen und Politiker, und zwar Leidenschaft als Sachlichkeit - nicht als leere Empörungsrhetorik -, Verantwortungsgefühl als Dienst an der Sache, Augenmaß als Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen.
Max Webers Sprache mag vielleicht einigen heute im Zeitalter von Google, Facebook und Twitter als antiquiert und verstaubt erscheinen. In der Sache aber scheinen mir seine Forderungen, gerade in Zeiten zunehmender Komplexität einer globalisierten Welt, immer noch beherzigenswert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer das als schöne und hehre Worte abtut, übersieht, wie notwendig diese Forderungen für den Umgang mit den Herausforderungen sind, denen sich auch unser Parlament angesichts der öffentlichen Stimmungen nicht entziehen sollte. Auch wenn mit der zuletzt gestiegenen Wahlbeteiligung - wie auch bei dieser Landtagswahl - diejenigen Stimmen, die den unaufhaltsamen Niedergang der repräsentativen Demokratie prophezeien, wieder etwas leiser geworden sind, so stellen wir doch fest, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihren Volksvertretern zunehmend mit Skepsis begegnen. Sie glauben nicht daran, dass Politik in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung, in Zeiten beschleunigten Wandels und tiefer Umbrüche noch eine soziale Gesellschaft gestalten kann. Nicht wenige Menschen fühlen sich von diesen Entwicklungen überrannt. Sie haben Sorge und Angst, mit ihrem Wissen, ihrer Qualifikation nicht mehr mithalten zu können. Sie sehen ihre Zukunftschancen schwinden, fürchten, abgehängt zu werden, verspüren Ohnmacht, vielleicht auch Wut - Wut auf „die da oben“, Wut auf Politiker, die zu wenig auf ihre Belange eingehen, wenn man ihnen nicht gleich jede Glaubwürdigkeit abspricht.
Eine nicht geringe Zahl resigniert einfach und zieht sich aus der aktiven Mitgestaltung unseres Gemeinwesens zurück. Viele projizieren ihre Ängste auch auf hier lebende Flüchtlinge und machen sie für Missstände verantwortlich. Andere wenden sich ganz von unserer Demokratie und ihren Grundwerten ab und suchen aktiv Orientierung in nationalistischen, völkischen, autoritären oder rechtspopulistischen Parolen. Diese Entwicklung muss uns als Demokraten beunruhigen.
So klar und eindeutig unsere Antwort hier im Parlament gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gerichtet sein muss, so dürfen wir nicht ignorieren, dass es angesichts einer sich so rapide wandelnden Welt diesen Orientierungsbedarf gibt. Wir müssen uns fragen, welchen Beitrag wir Abgeordnete leisten können, um das Vertrauen
Appelle helfen da wenig. Wir müssen uns mit den sozialen und politischen Gründen für den Verlust von Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit von Politik, der sich in Abwehr von allem Fremden und Demokratieskepsis äußert, auseinandersetzen. Das ist das eine.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns angesichts der durchaus vorhandenen Probleme nicht vergessen, dass wir großartige Möglichkeiten zur Gestaltung einer sozialen Gesellschaft haben! Noch nie war das Bildungsniveau der nachwachsenden Generation in Niedersachsen so hoch wie gegenwärtig und war die Wissenschafts- und Forschungslandschaft so stark und vielfältig. Die Digitalisierung bietet auch für die Weiterentwicklung von Beschäftigung und Arbeitsmarkt Chancen und nicht nur Gefahren.
Ich übersehe dabei nicht, dass diese Möglichkeiten nicht allen zugutekommen und es überall noch zu viel soziale Ungleichheit, Armut und Gefährdungen gibt.
Es ist Aufgabe von Politik, die im Wandel liegenden Chancen so zu gestalten, dass sie allen zugutekommen und der soziale Zusammenhalt gestärkt wird. Es ist ihre Aufgabe, Menschen zu befähigen, ihr Leben in einer globalisierten und digital vernetzten Welt selbstbestimmt in der Gemeinschaft gestalten zu können. Um das hier nicht allzu abstrakt stehen zu lassen: Dazu gehört beispielsweise, eine Pflegestruktur zu schaffen, die es den Menschen ermöglicht, in Würde zu altern und nicht alle Selbstbestimmung zu verlieren. Es gehört dazu, Menschen durch eine gute Bildung und Ausbildung so zu qualifizieren, dass sie für Anforderungen einer Arbeitswelt 4.0 gewappnet sind. Und es gehört dazu, Menschen, die zu uns gekommen sind, weil sie Schutz vor Bürgerkrieg, Gewalt und Verfolgung in ihren Heimatländern suchen, in unsere Gesellschaft zu integrieren und teilhaben zu lassen.
Nur wenn wir die vielfältigen Unsicherheiten und Fragen der Bürgerinnen und Bürger in unserer Parlamentsarbeit aufgreifen, werden wir das Vertrauen in die soziale Gestaltungskraft der Politik zurückgewinnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen in die Gestaltungskraft der Politik stärkt das Vertrauen in unsere Demokratie. Mir ist es sehr wichtig, insbesondere die junge Generation für die Demokratie zu begeistern. Hier kommt der Bildung eine wichtige Rolle zu. Es war Oskar Negt, der immer wieder auf die herausragende Rolle von Bildung für die Demokratie hingewiesen hat. Bildung, so sagt er, ist unter unseren Verhältnissen existenziell notwendig, weil Demokratie die einzige gesellschaftliche Ordnung und Staatsform ist, die gelernt werden muss. Dabei geht es nicht um abstraktes Bücherwissen. Es geht um direktes Erfahrungslernen in Erziehung und Bildung. Es geht damit auch darum, für Demokratie zu streiten und gegen unmenschliche Alternativen deutliche Zeichen und starke Bollwerke zu setzen.
Demokratie heißt, Verantwortung zu übernehmen: Verantwortung für unser Gemeinwesen, aber auch Verantwortung vor unserer Geschichte. Vor wenigen Tagen, am 9. November, haben wir der Opfer der Pogromnacht 1938 gedacht. „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“- Mit diesen Worten hat uns der Holocaustüberlebende Max Mannheimer einen Auftrag erteilt, dem wir uns nicht entziehen dürfen.
Das Wissen um die unfassbaren Verbrechen der Vergangenheit ist eine Verpflichtung für alle Demokratinnen und Demokraten - gerade auch für uns Abgeordnete -, unsere Stimme immer und überall gegen jegliche Formen von Ausgrenzung, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit zu erheben. Wo Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zunehmen, erodieren die zentralen Prinzipien unserer Demokratie: Der Gleichheitsgrundsatz und der Schutz der Würde des Menschen verlieren ihre universelle Gültigkeit.
Deshalb will auch ich als Landtagspräsidentin einen Beitrag leisten und den Dialog über die Zukunft unseres Zusammenlebens mit allen gesellschaftlichen Gruppen suchen: mit den Kulturschaffenden, den vielen, vielen ehrenamtlich Engagierten, der Wissenschaft, den Glaubensgemeinschaften, den Verbänden, vor allem aber auch mit der jungen Generation. Der jetzt im neuen Glanz erstrahlende Landtag soll ein Haus der offenen Türen sein, ein Ort des Gesprächs und ein Ort der Begegnungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf die neue Aufgabe und auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Auch ich weiß, dass Große Koalitionen nicht gerade als Glanzzeiten politischer Debattenkultur gelten. Sollte es also in Niedersachsen zu einer Großen Koalition kommen, vertraue ich darauf, dass die Regierungsfraktionen behutsam mit ihrer Mehrheit - und die Minderheitsrechte achtend - umgehen werden. Was ich dazu beitragen kann, will ich gerne tun.
„Vielleicht gibt es schönere Zeiten; aber diese ist die unsere“, hat Jean-Paul Sartre einmal gesagt. Lassen Sie uns diese Zeit gemeinsam nutzen, um für ein weltoffenes, tolerantes und vielfältiges Niedersachsen zu arbeiten: zurückhaltend in den Ankündigungen, ambitioniert in den Zielen und mutig in den Entscheidungen!
Tagesordnungspunkt 8: Beschluss über die Fortgeltung der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages
Als Drucksache 18/1 ist die Geschäftsordnung des Landtages in der bisher geltenden Fassung an Sie verteilt worden. In den beiden vorangegangenen Wahlperioden hat der Landtag jeweils bereits in seiner ersten Sitzung Änderungen der Geschäftsordnung angenommen und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Geschäftsordnung im Übrigen unverändert fortgelten soll.
Für diese Sitzung liegen keine Anträge auf Änderung der Geschäftsordnung vor. Wir sollten daher zur Klarstellung einen Beschluss fassen, mit dem die Fortgeltung der bisherigen Geschäftsordnung festgestellt wird.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Fortgeltung der Geschäftsordnung in der aus der Drucksache 18/1 hervorgehenden Fassung zustimmen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Somit haben Sie die Fortgeltung der Geschäftsordnung einstimmig beschlossen.
Nach § 2 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages können sich Mitglieder des Landtages, die der gleichen Partei angehören, zu Fraktionen zusammenschließen.
Ich teile Ihnen mit, dass sich nach den mir vorliegenden Mitteilungen im Landtag der 18. Wahlperiode fünf Fraktionen konstituiert haben: die Fraktion der SPD mit 55 Mitgliedern, die Fraktion der CDU mit 50 Mitgliedern, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit 12 Mitgliedern, die Fraktion der FDP mit 11 Mitgliedern und die Fraktion der AfD mit 9 Mitgliedern.
Wir kommen nur zur Festlegung von Zeit und Tagesordnung des nächsten Tagungsabschnitts. Für den 2. Tagungsabschnitt sind bisher Mittwoch und Donnerstag der nächsten Woche in Aussicht genommen; das sind der 22. und der 23. November 2017. Mit dieser Planung wird sich heute der um 14 Uhr tagende Ältestenrat befassen. Zu dieser Sitzung werde ich die von den Fraktionen benannten Mitglieder des Ältestenrats umgehend einladen.
Ich werde den Landtag einberufen und im Einvernehmen mit dem Ältestenrat den Beginn und die Tagesordnung der Sitzungen bestimmen. Im Rahmen dieses Tagungsabschnitts sollen sich dann auch die Fachausschüsse konstituieren. Die Einladungen gehen Ihnen rechtzeitig zu, voraussichtlich aber nicht vor dem 22. November 2017.
Wie Sie wissen, findet jetzt im Anschluss in der Portikushalle ein Empfang statt, zu dem mein Amtsvorgänger eingeladen hat.