(Helge Limburg [GRÜNE]: Das war auch schon so, als hier noch die CDU den Ministerpräsidenten gestellt hat!)
13 Tage nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs, am 11. Februar 2016, beantwortete das Niedersächsische Kultusministerium für die Landesregierung die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter der CDU-Fraktion „Unterrichtsversorgung an allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2015/2016“, Drucksache 17/4830. Diese Anfrage war am 9. Dezember 2015 eingereicht worden. Mit Schreiben vom 22. Januar 2016 hatte das Kultusministerium um Fristverlängerung gebeten unter Hinweis darauf, dass die vorliegenden Daten umfangreichen Prüfungen unterzogen würden, um eine qualitativ hochwertige Datenlage zu erzeugen. Am 9. Februar 2016 gab das Kultusministerium eine Pressemitteilung zur Unterrichtsversorgung im Schuljahr 2015/2016 heraus mit den Zahlen und Prozentangaben, die Gegenstand der Anfrage waren.
1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass sie ihrer Pflicht zur vollständigen Beantwortung parlamentarischer Anfragen nachkommt, wenn sie die Frage eines Abgeordneten nach Daten zur Unterrichtsversorgung für das Schuljahr 2015/2016
2. Müssen Abgeordnete als Reaktion der Landesregierung auf das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 29. Januar 2016 damit rechnen, zukünftig keine vollständigen Antworten mehr zu erhalten, sobald Daten bzw. Informationen bei Behörden recherchiert oder Akten oder Datensätze ausgewertet werden müssen?
3. Hält die Landesregierung die Beantwortung einer schriftlichen Anfrage für „unverzüglich“ im Sinne des Artikels 24 Abs. 1 NV, wenn das federführende Ministerium mit der Anfrage nachgefragte Daten bzw. Informationen zwei Tage vor der Beantwortung der Anfrage bereits per Pressemitteilung herausgibt?
Vielen Dank, Herr Kollege Nacke, für die Dringliche Anfrage. - Die Landesregierung antwortet durch Frau Ministerin Heiligenstadt, der ich das Wort erteile.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit Urteil vom 29. Januar 2016 hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof erstmals Maßstäbe entwickelt, wie der Begriff der Unverzüglichkeit in Artikel 24 Abs. 1 NV auszulegen ist, sofern es um Kleine Anfragen zur schriftlichen Beantwortung geht. Selbstverständlich wird die Landesregierung dem Folge leisten.
Das Gericht hat die besondere Bedeutung des parlamentarischen Fragerechts betont und dies vor dem Hintergrund, dass die Anzahl der Kleinen Anfragen in dieser Legislaturperiode gegenüber der vorigen sehr stark angewachsen ist, mit der Feststellung verbunden, dass die Abgeordneten und die Fraktionen gehalten sind, „die Effektivität des wichtigen Instruments der Kleinen Anfrage durch einen nach Anlass, Anzahl und Umfang verantwortungsbewussten Umgang dauerhaft zu sichern.“
Das Gericht hat der Landesregierung ferner ausdrücklich aufgegeben, den zur Beantwortung einer Anfrage zu betreibenden Ermittlungsaufwand im Rahmen einer Pflichtenabwägung zu prüfen. Zitat: „… umständliche und extrem zeitaufwändige Recherchen muss sie“, also die Landesregierung, „mit Blick auf die Erkenntnischancen und den Zeitbedarf hinterfragen“.
Darin sehen weder das Gericht noch die Landesregierung einen Widerspruch zum Gebot der vollständigen Beantwortung.
Bereits unmittelbar nach der Urteilsverkündung hat der Chef der Staatskanzlei öffentlich erklärt, dass die Landesregierung die im Urteil des Staatsgerichtshofs neu entwickelten Maßstäbe über die entschiedenen Einzelfälle hinaus ab sofort für alle Kleinen Anfragen anwenden wird.
Die Landesregierung hat die zum Zeitpunkt des Urteils offenen Anfragen, für die aufgrund des von den Fragestellern ausgelösten Rechercheaufwands eine Antwort nicht innerhalb eines Monats gegeben werden konnte, zwischenzeitlich mit wenigen Ausnahmen beantwortet. Mit Schreiben vom 12. Februar 2016 hat die Staatskanzlei sowohl der CDU- als auch der FDP-Fraktion mitgeteilt, dass auch für die wenigen noch offenen schriftlichen Anfragen die ursprünglich angezeigten Fristverlängerungen nicht ausgeschöpft werden, und für jede dieser Anfragen jeweils einen neuen Antworttermin benannt.
Zu 1: Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 29. Januar 2016 einen Leitsatz formuliert, den ich Ihnen gerne vorlese, weil er für den von Ihnen in Ihrer Vorbemerkung geschilderten Fall einschlägig ist. Dieser Leitsatz lautet:
„Die Landesregierung hat im Spannungsverhältnis zwischen Vollständigkeit und Unverzüglichkeit einer Antwort auf Kleine Anfragen die Recherchetiefe unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Interessen des Fragestellers sachgerecht zu bestimmen, den Beantwortungsvorgang zweckmäßig zu organisieren und im Konfliktfall zwischen der Pflicht zur unverzüglichen Antwort und konkurrierenden Aufgaben der Landesregierung verfassungskonform zu priorisieren. Bei der Erfüllung und Abwägung dieser Pflichten kommen der Landesregierung Einschätzungsspielräume zu.“
Bevor ich auf diesen Leitsatz zurückkomme, möchte ich zunächst einmal die in der Vorbemerkung des Fragestellers genannten Daten richtigstellen bzw. ergänzen; denn diese Dringliche Anfrage ist ja von Fristen und Terminen getragen:
Die Kleine Anfrage „Unterrichtsversorgung an den allgemeinbildenden Schulen in freier Trägerschaft“ datiert ausweislich der Drucksache 17/5059 zwar auf den 26. November 2015, sie ist der Staatskanzlei allerdings erst am 3. Dezember 2015 - mithin eine Woche später - mit der Bitte um Beantwortung durch die Landesregierung übersandt worden. Diese aufgezeigte zeitliche Verzögerung kann man der Landesregierung keinesfalls anlasten; denn das zuständige Ressort sollte die Fragen kennen, die es beantworten soll.
Am 29. Dezember 2015 - d. h. vor Ablauf eines Monats nach Eingang bei der Landesregierung - wurde seitens des Kultusministeriums um eine Fristverlängerung gebeten.
Ferner wurde der Fragesteller über die Bitte um Fristverlängerung zu der Kleinen Anfrage „Unterrichtsversorgung an den allgemeinbildenden Schulen“, deren Fragesteller ebenfalls auch er war, am 22. Januar 2016 - d. h. noch vor Beantwortung der in Rede stehenden Anfrage zu den Schulen in freier Trägerschaft am 26. Januar 2016 - davon in Kenntnis gesetzt, dass Auskünfte zur Unterrichtsversorgung erst Mitte Februar 2016 gegeben werden können.
Folglich wäre eine „Gesamtantwort“ der Anfrage zu den Schulen in freier Trägerschaft erst nach Vorlage und Auswertung der geprüften Statistik Mitte Februar 2016 möglich gewesen. Gleichwohl wurde aber schon im Januar auf die im Mittelpunkt der Anfrage stehenden Fragen geantwortet.
Eine weitere Verschiebung der Beantwortung bis Mitte Februar hätte offenkundig den mutmaßlichen Interessen des Fragestellers nicht genügt; denn die Frage nach der Unterrichtsversorgung der Schulen in freier Trägerschaft war ein Teilaspekt der Anfrage. Im Fokus der Anfrage standen vielmehr Fragestellungen zum Lehrkräfteaustausch zwischen öffentlichen Schulen und Schulen in freier Trägerschaft und zur Finanzhilfe - Thema „Inklusion und Ganztag“. Hier galt es, die notwendigen Hintergrundinformationen umgehend zu liefern, insbesondere auch, um diverse in der Anfrage nicht zutreffende Behauptungen oder Annahmen zu den Vorschriften in den §§ 150 und 152 NSchG umgehend auszuräumen.
Die Angaben zur Unterrichtsversorgung an den allgemeinbildenden Schulen wurden dem Fragesteller sodann in den Drucksachen 17/5153 und 17/5150 zwei Wochen später nachgereicht. Schließlich war für die gestaffelte Antwort auch maßgeblich, dass die Unterrichtsversorgung an den Schulen in freier Trägerschaft nur bedingt mit der Unterrichtsversorgung an den öffentlichen Schulen vergleichbar ist und zu ihr in Beziehung steht, was in den Vorbemerkungen zu den Antworten in den Drucksachen 17/5153 und 17/5130 deutlich zum Ausdruck gebracht wird.
Um dem Fragesteller eine Größenordnung der von ihm erbetenen Angaben zu vermitteln, wurden ihm die Daten des Vorjahres genannt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der Fragesteller in seiner Anfrage eine schlechte Ausstattung der freien Schulen kritisiert, obwohl der landesweite Durchschnitt der Unterrichtsversorgung laut Antwort mit 111,5 % angegeben werden konnte.
Im Hinblick auf den eingangs zitierten Leitsatz aus dem Staatsgerichtshofurteil bedeutet das: Das Kultusministerium hat das vom Staatsgerichtshof skizzierte Spannungsverhältnis zwischen „Vollständigkeit“ und „Unverzüglichkeit“ so aufgelöst, dass, den mutmaßlichen Interessen des Fragestellers folgend, zunächst die Kernfragen beantwortet wurden und ihm späterhin eine Antwort auf die Nebenfrage gegeben wurde. Dieser Einschätzungsspielraum wird der Landesregierung bei der Erfüllung und Abwägung der Antwortpflicht zugestanden. Nach alledem ist die Anfrage im Sinne des vielzitierten Urteils des Staatsgerichtshofs als vollständig und unverzüglich beantwortet anzusehen.
Ich komme jetzt zur Beantwortung der Frage 2. Sie möchten wissen, ob die Landesregierung aufgrund des Urteils des Staatsgerichtshofs vom 29. Januar 2016 bei der Beantwortung Kleiner Anfragen zukünftig auf die Recherche bei nachgeordneten Behörden und die Auswertung von Datenbeständen und Akten verzichten wird. Die Antwort lautet: Nein. Die Landesregierung wird sich weiterhin nach Kräften bemühen, parlamentarische Anfragen zügig und umfassend zu beantworten. Sie wird ihre Antworten aber auch zukünftig - und darin gibt ihr das Urteil ausdrücklich Recht - mit Rücksicht auf ihre weiteren zahlreichen Aufgaben geben.
Lassen Sie mich zunächst darstellen, welche Grundsätze der Staatsgerichtshof in seiner Entscheidung aufgestellt hat:
Gemäß Artikel 24 Abs. 1 unserer Landesverfassung muss die Landesregierung parlamentarische Anfragen gleichermaßen unverzüglich wie vollständig beantworten. Die Antwort muss also ebenso schnell wie umfassend ausfallen. Dass hier ein Spannungsverhältnis besteht, liegt auf der Hand: Je schneller eine Antwort erfolgen soll, umso weniger Zeit bleibt für Ermittlungen und Auswertungen. Je umfassender die Antwort ausfällt, umso längere Zeit nimmt die Bearbeitung in Anspruch.
Der Staatsgerichtshof hat dieses Spannungsverhältnis aufgegriffen. In seinem Urteil betont er, dass die Landesregierung die widerstreitenden Prinzipien der Schnelligkeit und Vollständigkeit gegeneinander abwägen muss. Das heißt: Die Landesregierung muss entscheiden, welchen Ermittlungsaufwand sie betreibt, um - im Hinblick auf das legitime Informationsinteresse des Landtags - eine zügige und zugleich möglichst vollständige Antwort geben zu können. Wörtlich heißt es dazu in der Entscheidung des Staatsgerichtshofs:
„Naheliegende und schnell verfügbare Erkenntnismittel muss sich die Regierung sofort erschließen, umständliche und extrem zeitaufwändige Recherchen muss sie mit Blick auf die Erkenntnischancen und den Zeitbedarf hinterfragen.“
Dies hat die Landesregierung bereits in der Vergangenheit getan, und in der Praxis hat sie der Staatsgerichtshof bestätigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Staatsgerichtshof hat einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt besonders herausgestellt: Die Beantwortung parlamentarischer Anfragen ist nicht die einzige Aufgabe der Landesregierung und der ihr nachgeordneten Behörden. Sie muss bei der Beantwortung dafür Sorge tragen, dass andere ebenso wichtige Aufgaben weiterhin mit der gebotenen Geschwindigkeit und Sorgfalt erledigt werden. Dafür steht sie gegenüber den Bürgerinnen und Bürger zu Recht in der Pflicht. Parlamentarische Anfragen dürfen die Arbeit von Landesregierung, Verwaltung und Justiz nicht blockieren. Das Fragerecht ist daher nicht grenzenlos, sondern es unterliegt immanenten Schranken. Diese Schranken sind in jedem Einzelfall und unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu bestimmen.
Lassen Sie mich das Problem am Beispiel der von Ihnen angeführten Kleinen Anfrage zum Straftatbestand der illegalen Einreise verdeutlichen.
Gefragt war u. a. nach Einzelheiten des Verfahrens der Einstellung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft führt zu diesen Einzelheiten keine Statistik, d. h. die Daten sind nicht vorhanden. Eine Antwort auf die Frage hätte es daher erfordert, mehr als 4 000 - ich wiederhole: 4 000 - Ermittlungsakten einzeln auszuwerten. Dies hätte die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaften in Niedersachsen über Tage und Wochen lahmgelegt. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte wären in unvertretbarer Weise bei ihrer Arbeit für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes behindert worden. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Landesregierung der Verfolgung von Straftätern ein höheres Gewicht beigemessen hat als Ihrem zweifellos ebenfalls anerkennenswerten Interesse, weitere Details zur Einstellung von Ermittlungsverfahren zu erfahren.
Vergleichbares gilt für eine weitere Frage zur Arbeit der Polizei. Auch hier hätten die gewünschten Informationen zu Vorstrafen, Haftbefehlen und weiteren polizeilichen und geheimdienstlichen Erkenntnissen nur durch eine Einzelauswertung von mehr als 1 800 Polizeiakten ermittelt werden können. Die damit verbundene Belastung für die polizeiliche Arbeit war auch bei Abwägung mit dem parlamentarischen Informationsinteresse nicht hinzunehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das parlamentarische Fragerecht ist, wie Sie sehen, nicht unbegrenzt, es genießt aber einen hohen Rang. Die Landesregierung bemüht sich daher nach Kräften, parlamentarische Anfragen so umfassend wie möglich und unter Nutzung aller vertretbaren Recherche- und Auswertungsmöglichkeiten zu beantworten.
In Ihrer Dringlichen Anfrage erwähnen Sie die Kleine Anfrage zur Unterrichtsversorgung an allgemeinbildenden Schulen. Die Antwort auf diese Anfrage liefert ein Beispiel dafür. Das Kultusministerium hat den vorliegenden Datenbestand mit erheblichem Arbeitsaufwand ausgewertet, geprüft und aufbereitet. Das zeigt einmal mehr die Bedeutung, die die Landesregierung dem parlamentarischen Informationsrecht beimisst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies führt mich zu einem letzten Aspekt der Entscheidung des Staatsgerichtshofs. Der Staatsgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung nicht nur an die Landesregierung gewandt. Er hat zugleich die Mahnung an die Abgeordneten und ihre Faktionen gerichtet, „die Effektivität des wichtigen Instruments der Kleinen Anfrage durch einen nach Anlass, Anzahl und Umfang verantwortungsbewussten Umgang dauerhaft zu sichern.“
Ich komme zu der Beantwortung der Frage 3. Die Kleine Anfrage „Statistische Schuldaten“, Drucksache 17/4435, von Abgeordneten der FDP, wurde am 12. Oktober 2015 beim Landtag eingereicht. Die Anfrage „Unterrichtsversorgung an allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2015/2016“, Drucksache 17/4830, von Abgeordneten der CDUFraktion, wurde am 9. Dezember 2015 eingereicht. Am 16. Dezember wurde die Kleine Anfrage „Der 5. Schuljahrgang im Schuljahr 2015/2016, Drucksache 17/4889, von Abgeordneten der SPD vorgelegt.
Bei diesen drei Anfragen handelt es sich bekanntermaßen um Anfragen, die jedes Jahr gestellt werden und die von der amtierenden Landesregierung erst dann beantwortet werden können, wenn die geprüfte Statistik zum Stichtag des ersten Schulhalbjahres vorliegt. Das ist praktisch regelmäßig frühestens um die Jahreswende möglich.
Für die Beantwortung dieser drei Anfragen wurde vom Kultusministerium eine Fristverlängerung bis zum 10. Februar 2016 erbeten, weil die geprüfte Statistik u. a. wegen des besonders späten Beginns des Unterrichtsbetriebes in diesem Schuljahr nach den Sommerferien 2015 nicht früher erstellt werden konnte und eine Prüfung und Bestätigung nicht vor dem genannten Termin zu erwarten war.
Am 9. Februar lag die geprüfte und freigegebene Statistik vor, sodass die Auswertung im Sinne der genannten Anfragen und je nach Interessenlage der Fragesteller durchgeführt werden konnte.
Am 9. Februar 2016, um 16.09 Uhr, wurde vom Kultusministerium eine eineinhalbseitige Presseinformation, die im Wesentlichen nur die landesweit durchschnittliche Unterrichtsversorgung der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen zum