Protocol of the Session on January 21, 2016

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 17/3833 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit. Damit wurde der Ausschussempfehlung gefolgt.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 16: Abschließende Beratung: Bürgernahe Justiz in Zeiten des demografischen Wandels - Modellprojekt Südniedersachsen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/3700 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 17/4936 neu

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag in geänderter Fassung anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Kollegin Wahlmann, SPD-Fraktion, das Wort. Alle anderen darf ich um Aufmerksamkeit bitten. - Bitte, Frau Kollegin!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In unserem demokratischen Rechtsstaat ist jede und jeder gleichermaßen befugt, ihre oder seine Ansprüche, ihr oder sein Recht durchzusetzen. Das beinhaltet nach unserem Verständnis, dass tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen einen effektiven, praktisch umsetzbaren Zugang zur Justiz haben, unabhängig von ihrem Wohnort, ihrem Einkommen, ihrer Mobilität. Dazu gehört auch, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen Zugang zu Gerichten in räumlich erreichbarer Nähe haben.

Aus diesem Grund ist es richtig und wichtig, dass die rot-grüne Landesregierung in unserem Flächenland Niedersachsen sich klar dazu bekannt hat, auch kleine Amtsgerichtsstandorte zu erhalten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die rot-grüne Mehrheit in diesem Haus steht gemeinsam mit der von ihr getragenen Landesregierung für eine bürgernahe Justiz, die tief in der Fläche verankert ist. Niemand soll durch lange Wege daran gehindert werden, berechtigte Interessen wahrzunehmen.

Im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit halten wir daher an einer kleinteiligen Struktur nah an den Menschen fest. Im Bereich der spezialisierten Fachgerichtsbarkeiten ist die Gerichtsdichte naturgemäß geringer. Das liegt an der gewollten Spezialisierung und an den dadurch bedingten geringeren Fallzahlen als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Gerade im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit führt dies allerdings zu Problemen. Das liegt an den Fällen, die dort behandelt werden, das liegt an den Schicksalen, die dahinterstehen, und das liegt an den Personen, die vorrangig betroffen sind. An den Sozialgerichten geht es um Ansprüche aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der Unfallversicherung, der Pflegeversicherung. Es geht um Ansprüche auf -

umgangssprachlich - Hartz IV, also auf Grundsicherung für Arbeitsuchende. Es geht um die Sozialhilfe. Es geht um das Asylbewerberleistungsgesetz.

Dementsprechend sind es vielfach Menschen in sehr schwierigen Lebenslagen, die sich an die Sozialgerichte wenden: Schwerbehinderte, Mütter mit kleinen Kindern, Flüchtlinge, schwer Kranke, Arbeitslose, Rentner. Für diese Personen, die vielfach auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, stellt die Anreise zu den Sozialgerichten, wenn sie in erheblicher Entfernung vom Wohnort liegen, eine deutliche Hürde für die Wahrnehmung ihrer Rechte dar.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Völlig rich- tig!)

In Niedersachsen gibt es acht Sozialgerichte, deren Bezirke jeweils mindestens drei Landkreise umfassen. Wenn man weiß, wie schlecht der ÖPNV zwischen den Landkreisen teilweise vernetzt ist, dann hat man schon eine Ahnung davon, wie lange man teilweise braucht, um zum zuständigen Sozialgericht zu fahren. In den entlegensten Gebieten ist man über vier Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, und das mit mehrfachem Umsteigen. Für schwer Kranke, Behinderte, alte Menschen und Leute mit kleinen Kindern ist das wirklich hart an der Grenze des Zumutbaren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In solchen Fällen kann man sich durchaus fragen, ob da noch ein effektiver Rechtsschutz gewährt ist, ob da noch der Justizgewährungsanspruch, den alle Bürgerinnen und Bürger haben, uneingeschränkt gewährleistet ist. Es geht ja nicht nur um die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen. Für das bloße Einreichen eines Antrages muss man die gleichen Strecken zurücklegen. Gerade in Zeiten des demografischen Wandels, in Zeiten einer älter werdenden Bevölkerung, die auch zunehmend nicht mehr ganz so mobil ist, ist es durchaus schwierig, das Recht durchzusetzen.

Nicht nur, aber vor allem in Südniedersachsen sind die Wege zum zuständigen Sozialgericht Hildesheim sehr weit. Das stellt für die Betroffenen eine sehr große Belastung dar. Wir, die rot-grüne Koalition im Niedersächsischen Landtag, wollen diesen Rechtsuchenden helfen. Wir wollen ein Modellprojekt Südniedersachsen einführen, in dem die Ausweitung und Institutionalisierung der bisher bereits

praktizierten auswärtigen Sitzungen des Sozialgerichts Hildesheim erprobt wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bislang finden auf freiwilliger Basis unregelmäßig auswärtige Sitzungen einiger Richterinnen und Richter des Sozialgerichtes Hildesheim an anderen Standorten statt. Das gibt es auch an anderen Orten und in anderen Gerichtszweigen. Wir schätzen und unterstützen das. An dieser Stelle herzlichen Dank an alle Richterinnen und Richter, die sich daran beteiligen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Lutz Winkelmann [CDU])

Gleichzeitig muss man jedoch feststellen, dass diese unregelmäßigen Sitzungen eben genau das sind: unregelmäßig und davon abhängig, ob der zuständige Richter, die zuständige Richterin bereit und auch arbeitsmäßig in der Lage ist, diese auswärtigen Sitzungen durchzuführen. Häufig sind sie auch daran gekoppelt, dass derjenige Richter genau an dem Ort wohnt, wo die auswärtige Sitzung stattfinden soll.

Noch einmal: Wir begrüßen ausdrücklich, dass einige das freiwillig tun. Genau aus diesem Grund wollen wir diese auswärtigen Sitzungen im Rahmen eines Modellprojektes institutionalisieren.

Konkret wollen wir im Rahmen ebendieses Modellprojektes in der Region Südniedersachsen für die Stadt und den Landkreis Göttingen und die Landkreise Osterode am Harz, Northeim und Holzminden Gerichtstage des Sozialgerichtes in bestehenden Gebäuden anderer Behörden und Gerichte durchführen. Diese Gerichtstage sind nicht nur auswärtige Sitzungen. Vielmehr bietet das Gericht sozusagen das Komplettpaket an, eine vollumfängliche Anlaufstelle einschließlich einer Rechtsantragstelle. Diese Gerichtstage finden dann nicht mehr unregelmäßig statt und hängen nicht mehr vom guten Willen der Betroffenen ab. Vielmehr gibt es dann feste Tage mit festen Zuständigkeiten, die ganz klar im Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichtes Hildesheim festgelegt werden. Das schafft Klarheit für alle Beteiligten und vor allem auch Verlässlichkeit für die Rechtsuchenden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Modellprojekte leben davon, dass man hinterher guckt, ob sie sich

bewährt haben und sie auf andere Regionen umgesetzt werden können. Wir fordern daher die Landesregierung auf, bis zum 31. Januar 2017 zu evaluieren, ob dieses Projekt erfolgreich war, und uns dann darüber zu berichten. Wer das Land Niedersachsen kennt - das trifft auf uns zu -, der weiß, dass die Probleme der Erreichbarkeit nicht nur in Südniedersachsen bestehen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wer schon einmal versucht hat, aus dem nördlichen Emsland zum zuständigen Sozialgericht Osnabrück zu kommen, der weiß, wovon ich spreche. Das Problem besteht also durchaus auch in anderen Regionen.

Von daher kann ich sagen: Sofern das Modellprojekt erfolgreich ist, werden wir auf jeden Fall prüfen, in welchen Regionen und gegebenenfalls an welchen weiteren Fachgerichtsbarkeiten ebenfalls auswärtige Gerichtstage stattfinden können.

Der SPD und den Grünen hier im Haus kommt es maßgeblich darauf an, dass alle Menschen in Niedersachsen einen fairen Zugang zu Gerichten haben. Niemand soll durch seinen Wohnort, durch fehlende Mobilität, geschweige denn durch ein zu geringes Einkommen daran gehindert werden, bestehende Ansprüche durchzusetzen. Gerade die Schwachen in der Gesellschaft sind darauf angewiesen, dass der Staat ihnen hilft und ihnen auch ein Stück weit entgegenkommt.

(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Projekt kommt die niedersächsische Justiz mit unserer Unterstützung den Schwächsten in unserer Gesellschaft entgegen, indem sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihre berechtigten Interessen leichter wahrzunehmen. Wir sorgen damit für ein Stück mehr Gerechtigkeit in Niedersachsen.

Ich bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. -

Nun hat für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Genthe das Wort.

(Unruhe)

- Bitte noch einen Moment, bis Ruhe eingekehrt ist!

Bitte, Herr Dr. Genthe!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben an dieser Stelle schon öfter über den Erhalt von kleinen Amtsgerichten im ländlichen Raum gesprochen. Bei dieser Diskussion ist immer wieder deutlich geworden, dass es besonders wichtig ist, dass die Menschen die Justiz auch tatsächlich erreichen können. Das, was für die Amtsgerichte gilt, gilt im Prinzip natürlich auch für die Fachgerichte. Insoweit stehen insbesondere die Sozialgerichte im Fokus; denn die Prozessbeteiligten bei einem sozialgerichtlichen Verfahren sind in einer besonders schwierigen persönlichen Situation. Für sie fällt es besonders schwer - - -

Herr Kollege, Entschuldigung, dass ich so rüde dazwischengehe. - Herr Kollege Tanke, das war jetzt wirklich eine Provokation.

Bitte, Herr Dr. Genthe! Entschuldigung!

Ich habe nichts gemacht.

(Heiterkeit - Jens Nacke [CDU]: Tan- ke!)

Nein, Herr Genthe, ich wollte mich bei Ihnen für die sehr rüde Unterbrechung entschuldigen, aber sie war in dem Moment angebracht.

Kein Problem. - Die Prozessbeteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind oft in einer sehr schwierigen persönlichen Situation, in der es ihnen besonders schwerfällt, ein weit entferntes Gericht zu erreichen. Die Freien Demokraten unterstützen daher diesen Modellversuch; denn ganz offensichtlich ist das Problem in Südniedersachsen besonders brisant.

Meine Damen und Herren, wir werden uns die Ergebnisse dieses Modellversuchs ganz genau anschauen. Ich persönlich glaube, dass das Abhalten von Gerichtstagen nicht das große Problem sein wird. Das geschieht ja zum Teil auch jetzt schon. Ich glaube, dass das Aufrechterhalten der ständigen Rechtsantragsstellen sehr viel schwieriger sein wird. Insofern müssen wir schauen, ob das mit dem vorhandenen Personal tatsächlich zu leisten ist oder ob wir hier über zusätzliches Personal sprechen müssen. Aber dafür sind Modell

projekte ja auch da, dass wir genau diese Fragen klären.