Protocol of the Session on October 14, 2015

Vielen Dank, Herr Onay. - Das Wort hat jetzt für die Landesregierung Herr Innenminister Boris Pistorius.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, lieber Herr Oetjen, an Ihre Adresse. Die eingeforderte Antwort gebe ich Ihnen von Herzen gerne, weil ich sie schon mehrfach öffentlich gegeben habe. Von daher ist das gar keine neue Position.

Um die Kommunen von der Zuweisung von Flüchtlingen zu entlasten, die keine Bleibeperspektive haben, halte ich es für einen sinnvollen Schritt, wenn man diese Flüchtlinge bis zum Abschluss ihres Verfahrens und bis zur Rückführung in den Erstaufnahmeeinrichtungen belassen könnte.

Das erste Problem dabei ist die Kapazität. Das habe ich hinlänglich ausgeführt.

Das zweite Argument ist fast genauso wichtig. Solange es dem Bund nicht gelingt, schon heute die angekündigten Verfahrensdauern wirklich zu garantieren, laufen wir Gefahr - selbst wenn die Kapazitäten ausreichen würden -, die Menschen dort bis zu sechs Monate zu belassen, sodass wir zu einer faktischen Kasernierung oder Internierung kämen. Das können wir nicht wollen, zumal es in nicht zu knapper Zahl die Fälle geben wird, bei denen es aus humanitären, medizinischen oder sonstigen Gründen doch nicht zur Abschiebung kommt. Von daher ist das kein Allheilmittel. Wir haben gesehen: Bei den Kosovaren hat es vorübergehend funktioniert. Das ist aber auch eine kleine Gruppe.

Von daher halte ich von dem Prinzip durchaus einiges, aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die stimmen bislang nicht.

Zum Thema Rückführungserlass.

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ross-Luttmann?

Ich würde jetzt gerne erst zum eigentlichen Tagesordnungspunkt sprechen. Das war eben die Antwort auf die Frage von Herrn Oetjen.

Bitte, das ist Ihre Entscheidung.

Zum Rückführungserlass: Der Brief, über den wir schon, ich meine, in der Sondersitzung gesprochen haben, war schon Gegenstand der hiesigen Beratung. Auf dessen Grundlage hat es bereits etliche Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden und einen Erlassentwurf gegeben, der jetzt diskutiert werden wird. Wir werden uns in den nächsten Wochen - ich weiß nicht genau, wann - wieder mit den kommunalen Spitzenverbänden zu diesem Thema zusammensetzen und wieder darüber diskutieren, ob die Regelungen, die wir jetzt vorgeschlagen haben, ausreichend sind oder nicht und welche Punkte aus dem Schreiben der kommunalen Spitzenverbände eigentlich essenzieller Natur sind, aber noch keine Umsetzung erfahren haben.

In diesem Kontext erlaube ich mir den Hinweis, dass man über alle Hinweise auf Asylfolgeantragsteller - wie es Herr Nacke, glaube ich, ausgeführt

hat - sicherlich wunderbar reden kann. Das habe auch ich schon auf Innenministerkonferenzen gegenüber de Maizière geäußert. Das Problem ist nur: Das sind bundesgesetzliche Regelungen, auf die wir keinen Einfluss haben.

Wenn man jemanden davon abhalten will, einen Asylfolgeantrag zu stellen, oder diesen von vornherein für unzulässig erklären will, wenn jemand schon ins Land gekommen ist, dann brauchen Sie dafür eine Grundgesetzänderung. Danach sieht es gegenwärtig aus! Von daher sollten wir uns lieber um die Fragestellungen kümmern, die wir akut lösen können.

Die nächste Bemerkung: Ich habe bei dem anderen Tagesordnungspunkt zu diesem Themenkreis vorhin gesagt, wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als sei die Frage der Abschiebung - ja oder nein - unser Hauptproblem. Das ist ein Problem - darüber müssen wir nicht diskutieren. Selbstverständlich müssen Abschiebungen erfolgen. Ich bin auch der Auffassung, dass sie erfolgen müssen.

Ich habe auch, wie es so schön heißt, in der letzten Sitzung aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht, als ich gesagt habe, dass es mich ärgert, wenn eine Abschiebung angekündigt wird, um Flüchtlingen zu erlauben und zu ermöglichen, ihre Angelegenheiten vor einer Abschiebung zu regeln, und diese Ankündigung missbraucht wird, indem sie untertauchen und sich der Abschiebung entziehen. Das ist dann ein Missbrauch. Das ärgert mich, weil eine humanitäre Geste damit ad absurdum geführt wird. Dazu stehe ich auch.

Deswegen werden wir im Rückführungserlass dazu zu einer anderen Regelung kommen, gerade im Hinblick auf diejenigen, die relativ kurz hier sind. Dann wird man sehen, zu welcher Regelung man am Ende kommt.

Ich finde schon - damit teile ich wahrscheinlich die Meinung großer Teile des Hauses -, dass wir genauso konsequent, wie wir uns um Aufnahme und Integration bemühen müssen, am Ende auch Abschiebungen durchführen müssen. Aber ich betone auch zum wiederholten Male: unter vernünftigen Bedingungen!

Jetzt gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage, Herr Minister, von Herrn Oetjen.

Den Satz noch: Die Trennung von Familien kann keine menschenwürdige Lösung für eine Abschiebung sein, meine Damen und Herren. Dann müssen wir andere Wege finden.

So, bitte schön!

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Möchten Sie beide Zwischenfragen zulassen? Von Frau Ross-Luttmann und von Herrn Oetjen?

Selbstverständlich.

Okay. - Dann, Frau Ross-Luttmann, Sie waren die ältere

(Heiterkeit - Zurufe: Das war wenig charmant!)

Zwischenfragemeldung.

(Minister Boris Pistorius: Die frühere!)

Nicht der Fall. Dann Herr Oetjen. Bitte!

(Widerspruch)

- Sie hatten sich vorhin gemeldet. Der Minister hatte das zurückgestellt und lässt jetzt die Zwischenfrage zu.

(Minister Boris Pistorius: Ich wider- sprach nur dem „ältere“!)

- Nein, ich sagte: die ältere Wortmeldung.

Bitte schön, Frau Ross-Luttmann!

Sehr geehrter Herr Minister, ich würde gerne auf zwei Sätze zurückkommen, die Sie eben gesagt haben. Sie haben auf den Bund verwiesen und beklagt, dass die Verfahren nicht schneller beendet werden können. Sie haben gesagt: Das muss deutlich schneller werden. - Danach haben Sie ausgeführt: Wir müssen die Fragestellungen lösen, um die wir uns akut kümmern können.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen die Frage stellen: Wie sieht es bei den Verwaltungsgerichten aus? Laufen wir dort Gefahr, auf einen neuen Flaschenhals hinzusteuern? Oder sind die Verwal

tungsgerichte so aufgestellt, dass die Klageverfahren zügig abgearbeitet werden können?

Ich habe heute Morgen die Freiheit besessen, zu versuchen, auf ein paar schul- und integrationspolitische Fragen Antworten zu geben. Was die Verwaltungsgerichte angeht, bin ich etwas zurückhaltender. Aber nach allem, was ich weiß, hat es auch dort einen Stellenaufwuchs gegeben bzw. wird es ihn geben. Aber das kann im Zweifel die Frau Justizministerin besser beantworten als ich.

(Jens Nacke [CDU]: Das kann sie de- finitiv nicht!)

Ich bitte um Verständnis.

(Jens Nacke [CDU]: Ich bin mir sicher, dass Sie das besser können!)

- Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt.

Ich gehe davon aus, dass jetzt Herr Oetjen seine Frage stellen kann.

Nur, um das klarzustellen, Frau Ross-Luttmann: Das sollte keine uncharmante Bemerkung sein. Ich habe nur festgestellt, dass Ihre Wortmeldung die ältere war.

Jetzt Herr Oetjen, bitte!

Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Innenminister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich habe schon in meinem Redebeitrag gesagt: Sie stellen in dem neuen Erlassentwurf darauf ab, dass zwischen Menschen, die kurzfristig hier sind, und Menschen, die länger als 18 Monate hier sind, unterschieden werden soll. Derzeit dauern die Asylverfahren zwar sechs Monate, aber die Anträge können erst spät nach dem Eintreffen in Deutschland gestellt werden, sodass die Gesamtdauer der Anwesenheit hier - über den dicken Daumen berechnet - bei 15 Monaten liegt, vielleicht sogar noch länger.

Halten Sie es vor diesem Hintergrund nicht für sinnvoll, eine längere Zeitdauer einzusetzen oder alternativ auf meinen Vorschlag einzugehen, also nicht die Aufenthaltsdauer heranzuziehen, sondern nach dem Status zu entscheiden: Sind die Betreffenden nach der Ablehnung des Asylantrags in den Duldungsstatus gefallen, oder ist der Asylantrag direkt abgelehnt worden?

Darauf antworte ich gerne, Herr Oetjen. Zum einen würde ich gerne der Legende widersprechen, Asylverfahren dauerten nur sechs Monate. Nach Angaben des BAMF dauern sie, ab Antragstellung gerechnet, 5,7 Monate. Wir wissen inzwischen, dass die Zeit bis zur Antragstellung bisweilen 3 bis 5 Monate dauern kann. Das heißt, wir reden über 8 bis 10 Monate. Dann kommt im Zweifel noch der Rechtsweg hinzu. Wir bewegen uns, was die Asylverfahrensdauer angeht, am Ende irgendwo zwischen 10 und 15 Monaten, Tendenz fallend - hoffen wir jedenfalls. Bislang sehe ich das aber noch nicht.

Unsere Überlegung, im Rückführungserlass diese 18-Monats-Grenze zu ziehen, ist Folgende: Dabei geht es weniger um die Frage des Status als vielmehr um die Frage, welchen Zweck die Ankündigung einer Abschiebung hat. Sie hat den Zweck, dem Flüchtling die Möglichkeit zu eröffnen, seine Angelegenheiten zu regeln und nicht quasi aus dem Vollgas heraus - aus einem Leben, das er hier führt, mit Mitgliedschaften in Vereinen, Einbindung in Ehrenämter und sonst etwas - abgeschoben zu werden.

Naturgemäß ist das bei Leuten, die eine kürzere Zeit hier sind - völlig unabhängig vom Status -, weniger ausgeprägt als bei jemandem, der mehrere Jahre in einem relativ unbefriedigenden Duldungszustand gelebt hat. Diese Fälle hatten wir vor zwei, drei Jahren noch zuhauf. Diesem Anspruch wollten wir durch eine Ankündigung gerecht werden: Regele deine Angelegenheiten!

Jetzt stellen wir fest, dass diese Intention einerseits durch Untertauchen unterlaufen wird. Und wir stellen fest, dass die Zahl derer, die kurz hier sind, im Verhältnis zu denen zunimmt, die lange hier sind. Also sagen wir: Wer kurz hier ist, kann erstens nur wenig Integrationsleistung erbracht haben. Zweitens hat er weniger Angelegenheiten zu regeln. Also ist es zumutbar - gerade bei Alleinreisenden, die also keine Kinder in der Schule haben oder sonst etwas -, auf eine Ankündigung zu verzichten. Das ist die Überlegung.