Protocol of the Session on September 18, 2015

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

vom Kniefall Brandts in Warschau, der zum Symbol einer neuen Ostpolitik wurde, bis zu dem Zitat: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“ Und leider kann Egon Bahr, der Baumeister der damit eingeleiteten Entspannungspolitik, die Feier zu 25 Jahren Einheit nicht mehr miterleben. Er starb vor wenigen Wochen.

Gestatten Sie mir aber, dass ich hier aus einer Rede von Egon Bahr von 1963 zitiere, aus der Tutzinger Rede:

„Heute ist klar, dass die Wiedervereinigung nicht ein einmaliger Akt ist, der durch einen historischen Beschluss an einem historischen Tag auf einer historischen Konferenz ins Werk gesetzt wird, sondern ein Prozess mit vielen Schritten und vielen Stationen. Wenn es richtig ist, was Kennedy sagte, dass man auch die Interessen der anderen Seite anerkennen und berücksichtigen müsse, so ist es sicher für die Sowjetunion unmöglich, sich die Zone zum Zwecke einer Verstärkung des westlichen Potenzials entreißen zu lassen. Die Zone muss mit Zustimmung der Sowjets transformiert werden. Wenn wir soweit wären, hätten wir einen großen Schritt zur Wiedervereinigung getan.“

Wie vorausschauend von ihm, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Aber auch die weitsichtige Politik Gorbatschows und die folgenden Freiheitsbewegungen in Polen und anderen mittel- und osteuropäischen Staaten haben wesentlich zu der Entwicklung beigetragen. Und auch an die Leistungen von Kohl und Genscher will ich hier gern erinnern.

Unsere europäischen und transatlantischen Partner stimmten zu, weil sie darauf vertrauten, dass die Wiedervereinigung Deutschlands auch der Einigung Europas dienen würde.

Das Gedenken an die Wiedervereinigung sollte uns in Erinnerung rufen, welche Bedeutung der europäische Integrationsprozess gerade auch auf die innere Entwicklung Deutschlands gehabt hat und wie verhängnisvoll es wäre, das Projekt der Vollendung der Europäischen Union aus den Augen zu verlieren.

25 Jahre oder eine Generation später kann man sagen, dass große Fortschritte erreicht wurden. Aber es wäre vermessen zu glauben, dass die 40jährige Teilung unseres Landes schon völlig überwunden ist. Für die Ostdeutschen hat sich viel mehr verändert als für die Westdeutschen, nämlich das ganze Lebensgefühl.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit großen Hoffnungen und Träumen sind viele in die Wiedervereinigung gestartet, und dann fanden sich etliche in einem Labyrinth wieder, in dem man sich mühsam vorantasten musste und in dem nicht wenige ins Taumeln und Straucheln gerieten. Umso ermutigender ist es, wenn heute 77 % der Ostdeutschen und 62 % der Westdeutschen die Wiedervereinigung für sich persönlich als Gewinn betrachten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland hat sich gut entwickelt, und auch Europa verfügt trotz aller Schwierigkeiten über große Potenziale. Europa ist immer noch ein Raum des Friedens und der Freiheit. Schaut man sich die aktuellen Ereignisse an, wird deutlich, dass diese europäische Wertegemeinschaft, die uns eine so lange Friedensperiode geschenkt hat, nicht von selbst gekommen ist und nicht auf Dauer bleibt, wenn sie nicht immer wieder verteidigt und neu mit Leben gefüllt wird.

Meine Damen und Herren, heute sind wieder viele Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor Krieg und Terror nach Europa, und die Debatten und die Streitereien in Europa zeigen und deutlich, wie wichtig es jetzt ist, wieder für ein einiges Europa zu kämpfen. Ein Europa, das in Frieden lebt, das seinen humanitären Werten gerecht wird und das gemeinsam handelt.

Lassen Sie mich abschließend - anknüpfend an das, was der Kollege Meyer gerade gesagt hat - allen danken, die sich in den letzten 25 Jahren für die Opfer des DDR-Regimes eingesetzt haben, ganz besonders den im Niedersächsischen Netzwerk für SED- und Stasiopfer zusammengeschlossenen Verbänden und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des niedersächsischen Innenministeriums, die sich dieser wichtigen Aufgabe verschrieben haben. Ihnen allen herzlichen Dank. Wir wissen, dass ihre Arbeit noch lange nicht abgeschlossen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will aber auch noch einmal kurz auf die Einsetzung der Enquete-Kommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ erinnern. Diese Kommission - wir haben uns im Februar dieses Jahres auf ihre Einsetzung verständigt - beschäftigt sich u. a. mit der in dem vorliegenden Antrag aufgeworfenen Frage. Ich finde, wir sollten uns auch auf die Ergebnisse dieser Kommission beziehen, wenn wir hier Beschlüsse

fassen. Ich jedenfalls freue mich auf die Debatte im Rechtsausschuss.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort Frau Kollegin von BelowNeufeldt. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, das ist ein richtig guter Antrag der CDU. Ja, er kommt zu einem richtig guten Zeitpunkt. Ja, wir Freien Demokraten unterstützen diesen Antrag ausdrücklich.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, dass sich die anderen Fraktionen diesem Antrag anschließen. Am liebsten wäre mir, ehrlich gesagt, eine sofortige Abstimmung am heutigen Tag gewesen. Das hätte ich als starkes Signal empfunden. Das hätte ich auch als stark und entschieden empfunden.

Worum geht es, meine Damen und Herren? - Europa war geteilt. Wir im Westen Deutschlands hatten den Wiederaufbau nach dem Krieg und das sogenannte Wirtschaftswunder. Vor allem aber hatten wir eines: die Freiheit, unser Land und unser Leben zu gestalten.

Im Osten Deutschlands gab es die Diktatur der SED mit MfS und Stasi. Diktatur im Osten Deutschlands mit allen unvorstellbaren Schrecken und Repressalien.

Hier nur ein ganz kleiner Auszug unserer Recherchen: Das MfS beschäftigte insgesamt 180 000 hauptamtliche und geschätzte 600 000 informelle Mitarbeiter. Denken Sie an den Film „Das Leben der Anderen“; da sieht man, was die so gemacht haben. Bis zu 350 000 politisch Inhaftierte zwischen 1949 und 1989. 1 320 ehemalige Häftlinge bekommen in Niedersachsen momentan Opferrente. Mehr als 42 000 Menschen waren seit 1961 Opfer staatlicher Gewalt und Folter. 221 bekannte Todesurteile wurden in der DDR verhängt und 164 vollstreckt. Mindestens 500 Suizide. Meine Cousine war auch dabei. Sie stürzte sich vom Dach, weil sie nicht in ihre Heimat ausreisen oder wieder ein

reisen durfte, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte.

Mut und Entschlossenheit brachten diese Diktatur und diese Mauer zum Einsturz. 25 Jahre Mauerfall - ein Anlass, der vielen Opfer zu gedenken. Die DDR-Diktatur mit ihren Schrecken und in ihrer Wirkung gerade auch für die vielen Familien, die in Ost und West getrennt waren, darf nicht in Vergessenheit geraten. Es darf kein Weichspülen und kein Verharmlosen geben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zur Befreiung gehörten Mut und Respekt.

Meine Damen und Herren, setzen wir gemeinsam dieses Signal. Wir Freien Demokraten befürworten den Antrag.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Limburg das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal meinen Dank an die Fraktion der CDU und an den Kollegen Meyer für die Einbringung dieses Antrags, der gerade aus der Sicht Niedersachsens als einem der westdeutschen Bundesländer, die - das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt - mit am meisten von der deutschen Teilung und der SEDDiktatur betroffen waren, anlässlich des 25. Jahrestags der Wiedervereinigung grundsätzlich angemessen ist. Es ist gut, dass sich der Landtag diesem Thema widmet.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist bereits gesagt worden: Niedersachsen hatte eine der längsten Grenzen zur DDR. Niedersachsen ist aber auch das westdeutsche Land, in dem ein Teil des Landes, nämlich das Amt Neuhaus, während der deutschen Teilung unter dem Regime der SED stand. Wir sind also eines der Länder, die dieses Regime ganz hautnah an den eigenen Bewohnern erfahren mussten, meine Damen und Herren.

Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland steht vor einer Herausforderung. Ein Land, das zwei schlimme und brutale Diktaturen wie das NS-Regime und das SED-Regime erlebt hat, muss an beide angemessen erinnern, ohne dass dabei das schrecklichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, der Holocaust, die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden, die Ermordung der Sinti und Roma, die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs in irgendeiner Form relativiert werden oder in der Erinnerung verblassen. Diese Herausforderung stellt sich umso mehr jetzt, da die Zahl der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des NS-Regimes weniger wird, wir aber zum Glück noch viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben, die aus dem DDR-Regime berichten können. Wie man dieser pädagogischen und geschichtspolitischen Herausforderung gerecht werden kann, werden wir im Ausschuss anhand des vorliegenden Antrags diskutieren müssen, meine Damen und Herren.

Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat sich in vielen Teilen nach dem Zweiten Weltkrieg, was Renten und Entschädigungen angeht, schäbig verhalten. Während auf der einen Seite frühere Gestapo-Beamte teilweise vor Gericht sehr hohe, volle, ungeminderte Pensionsansprüche einklagen konnten - sie wurden ihnen teilweise übrigens durch Richterinnen und Richter zugesprochen, die selbst im NS-Regime Karriere gemacht hatten -, bekamen frühere Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oder auch Menschen, die in Ghettos zur Arbeit gezwungen worden sind, gar nichts - nichts, meine Damen und Herren. Das war mehr als schäbig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD sowie Zustimmung bei der CDU)

Aber die eine Schäbigkeit rechtfertigt keine zweite. Im Gegenteil: Wir sollten Fehler der Vergangenheit nach Möglichkeit nicht wiederholen. Insofern ist die Grundintention des Antrags, den Opfern der DDRStaatssicherheit und des SED-Regimes auch im Jahr 2015 ausreichend zur Seite zu stehen und diese zu unterstützen, ausdrücklich richtig. Wie das im Detail zu geschehen hat, sollten wir ebenfalls im Ausschuss beraten.

Meine Damen und Herren, die DDR war ganz ohne Frage eine Diktatur der SED. Aber auch die Blockparteien haben daran mitgewirkt; auch das erwähnt die CDU-Fraktion in ihrem Antrag. Ich begrüße ausdrücklich, meine Damen und Herren von der CDU, dass Sie im Gegensatz zu früheren Ein

lassungen, die zum Teil zu vernehmen waren, auch darauf hinweisen, dass die Blockparteien - sicherlich zum Teil unter Zwang - jedenfalls im Regime mitgewirkt haben und dass auch deren Rolle im Jahr 2015 einer kritischen Aufarbeitung bedarf. Ihre Kolleginnen und Kollegen der Thüringer CDU haben sich schon auf den Weg gemacht. Wir werden als Landtag beraten, wie das vielleicht auch von hier aus angestoßen werden kann.

Meine Damen und Herren, von Herrn Meyer und auch von Frau Schröder-Ehlers ist zu Recht darauf hingewiesen worden: Die Geschichte, die zur Wiedervereinigung führte, war eine lange und hatte viele Beteiligte, viele Akteurinnen und Akteure. Egon Bahr und Willy Brandt haben sicherlich wichtige Schritte unternommen. Die Menschen der DDR, die in dem Antrag zu Recht gewürdigt werden, die unter Lebensgefahr - das muss man sich vorstellen - für die Demokratie eingetreten sind, aber natürlich auch Helmut Kohl und Hans Dietrich Genscher, die diese vielleicht kurze historische Chance entschlossen ergriffen haben, all diese Menschen verdienen in der Tat auch im Jahr 2015 eine ausreichende Würdigung.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU und bei der SPD)

Ich möchte aber auch noch einmal die Rolle der Kirchen in der DDR betonen. Vielleicht wäre es ohne die Kirchen, die sich dem SED-Regime widersetzten und die viele Repressionen hinnehmen mussten, gar nicht möglich gewesen, dass sich die Bürgerbewegung in der gesamten DDR so entwickeln konnte. Es gab in den 80er-Jahren - das kann man sich heute kaum noch vorstellen - PunkKonzerte in DDR-Kirchen, die getarnt als Gottesdienst oder als geistliche Handlungen andere westliche Kulturen und den Drang nach Freiheit verbreiteten. Die Kirchen haben damals eine sehr wichtige Rolle beim Besiegen der Diktatur gespielt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU - Björn Thümler [CDU]: Sehr richtig! - Jens Nacke [CDU]: Kirche ist auch heute noch spannend!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

Wir leben - darauf hat Frau Schröder-Ehlers hingewiesen - in Europa in unsicheren Zeiten. Autoritäre und rechtsextreme Parteien gewinnen in vielen Ländern Zulauf. Die Krise scheint Menschen dazu zu bringen, ihr Heil in demokratiefeindlichen

Bestrebungen zu suchen. Gerade deshalb ist es wichtig, daran zu erinnern, was Diktaturen bewirken können, welchen Schaden Diktaturen bewirken können und wie wichtig es ist, jederzeit für den Erhalt der Demokratie in Deutschland und in Europa einzustehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der CDU und bei der SPD)