Protocol of the Session on September 10, 2015

Wenn uns die Bewältigung der Herausforderung aus der Erstaufnahme der Flüchtlinge hoffentlich gelungen sein wird, wird sich sehr schnell ein anderes Thema stellen: der Wohnungsbau. Wir müssen dafür sorgen, dass Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen und bei uns bleiben werden, so schnell wie möglich nicht mehr notdürftig untergebracht sind, sondern in Wohnungen leben können. Provisorien, meine Damen und Herren, dürfen keine Dauerlösungen werden!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dabei sind viele Städte und Gemeinden inzwischen an ihre Grenzen gestoßen. Vor allen Dingen in den Ballungszentren ist es sehr, sehr schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu beschaffen. Aber um es klar zu sagen: Dabei geht es nicht nur um Flüchtlinge, sondern wir müssen insgesamt Haushalte in den Blick nehmen, die nach bezahlbarem Wohnraum suchen.

Diesem Engpass stellen wir uns entgegen. Wir wollen erreichen, dass es diesen Gruppen - Menschen mit geringem Einkommen und Flüchtlingen - ermöglicht wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deswegen verstärken wir unsere Anstrengungen im sozialen Wohnungsbau. Weitere 400 Millionen Euro werden wir für die soziale Wohnraumförderung über die NBank zur Verfügung stellen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben diese Initiative bereits vor der Sommerpause auf den Weg gebracht und erwarten, dass wir etwa 5 000 Wohneinheiten in Ballungszentren auf diese Weise werden schaffen können. Ich bin gestern beim Verband der Wohnungswirtschaft gewesen. Diese Initiative wird von der Wohnungswirtschaft sehr begrüßt und sehr konstruktiv aufgegriffen. Ich bin zuversichtlich in dieser Hinsicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Um auch das zu sagen: Ich bin mir sehr bewusst, Wohnungspolitik sichert sozialen Frieden. Das ist gerade unter den jetzigen Bedingungen eine enorm wichtige Aufgabe, der wir uns engagiert stellen müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Daneben haben die Kommunen aber ein anderes Problem, das ich sehr ernst nehme. Der dramatische Anstieg der Zahl von Asylbewerberinnen und -bewerbern korrespondiert natürlich mit einem dramatischen Anstieg der Kosten.

Wir haben schon mit dem ersten Nachtragshaushalt für dieses Jahr ein Bündel von Entlastungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Dazu zählen die Soforthilfe des Landes in Höhe von 40 Millionen Euro und die Verdoppelung der gemeinsamen pauschalen Hilfe von Bund und Ländern in Höhe von 80 Millionen Euro. Auf dieser Grundlage stehen - Stand jetzt - für 2015 den Kommunen in Niedersachsen 240 Millionen Euro - fast eine Viertelmilliarde Euro! - zur Verfügung.

Das war die Perspektive Mitte des Jahres. Aber seitdem hat sich die Lage bekanntlich massiv verschärft.

Lassen Sie uns eines - ich hoffe, gemeinsam - feststellen: Wir dürfen die Leistungsfähigkeit unserer Kreise, Städte und Gemeinden nicht überfordern. Wir müssen ihre Handlungsfähigkeit erhalten - gerade auch unter den jetzigen Bedingungen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich füge hinzu: Die Aufnahmebereitschaft in unserer Gesellschaft darf nicht Schaden nehmen, weil die Kommunen all ihre anderen Aufgaben vernachlässigen müssen.

Zwischen der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden besteht Einvernehmen darüber, dass wir im Durchschnitt von etwa 10 000 Euro Kosten im Einzelfall pro Jahr ausgehen müssen. Davon trägt das Land auf der Basis der jetzt bekannten Flüchtlingszahlen mehr als zwei Drittel. Gleichwohl: Es muss das Ziel sein, dass im Wesentlichen der Bund und das Land gemeinsam die Kosten der Flüchtlingsunterbringung tragen und die Kommunen allenfalls durch eine Interessenquote dazu beitragen. Dazu war und ist es unumgänglich, dass sich der Bund strukturell und dauerhaft an den Kosten von Flucht und Asyl beteiligt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen haben alle 16 Bundesländer die gemeinsame, die dringliche und gut begründete Forderung erhoben, dass sich der Bund nachhaltig, namhaft und strukturell an den Kosten beteiligen muss. Das haben wir in einer Runde der Ministerpräsidenten erst gestern Nacht wieder miteinander festgestellt. „Strukturell“ heißt: unbefristet und in Abhängigkeit von der Flüchtlingszahl.

Vor wenigen Tagen hat hierzu, wie Sie wissen, der Koalitionsausschuss in Berlin getagt. In diesem Punkt haben die Beratungen einen echten Fortschritt erbracht, und ich würdige ausdrücklich das Angebot, bundesseitig künftig in die Mitfinanzierung dieser Aufgabe einzusteigen, und zwar zunächst auf der Basis von 3 Milliarden Euro. Über die Höhe wird in den anstehenden Bund-LänderGesprächen zu sprechen sein. Aber schon jetzt steht fest: Eine deutliche Entlastung unserer Kommunen ist möglich. Niedersachsen wird bei der noch ausstehenden Einigung mit dem Bund darauf drängen, dass eine hohe, dynamische und dauerhafte Beteiligung des Bundes an der Flüchtlingsversorgung vereinbart wird.

Das ist nun wirklich eine gesamtstaatliche Herausforderung, vor der wir stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich nehme die Situation in unseren Kommunen sehr ernst. Ohne sie werden wir diese Herausforderung ganz gewiss nicht meistern können. Deswegen machen wir auch in einem anderen Punkt Nägel mit Köpfen. Wir haben beschlossen, Ihnen einen zweiten Nachtragshaushaltsplan für das Jahr 2015 vorzuschlagen, in Höhe von 300 Millionen Euro. Der Löwenanteil soll dabei den Kreisen, Städten und Gemeinden zugutekommen. Wir schlagen vor, die für das nächste Jahr vorgesehenen 180 Millionen Euro bereits jetzt den Kommunen zur Verfügung zu stellen. Das wird unsere Kommunen spürbar entlasten, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit diesem Vorschlag gelingt uns zweierlei: Derzeit müssen die Kommunen ihre Kosten vorfinanzieren. Die Erstattung des Landes erfolgt erst zwei Jahre später. Diese Vorfinanzierung wird durch die weiteren 180 Millionen Euro weitgehend beendet.

(Zuruf von Jörg Hillmer [CDU])

Und zum Zweiten: Wir wollen den Abrechnungszeitraum verkürzen. Ob uns das gelingt, Herr Kollege Dürr,

(Christian Dürr [FDP]: Ich habe nichts gesagt!)

wird von den Ergebnissen der Verhandlungen in Berlin abhängen. Da - das habe ich zum Ausdruck gebracht - habe ich aber eine gewisse Zuversicht.

In der Sache trägt die vorgezogene Zahlung der Pauschale 2016 schon in diesem Jahr aber den - ich betone - berechtigten Forderungen der Kommunen in dieser Hinsicht Rechnung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist also derzeit vieles im Fluss. Nach dem 24. September, nach dem Berliner Flüchtlingsgipfel, werden wir unser Erstattungssystem in Niedersachsen landesrechtlich überarbeiten. Wir werden dabei mit den kommunalen Spitzenverbänden vertrauensvoll zusammenarbeiten und die unterschiedlichen Entlastungen, die ich genannt habe, in ein dauerhaftes System übertragen.

Und ein letzter Hinweis mit Blick auf unsere Kommunen: Die Abrechnung von Gesundheitsdienstleistungen ist derzeit außerordentlich umständlich und belastet die Kommunen völlig überflüssigerweise. Der Bund muss die Möglichkeit eröffnen, Kosten landeseinheitlich über die Krankenversicherung abzurechnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Darauf werden wir bei den Verhandlungen in Berlin energisch drängen. Mit Blick auf die vom Bund angekündigte Gesetzesänderung haben wir eigene Aktivitäten zunächst zurückgestellt. Aber ich setze darauf, dass in den nächsten Wochen verbindlich die Einführung einer Gesundheitscard vereinbart werden wird. Das wird es dann allen Beteiligten leichter machen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und wenn ich unter all das einen Strich machen darf, dann lassen Sie mich feststellen: Wir sehen die Probleme der Kommunen, die Herausforderungen, vor denen sie stehen. Wir lassen sie nicht im Stich! Die Landespolitik tut alles, was möglich ist,

um unsere Kommunen zu unterstützen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU: Was denn?)

Das sind sehr tatkräftige Beiträge in einer zugespitzten Situation. Wir können sie leisten, weil sich die Finanzlage des Landes in den vergangenen zweieinhalb Jahren wesentlich stabilisiert hat.

(Christian Grascha [FDP]: Das lag aber nicht an Ihnen!)

Wir wissen aber auch, was wir damit nicht erreichen können: eine Reduzierung der Zugangszahlen und eine Beschleunigung des Asylverfahrens. Beides ist uns auf Landesebene nicht möglich.

In aller Ernsthaftigkeit möchte ich eines hervorheben: Ich bin überzeugt davon, dass unsere Gesellschaft in der Lage ist, die Herausforderungen des Jahres 2015 zu meistern. Welches Land auf der Welt denn sonst, das so wohlhabend ist, das über ein funktionierendes politisches und administratives System verfügt und das eine Bevölkerung hat, die mitfühlend und aufnahmebereit ist? Wer, wenn nicht wir?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich fürchte allerdings auch, dass uns das unter den gegebenen Bedingungen nicht auf unabsehbare Zeit möglich sein wird. Deswegen benötigen wir in der Bundespolitik vor allen Dingen eines: eine durchgreifende und nachhaltige Beschleunigung des Asylverfahrens.

(Zustimmung von Petra Tiemann [SPD])

Im Moment haben wir immer noch wachsende Zugangszahlen und immer noch wachsende Antragsberge.

Ich habe schon Anfang des Jahres beim Epiphanias-Empfang der Evangelischen Landeskirche Hannover in Loccum darauf hingewiesen, dass wir es, bei Lichte betrachtet, doch mit sehr unterschiedlichen Gruppen zu tun haben. Da gibt es Flüchtlinge, die kommen aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von mehr als 99 %: Syrien, Irak, Afghanistan; auch Eritrea ist zu nennen. Und daneben stehen Asylbewerber aus Ländern mit einer Ablehnungsquote von mehr als 99 %: vor allem Menschen aus den Balkanstaaten. In dem einen Fall haben wir es mit einer sehr guten Bleibeperspektive zu tun und in dem anderen Fall mit

einer sehr schlechten. Es kann nicht richtig sein, dass beide Gruppen viele Monate warten müssen, bis sie Klarheit haben über ihr weiteres Schicksal in der Bundesrepublik.

(Zustimmung bei der CDU)

Es kann erst recht nicht richtig sein, dass sechs bis acht Wochen verstreichen, bis überhaupt ein Antrag gestellt werden kann.

(Zustimmung von Johanne Modder [SPD])