Protocol of the Session on September 10, 2015

Richtig ist, dass die zuletzt enorm gestiegenen Zugangszahlen dazu führen, dass auch die gesundheitlichen Untersuchungen nicht mehr so zeitnah wie wünschenswert durchgeführt werden können.

(Ulf Thiele [CDU]: Zum Teil überhaupt nicht!)

Die entsprechenden Kapazitäten sind bei einer so schnellen Entwicklung nicht aus dem Handumdrehen zu schaffen.

Im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung ist weiterhin ganz klar, dass Flüchtlinge ohne Untersuchung nicht an die Kommunen weitergegeben

werden, d. h. wir tragen kein besonderes gesundheitliches Risiko in die Kommunen.

(Ulf Thiele [CDU]: Und die 3 000, die durchgeleitet worden sind? Die haben keine Gesundheitsuntersuchung be- kommen!)

Die Landesregierung hat bereits mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Lage zu entspannen und die Fristen zu verkürzen. Dazu wollen wir auch die überwältigende Hilfsbereitschaft nutzen, die aus ganz vielen Teilen der Bevölkerung kommt, im Übrigen z. B. auch das Angebot von der Stiftung EINE CHANCE FÜR KINDER, bei dem es um Familienhebammen für Schwangere geht.

Wir haben bereits zusätzliche Krankenhäuser mit der Gesundheitsuntersuchung beauftragt, und wir prüfen verstärkt, welche weiteren Einrichtungen auch Gesundheitsämter einbinden können. Außerdem werden die Hilfsorganisationen in die Strategie einbezogen. Diese engagieren sich schon heute stark und vielfältig mit den verschiedensten Maßnahmen. Ihr Engagement wird im Sinne aller Beteiligten weiter zu nutzen und zu fördern sein.

Das Sozial- und Gesundheitsministerium hat zudem eine Arbeitsgruppe einberufen, um Konzepte für ein möglichst frühzeitiges Impfangebot zu erarbeiten. Daran ist das Innenministerium beteiligt, genauso wie die Vertreter aus den Kommunen und aus der Ärzteschaft.

Sie sehen also, meine Damen und Herren, dass wir hier ein sehr ernst zu nehmendes Thema haben. Aber Sie sehen auch, dass auf sehr breiter Basis eine Menge dafür getan wird, hier für Entspannung zu sorgen. Wir alle sollten hier gemeinsam konstruktive Beiträge leisten. Ich glaube, dass wir alle uns vor allen Dingen darin einig sein sollten, keine unbegründeten Ängste zu wecken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor.

Deswegen schließe ich die Aussprache zur ersten Beratung.

Bevor wir aber zur Ausschussüberweisung kommen, hat sich der Kollege Ulf Thiele zu einer persönlichen Bemerkung gemäß § 76 unserer Ge

schäftsordnung gemeldet. Es kann sich dabei nur um Äußerungen über ihn handeln, die er richtigstellt oder zurückweist; denn eigene Ausführungen kann er nicht korrigieren, weil er sie nicht gemacht hat. Herr Kollege, Sie kennen die Geschäftsordnung. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, herzlichen Dank. - Ich beziehe mich auf die von Herrn Schremmer zweimal getätigten Aussagen, der u. a. einen Kommentar der Schaumburger Nachrichten über eine Veranstaltung zitiert hat, die nicht gestern, sondern vorgestern Abend stattgefunden hat.

Ich will an der Stelle deutlich machen, dass ich den letzten Satz der Ministerin ausdrücklich unterschreibe, nämlich dass es nicht darum geht - auch mir ist es nicht darum gegangen, und auch heute geht es mir nicht darum -, unbegründete Ängste zu schüren. Sie haben sich ja den Kommentar zu eigen gemacht. Darum kann ich darauf reagieren.

Aber es geht nicht an, dass Abgeordneten der Oppositionsfraktionen untersagt wird, den Finger dort in die Wunde zu legen, wo es Defizite gibt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nichts anderes habe ich bei der Veranstaltung getan. In welcher Weise der Kommentator das aufgefasst hat, ist seine Sache. Ich will ausdrücklich darauf verweisen, dass ich in dieser Veranstaltung mehrfach darauf hingewiesen habe - so wie es heute auch unser Fraktionsvorsitzender getan hat -, dass wir großen Wert darauf legen, die Dinge möglichst im Konsens zu erreichen, und dass wir überhaupt kein Interesse daran haben, an dieser Stelle Streit aufzumachen.

(Uwe Schwarz [SPD]: Das ist deutlich zu erkennen!)

Und dennoch muss es möglich sein, Herr Schwarz, dass die Fraktionen, die hier nicht die Regierung stellen, an den entscheidenden Punkten, an denen momentan Defizite bestehen, darauf hinweisen, dass diese Defizite bestehen.

Ansonsten würde das nämlich bedeuten, dass Sie der Auffassung wären, dass wir nicht nur bei der Veranstaltung in Schaumburg, sondern auch hier im Parlament schlicht und ergreifend den Mund zu halten haben. Sie werden einen Handstandüberschlag machen können: Sie werden nicht erleben, dass wir da draußen im Land oder hier im Plenarsaal die Defizite nicht benennen! Nichts anderes

habe ich in Schaumburg getan, und nichts anderes tun wir hier heute.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um es deutlich zu sagen: Dass in der Frage der Gesundheitserfassung und Gesundheitsversorgung der vielen Flüchtlinge,

(Uwe Schwarz [SPD]: Wann kommt die persönliche Erklärung?)

die momentan nach Niedersachsen kommen, erhebliche Defizite bestehen, hat die Ministerin an diesem Podium gerade erneut bewiesen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Uwe Schwarz [SPD]: Wo war die per- sönliche Erklärung?)

Vielen Dank, Herr Kollege Thiele.

Wir kommen damit zu der angekündigten Ausschussüberweisung.

Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration mit diesem Antrag zu befassen. Wer so entscheiden möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist ausreichend unterstützt und so beschlossen.

Zu dem letzten und für uns alle sicherlich wichtigen Tagesordnungspunkt wird, damit wir uns nicht mittendrin ablösen, jetzt die Kollegin Frau Dr. Andretta die Sitzungsleitung übernehmen.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele And- retta übernimmt den Vorsitz)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 11: Erste (und abschließende) Beratung: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben in Niedersachsen keinen Platz! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/4137 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der GRÜNEN und der Fraktion der FDP - Drs. 17/4207

Ich weise bereits jetzt darauf hin, dass die Fraktionen im Ältestenrat für den Fall einer von allen

Fraktionen getragenen Formulierung vereinbart hatten, die zweite Beratung und damit die Entscheidung über den Antrag sofort anzuschließen.

Zur Einbringung erteile ich für die CDU-Fraktion Herrn Fraktionsvorsitzenden Björn Thümler das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tausende Menschen kommen in diesen Tagen und Wochen zu uns nach Niedersachsen. Sie sind aus den Krisengebieten dieser Welt geflohen und suchen Schutz vor politischer Verfolgung.

Es ist eine moralische Verpflichtung für uns, den Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika eine Zuflucht zu gewähren, die sie sicher vor Gefahren beschützt. Menschen auf der Flucht vor Krieg und Katastrophen müssen bei uns in Niedersachsen gut aufgenommen werden. Sie haben Anspruch auf ein faires Asylverfahren. Das ist für uns nicht verhandelbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In der langen Geschichte des Landes Niedersachsen gibt es vielfältige Beispiele für gelungene Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen. Wir haben heute im Laufe des Tages einige dieser Beispiele gehört. Man kann sie alle nicht wirklich miteinander vergleichen. Vielmehr verbietet sich jeder Vergleich eigentlich, weil z. B. die Gründe so unterschiedlich sind. Ich will nur sagen, dass die Integrationsleistung der vertriebenen deutschen Volksangehörigen nach dem Zweiten Weltkrieg eben etwas war, worauf nicht nur viele Einheimische stolz sind, was aber in der damaligen Zeit nicht so einfach gewesen ist.

Ich sage es hier mit vollem Ernst: Die Form, in der man damals Flüchtlinge in die Wohnungen anderer Menschen gewiesen hat - ich will das hier sagen, damit es nicht falsch stehen bleibt -, z. B. mit vorgehaltener Pistole - das ist die Wahrheit -, ist kein Beispiel dafür, wie die Diskussionen heute ablaufen sollten. Wir sollten nicht darüber diskutieren, Flüchtlinge z. B. in Leerständen unterzubringen, bei denen vorher eine Enteignung stattgefunden hat. Das verbietet sich. Wir müssen anders an die Sache herangehen.

Das Gleiche gilt für die, wie ich finde, grandios gelungene Aufnahme der vielen Aussiedler, die in

den 1980er- und 1990er-Jahren nach Deutschland gekommen sind. Das war auch kein Selbstläufer. Ich erinnere viele schwierige Debatten, die es damals gegeben hat, die in Teilen von dem Gedanken der Ausgrenzung geprägt gewesen sind - unabhängig davon, welcher Couleur welche Person angehört hat oder welche sonstige Ausrichtung jemand hatte. Damals wurde auch vielen Menschen Unrecht getan. Das wollen wir nicht vergessen.

Auf ein weiteres Beispiel sind wir in vielen Reden eingegangen, nämlich die Integration der Gastarbeiter, die auch nicht mal eben im Spaziergang gemacht war. Das sieht aus der Entfernung vieler Jahre einfacher aus, als es tatsächlich gewesen ist. Ich will es hier sagen: Als der Hunderttausendste Gastarbeiter gekommen ist, gab es damals als Geschenk ein Moped. Das hat viele erfreut, aber viele in Deutschland haben das auch mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen; denn sie haben kein Moped für ihre Leistungen bekommen. - Das gehört zur Wahrheit dazu.

Wir haben hier in Niedersachsen eine breite Geschichte und viele gute Beispiele erlebt. Am Ende können wir sagen: Es ist noch jedes Mal gelungen, mit diesen Herausforderungen vernünftig umzugehen. Das sollte für uns alle ein Beispiel sein.

Ich will auch an das erinnern - und wir können an diese Tradition anknüpfen -, was Ernst Albrecht getan hat. Es ist bekannt, weil wir es vielfältig gelobt haben, als er verstorben ist. Es war eben nicht nur eine Nebenerscheinung der Weltgeschichte, dass damals ein Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes mal eben Vietnamesen, Boat People, aufgenommen hat. Es war beherztes Handeln, Verantwortungsübernahme, mit einer Unterschrift über 5 000 Menschen zunächst hier in Niedersachsen eine neue Heimat zu geben, während alle anderen westdeutschen Bundesländer damals gesagt haben: Wir nehmen niemanden auf; wir wollen diese Menschen nicht haben. - Ernst Albrecht war da anders, und er könnte ein gutes Beispiel dafür sein, wie man mit so einer Situation umgeht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)