Protocol of the Session on January 20, 2015

Meine Damen und Herren, ich nehme wahr, dass Geburt zwar durchaus ernst,

(Glocke des Präsidenten)

aber gleichwohl als weiches Frauenthema gehandelt wird. Denn als solches fristet es seit Bekanntgabe der massiven Probleme im Hebammenbereich ein Schattendasein jenseits der sogenannten hemdsärmeligen harten Themen, ohne dass wir

nur ansatzweise zu tragfähigen Lösungen kommen.

Ich werde aber nicht müde, daran zu erinnern, dass Geburtshilfe uns alle angeht: Sie, meine Herren, als werdende Väter und als Großeltern, Freunde, Patinnen und Paten.

Ein Blick über den nationalen Tellerrand hinaus zeigt zudem: Es geht auch anders. In Holland sind die Hebammen in der Geburtshilfe die erste Instanz, und das mit Erfolg. Die Kaiserschnittrate liegt dort mit nur 15 % deutlich niedriger. Manchmal ist weniger mehr.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich komme zum Schluss. Insbesondere den Hebammenverbänden ist es zu verdanken: Sie haben uns gezeigt, wie dringlich das Thema ist. Die Zustimmung aller Fraktionen zeigt und unterstreicht aber auch die Bedeutung und den gemeinsamen Handlungsauftrag.

(Glocke des Präsidenten)

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Twesten. - Der Kollege Bley hat das für sich so gelöst, dass er sich zu einer Kurzintervention gemeldet hat. - Sie haben das Wort für 90 Sekunden, Herr Kollege.

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Twesten! Ich bin Großvater und habe zwei Enkelkinder. Ich würde gern mehr Enkelkinder haben. Ich darf das zu dem in den Raum stellen, dass Sie gesagt haben, dass es zu viele Kaiserschnitte gibt und dass man nicht so viele Kaiserschnitte braucht.

Ich hoffe, dass das Hohe Haus zustimmt, wenn ich hier einen Fall schildere, den ich im direkten Umfeld erlebt habe. Wenn eine Geburtsphase beginnt - 10 Stunden, 15 Stunden; darauf muss ich nicht tiefer eingehen -, dann entscheidet man sich für den Kaiserschnitt. Dieser Kaiserschnitt endete dann fast so, dass man tatsächlich das Leben von Mutter und Kind riskiert hat. Es war eine Phase, in der plötzlich die Narkose nicht wirkt, woher das auch immer gekommen sein mag. Dann war es so, dass die Herztöne auf null gingen und der Arzt

sagte: Ich übernehme die Verantwortung nicht mehr.

Dann wurde tatsächlich - ich sage „Gott sei Dank“ - die Entscheidung getroffen. Dann wurden Arme und Hände angebunden, dann wurde die Bauchdecke aufgemacht - ohne Narkose.

Das Kind lebt. Ich freue mich.

Ich möchte nur sagen: Wenn man so etwas sieht, dann möchte ich nicht sagen, den Kaiserschnitt nicht einzuleiten. Deswegen haben Sie hoffentlich dafür Verständnis, wenn hier alle vier Fraktionen sagen, sie würden diesem Antrag mit vielen Änderungen zustimmen, dass ich diesen Antrag heute ablehnen muss. Ich stimme dem nicht zu.

Danke schön.

Vielen Dank, Herr Kollege Bley. - Kollegin Twesten, Sie möchten antworten. Sie haben dafür ebenfalls 90 Sekunden. Bitte schön!

Herr Bley, ich habe großen Respekt davor, dass Sie hier ein sehr persönliches Erlebnis geschildert haben, und für Ihre Entscheidung. Aber seien Sie sicher: Ich weiß, wovon ich rede. Kaiserschnitte werden dann durchgeführt, wenn sie medizinisch notwendig sind. Dafür wurde dieses Instrument vor vielen hundert Jahren erfunden. Es hat eine Geschichte; das wissen Sie vielleicht auch. Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal betonen: Es gibt viele Zusammenhänge, die sich im Rahmen einer natürlichen Geburt ergeben können. Kein verantwortungsvoller Arzt wird in diesem Moment einen Kaiserschnitt ablehnen, um das Leben von Mutter und Kind zu retten. Ich habe das selber erlebt. Meine Tochter lag unter einer Spontangeburt auf ihrer Hauptschlagader, hat sich die Versorgung abgeklemmt. Ich hatte überhaupt keine Chance zu entscheiden: Hopp oder topp? Vielmehr hat der Arzt entschieden, und das war gut so; sonst würde meine Tochter heute nicht leben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Twesten. - Für die CDU-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Petra Joumaah das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich beginne, möchte ich auch noch einmal das Wort an meinen Kollegen Karl-Heinz Bley richten. - Was dir passiert ist, ist furchtbar, und ich habe absolutes Verständnis dafür, dass dich dieses Ereignis für dein ganzes weiteres Leben prägen wird. Aber es ist wirklich so - zu Beginn ihrer Rede hat Frau Twesten darauf hingewiesen -, dass die Kaiserschnittentbindung ein Segen für jede Mutter und für jedes Kind ist, die diese Form der Entbindung benötigen. Ich denke, das wird eigentlich auch überall so gehandhabt.

(Beifall bei der CDU, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, betrachtet man die Zahlen im vorliegenden Antrag - Sie haben eben auch schon darauf hingewiesen -, kann man wirklich nur zu dem Ergebnis kommen, dass ganz offensichtlich bezüglich der Reduzierung von Kaiserschnitten bzw. der Förderung der natürlichen Geburt großer Handlungsbedarf besteht. Man stellt sich natürlich die Frage nach dem Grund für diesen so rasanten Anstieg auf inzwischen weit über 30 %. Gerade wir in Niedersachsen liegen noch ein Stück über dem Bundesdurchschnitt.

Als medizinisch notwendig - das haben wir eben gehört - werden laut WHO 10 % bis 15 % angesehen. Bei diesen medizinisch indizierten Kaiserschnittentbindungen sollte es natürlich auch bleiben, aber sie sollten eben auch nicht groß darüber liegen. Denn es gibt durchaus - ich formuliere das jetzt einmal sehr vorsichtig - wissenschaftliche Bedenken bezüglich der Risiken, denen Kinder, die per Kaiserschnitt entbunden wurden, ausgesetzt sind. Gesichert ist, dass die - glücklicherweise sehr niedrige - Sterblichkeitsrate von Neugeborenen bei Kaiserschnittentbindungen eben doch leicht erhöht ist. Noch erforscht wird, ob diese Kinder später signifikant häufiger an Asthma, an anderen Bronchialerkrankungen oder aber auch an Diabetes erkranken.

Meine Damen und Herren, wenn man nun nach den Gründen fragt, stellt man fest, dass die Einflussfaktoren sehr vielschichtig sind. Einer der Hauptgründe, warum Frauen häufig einen Kaiserschnitt einfordern - auch das passiert ja -, ist schlichtweg Angst, zum einen Angst vor den Schmerzen einer Geburt, zum anderen aber insbesondere Angst um das erwartete Baby. Frauen bzw. Eltern sorgen sich, dass es unter der Geburt Komplikationen geben könnte, die unter Umstän

den zu bleibenden Schäden des Kindes führen. Diese Ängste der Frauen müssen außerordentlich ernst genommen werden, und man kann ihnen nur mit einer sehr sensiblen, ausführlichen vorgeburtlichen Beratung durch Gynäkologen und Gynäkologinnen und Hebammen begegnen.

Das Projekt OptiBIRTH - da gebe ich Ihnen recht, Frau Twesten - ist in diesem Zusammenhang sicher unterstützenswert, auch die Initiierung eines Modellversuchs Hebammensprechstunde ist sicher begrüßenswert, wie auch landesweite Diskussionsforen zum Thema natürliche Geburt bzw. Kaiserschnitt.

Eines möchte ich hier aber auch ganz deutlich sagen: Wenn sich eine Schwangere nach ausführlicher Beratung doch für einen Kaiserschnitt entscheidet, müssen wir auch diese Entscheidung respektieren.

(Zustimmung von Karl-Heinz Bley [CDU] und Sylvia Bruns [FDP])

Die Geburt eines Kindes ist einer der wichtigsten, bedeutendsten, aber auch intimsten Momente im Leben einer Frau, und letztendlich hat nur sie zu entscheiden, wie sie ihr Kind entbindet. Ich betone nochmals: Nach umfangreicher Aufklärung und Beratung müssen die Frauen eine persönliche, selbstbestimmte Entscheidung treffen können.

Kräftig einmischen müssen wir uns allerdings bei einem weiteren Einflussfaktor: den Abläufen und Rahmenbedingungen in den Entbindungskliniken. Da wir niedersachsenweit sehr unterschiedliche Kaiserschnittquoten in den Krankenhäusern haben - sie variieren zwischen 26 % und 43 % -, sollten wir uns die Konzepte der Kliniken mit den niedrigen Raten ansehen, um daraus Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Lösungsansätze erarbeiten zu können.

(Glocke des Präsidenten)

Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt scheint mir auch die Sorge des medizinischen Personals vor juristischen Konsequenzen zu sein. Wenn bei der Entscheidungsfindung pro oder contra natürliche Geburt bzw. Kaiserschnitt die Angst einer eventuellen Klage wegen möglicher Geburtsschäden im Raum steht, wird vielleicht nicht mehr objektiv im Sinne der Schwangeren und ihres Kindes entschieden. Insoweit sollten ganz sicher die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften überarbeitet werden.

Meine Redezeit ist abgelaufen. Den Teil mit den Kosten lasse ich aus. Das hat Frau Twesten richtig und korrekt vorgetragen. Der Überarbeitung des Mutterpasses stimmen wir auch zu.

Wir haben das gleiche Ziel, meine Damen und Herren: pro natürliche Geburt, contra Kaiserschnitt. - Deshalb stimmen wir dem Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt der Abgeordneten Dr. Thela Wernstedt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen haben schon wesentliche Punkte erläutert. Wir haben auch schon sehr persönliche, von existenzieller Erfahrung gefärbte Berichte hier gehört. Ich denke, das ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass dieses Thema niemanden richtig kaltlässt und dass eben auch sehr viele existenzielle Emotionen mit ihm verbunden sind. Ich denke, es ist auch richtig, wenn die Entscheidung in einem medizinisch so wichtigen Thema dem Gewissen vorbehalten bleibt. Wenn jemand aus einer Fraktion das nicht mittragen kann, dann soll es ihm auch freistehen, nein zu sagen. Ich finde, das ist sehr wichtig. Das wird auch bei anderen Entscheidungen im biologischen und medizinischen Bereich so gehandhabt.

Die ausgeprägten regionalen Unterschiede, die Frau Joumaah zum Schluss angesprochen hat - Kaiserschnittraten zwischen 26 % und 43 % -, beruhen vermutlich darauf, dass vorhandene Entscheidungsspielräume in den Krankenhäusern unterschiedlich bewertet werden, und dies in Bezug auf die Krankenhausorganisation - Stichwort „Planbarkeit eines Eingriffs“ -, auf die Refinanzierung, die Frau Twesten auch schon angesprochen hat, und auf die Risikobewertung: Was geht womöglich schief, wenn wir vor und während der Geburt nicht eingreifen?

Warum sind hohe Kaiserschnittraten ein Problem? Es ist bereits angedeutet worden, dass es starke Hinweise darauf gibt, dass Kinder, die per Kaiserschnitt entbunden wurden, häufiger an Asthma erkranken, auch andere Atemwegserkrankungen unmittelbar nach der Geburt und in der Zeit danach haben. Auch die Narkoseeinleitung bei einer

Schwangeren ist mit einem hohen Risiko verbunden. Das weiß ich noch aus eigener Erfahrung.

Wenn also nur maximal 15 % der Kaiserschnitte, wie die WHO einmal festgestellt hat, medizinisch indiziert sind und wir darüber liegen, müssen wir überlegen, ob wir die Schwangeren und auch die Kinder nicht einem erhöhten überflüssigen Risiko aussetzen, wenn wir dennoch nachgeben, solche Kaiserschnitte durchzuführen. Das tut den Kindern, den frischgebackenen Müttern und vermutlich auch den Vätern nicht gut.

Wir haben in unserem Antrag - einige Punkte sind schon genannt worden - einen Maßnahmenkatalog zusammengestellt, um Veränderungen in dem komplexen Entscheidungsgeschehen herbeizuführen. Dazu zählt auch eine Stärkung der Stellung der Hebammen im Geschehen. Wir plädieren für den Aufbau von Hebammenkreißsälen in Niedersachsen. Die Frauen werden unter der Geburt, von Anfang bis Ende, verantwortlich von Hebammen betreut, und nur dann, wenn sich gravierende Schwierigkeiten ergeben und Risiken entstehen, wird ein Ärzteteam mit operativen Eingriffsmöglichkeiten hinzugezogen.

Hier soll sehr deutlich gesagt werden: Es geht um eine fachkompetente Betreuung der Gebärenden unter der Geburt mit der Sicherheit, bei Schwierigkeiten jederzeit eingreifen zu können. Es findet eine Akzentverschiebung in der Betreuung statt, keine erhöhten Risiken für die Frauen.

Wir wollen die Einrichtung von Hebammensprechstunden fördern, die die Schwangeren aufklären und beraten. Ich sage deutlich: Frauen werden natürlich über Risiken und Probleme aufgeklärt. Aber der Akzent liegt nicht nur auf den Risiken und Nebenwirkungen, sondern auf den Stärken, die die Frauen mitbringen.

Ein wichtiges - Frau Twesten hat es schon angesprochen -, aus meiner Sicht dezidiert frauenpolitisches Thema betrifft das ganz große Rad der Refinanzierung von Krankenhausleistungen. Wie bitte schön ist es zustande gekommen, dass die Vergütung einer normalen natürlichen Geburt mit ca. 600 Euro erfolgt, gleichgültig ob die Geburt nach zwei Stunden komplikationslos zu Ende ist oder erst nach drei Tagen intensiver Betreuung einschließlich eines Periduralkatheters zur Schmerztherapie unter der Geburt.

Wie kommt es, dass der Kaiserschnitt mit mehr als doppelt so viel Geld vergütet wird, mit 1 400 Euro?