Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich frage mich mit der heutigen Debatte: Ist die Kehrtwende im politischen Handeln von Rot-Grün gekommen? - Mit dem Bekanntwerden des Koalitionsvertrages der rot-grünen Landesregierung kamen zwar viele schöne Formulierungen und wohlklingende Überschriften, aber keine konkreten Aussagen zur Umsetzung. Die Schulpolitik der neuen Landesregierung blieb vage. Die Ministerin schwieg, wie selbst Die Welt am 6. März in der Überschrift titelte: „Das Schweigen in der Schulpolitik“.
Ist jetzt mit diesem Gesetzentwurf die Kehrtwende gekommen? - Beim Lieblingsthema jeder rotgrünen Landesregierung, der Zulassung weiterer Gesamtschulen, wird es jetzt konkret. Aber ist diese Kehrtwende so etwas wie mutiges und verantwortungsvolles Regierungshandeln? - Ich sage ganz entschieden: Nein, das ist sie nicht. Bei den bisherigen Ankündigungen ist es purer Leichtsinn, mal eben ohne breite Beteiligung der Bildungsverbände und im Schnellverfahren die Schulstruktur in Niedersachsen auf den Kopf zu stellen.
Das ist eben nicht, wie Herr Poppe es eben dargestellt hat, das Frühlingserwachen. In der Rede hat man ohnehin nicht viel davon gehört. Dieses Verfahren und die Inhalte dieses Gesetzes sind eine Kampfansage an alle Schulformen in Niedersachsen.
Wir haben mit der Einführung der Oberschule eine zukunftsfähige Schulstruktur in Niedersachsen auf den Weg gebracht, die bei aller Unterschiedlichkeit, die wir in unserem Land haben, für die Schul
träger ein attraktives und demografiefestes Angebot bietet. Sie ist eine Schulform, die individuell auf die regionalen Entwicklungen und Bedürfnisse angepasst werden kann. Sie kommt vielen bildungspolitischen Forderungen nach mehr gemeinsamem Lernen, aber auch nach der Differenzierung nach. Das war für uns ein wichtiger Punkt. Die Leistungsförderung wird in dieser Schule eben nicht aufgegeben.
Meine Damen und Herren, daran wird deutlich: Die Zeit für eine Schulstrukturdebatte in Niedersachsen ist lange überschritten, sie liegt bereits lange hinter uns.
Wir wollen - das waren unsere Aussagen auch im Wahlkampf - diese Debatten hier nicht mehr führen. Wir wollen über Qualität und Inhalte sowie ihre Weiterentwicklung reden. Zu diesen Punkten - Qualität und Inhalte - findet man auch in der Begründung des rot-grünen Gesetzentwurfs nicht ein einziges Wort.
Sie haben sich mit Ihrer Debatte hinter den fahrenden Zug geworfen und gefährden damit auch die erfolgreiche Umsetzung der Bildung in Niedersachsen.
Wir haben gerade von Herrn Poppe gehört und auch unsere Kultusministerin Frau Heiligenstadt beteuert bei jeder Gelegenheit - auch im Kultusausschuss -, dass die neue Landesregierung keine neue Schulstrukturdebatte beginnen will und dass es keine Schulstrukturdebatte in Niedersachsen geben soll. Wie man ernsthaft auf der einen Seite einen solchen Gesetzentwurf vorlegen kann und auf der anderen Seite solche Aussagen treffen kann, können Sie wohl niemandem in diesem Land erklären.
Wir sehen in diesem Gesetzentwurf eine Gefahr für jede andere Schulform in Niedersachsen. Die öffentlich angekündigte Ausnahme in Form einer dreizügigen Gesamtschule wird nach unseren Befürchtungen zur Regel werden. Jede erfolgreiche Hauptschule, jede gut arbeitende Realschule, aber auch gerade die neu eingeführten Oberschulen, an deren Umsetzung viele Lehrkräfte mit viel Engagement und Erfolg arbeiten, werden wieder dem Sog einer Strukturdebatte in unserem Land ausgesetzt und müssen um ihre Existenz fürchten.
Mit unserer Sorge sind wir nicht allein. Es ist eben nicht, wie es die Ministerin bezeichnet, eine Phantomdebatte der Opposition. So hat zum Beispiel der Philologenverband in einer Pressemitteilung seine Sorge zum Ausdruck gebracht und noch einmal darauf hingewiesen, was der heutige Ministerpräsident im Wahlkampf gesagt hat - daran wird man erinnern dürfen; ein Zitat von Herrn Weil -: „Die niedersächsischen Gymnasien haben von mir nun wirklich nichts zu befürchten.“ Unsere Gymnasien in Niedersachsen müssen diesen Satz heute als blanken Hohn empfinden, wenn sie diesen Gesetzentwurf sehen.
Durch die Möglichkeiten, die mit diesem Gesetz geschaffen werden sollen, sind alle Schulformen gefährdet, aber insbesondere die Gymnasien. Es ist schon interessant, wie sich dann auch die Hausspitze des Ministeriums gegenseitig widerspricht.
Die Ministerin spricht von einer Phantomdebatte. Der Staatssekretär hingegen wurde deutlich - wir haben es eben auch schon von Herrn Försterling gehört -, als er von den drei Gymnasien berichtete, von denen vielleicht nur noch eines bestehen bleibt. Man muss sich auch die Frage stellen, was mit den Landkreisen ist, wo es heute vielleicht nur zwei kleine Gymnasien gibt. Was bleibt von denen dann übrig?
So wird auch Staatssekretär Bräth in einer dpaMeldung zum Schulgesetz zitiert: Man muss kein Mathematiker sein, um zu sehen, dass die neuen Gesamtschulen auch Konsequenzen für die Gymnasien im Land bedeuten. - Man kann nur sagen: Frau Ministerin, Ihr Staatssekretär ist wenigstens ehrlich.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu dem beabsichtigten Verfahren sagen, das ich nur unter einer Begrifflichkeit zusammenfasse: skandalös. - Als ich die Pressemitteilung von Frau Korter gelesen habe, konnte ich es, ehrlich gesagt, gar nicht glauben, dass die Ausschussvorsitzende dort ankündigt - ich zitiere -:
„Vorgesehen ist, die Schulgesetzänderung durch die Fraktionen ins Aprilplenum einzubringen, die Verbände schriftlich dazu anzuhören und die kommunalen Spitzenverbände zu einer mündlichen Anhörung in den Kultusausschuss einzuladen.“
Es kann doch nicht ihr Ernst sein, dass Sie die Fachleute im Bildungsbereich, unsere Bildungsverbände, nicht mündlich beteiligen wollen.
Wie man in der HAZ vom heutigen Tag lesen kann, rudern Sie aber anscheinend schon wieder zurück. Landeselternrat und Landesschülerrat sollen nun doch angehört werden, wobei die SPD erst gestern schriftlich etwas anderes beantragt hatte. Also morgens so und am Nachmittag für die Presse dann wieder so. Von den anderen Bildungsverbänden ist an dieser Stelle aber immer noch nicht die Rede. Für mich passt das so ein bisschen zu dem Motto: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.
Der Philologenverband zeigt sich in seiner heutigen Pressemitteilung empört über die Verweigerung der Anhörung von Lehrerorganisationen - das gilt nicht nur für ihn selbst - und bezeichnet die aktuelle Entwicklung als - Zitat - „skandalöse Groteske“. Und das, obwohl diese Landesregierung nicht müde wird, überall Transparenz und Dialogbereitschaft zu predigen.
Ministerpräsident Weil hat in seiner Regierungserklärung am 19. Februar immer wieder den neuen Politikstil angepriesen und in Bezug auf Veränderungen an den Gymnasien von einem „dialogorientierten Ansatz“ gesprochen. Seine Kultusministerin hat in ihrer Unterrichtung in unserem Kultusausschuss so viel über Dialoge erzählt, dass ich irgendwann aufgehört habe mitzuzählen, wie oft der Begriff „Dialog“ verwendet worden ist. Für mich wird auch an diesem Gesetz deutlich: Das ist ein Scheindialog.
Frau Korter, in der Vergangenheit haben insbesondere Sie immer wieder herausstellen wollen, dass die Grünen für Transparenz stehen. Jetzt sehen wir, dass es - in der Realität angekommen - ganz anders aussieht. Jetzt werden Sie sicherlich gleich sagen: Die Bildungsverbände können sich doch schriftlich äußern. - Sie und wir alle wissen aber, dass eine schriftliche Anhörung nicht mit einer mündlichen Anhörung vergleichbar ist. Auch haben wir nicht die Möglichkeit, Nachfragen zu stellen. Kritische Punkte lassen sich dadurch vielleicht leichter ausblenden.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt und annimmt, dass man dann vielleicht auch nicht so intensiv über die Finanzierung Ihres Gesetzesvorhabens sprechen will. Wir haben viele Fragen an den Landkreistag, aber auch an den Landesrechnungshof; denn es wird auch deutlich: Wenn unter der Überschrift „Haushaltsmäßige Auswirkungen“ davon gesprochen wird, dass das alles gar nicht so dramatisch sei und zu Beginn sogar zu Einsparungen führen werde, so können wir das nicht glauben. Man kann es schon an einer Stelle ganz einfach festmachen: Eine Gesamtschule hat nun einmal viel mehr Leitungsstellen als eine Schule einer anderen Schulform, z. B. die Oberschule. Wie wollen Sie das finanzieren? - Ich kann mir nur erklären, dass dies über die Unterrichtsversorgung gewährleistet werden soll. Auch das werden wir nicht tolerieren.
Insgesamt kann man feststellen: Bei diesem Gesetzentwurf erweist sich Ihre neue Dialogbereitschaft wieder einmal als Etikettenschwindel, und der neue Politikstil wird deutlich erkennbar.
Wenn man sich dann in diesem Zusammenhang die wenigen Pressemitteilungen der Kultusministerin ansieht, kann man sich wirklich nur noch wundern. So kündigt die Ministerin in einer Pressemitteilung vom 28. Februar an, dass das Niedersächsische Kultusministerium als Ausdruck eines neuen Politikstils in den kommenden Wochen in einen intensiven Dialog mit allen Bildungsakteuren treten wird. Zitat: Wir sehen den konstruktiven Gesprächen erwartungsfroh entgegen. - Wenn man sich jetzt aber die Wirklichkeit ansieht, fällt einem dazu wirklich nichts mehr ein. Für mich ist das, was sich hier abspielt, eine wahrhaftige Satire.
Man muss sich wirklich nur einmal einen Moment lang vorstellen, wir hätten das unter unserer Regierungsverantwortung genauso gemacht - Frau Korter und Frau Heiligenstadt hätten den Untergang des Abendlandes beschrien.
Deshalb abschließend mein Appell: Herr Ministerpräsident, es ist an der Zeit. Greifen Sie endlich ein! Bringen Sie Ihre Kultusministerin und Ihre
- Sie alle, die gerade lachen, predigen Transparenz und Dialogbereitschaft, aber treten dies an dieser Stelle mit Füßen.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Detlef Tanke [SPD]: Wir machen das, was wir angekündigt haben!)
Abschließend - meine Redezeit läuft ab - möchte ich noch ein Zitat anführen; denn das passt auch zum Schlusswort. Ludger Fertmann vom Hamburger Abendblatt schreibt dazu:
„Peinlich ist auch die Vorgehensweise der neuen Koalition. Ihre Spitzenleute predigen landauf, landab den Willen zum Dialog als neue politische Kultur. Aber beschlossen werden die Erleichterungen für Gesamtschulgründungen im niedersächsischen Landtag im Schweinsgalopp.“