Laut der Onlineausgabe der Zeitung Die Welt vom 9. Mai 2014 soll Sebastian Edathy zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchungen am 10. Februar 2014 noch Bundestagsabgeordneter gewesen sein. Hausdurchsuchungen bei Bundestagsabgeordneten sind wegen deren Immunität nur in strengen Grenzen möglich und verlangen eine vorherige Information des Bundestags über die Aufnahme von Ermittlungen. Ein solcher Brief der ermittelnden Staatsanwaltschaft Hannover erreichte den Bundestag jedoch erst am 12. Februar 2014, und das unverschlossen.
Spiegel-Online berichtet am 10. Mai 2014 unter der Überschrift „Kinderporno-Affäre: Staatsanwaltschaft weist Edathy-Vorwürfe zurück“. „Die Staatsanwaltschaft Hannover wehrt sich gegen den Vorwurf von Sebastian Edathy, bei mehreren Durchsuchungen am 10. Februar 2014 die Immunität des 44-Jährigen ignoriert zu haben. Die Durchsuchungen sind auf rechtsstaatlichem Wege und ohne Grundrechtsbruch zustande gekommen“, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge dem Spiegel. Edathys Anwalt Christian Noll habe am 10. Februar schriftlich darauf hingewiesen, dass sein Mandant am 7. Februar auf das Abgeordnetenmandat verzichtet habe und folglich seine Immunität erloschen sei. Aufgrund dieser Angabe und der damaligen Presseveröffentlichungen sei man davon ausgegangen, dass den Durchsuchungen nichts im Wege stehe.
3. Sieht die Landesregierung weiterhin, wie die Justizministerin in ihrem Interview mit dem Focus vom 11. April 2014, „keine Fehler, sondern allenfalls Schnitzer“ bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover im Fall des ehemaligen SPDBundestagsabgeordneten Edathy?
Vielen Dank, Frau Kollegin Ross-Luttmann. - Es antwortet für die Landesregierung die Ministerin Niewisch-Lennartz. Bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung hat das Hohe Haus mehrfach über das Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Edathy wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften unterrichtet. In der Plenarsitzung im Februar war das Ermittlungsverfahren Gegenstand zweier Aktueller Stunden und zweier Dringlicher Anfragen. Darüber hinaus wurde der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen durch mich selbst, durch meinen Staatssekretär sowie zuletzt in der vergangenen Woche durch den zuständigen Abteilungsleiter im Justizministerium zum jeweiligen Stand des Ermittlungsverfahrens und zu Einzelfragen unterrichtet.
Nun gibt es einen neuen Sachverhalt, über den wir nachdenken müssen. Am Nachmittag des vergangenen Freitags, dem 9. Mai, wandte sich der Verteidiger des Herrn Edathy an das Justizministerium mit einer Mitteilung. Er habe erfahren, dass der Mandatsverzicht seines Mandanten nicht schon am 7. Februar, wie bislang angenommen, wirksam geworden sei. Der Mandatsverzicht sei erst mit Ablauf des 10. Februar wirksam geworden. Das Schreiben gab der Verteidiger, Herr Rechtsanwalt Noll, zugleich an die Presse; die entsprechenden Quellen haben Sie ja auch zitiert.
Zur Frage 1: Die Durchsuchung der Geschäfts- und Privaträume des Beschuldigten Edathy am 10. Februar beruhen auf den Durchsuchungsbeschlüssen des Amtsgerichts Hannover vom selben Tag. Diese Beschlüsse hat der Beschuldigte Edathy mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angegriffen. Das Landgericht Hannover hat am
1. April 2014 die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Hannover bestätigt. Gegen diese Entscheidung hat Herr Edathy Presseberichten zufolge Anfang Mai Verfassungsbeschwerde erhoben. Er soll laut Presseberichten argumentieren, das Amtsgericht Hannover habe zu Unrecht einen Anfangsverdacht angenommen.
Es gibt bislang keine verfassungsgerichtliche Entscheidung zu der Frage, welche Tatsachen vorliegen müssen, um einen Anfangsverdacht für den Besitz kinderpornografischer Bilder zu begründen. Die Landesregierung ist auch nicht berufen, anstelle des Bundesverfassungsgerichts hierzu eine rechtsverbindliche Einschätzung abzugeben.
Nun stellt sich die neue Frage, ob die Durchsuchungen jedenfalls dann rechtswidrig waren, wenn der Beschuldigte Edathy am 10. Februar 2013 noch Abgeordneter war. Während der Dauer ihres Mandats genießen Abgeordnete des Deutschen Bundestages, wie auch des Niedersächsischen Landtages nach der Niedersächsischen Verfassung, nach Artikel 46 des Grundgesetzes Immunität. Sie können, soweit der Immunitätsschutz reicht, ohne Genehmigung des Deutschen Bundestages strafrechtlich nicht verfolgt werden. Im Strafverfahren bildet die Immunität deshalb ein Verfahrenshindernis.
Die Immunität endet u. a. dann, wenn der Abgeordnete aus dem Parlament ausscheidet, etwa durch Verzicht auf das Mandat. Im Falle eines Verzichts auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erlischt das Mandat mit der Entscheidung des Bundestagspräsidenten. Die ergeht in Form einer Bestätigung der Verzichtserklärung. So sieht es das Bundeswahlgesetz vor. Das Ausscheiden des Abgeordneten aus dem Bundestag wird sodann im Bundesanzeiger bekannt gegeben.
Der Bundeswahlleiter hat im Bundesanzeiger vom 26. Februar 2014 bekannt gegeben, dass der Abgeordnete Edathy mit Ablauf des 6. Februar 2014 aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden ist. Von dieser amtlichen Bekanntmachung geht die Landesregierung auch aus Respekt vor dem Präsidenten des Deutschen Bundestages aus; denn auf dessen Mitteilung beruht diese Eintragung. Ist diese amtliche Bekanntmachung richtig, stellt sich mit Blick auf die Immunität des Sebastian Edathy die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungen nicht. Es ist nicht Aufgabe der Landesre
gierung, abschließend zu bewerten, ob die amtliche Bekanntmachung inhaltlich richtig oder falsch ist. Eine Bestätigung des Bundestagspräsidenten über einen anderen Zeitpunkt des Ausscheidens von Herrn Edathy liegt nicht vor.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, erlauben Sie mir bitte eine Bemerkung. Sie haben nicht danach gefragt, aber ich denke, im Zusammenhang mit dieser Frage richtet sich das Interesse, nicht nur auf die Staatsanwaltschaft Hannover, sondern auch auf das Ermittlungsverfahren gegen Herrn Edathy. Darum geht es eigentlich. Hierzu möchte ich gerne noch Folgendes ergänzen. Es geht um die Frage: Kann man Erkenntnisse, die aufgrund der Durchsuchungsbeschlüsse gewonnen wurden - wenn wir unterstellen, dass sich vielleicht im weiteren Verfahren herausstellt, dass die Eintragung im Bundesanzeiger falsch war - überhaupt nutzen? Könnte es so sein, dass die Fehlerhaftigkeit in Bezug darauf, dass er noch Immunität genoss - das wäre nämlich so, wenn diese tatsächlich erst am 10. Februar abliefe -, auf die Verwertbarkeit der Beweise durchschlägt? - Das ist doch eigentlich die interessante Frage.
Das ist die eigentlich interessante Frage, die dahinter steht: Auch wenn Sebastian Edathy an besagtem Tag noch Abgeordneter gewesen sein sollte, dann wäre die Information - wenn man der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt - verwertbar. Etwas anderes gälte nur dann, wenn die Staatsanwaltschaft vorsätzlich die Immunität des Abgeordneten verletzt hätte. Aber dafür gibt es, meine Damen und Herren, nicht den geringsten Anhaltspunkt. Es war der Beschuldigte selbst, der seinen Verzicht auf das Bundestagsmandat mit Wirkung vom 7. Februar öffentlich gemacht hat und auch gegenüber der Staatsanwaltschaft Hannover ausdrücklich mit einem Fax bestätigt hat.
Im Übrigen beruhen die weiteren Durchsuchungen und Sicherungsmaßnahmen nach dem 10. Februar - vor allen Dingen auch die im Deutschen Bun
destag selbst - auf Durchsuchungsbeschlüssen, die nach dem 10. Februar beantragt worden sind. All diese Maßnahmen werden von der Frage der Immunität - ja oder nein? - nicht berührt.
Zu der Frage 2: Auf diese Frage habe ich schon indirekt geantwortet. Ich habe eine Beantwortung im Zusammenhang für erhellender gehalten.
Abschließend kann die Frage, ob Immunität bestand - ja oder nein? -, über die Eintragung im Bundesanzeiger hinaus nicht beantwortet werden. Eine abweichende Mitteilung zu dem Thema liegt, wie gesagt, nicht vor.
Auch Ihre Frage 3, sehr geehrte Damen und Herren, kann ich für die Landesregierung abschließend nicht beantworten. Die Gründe dafür habe ich schon genannt. Wenn eine Immunität des Herrn Edathy nicht mehr bestand - davon gehe ich aus, weil es so aufgrund der Mitteilung des Bundestagspräsidenten im Bundesanzeiger steht -, ist auch ein entsprechender Fehler der Staatsanwaltschaft Hannover nicht gegeben.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage für die CDU-Fraktion stellt Frau Kollegin Ross-Luttmann. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, vor dem Hintergrund, dass es bei der Durchführung von Ermittlungen nicht auf den Mandatsverzicht ankommt, sondern eben auf den Verlust der Immunität - dies ist eine Rechtsfrage, über deren Vorliegen die Staatsanwaltschaft Hannover zu entscheiden gehabt hätte -, frage ich Sie - genau wie Sie eben gesagt haben, wird der Verlust der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag nach der Verzichtserklärung vom Bundestagspräsidenten bestätigt; erst dann erlischt die Immunität -, ob die Staatsanwaltschaft das nicht verkannt hat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die Staatsanwaltschaft Hannover hierbei verkannt hat oder nicht verkannt hat, vermag ich nicht zu sagen. Es kommt auf die objektiven Umstände an. Wenn das Mandatsverhältnis tatsächlich - wie es im Bundesanzeiger steht - erloschen war, ist es kein Fehler, gerade von diesem Umstand auszugehen. Dies entspricht im Übrigen nicht nur der Anzeige des Bundeswahlleiters, sondern das entspricht auch der Ankündigung durch Herrn Lammert selbst, als er die darauf folgende Sitzung des Deutschen Bundestags eröffnet hat. Am 13. Februar hat er dort bekanntgegeben, dass das Mandat mit Ablauf des 6. Februar 2014 erloschen ist - und damit auch die Immunität.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Aber das war doch al- les nach der Durchsuchung! Man kann sich doch nicht auf spätere Pub- likationen berufen!)
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage für die FDP-Fraktion stellt der Kollege Dr. Genthe. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich komme auf das eigentliche Verfahren zu sprechen und frage die Landesregierung: Warum wurden die Büros von Sebastian Edathy im Deutschen Bundestag erst am 18. Februar 2014 versiegelt, wenn die Durchsuchung des niedersächsischen Büros bereits acht Tage früher, am 10. Februar 2014, erfolgt ist?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Durchsuchung ist später erfolgt, weil sie erst später beantragt worden ist.
Vielen Dank. - Die nächste Zusatzfrage für die CDU-Fraktion stellt Frau Kollegin Ross-Luttmann. Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, nach dem Bundeswahlgesetz stellt der Bundestagspräsident den Mandatsverzicht fest, und zwar ex nunc, nicht rückwirkend. Er hat diesen Verzicht am 10. festgestellt. Damit kann diese Wirkung noch gar nicht vorher eingetreten sein.
Vor dem Hintergrund, dass dann erst mit Ablauf des 10. die Immunität aufgehoben worden war, hätte eine Durchsuchung frühestens am 11. erfolgen können. Deswegen frage ich Sie nochmals: Was hat die Staatsanwaltschaft damals tatsächlich geprüft, als die die Durchsuchung beantragt hat? - Denn sie konnte von einem Verzicht auf die Immunität noch gar nicht ausgehen; denn die Immunität bestand noch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihrem letzten Nachsatz muss ich widersprechen. Es steht mitnichten fest, dass die Immunität des Beschuldigten an dem Tag tatsächlich noch bestand. Die offiziellen Verlautbarungen, vom Präsidenten des Deutschen Bundestags veranlasst, lauten anders. Er ist für mich, solange er selbst das nicht aus der Welt schafft, die Institution, die darüber entscheidet, ob ein Mandat beendet ist oder nicht. Das ist ja auch nicht ohne Relevanz! Denn auf dieser Grundlage stellt man auch fest, wann der Nachrücker an seine Stelle tritt. Dafür gibt es eine Behörde, die das feststellt. Das ist der Bundestagspräsident. Auf dessen Veranlassung ist der Bundeswahlleiter tätig geworden.