Protocol of the Session on May 14, 2014

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Ich will deshalb deutlich sagen: Wir brauchen im Übrigen auch keine einmalige Abmilderung. Wir brauchen grundsätzlich einen Steuertarif „auf Rollen“, der sich automatisch jedes Jahr an die Inflation anpasst. Wer heute in der Metall- und Chemiebranche ein Drittel mehr verdient als der Durchschnitt, der liegt mit jeder Gehaltserhöhung sofort im Spitzenbereich der Einkommensteuer. Diese Menschen sind aber keine Spitzenverdiener. Ende der 1950er-Jahre musste man noch 20-mal so viel verdienen wie der Durchschnittssteuerzahler, um den Spitzensteuersatz zu erreichen. Die sozial gemeinte Progression wird so ganz von allein immer unsozialer, und das muss in Deutschland endlich geändert werden.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Der Deutsche Gewerkschaftsbund - ich bin den Kollegen von der Gewerkschaft dafür dankbar - hat ausgerechnet, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Jahr 2017 durch die kalte Progression insgesamt 56 Milliarden Euro verlieren werden, und zwar an den Finanzminister des Bundes und an die Finanzminister der Länder. Und die Wirtschaftsweisen haben in einem Gutachten geschrieben, dass die kalte Progression zu dauerhaften Mehreinnahmen führe, denen keine erhöhte Leistungsfähigkeit der Besteuerten gegenüberstehe. Zitat:

„Aus Sicht der Institute sollten diese Mehreinnahmen nicht der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte dienen oder andere Konsolidierungsmaßnahmen ersetzen, sondern an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zurückgegeben werden.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Schneider, es gibt den schönen Satz: „Ich kann nicht“ heißt: „Ich will nicht“.

Zum Abschluss will ich Ihnen noch ein Zitat von Michael Vassiliadis, dem Vorsitzenden der IG BCE, mit auf den Weg geben, und gerade Sie, Herr Schneider, sollten sich an dieser Stelle direkt angesprochen fühlen. Herr Vassiliadis hat gesagt: „Die vielen hinhaltenden Äußerungen … zu diesem Problem sind respektlos gegenüber den übermäßig belasteten Arbeitnehmern.“ Recht hat er.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. - Für die SPDFraktion erteile ich nun das Wort Herrn Schmidt. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werter Herr Dürr, ich möchte mich gern mit acht kurzen Thesen in diese wichtige steuerpolitische Debatte einbringen.

Erstens. Michael Vassiliadis hat völlig recht mit seinem Satz, der die Überschrift dieser Aktuellen Stunde ziert - als Mitglied der IG BCE finde ich das ohnehin -: Die Lohnsteigerungen, die im Tarifkampf erstritten werden, müssen auch in den Portemonnaies der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer landen, die dafür hart gearbeitet haben.

(Zustimmung von Mustafa Erkan [SPD])

Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, und das ist völlig unstrittig in dieser Debatte.

(Zurufe von der CDU und von der FDP: Aha!)

Zweitens. Dass sich die FDP durch die Wahl dieses Zitats als vorderste Kämpferin im Heer der Werktätigen profilieren möchte, ist nicht ungeschickt, allerdings unglaubwürdig. Sie haben in den letzten Jahren doch nur versucht, sich als reine Steuersenkungspartei zu verkaufen; dafür sind Sie auch damals noch in den Bundestag gewählt worden.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist eine Steuersenkung!)

Wir müssen aber heute feststellen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland warten noch heute auf die von Ihnen versprochenen Steuersenkungen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Weil Sie es im Bundesrat verhindert haben! Die Sozis waren das!)

Drittens. Allerdings darf eines nicht verschwiegen werden: Ja, Sie haben steuerpolitisch auch etwas erreicht; Sie haben ganz viel warme Progression für eine einzige Klientel durchgesetzt, indem Sie die Steuern für Hoteliers gesenkt haben. Alle anderen sind leer ausgegangen. Das hat die FDP bei den Wahlen ja auch zu Recht zu spüren bekommen. Ich glaube, das nennt man in der Fachwelt „kalte Depression“.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Einen Moment bitte, Herr Schmidt. Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

(Reinhold Hilbers [CDU]: Das sind nur Sprüche! Deshalb kann er auch keine Zwischenfrage zulassen! - Weitere Zurufe von der FDP - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Viertens. Meine Damen und Herren, es bleibt unbestritten: Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland. Das bedeutet auch, dass der Steuertarifverlauf an die Lohnentwicklung angepasst werden muss. Aber eines ist dabei entscheidend: Wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, dass wir die Schuldenbremse im Bund und in den Ländern einhalten wollen und müssen. Das sind wir künftigen Generationen schuldig.

Deswegen fünftens: Jede steuerpolitische Maßnahme muss also genauestens darauf abgeprüft werden, wie sie sich haushaltspolitisch auswirkt. Deshalb ist es ganz interessant, bei Ihren Forderungen, die Sie hier im Landtag erheben, einmal die Nagelprobe zu machen. Sie fordern hier eine Steuerrechtsänderung. Ich würde übrigens nie von einem „Steuergeschenk“ an der Stelle sprechen, sondern es geht ja nur darum, weniger Einnahmen zu haben.

(Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Das würde immerhin 3 Milliarden Euro an Einnahmeausfällen ausmachen.

Sie fordern - sechstens - zugleich, im Landeshaushalt schon 2017 die Nettokreditaufnahme auf Null zu bringen. Das tragen Sie beides vor

(Zuruf von Christian Dürr [FDP])

und glauben, dass keiner merkt, dass das nicht zusammenpasst: Steuereinnahmen senken einerseits, Schulden senken andererseits und den Haushalt konsolidieren bei alledem. Das ist wenig progressive Politik, sondern das ist einfach nur kalter Kaffee, den keiner mehr trinken mag.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gilt also siebtens: Wenn beides zusammenpassen soll, faire Steuern und Schuldenabbau, dann muss man vernünftige Vorschläge machen, wie das finanziert werden soll.

Unser Finanzminister Peter-Jürgen Schneider hat das gemacht: Abbau der kalten Progression durch Verschiebung der Steuertarifeckwerte, Gegenfinanzierung durch Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 % und Überführung des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif.

(Thomas Schremmer [GRÜNE]: Sehr gut!)

Ich füge hinzu: Wenn wir gerade kleine Einkommen entlasten wollen, dann müssen wir uns auch immer wieder - auch wenn das vor Kurzem gesetzlich erneut angepasst worden ist - über die Anhebung des Grundfreibetrags Gedanken machen. Das wäre richtig. Das wäre praktisch. Das wäre gut und gerecht.

(Christian Dürr [FDP]: Haben wir ge- macht!)

Schlussendlich: Liebe FDP, dass Sie als Überschrift für Ihren Antrag zur Aktuellen Stunde dieses Zitat gewählt haben, lässt ja vielleicht auf eine ganz neue Zuneigung zur Gewerkschaftsbewegung schließen. Ob das stimmt, darf allerdings bezweifelt werden. Ich möchte mit einer achten These schließen, die ich ebenfalls einem Zitat entnommen habe:

„Das Wahlergebnis der FDP ist … auf die ‚Unfähigkeit zurückzuführen, die eigene Politik kritisch zu hinterfragen und sich neu zu positionieren’. Die Partei habe aus der Finanzkrise nichts gelernt,“

(Zuruf von Christian Dürr [FDP])

„sondern geradezu krampfhaft an einer chaotischen Klientelpolitik festgehalten, die ökonomisches Handeln möglichst frei von jeglicher sozialen Verpflichtung halten wolle. ‚Die Zeit der propagierten Verantwortungslosigkeit und des kulturell schicken Egoismus ist vorbei’ … ‚Das hat die FDP bis zuletzt nicht erkannt.’“

(Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Wissen Sie, wer das gesagt hat? - Michael Vassiliadis. Recht hat der Mann.

Schönen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeordneter Heere das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ist denn schon wieder Sommerloch, habe ich mich gefragt, als ich in diesen Tagen von diesem Antrag der FDP zur Aktuellen Stunde hörte. Ach nein, nicht Sommerloch, Wahlkampf ist das richtige Thema. Denn die kalte Progression ist so ein Thema, das wahlweise von FDP oder CDU regelmäßig zu einem dieser Anlässe aus der Schublade herausgekramt wird.

Sie versuchen einmal wieder, mit verkürzten Argumenten billig ein paar Stimmen einzusammeln. Das wird Ihnen hier heute aber nicht gelingen.

(Zuruf von der CDU: Das wäre eure Aufgabe!)

- Genau. Das machen wir nämlich jetzt,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)