Protocol of the Session on April 7, 2017

Wir können - das ist auch tatsächliche Übung in der Politik - gleiche Sachverhalte hier im Landtag zwischen den Fraktionen oder auch innerhalb einer Fraktion unterschiedlich bewerten. Deshalb kann man natürlich auch die Fragen des Führerscheinentzuges als eigenständigem Strafmittel bei allgemeiner Kriminalität neben Geldstrafe und Strafhaft unterschiedlich bewerten. Die Vorredner haben darauf hingewiesen.

Die CDU kommt am Ende der Diskussion zu dem Ergebnis, welches wir auch schon bei der ersten Beratung hier im Plenum formuliert haben: Die Aufnahme des Führerscheinentzuges als eigenständige Sanktion im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht kann zu einer sinnvollen Erweiterung richterlicher Möglichkeiten und einer besseren Anpassung von Strafe an die Lebenswirklichkeit führen.

Oder, wie es im Vertrag der Koalitionäre auf Bundesebene formuliert ist - ich zitiere -:

„Um eine Alternative zur Freiheitsstrafe und eine Sanktion bei Personen zu schaffen, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt, werden wir das Fahrverbot als eigenständige Sanktion im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht einführen.“

Ja, es wird Schwierigkeiten bei der Überwachung der Strafe geben, und die Strafe wird je nach individueller Lebenssituation härtere Auswirkungen haben - für Pendler, für Vielfahrer, für Bewohner des ländlichen Raumes. Beide Argumente gelten im Übrigen auch heute schon, wenn bei Verkehrsdelikten Fahrverbote verhängt werden.

Auf der anderen Seite ist die Auswirkung von Strafe auf das Individuum immer unterschiedlich. Eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe mag im Zweifel keine Auswirkungen auf Leben und Verfassung des Verurteilten haben. Einem Wohlhabenden ist die Geldstrafe im Zweifel tatsächlich völlig egal. Eine Strafhaft kann bei dem einen zur Gefährdung der beruflichen Existenz führen; der andere besitzt diese berufliche Existenz gar nicht. Auch ein Fahrverbot belastet Menschen eben in unterschiedlicher Weise. Es kommt also bereits

heute darauf an, dass das Gericht die individuelle Lebenssituation und die Auswirkungen von Strafe auf diese Situation mit in die Strafzumessung einbezieht.

Vor diesem Hintergrund kann eine Erweiterung des Kataloges der Strafmittel der Richterin oder dem Richter tatsächlich bessere Möglichkeiten geben, auch heute existierende härtere oder mildere Folgen von Strafen noch besser auszutarieren und die individuelle Gerechtigkeit von Strafe noch mehr in den Blick zu nehmen. Diese Möglichkeit wollen wir der Richterschaft eröffnen.

(Zustimmung bei der CDU)

- Das ist noch ein bisschen zu zögerlich. - Dass sogenannte verkehrsausschließende Maßnahmen jedenfalls Sanktionen sind, die in einer Mobilitätsgesellschaft spürbar zu sein scheinen, wird dadurch deutlich, dass gegen sie am heftigsten gekämpft wird.

Meine Damen, meine Herren, die Welt ist nicht nur schwarz und nicht nur weiß. Wir können gleiche Sachverhalte unterschiedlich bewerten. Markenzeichen guter Politik ist, dass sie am Ende in der Lage ist, diese unterschiedlichen Bewertungen auch tatsächlich zusammenzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Da wäre ein Prozess der Zusammenführung innerhalb der Koalition von Rot und Grün in Niedersachsen nötig gewesen. Denn während sich die grüne Justizministerin in Niedersachsen in der Öffentlichkeit immer negativ zum Führerscheinentzug als Strafmittel eingelassen hat, sagt der rote Innenminister, der bei dieser Diskussion nicht anwesend ist, in der gleichen rot-grünen Koalition das Gegenteil. Was gilt denn nun als Position der Landesregierung hier in Hannover? In der Regierung und in der Koalition gibt es offenbar niemanden, der in der Lage ist, diese beiden Äußerungen tatsächlich zusammenzuführen.

Genau dieses Bild boten die Koalitionäre auch bei den Beratungen des Entschließungsantrages der FDP. Da wurde eine Anhörung im Ausschuss mal eben schlank abgelehnt. Da wurde im Ausschuss argumentiert, man könne diesem Entschließungsantrag nicht zustimmen, weil er geeignet sei, einen Keil zwischen Rot und Grün zu treiben.

(Helge Limburg [GRÜNE]: „Geeignet“ haben wir nicht gesagt!)

Die beiden Vorredner der Koalition haben das eben wiederholt.

Wir wussten auch vorher, dass sich Rot und Grün in Hannover in dieser Frage nicht einig sind. Dazu bedurfte es keines Entschließungsantrages der FDP.

(Beifall bei der CDU)

Wir hätten allerdings gehofft, dass die Koalitionäre aus Niedersachsen nach vier Jahren Koalition und nach fast 130 Plenarsitzungen tatsächlich in der Lage sind, eine solche Frage professionell zu behandeln und sich am Ende auf eine Formulierung zu einigen.

(Beifall bei der CDU)

Nein, meine Damen und Herren, fast am Ende der Koalition fehlen Rot und Grün dafür offensichtlich die Kraft und das gegenseitige Vertrauen.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Mach dir keine Sorgen!)

Das ist umso bedauerlicher, weil Niedersachsen damit bei dieser nicht ganz unwichtigen und nicht ganz trivialen strafrechtspolitischen Frage nicht in der Lage sein wird, eine niedersächsische Position in Berlin beim zuständigen Bundesgesetzgeber zu vertreten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es reicht nicht aus, nur auf den Keil zwischen Rot und Grün zu verweisen. Gefordert ist am Ende eine klare Positionierung.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Calderone. - Das Wort hat noch einmal der Kollege Helge Limburg. Er hat eine Restredezeit von 1:50 Minuten. Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Calderone, nur zwei Bemerkungen:

Zum einen fand ich sowohl die Rede der Kollegin Wahlmann als auch meine Rede hier sehr zusammenführend und sehr klar. Ich weiß gar nicht, was Sie an diesem frühen Morgen noch alles an Zusammenführung haben wollen.

(Grant Hendrik Tonne [SPD]: Sehr überzeugend! - Beifall bei der SPD)

Zum anderen haben wir uns im Abstimmungs- und Beratungsverhalten ja u. a. an dem orientiert, was der Kollege Dr. Biester und der Kollege Prof. Dr. Dr. Zielke in der vergangenen Legislaturperiode

bei einem Streitthema im Bereich der Rechtspolitik gemacht haben. Jetzt machen wir es so wie Ihre Ex-Kollegen. Das ist Ihnen auch nicht recht. Sie machen es uns aber auch nicht leicht, Herr Calderone, Sie mal irgendwie zufriedenzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Eigentlich habe ich mich aber wegen etwas ganz anderem gemeldet, und zwar wegen der Nebenausführungen des Kollegen Dr. Genthe zum Thema Landeshaushalt. Das wissen Sie natürlich auch selber besser, Herr Dr. Genthe. Diese Koalition und diese Justizministerin haben einen Justizhaushalt vorgelegt, der im Bereich der Justiz - nicht nur bei den Richterinnen und Richtern sowie den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, sondern auch beim Justizverwaltungsdienst - so viele Stellen wie noch nie zuvor vorgesehen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition hat die Justiz in der Fläche gehalten. Unter der Vorgängerregierung sind unter Beteiligung der FDP Gerichtsaußenstellen geschlossen worden - aus guten Gründen. Das will ich hier gerne einräumen. Es gab dafür jeweils gute Gründe. Aber Fakt ist, dass Sie die Anzahl der Gerichtsstandorte in Niedersachsen reduziert haben. Diese Koalition hat die Anzahl der Gerichtsstandorte hingegen erhalten und im Bereich der Sozialgerichte über Auswärtige Gerichtstage sogar noch die Präsenz in der Fläche ausgeweitet.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Rot-Grün stärkt die Justiz in Niedersachsen und ist deshalb gut für Niedersachsen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Das Wort hat jetzt für die Landesregierung Frau Justizministerin Niewisch-Lennartz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zielt darauf ab, eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Fahrverbots auf Delikte ohne unmittelbaren Bezug zum

Verkehr ohne weitere Diskussionen zu beenden und sie abzulehnen.

Auch ich habe durchaus Bedenken, die ich hier im Haus ja schon ausgebreitet habe - Sie haben einen Teil davon zitiert, Herr Genthe -, gegen die Einführung eines Fahrverbots bei nicht verkehrsbezogenen Straftaten. Wir diskutieren dieses Thema ja schon lange. Das Gesetzgebungsverfahren ist im Bund bereits weit fortgeschritten.

Ich teile grundsätzlich die Skepsis, weil erstmals ohne einen inhaltlichen Bezug zur Straftat der Entzug einer hoheitlichen Erlaubnis als Sanktion vorgesehen ist. Ich halte es für durchaus riskant, diese Tür einmal aufzumachen. Danach ist der Entzug des Jagdscheins, des Waffenscheins, der Gewerbeerlaubnis und vieler anderer Erlaubnisse, die man im Rahmen eines Strafverfahrens entziehen kann, auch möglich. Wenn diese Tür erst einmal offen ist, kann man sie schlecht wieder zukriegen, glaube ich.

Außerdem gibt es die hier schon angeführten Gerechtigkeitsprobleme. Ich habe Zweifel daran, dass man diese Gerechtigkeitsprobleme wirklich in den Griff bekommen kann. Das hat etwas mit Land und Stadt zu tun, mit dem Verzicht auf Verkehr und öffentlichen Angeboten für Verkehr. Es hat auch etwas mit Geld haben und kein Geld haben zu tun.

Letztendlich sind diese Diskussionen um das Fahrverbot aber Ausfluss der Suche nach alternativen Sanktionsmöglichkeiten - nach Sanktionsmöglichkeiten vor allen Dingen für die Fälle, in denen wir die Täter mit den klassischen Mitteln wie Geldstrafe und Haftstrafe eben nicht erreichen können, und auch nach alternativen Sanktionsmöglichkeiten, wenn es darum geht, kurze Freiheitsstrafen und bei Mittellosigkeit Ersatzfreiheitsstrafen zu verhindern, weil wir wissen, dass die Nebenwirkungen, die damit erreicht werden, sehr gefährlich und schädlich sind.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE] und Gerd Ludwig Will [SPD])

Deswegen hat sich die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister dieser Frage zugewandt und eine Arbeitsgruppe installiert, die sich gerade Ende letzter Woche getroffen hat.

Ich glaube, es lohnt sich sehr, die Frage alternativer Sanktionsmöglichkeiten weiter zu diskutieren und dort findungsreich zu sein. Wir haben in Niedersachsen seit 1991 das Programm „Schwitzen statt Sitzen“, mit dem durch gemeinnützige, durch

nützliche Arbeit Ersatzfreiheitsstrafen abgewendet werden können.

Es ist wohl unbestritten, dass wir weitere Alternativen zu den herkömmlichen Geld- und Freiheitsstrafen brauchen. Da brauchen wir keine Denkverbote, da brauchen wir keine Diskussionsverbote, sondern gerade eine Fortführung dieser Diskussion.

Auch wenn ich das Fahrverbot für nicht geeignet halte, ist es doch eine Chance, im Rahmen dieser Diskussion zu weiteren alternativen Sanktionsformen zu kommen. Deswegen bitte ich darum, diese Diskussion intensiv fortzuführen.