Protocol of the Session on November 22, 2016

Der vor zwei Monaten eingebrachte Entschließungsantrag der CDU-Landtagsfraktion kam deshalb punktgenau zur richtigen Zeit. Auf der Grundlage vieler Gespräche mit Beteiligten und Verbandsvertretern benennt er Kernpunkte, in denen der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes noch nachgebessert werden soll. Die Verbände haben ihn sehr positiv aufgenommen. Auf der großen Demonstration mit einigen Tausend Teilnehmern am 22. September in Hannover hat mich jemand angetippt, den ich nicht kannte. Er hat gesagt: Herr Matthiesen, ich bin Leiter einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Toll, dass Sie diesen Entschließungsantrag in den Landtag eingebracht haben und sich so für Verbesserungen am Bundesteilhabegesetz einsetzen. Machen Sie weiter so!

Er wird sich sehr darüber freuen, dass nun alle Fraktionen des Niedersächsischen Landtags an einem Strang ziehen und einen gemeinsamen Änderungsantrag eingebracht haben. SPD und Grüne haben darauf Wert gelegt, noch eine Reihe zusätzlicher Punkte einzubringen - das ist in Ordnung. Allerdings dürfte sich nach dem jetzigen Stand einiges davon nicht erreichen lassen, so die Einführung eines Bundesteilhabegeldes, in dem die unterschiedlich hohen Landesblindengelder aufgehen. Das erklärt auch die Konzentration der CDU-Landtagsfraktion auf die Kernforderungen in dem gemeinsamen Antrag unter den Ziffern 2 und 3 sowie 5 bis 7.

Besonders wichtig ist uns, dass das Mindestmaß verwertbarer Arbeit als Voraussetzung für den Zugang zu einer Werkstatt für behinderte Menschen gemäß § 219 des Regierungsentwurfs zum SGB IX ersatzlos gestrichen wird, damit Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf künftig auch Zu

gang zu den Werkstätten für behinderte Menschen haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Leider hat Niedersachsen damit im Bundesrat bisher keine Mehrheit gefunden. Deshalb taucht der Punkt auch nicht in den Ergebnissen der Verhandlungen zwischen Bundestag und Bundesrat auf. Aber noch ist nicht alles gelaufen.

Ich nenne auch das Gleichrangverhältnis zwischen der Eingliederungshilfe nach SGB IX und den Pflegeversicherungsleistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz. Dieser Gleichrang nach den bestehenden Gesetzesformulierungen muss erhalten bleiben. Deshalb kommt es sehr darauf an, dass im häuslichen Umfeld jetzt nicht die Pflegeversicherungsleistungen für vorrangig gegenüber den Eingliederungshilfen erklärt werden. Damit wäre im häuslichen Umfeld, im ambulanten Wohnen, künftig keine parallele Gewährung von pflegerischen Leistungen nach dem SGB XI und Eingliederungshilfeleistungen möglich.

Es muss im häuslichen Umfeld beim Vorrang der Eingliederungshilfe vor der Hilfe zur Pflege bleiben - das ist ein ganz zentraler Punkt -, und zwar unabhängig davon, ob jemand die Rentenaltersgrenze erreicht hat oder nicht. Das ist eine neue Idee, die im Bundesrat kursiert. Sie ist aber sehr zweifelhaft. Es muss also immer der Vorrang der Eingliederungshilfe vor der Hilfe zur Pflege erhalten bleiben. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Vertretungen der behinderten Menschen fordern zu Recht, dass dem ein Riegel vorgeschoben werden muss, und sagen, dass Leistungsträger der Eingliederungshilfe nur Geld sparen wollen und dafür in die Pflege ausweichen. Das ist ein schlechter Weg, das müssen wir verhindern.

(Beifall bei der CDU)

Recht gute Karten scheinen wir aber bei unserem zentralen Ziel zu haben, dass der Zugang zur Eingliederungshilfe künftig nicht dadurch eingeschränkt werden darf, dass in mindestens fünf bzw. drei von neun Lebensbereichen erhebliche Teilhabeeinschränkungen vorliegen müssen. Das wollen wir nicht. Da scheint sich auch etwas zu tun. Laut der Gegenäußerung der Bundesregierung zum Bundesrat im Oktober prüft die Bundesregierung nun, ob der Entwurf des Gesetzestextes noch einmal so geändert wird, dass klar ist, dass der Personenkreis der Eingliederungshilfe nicht eingeschränkt, aber auch nicht ausgeweitet wird.

Die CDU-Fraktion bedankt sich sehr bei den anderen Fraktionen des Hauses dafür, dass wir den heutigen Antrag gemeinsam als geschlossenes Wort unseres 70 Jahre alten Bundeslandes Niedersachsen durch den Landtag bringen, damit wir in der Eingliederungshilfe für Menschen wirklich weiterkommen und damit aus dem Bundesteilhabegesetz noch etwas Gutes wird. Wir hoffen es sehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP und Zustimmung von Uwe Schwarz [SPD])

Vielen Dank, Herr Dr. Matthiesen. - Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion Herr Kollege Uwe Schwarz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin immer wieder erstaunt - ich könnte auch sagen: erschüttert -, wie schwer sich das reiche Deutschland tut, wenn es um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht.

Noch immer ist es keine Selbstverständlichkeit, dass behinderte Menschen selber entscheiden dürfen, wie sie leben, wohnen, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen möchten. Anders als beispielsweise bei der Berücksichtigung von Gleichstellungsgesichtspunkten für Frauen ist es nach wie vor nicht selbstverständlich, dass wir bei Planungen, Vorhaben oder Gesetzgebungen automatisch abfragen, ob dabei die Belange behinderter Menschen berücksichtigt werden. Dabei geht es im Übrigen nicht immer nur um Geld, sondern es fehlt nach meiner festen Überzeugung schlicht in vielen Bereichen nach wie vor an einer verinnerlichten und veränderten Grundeinstellung. Das ist übrigens völlig unabhängig davon, ob wir uns auf der Bundes-, Landes- oder kommunalen Ebene bewegen.

Ich möchte an dieser Stelle auch Folgendes sagen: Wir sollten aufhören damit, aus dem Versuch einer mangelnden Inklusion in unserer Gesellschaft auch noch wechselseitig Kapital schlagen zu wollen. Der vorausgegangene Punkt zum Thema Bildung war dafür wieder ein denkbar unglückliches Beispiel, meine Damen und Herren.

Für die Weiterentwicklung einer inklusiven Gesellschaft und damit für die Betroffenen hat das im Übrigen katastrophale Folgewirkungen. Daran hat auch die UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009 nur wenig geändert. Ich weise immer wieder darauf hin: Wir reden über keine Minderheit in unserer Gesellschaft. Wir reden über bundesweit 13 Millionen Menschen, die behindert sind, davon allein 8 Millionen Menschen, die schwerbehindert sind.

Durch die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD wurde nach einer jahrzehntelangen Debatte erstmals ein neues Bundesteilhabegesetz vorgelegt. Damit sollen betroffene Menschen endlich nicht mehr automatisch nur aufgrund ihrer Behinderung in die Sozialhilfe abrutschen. Wir unterstützen dieses Vorhaben der Bundesregierung uneingeschränkt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Es stellt einen längst überfälligen Quantensprung zu einem zeitgemäßen Teilhaberecht dar. Bei einigen Punkten des Gesetzentwurfes mussten wir feststellen: Gut gemeint ist nicht in allen Bereichen gleichbedeutend mit gut gemacht. - Der Kollege Matthiesen hat auf einige Punkte hingewiesen.

Der heutige vorliegende Änderungsantrag wurde von allen Fraktionen gemeinsam erarbeitet. Wir hoffen, dass er dazu beiträgt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Bundesrat noch deutlich verbessern zu können.

(Unruhe)

- Ich finde, hier ist eine irre Geräuschkulisse!

Herr Kollege Schwarz, bezog sich Ihre Bemerkung auf die Geräuschkulisse im Saal?

Wenn Sie sich dadurch beeinträchtigt fühlen, möchte ich die Bemerkung aufgreifen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Gespräche einzustellen. - Das scheint jetzt weitgehend der Fall zu sein.

Das neue Gesetz, meine Damen und Herren, muss für Betroffene Verbesserungen mit sich brin

gen und darf nicht zu faktischen Leistungskürzungen führen, was insbesondere für geistig Behinderte befürchtet wird. Das Wunsch- und Wahlrecht darf nicht eingeschränkt werden. Betroffene müssen selbst entscheiden können, ob sie ambulante, stationäre, Einzel- oder Gemeinschaftsleistungen bevorzugen.

Wir brauchen mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben. Das gilt für Werkstattbeschäftigte z. B. für das vorgesehene Budget für Arbeit oder auch für die Frage, wie sie im allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können. Selbstverständlich müssen andere Leistungsanbieter die gleichen Qualitätskriterien erfüllen, wie sie für Werkstätten vorgeschrieben ist.

Die Ausgleichsabgabe für Unternehmen muss deutlich erhöht werden, um das Freikaufen von der Beschäftigung behinderter Menschen massiv einzudämmen.

Wir brauchen ein bundeseinheitliches Bedarfsermittlungsverfahren, meine Damen und Herren. Die Höhe des Nachteilsausgleichs kann niemals länderspezifische Ursachen haben. Deshalb fordern wir ein Bundesteilhabegeld, in dem endlich auch die unterschiedlich hohen Landesblindengelder aufgehen. Die neuen Vermögensanrechnungen bzw. der vollständige Wegfall der Anrechnung des Vermögens und Einkommens einer Partnerin oder eines Partners sind ein erster wichtiger Schritt. Mit der nächsten Stufe des Bundesteilhabegesetzes soll nach unserer Auffassung auf die Heranziehung vollständig verzichtet werden. Behindert zu sein, meine Damen und Herren, darf nicht arm machen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die vorgesehene Nachrangigkeit der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflegeversicherung - Max Matthiesen hat darauf hingewiesen - ist nicht nachvollziehbar. Die Leistungen ergänzen sich vielmehr und dürfen sich nicht gegenseitig ausschließen, zumal die Pflegeversicherung ohnehin nur eine Teilabsicherung darstellt.

Mit dem neuen Teilhaberecht und der Fortentwicklung im Sinne der UN-BRK fordern wir darüber hinaus eine dauerhafte Kostenbeteiligung des Bundes. Es handelt sich bei der Umsetzung nicht um länderspezifische Aufgaben, sondern ohne Frage um eine gesamtstaatliche Aufgabe.

Zu guter Letzt. Menschen mit Behinderungen müssen gleichberechtigten Zugang zu allen Bereichen der Bildung haben. Dies gilt auch für den zweiten Bildungsweg, berufliche Neuorientierung oder Praktika.

Das sind einige wesentliche Punkte aus dem vorliegenden Änderungsantrag aller Fraktionen. Sie können nachlesen, dass wir noch einige Punkte mehr in Richtung Bund schicken wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hoffen im Sozialbereich gemeinsam, dass die Landesregierung - auch im Einklang mit anderen Bundesländern - im Sinne der Betroffenen unsere Änderungsvorschläge im Bundesrat durchsetzen kann. Unser einstimmiger Beschluss ist jedenfalls nach meiner festen Überzeugung ein wichtiges, beispielhaftes und starkes Signal in Richtung Bund für einen erfolgreichen, aber ebenso notwendigen Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderungen, damit wir dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft in Deutschland endlich wirklich näherkommen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Schwarz. - Das Wort hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Thomas Schremmer.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir machen mit dem Antrag und den 14 Forderungspunkten gemeinsam deutlich, was dem Gesetz dazu verhelfen würde, seinem Namen gerecht und ein echtes Teilhabegesetz zu werden. Ich will aber auch ganz deutlich sagen: Solange das nicht eingelöst wird, lieber Kollege Matthiesen, halte ich es mit dem Twitter-Hashtag der Verbände, der da lautet „Nicht mein Gesetz“, und das meine ich so, wie ich es hier sage.

Den Optimismus, der hier in Bezug auf die letzten Befassungen verbreitet wird, teile ich nicht ganz. Das ist auch keine Überraschung, wenn man sich die Gegenäußerung der Bundesregierung zu den Bundesratsbefassungen durchgelesen hat. Der Kollege Matthiesen hat gesagt, es werde geprüft, ob der Entwurf des Gesetzestextes noch einmal so geändert wird, dass klar ist, dass der Personenkreis der Eingliederungshilfe nicht eingeschränkt, aber auch nicht ausgeweitet wird.

Aus meiner Sicht gehört es aber zu einem ordentlichen Teilhabegesetz, dass alle Menschen, die anspruchsberechtigt sind, dann auch Leistungen erhalten, nicht aber dass irgendein Status quo sozusagen knapp erhalten wird und dann rechtliche Fragen darüber auftreten, ob jemand Leistungen bekommt oder nicht.

Die drei wesentlichen Punkte, die die Bundesregierung nach wie vor ablehnt, betreffen zum einen den Gleichrang von Pflegeversicherungsleistungen und Eingliederungshilfe. Da gibt es keine Einigung, ebenso wie bei der Frage des Wunsch- und Wahlrechts derjenigen, die entscheiden wollen, ob sie eigenständig wohnen oder ob sie in eine Einrichtung gehen. Auch das lehnt die Bundesregierung aus Kostengründen ab. Und nicht zuletzt geht es um die Grundfrage: Wer finanziert dieses Gesetz eigentlich? Auch da hat sich die Bundesregierung sozusagen davon verabschiedet, selbst Hand anzulegen, selbst Geld einzustellen. Das wird am Ende den Ländern und den Kommunen überlassen. Auch das ist etwas, bei dem ich noch kein Licht am Ende des Tunnels sehe. Die Bundesregierung hat immerhin schon einmal eingeräumt, dass sie zumindest das Gesetz evaluieren und dann feststellen will, welche Kosten es denn auslöst. Meiner Ansicht nach besteht noch sehr viel Interpretationsspielraum.

Wie geht es weiter? Am 30. November, nächste Woche, tagt der Bundesausschuss für Arbeit und Soziales. Wie ich gehört habe, wollen die Vertreter und Vertreterinnen der Großen Koalition vorher schauen, welchen Änderungsbedarf sie aus den Beratungen in dieses Gesetz einpflegen wollen. Ich bin, wie gesagt, noch nicht ganz sicher, dass wir uns im Schlussspurt zu diesem Gesetz befinden. Ich habe es am Anfang gesagt. Ich denke, der Weg ist nicht ganz vorgezeichnet. Wenn sich diese Änderungen nicht ergeben, dann muss es aus meiner Sicht eine weitere Schleife geben. Denn es kann meines Erachtens nicht unser Ziel sein, den Verbänden zuzumuten, mit einem Gesetz zu arbeiten, das weder rechtssicher ist noch den Personenkreis erreicht, den es erreichen sollte.

Der Kollege Santjer hat vorhin bei einem anderen Thema gesagt, Inklusion sei der Weg und das Ziel zugleich. Ich finde, das ist ein guter Spruch. Aber beim jetzigen Stand der Diskussion über das Bundesteilhabegesetz kann man sagen: Es ist noch ein weiter Weg. Ich bin keineswegs überzeugt, freue mich aber darauf, dass wir jetzt zumindest die Forderungen an die Bundesregierung, übermit

telt durch die Landesregierung, gemeinsam beschließen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Mir liegt jetzt nur noch die Wortmeldung der Landesregierung vor. Das Wort hat Frau Sozialministerin Cornelia Rundt.