Protocol of the Session on June 20, 2013

(Norbert Böhlke [CDU]: Wer hat das zu verantworten, Herr Kollege?)

- Das kann ich Ihnen genau sagen. Ich habe Ihnen ja gerade die Reihenfolge der drei Sozialministerinnen aufgelistet, die in den Jahren in der Verantwortung waren.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wer verhan- delt die Sätze?)

- Das war alles Ihre Landesregierung. Sie haben uns hier richtig ins Gras gebracht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Norbert Böhlke [CDU])

Moment, Herr Kollege! - Kollege Böhlke, dies ist keine Fragestunde. - Herr Schwarz hat wieder das Wort.

Ich wiederhole das: Niedersachsen ist Schlusslicht bei den Pflegesätzen in der Altenpflege.

(Jörg Hillmer [CDU]: Wie schnell ho- len Sie jetzt auf?)

Diejenigen, die ausbilden und Tariflöhne zahlen, haben erhebliche Wettbewerbsnachteile. Lange Zeit wurde tarifliche Bezahlung in Niedersachsen bei den Pflegesätzen noch nicht einmal anerkannt. Die Einführung von Mindestlöhnen in der Pflege haben CDU und FDP konsequent bei jedem Beschluss in diesem Haus, im Bundesrat und im Bundestag verhindert.

Diejenigen, die Dumpinglöhne zahlen und sich der Nachwuchsförderung entziehen, werden hingegen mit Gewinnmaximierung belohnt. Meine Damen und Herren, das zusammen ist ein unverantwortlicher gesellschaftlicher Skandal, und daran haben Sie erheblich mitgewirkt, Herr Böhlke.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Gleichzeitig sank übrigens die Wertschätzung für Pflegeberufe, während die Zahl der Pflegebedürftigen in Niedersachsen rasant steigt. Laut Landespflegebericht der Landesregierung hatten wir 2003 220 000 Pflegebedürftige, gegenwärtig sind es knapp 280 000. Im Jahr 2020 werden wir die 300 000er Grenze deutlich überschritten haben. Die Prognosen für 2030 schwanken zwischen 350 000 und 400 000 Pflegebedürftigen. Die Zahl der Fachkräfte hält mit dieser Entwicklung nicht annähernd Schritt.

Wir werden gleich wieder die Erklärung der Oppositionsfraktionen hören, wie hoch die Zahl der Auszubildenden in den vergangenen Jahren gestiegen sei. Das bestreiten wir nicht. Das ist gut. Aber es reicht hinten und vorne nicht. Auch das ist seit Jahren bekannt, meine Damen und Herren.

Schon heute fehlen in Niedersachsen laut mehrerer wissenschaftlicher Ausarbeitungen mehr als 3 000 Pflegekräfte. 2020 - also in sieben Jahren - wird sich diese Zahl auf über 30 000 erhöht haben.

Die sogenannte Engpassanalyse 2013 des Instituts der deutschen Wirtschaft hat gerade am 5. Juni 2013 festgestellt, dass der Altenpflegeberuf die zehn Berufe mit dem höchsten Fachkräftemangel anführt.

Meine Damen und Herren, wir sind also mittendrin im Pflegenotstand. CDU und FDP haben das fünf Jahre lang wider besseres Wissen bestritten. Nun haben wir das Dilemma.

Das Ausmaß des Problems wird meist erst dann sichtbar, wenn Betroffenheit im eigenen Familien- und Bekanntenkreis eintritt. Das ist zwischenzeitlich bei fast jeder Familie der Fall.

Ich finde es übrigens toll, wie wichtig dieses Thema für große Teile der CDU ist, wenn man hier die Geräuschkulisse am rechten Flügel wahrnimmt.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wir werden dir ja noch widersprechen!)

- Was sagst du?

(Norbert Böhlke [CDU]: Wir werden dir noch widersprechen! Man muss schon bei der Wahrheit bleiben!)

- Das könnt ihr doch dann vom Rednerpult aus tun und nicht aus dem Saal heraus!

(Norbert Böhlke [CDU]: Das machen wir auch!)

- Das finde ich auch besser. Dann können wir uns austauschen.

Unsere Generation allerdings wird es persönlich sehr massiv erfahren, wenn jetzt nicht entschieden gegengesteuert wird. Es ist gut, meine Damen und Herren, dass Frau Ministerin Rundt den Landespflegeausschuss sofort gebeten hat, sich mit den Vorgaben der Koalitionsvereinbarung zu befassen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Es ist gut, dass zusätzlich eine Fachkommission „Pflege“ einberufen wurde, um vor allem die ungelöste Schnittstellenproblematik zwischen der Kranken- und der Pflegeversicherung zu minimieren. Das geht sonst in der Regel immer zulasten der Pflegebedürftigen.

Es ist gut und wichtig, dass der für die ambulanten Pflegedienste ruinöse Konflikt zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern durch die Ministerin und durch den Staatssekretär auf einen guten Lösungsweg gebracht werden konnte. Und es ist wichtig, dass die Fach- und Rechtsaufsicht in diesem Land endlich ernst genommen wird. - Alles das überfällige Schritte, die Sie schon zehn Jahre lang hätten auf den Weg bringen können. Wir machen das, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus bringen wir heute wichtige Inhalte zu diesem Themenkomplex in den Landtag ein bzw. werden sie beschließen.

Erstens: gesetzliche Absicherung der Schulgeldfreiheit.

In Niedersachsen gibt es, historisch gewachsen, öffentliche und private Altenpflegeschulen. Letztere besuchen ca. zwei Drittel aller Schülerinnen und Schüler, die auch noch bis zu 250 Euro Schulgeld im Monat dafür bezahlen müssen. Seit Jahren ist das eines der größten Hemmnisse bei der Gewinnung von jungen Leuten.

Alle Anträge der damaligen Opposition zur gesetzlichen Absicherung der Schulgeldfreiheit sind in der Vergangenheit in Niedersachsen von CDU und

FDP abgelehnt worden. Ja, sogar die Notwendigkeit dazu ist bestritten worden.

Dann allerdings wurde ein Zuschuss von 50 Euro eingeführt, und je näher der Landtagswahltermin rückte, desto schneller wurde der Zuschuss erhöht - zuletzt auf 200 Euro. Das haben wir ausdrücklich begrüßt. Allerdings wurde der Sinneswandel von CDU und FDP auch schnell durchschaubar, als noch im November des vergangenen Jahres eine gesetzliche Regelung, die wir vorgeschlagen hatten, von Ihnen abgelehnt wurde. Der Grund wurde schnell klar. Sie wollten auch mit diesem Thema über die Landtagswahl kommen, weil Sie Ihre drei kurzfristig eingeführten Wohltaten - Schulgeldfreiheit, Förderung von Ausbildungsplätzen und Finanzierung des dritten Umschulungsjahres - nicht ausfinanziert hatten.

(Zuruf: Hört, hört!)

Schon im März dieses Jahres fehlten in diesem Topf über 2,3 Millionen Euro.

(Zuruf: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, ich halte das für einen unverantwortlichen Umgang, übrigens nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern vor allen Dingen im Hinblick auf die Wertschätzung gegenüber dem Altenpflegeberuf. Ihn haben Sie erneut mit Füßen getreten.

(Beifall bei der SPD)

Wer den Altenpflegeberuf in diesem Land wirklich stärken will, darf das nicht nach Gutsherrenart tun, sondern muss den Schulen, aber vor allem den Schülerinnen und Schülern Planungssicherheit geben. Genau dieses überfällige Signal bringen wir heute mit unserem Beschluss auf den Weg.

Zweitens: Wiedereinführung der Umlagefinanzierung.

Die Koalitionsfraktionen haben ebenfalls einen Antrag vorgelegt, die Altenpflegeausbildung über eine Umlage zu finanzieren. Es kommt nicht von ungefähr, dass Länder wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland die Umlage bereits lange eingeführt haben. Sie ist ein entscheidendes Instrument für eine faire Lastenverteilung aller Pflegeeinrichtungen.

Es kann nicht sein, dass die einen für den Berufsnachwuchs sorgen und dabei Pleite gehen und die anderen sich einen schlanken Fuß machen und dadurch den Profit erhöhen. So werden wir erstens dem Problem nicht gerecht und beschleunigen

zweitens die Flucht aus Tarifverträgen. Beides wollen die Koalitionsfraktionen schnellstens beenden.

Einen Moment, bitte! Herr Schwarz, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hilbers zu?

Ja, gerne.

Bitte, Herr Hilbers!

Herr Kollege, wie wollen Sie eigentlich im Zusammenhang mit der Umlage die Unterdeckung vor dem Hintergrund begründen, dass die Pflegeausbildungszahlen in den letzten Jahren um über 40 % gestiegen sind?

Das ist eine Auseinandersetzung, die wir hier schon ganz lange führen. Wenn Sie gerade zugehört haben, wie hoch der Fachkräftemangel in Niedersachsen bereits ist, dann wissen Sie genau, dass wir in Niedersachsen nicht genügend Ausbildungskräfte haben, um diesen Fachkräftemangel abzudecken. Damit greift an dieser Stelle das Gesetz, ebenso wie in den von mir eben zitierten Bundesländern. Man muss es nur einmal aufnehmen und verarbeiten, Herr Hilbers.

(Beifall bei der SPD)

Als Finanzgrundlage wollen wir die Anfinanzierung aus dem Stiftungskapital in Höhe von immerhin 10 Millionen Euro der von Ihnen eingerichteten Altenpflegestiftung nehmen. Schon bei der Gesetzesverabschiedung war klar:

Erstens. Angesichts der Zinsertragslage wird die Stiftung gar keine Ausschüttung vornehmen können.