Ich bin dem Herrn Landtagspräsidenten sehr dankbar, dass er hier zur Bannmeile ausgeführt hat. Ich persönlich empfinde es als geschichtsvergessen, die Bannmeilenregelung, so wie sie heute besteht, aufheben zu wollen. Es ist ja nicht so, dass wir an dieser Stelle ein Demokratiedefizit haben; denn mit der Novelle des Versammlungsgesetzes haben wir ja sehr bewusst zugelassen, dass in dem sogenannten befriedeten Bezirk schon heute demonstriert werden kann. Schon heute, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kann mit dem Einvernehmen des Herrn Präsidenten eine Versammlung zugelassen werden, und das findet ja auch statt.
Das hat auch stattgefunden, als wir noch auf der anderen Seite der Leinstraße getagt haben. Damals wurden auf dem Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz Versammlungen zugelassen. Natürlich können nicht 500 oder 1 000 Leute, am besten noch mit Treckern, auf diesen kleinen Platz kommen. Nur, dass kleine Versammlungen dort zugelassen werden, ist gelebte Praxis in diesem Land.
Daher ist das keine Bannmeile im klassischen Sinn, wie es sie früher einmal gegeben hat, sondern es ist ein befriedeter Bezirk, für den das Organ Landtagspräsident in die Genehmigung von Versammlungen eingebunden ist und damit das Parlament und seine Funktionsweise schützen kann. Das halte ich auch heute noch für zeitgemäß und empfinde die Abschaffung dieses befriedeten Bezirks eben als geschichtsvergessen.
Verehrte Damen und Herren, ich denke, wir alle wollen solche Zeiten nicht wieder, und vielleicht stehen sie uns auch nicht unmittelbar bevor. Aber wissen wir denn, wie sich unsere Gesellschaft
weiterentwickelt? Ist es nicht klüger, ein solches Instrument eines befriedeten Bezirks für mögliche Konfliktsituationen auch zukünftig vorzuhalten? Ich glaube, das wäre die klügere Entscheidung. Ich hätte mich gefreut, wenn wir in dieser Frage zwischen den Fraktionen einen Dialog gehabt hätten, bevor die Landesregierung einen solchen Vorschlag vorgelegt hat.
Die Grünen sagen vielleicht zu Recht, es gebe auch Probleme mit dem befriedeten Bezirk. Beispielsweise seien keine Spontandemonstrationen möglich. Darüber kann man diskutieren, und vielleicht kann man auch diesbezüglich Regelungen finden; aber deswegen mit einem Wisch die sehr differenzierten Regelungen, die das Versammlungsgesetz heute beinhaltet, zu streichen, halte ich persönlich für falsch.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, ich würde mir sehr wünschen, dass Sie in dieser Frage zumindest den Dialog mit uns suchen und wir vielleicht zu einer klugen gemeinsamen Lösung kommen. Wenn Sie allerdings so dogmatisch an Ihren Vorschlägen festhalten, wie Sie sie einmal in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, wird das wahrscheinlich nichts werden. Ich bedaure dies sehr, weil ich das als Schaden für diese Demokratie am Ende empfinde.
Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Jetzt hat sich Michael Höntsch, SPD-Fraktion, gemeldet. Herr Höntsch, bitte schön!
Verehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei Minister Pistorius und den Beamtinnen und Beamten im Innenministerium bedanken. Durch den vorliegenden Entwurf bekommen wir ein modernes Versammlungsrecht in Niedersachsen.
Ich habe - das muss ich nach dieser emotionalen Debatte jetzt als Einstimmung sagen - seit ein paar Jahren einen Zettel hinter dem Spiegel, auf dem steht:
Alle politischen Umbrüche in Deutschland sind durch politische Versammlungen vorbereitet und begleitet worden. Nicht nur diese Umbrüche sind mit politischen Versammlungen eng verbunden. Auch jede gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik ist durch politische Versammlungen begleitet worden.
Bei bestimmten Demonstrationen schüttele ich den Kopf. Ich kann die Aufrufenden und ihre Veranstaltungen kaum ertragen. Trotzdem weiß ich, dass eine liberale Demokratie es aushalten muss, wenn ihre Gegnerinnen und Gegner demokratische Freiheiten nützen, um ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft zu verbreiten. Das ist eben das Wesen der Demokratie.
Demonstrationen sind aber auch ein besonders wichtiges Mittel von gesellschaftlichen Gruppen, die nicht die parlamentarische Bühne nutzen können oder wollen. Das gilt für die Parlamente, aber auch für die Kreistage und Räte.
Dabei muss nicht zwangsläufig immer gegen parlamentarische Mehrheiten gearbeitet werden. Gut erinnere ich mich an Anti-Irakkrieg-Demonstrationen mit Hunderttausenden von Menschen auf den Straßen. Diese Menschen stützten den damaligen Kurs der Bundesregierung, während die Opposition nach Washington fuhr.
Demonstrationen sind natürlich nicht immer per se progressiv. Aber auch dieses Beispiel zeigt ganz gut: Demonstranten können auch mal recht haben.
Politische Versammlungen sind also ein wesentlicher Teil unserer demokratischen Kultur, unseres demokratischen Lebens. Ehrlich gesagt, verwundert es mich deswegen auch, wenn mancher mit stolzer Brust verkündet, er habe noch nie an einer Demonstration teilgenommen.
Kommen wir vor diesem Hintergrund also zu den Details. Wir werden das Verbot des Vermittelns von Gewaltbereitschaft durch paramilitärisches Auftreten in einer Versammlung präzisieren. Das Recht auf friedliche Versammlung aus Artikel 8 des Grundgesetzes hört natürlich dort auf, wo eine Versammlung nicht mehr friedlich ist.
Ich konnte aber lesen, dass die Kolleginnen und Kollegen von der FDP befürchten, mit dieser Regelung könnten nun alle Uniformen und noch viel mehr verboten werden. Der Kollege Dürr lässt sich gegenüber der Neuen Presse vom 12. August 2016 wie folgt ein:
„Uniform sei Uniform: ,Krankenschwestern werden dann in Zukunft auch nicht mehr demonstrieren können.‘ Das Gleiche gelte für Müllwerker.“
Ich frage mich ernsthaft, wie man auf diese Deutung kommen kann. Zum einen ist diese Interpretation des neuen § 3 Abs. 3 des Versammlungsgesetzes erkennbar falsch. Nicht das Tragen von Uniformen wird durch die neue Fassung verboten, sondern das Vermitteln von Gewaltbereitschaft,
Man kann - das ist nicht ganz überraschend - auch ohne das Tragen von Uniformen Gewaltbereitschaft ausstrahlen. Umgekehrt ist das Tragen von Uniformen oder Uniformteilen allein nicht bereits ein Grund, von der Vermittlung von Gewaltbereitschaft durch Versammlungsteilnehmer auszugehen. Zu besichtigen ist das häufig bei Schützenfesten.
Zuletzt sei angemerkt, dass weder die Berufskleidung von Pflegepersonal noch die Berufskleidung von Müllwerkerinnen und Müllwerkern eine Uniform im Sinne des Versammlungsgesetzes ist. Entgegen Ihren Behauptungen gegenüber der Neuen Presse sind Arbeitskämpfe also regelmäßig nicht betroffen. Aber das wissen Sie auch, glaube ich.
Die durch die Landesregierung vorgeschlagene Änderung ist letztendlich rechtspolitisch angezeigt. Ich bin mir daher sicher, dass wir sie am Ende des Verfahrens hier beschließen werden.
Zum Vermummungsverbot: Unser Gesetzentwurf wird u. a. sicherstellen, dass Versammlungen künftig friedlicher verlaufen bzw. friedlicher verlaufen können.
Wir können und sollten Situationen auf Demonstrationen - das ist mir ganz wichtig - nicht hier aus dem Parlament heraus bewerten. Das kann die Polizeiführung vor Ort viel besser. Dort sitzt nämlich der Sachverstand, Herr Adasch. Dort können die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden: Verursacht eine im Zweifel gewaltsame Beendigung der Vermummung eine Eskalation, oder sind in der konkreten Situation vor Ort keine weiteren Rechtsgüter gefährdet?
Auf meinen Begleitungen von Polizeikräften bei Demonstrationen - das tue ich sehr häufig - treffe ich hoch engagierte Polizistinnen und Polizisten. Ich traue diesen Menschen zu, Situationen geschickt zu lösen. Wir wollen ihre Optionen erhöhen und die Dinge nicht an einen Straftatbestand hängen, der ihre Optionen unnötig verkürzt. Wir von Rot-Grün vertrauen unserer Polizei.
Verehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Bannmeile: Das war zum Schluss doch recht emotional. Ich kann das verstehen. Trotzdem hier eine andere Haltung: Die Einführung der Bannmeile war umstritten. Ihre Abschaffung ist es auch. Das verwundert mich. Dieser Landtag wird es aushalten, wenn Bürgerinnen und Bürger ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit - wie schon die letzten Jahre - hier an der Marktkirche vor unserer Tür wahrnehmen. Wir haben keinen Anlass, uns als gewählte Volksvertreter so klein zu machen.
Natürlich werde ich mich über die Demonstrationen, die die Kulisse des Landtages nutzen, nicht immer freuen, wie ich mich auch nicht über jede Demonstration freue. Frauke Petry z. B. wird am 10. September 2016 vor dem Neuen Rathaus in Hannover sprechen. Ich will das nicht und würde nicht wollen, dass sie vor diesem Landtag spricht.
Aber sie muss es dürfen; denn auch das Versammlungsrecht von Rechtsextremen und Nationalisten steht über meinem persönlichen Bedürfnis, diese Menschen nicht ertragen zu müssen.
Auch steht diesem Recht auf Versammlungsfreiheit eben nicht die Funktionsfähigkeit des Hauses entgegen. Nicht zuletzt dank des Tunnels und der hannoverschen Polizei werden wir auch zukünftig als Abgeordnete in der Lage sein, unseren Aufgaben nachzukommen. Folglich gibt es keinen Grund, das Recht auf Versammlungsfreiheit durch die Bannmeile einzuschränken.
Die Landesregierung hat einen wohldurchdachten Entwurf vorgelegt. Wir sollten ihn mit Sachkenntnis und sachlich diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, eines von ganzem Herzen am Ende: Die Freiheit wird nicht geschützt, indem man versucht, sie
einzuschränken. Die Demokratie zeigt ihre Stärke durch Toleranz und Freizügigkeit. Rüsten Sie bei Ihren Attacken auf diesen Innenminister ab - um der Demokratie willen.