Protocol of the Session on August 17, 2016

So gut unsere Polizei auch sein mag, sie kann natürlich nicht die Ursachen des Islamismus bekämpfen. Damit alle Ansätze für die Prävention vor allem bei jungen Menschen für die Bekämpfung des Extremismus genutzt werden, ist im Innenministerium nunmehr die Kompetenzstelle Islamismusprävention eingerichtet worden. Alle Erkenntnisse und Erfahrungen sollen dort zur Verfügung stehen, wo sie auch tatsächlich benötigt werden. Das ist die Aufgabe dieser Stelle, und ich glaube, das wird uns in unserer Arbeit sehr voranbringen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Haben Sie heute Morgen schon die Zeitung gelesen, Herr Ministerpräsident?)

Im Lichte der aktuellen Entwicklung hat es sich auch als sehr richtig erwiesen, dass die Landesregierung gemeinsam mit den islamischen Verbänden eine Beratungsstelle eingerichtet hat, die vor allem junge Menschen vor der extremistischen Versuchung schützen will. Darauf lege ich Wert, meine Damen und Herren: Bekämpfung von Extremismus ist mehr als die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Das ist am Ende auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe, für die wir als Land, für die wir als Staat Partner brauchen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage das auch deswegen, weil ich langsam fürchte, dass wir in unserer Debatte ein neues Gegeneinander bekommen: die einen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten wollen, gegen die anderen, die spalten. Deswegen halte ich die Forderung aus den Reihen der Union, die doppelte Staatsbürgerschaft bei Deutsch-Türken abzuschaffen, für höchst schädlich.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Ulf Thiele [CDU])

Die Landesregierung jedenfalls wird sich allen solchen Vorhaben energisch widersetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Terrorakte in diesem Jahr - auch das lassen Sie mich sagen - waren übrigens nicht allein solche von Islamisten. Der Amoklauf von München hat den bisherigen Erkenntnissen zufolge womöglich einen eher rechtsextremistischen Hintergrund. In Niedersachsen verzeichnen wir eine deutliche Zunahme bei der Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Ich nehme diese Bedrohung ebenfalls sehr ernst. Islamistische Gewalt und islamfeindliche Gewalt müssen wir gleichermaßen scharf verurteilen und in aller Entschiedenheit bekämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich füge hinzu: Das gilt übrigens auch für die gestiegene Gewaltbereitschaft von Linksextremisten.

Auch diese Aufgabe geht über polizeiliche Aktivitäten hinaus. Deswegen hat die Landesregierung ein Programm gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Menschenrechte verabschiedet. Und, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, politische Bildung ist heute wichtiger denn je.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung war ein Fehler. Deswegen werden wir die Landeszentrale für politische Bildung noch in diesem Jahr wieder neu eröffnen. Auch das ist ein Beitrag zu der Situation.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sicherheit ist enorm wichtig, Sicherheit ist aber auch viel mehr als nur innere Sicherheit. Sicherheit vermittelt die Gewissheit, dass sich ein Gemein

wesen um seine Mitglieder kümmert und dass ein Gemeinwesen dazu auch imstande ist. Deswegen ist in diesem Sinne auch die Wohnungsbaupolitik von zentraler Bedeutung.

(Zuruf von der CDU: Was machen Sie denn da?)

Wir werden den Bau von schätzungsweise über 10 000 Wohnungen mit öffentlicher Förderung möglich machen und damit preiswerten Wohnraum schaffen. Das halte ich für einen ganz wichtigen Schritt für sozialen Ausgleich und für soziale Sicherheit in unseren Städten und Gemeinden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein intaktes Gemeinwesen: Dazu gehören selbstverständlich auch intakte Krankenhäuser. Die Landesregierung will gemeinsam mit den Kommunen ein Programm zur Sanierung von Krankenhäusern in Niedersachsen mit einem Volumen von 1,3 Milliarden Euro auflegen. Damit werden wir in wenigen Jahren Maßnahmen nachholen, die viele, viele Jahre auf die Realisierung gewartet haben - ein dringend notwendiger Schritt!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: So ist es!)

Und last but not least: Ein intaktes Gemeinwesen setzt natürlich auch handlungsfähige Kommunen voraus, die auf die Bedürfnisse ihrer örtlichen Gemeinschaft eingehen können. In unserem Nachtragshaushalt, der heute diskutiert werden wird,

(Reinhold Hilbers [CDU]: Den Sie auf unseren Druck hin einbringen!)

haben wir Ihnen dazu einen weitreichenden Vorschlag gemacht. Wir wollen damit die niedersächsischen Kommunen noch in diesem Jahr um zusätzlich 630 Millionen Euro entlasten, wir werden die Bemessungsgrundlage der Kostenerstattung für die Flüchtlingsunterbringung deutlich vorziehen, und wir erhöhen den Erstattungsbetrag. Insgesamt sind es dann über 1 Milliarde Euro. Das ist unser Beitrag, damit die niedersächsischen Kommunen ihre Aufgaben auch tatsächlich erfüllen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist aber noch nicht alles. Noch vor der Sommerpause haben wir in Berlin nach schwierigen Verhandlungen eine entscheidende Entlastung der

Kommunen zwischen Bund und Ländern vereinbaren können. Der Bund wird die Kosten der Unterkunft für Flüchtlinge übernehmen, und er wird die Kommunen in Höhe von 5 Milliarden Euro entlasten. Was heißt das für uns in Niedersachsen? Die strukturelle Entlastung für unsere Städte, Gemeinden und Landkreise dürfte sich auf über 600 Millionen Euro jährlich belaufen. Das ist wirklich ein kräftiger Schluck aus der Pulle.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Das ist gute Bundespolitik!)

Das freut mich für die Kommunen. Das freut mich aber vor allem auch für die Menschen, die in den Kommunen aktiv für unsere kommunale Demokratie eintreten. Und übrigens: Diese Menschen, die ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, haben am 11. September eine hohe Beteiligung bei den Kommunalwahlen verdient. Dafür sollten wir gemeinsam werben!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass Bund und Länder gemeinsam ihre Verantwortung für die kommunale Ebene so wahrnehmen. Es ist eben gerade nicht so, wie manchmal befürchtet wird, jetzt werde nur noch Politik für Flüchtlinge gemacht. Nein, im Gegenteil: Was wir tun, das dient der ganzen Gesellschaft, jedem einzelnen Bürger, jeder einzelnen Bürgerin. Das meine ich damit, wenn ich sage: Unser Staat muss gerade in diesen Zeiten Vertrauen und Sicherheit vermitteln! Wir tun das, meine sehr verehrten Damen und Herren, und wir reden nicht nur darüber.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das gilt natürlich insbesondere auch für die Aufgabe der Integration. Integration ist keine Politik für Flüchtlinge, sondern eine Politik für unsere ganze Gesellschaft. Wir alle wissen doch, welcher soziale Sprengstoff entstehen kann, wenn das Zusammenwachsen misslingt. Einfach ist das ganz gewiss nicht zu schaffen. Notwendig ist ein Kraftakt, damit aus Zuwanderern Nachbarn werden können.

Ich sage es ganz deutlich: Der Bund macht sich nach wie vor nur eher halbherzig an diese große Aufgabe. Es fehlt an einer systematischen Zusammenarbeit mit den vielen Partnern in der Gesellschaft, und es fehlt an einem klaren System der Integration.

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist aber eine Klatsche für alle SPD-Minister, die da versagt haben!)

In Niedersachsen stellen wir uns dieser Aufgabe, und damit meine ich nicht etwa nur die Politik, sondern große Teile der Gesellschaft. Der niedersächsische Weg ist gekennzeichnet durch das Bündnis „Niedersachsen packt an“, dem sich inzwischen fast alle relevanten Institutionen und Verbände angeschlossen haben. Wir setzen auf eine enge Zusammenarbeit, und wir setzen auf abgestimmte Konzepte. Das ist der niedersächsische Weg in Sachen Integration.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dabei haben wir in einem ganz wichtigen Punkt Einvernehmen - über alle Grenzen hinweg: Wir brauchen vor allem abgestimmte Förderketten, und am Anfang dieser Ketten muss eine gute Sprachförderung stehen. Deswegen hat für uns in der Landespolitik Sprachförderung die höchste Priorität. Das ist nun einmal die Voraussetzung für Integration, da beißt die Maus keinen Faden ab. Was wir an dieser Stelle versäumen, das macht alle nachfolgenden Maßnahmen unendlich viel schwieriger.

An unseren Schulen läuft die Sprachförderung auf Hochtouren. Über 35 000 Schülerinnen und Schüler - auch diese Zahl muss man sich einprägen - zusätzlich befinden sich derzeit in unterschiedlichen Maßnahmen der Sprachförderung. Das ist wirklich eine gewaltige Zahl! Das Kultusministerium hat dafür einen sehr vielfältigen Instrumentenkasten zur Verfügung gestellt, aber vor allem - auch das will ich hervorheben - ist das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer in dieser Hinsicht beispielhaft. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Natürlich ist es eine enorme Belastung für das gesamte System, wenn eine so große Zahl von Schülerinnen und Schülern schlagartig neu hinzukommt und diese obendrein eher einen größeren Förderbedarf haben als andere. Vor diesem Hintergrund ist die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen nach den Planungen des Kultusministeriums durchaus ansehnlich. Wir werden in den nächsten beiden Schuljahren noch einmal alle Möglichkeiten nutzen, zusätzliche Lehrkräfte einzustellen. Es stehen Mittel für mehr als 2 000 weitere Lehrkräfte zur Verfügung - ein ganz klares

Signal an alle Beteiligten, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dasselbe geschieht bei der frühkindlichen Förderung. Wir werden in den nächsten beiden Jahren zusätzlich insgesamt 120 Millionen Euro den Kommunen zur Verfügung stellen, damit vor Ort die Sprachförderung in den Kindertagesstätten intensiviert werden kann. Auch das ist ein ganz klares Signal, wohin wir wollen. Dafür brauchen wir die Mitarbeit der kommunalen Partnerinnen und Partner.

Eine große Herausforderung ist und bleibt die Sprachförderung für Erwachsene. Wir sind nämlich leider gerade an dieser Stelle weit entfernt von einem klaren, einheitlichen, effizienten System auf der Bundesebene.

(Jörg Hillmer [CDU]: Das sagen wir Ihnen seit drei Jahren! - Lachen bei den GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich würdigen, dass der Bund seine Integrationskurse unter der Regie des BAMF ausweitet. Er hält allerdings leider immer noch an der Unterscheidung zwischen einer rechtlich guten Bleibeperspektive und einer rechtlich nicht so guten Bleibeperspektive fest. Alle Praktiker wissen: Das hilft nicht weiter. Hinzu kommt, dass es derzeit noch keine bedarfsgerechte Steuerung dieser Angebote gibt und auch keine Koordinierung mit ergänzenden Angeboten durch die Bundesagentur für Arbeit.

(Jörg Hillmer [CDU]: Was machen Sie denn da?)

So, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann Integration nicht funktionieren!

(Jörg Hillmer [CDU]: Wann fangen Sie denn an?)