Protocol of the Session on February 16, 2011

Ihre recycelte Rede vom FDP-Neujahrsempfang klingt zunächst bürgernah. Aber hier müssen Sie sich auch den Spiegel vorhalten lassen, was Ihre liberale Politik in der Praxis in Niedersachsen tatsächlich bedeutet. Einfacher und schneller - ja, aber auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger! Transparenz, die Sie meinen, ist allenfalls Transparenz beim Durchzocken.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein Grundsatz bleibt in Ihren Überlegungen allerdings richtig. Über diesen müssen wir weiter nachdenken. Es ist völlig aberwitzig, dass wir in Deutschland oft erst am Ende eines langen Planungs- und Genehmigungsprozesses die grundsätzlichen Debatten führen können. Das liegt daran, dass das Planungsrecht bei uns völlig falsch gewickelt ist. Zukünftig müssen wir über Großprojekte schon zu Beginn eine offene Debatte führen - das ist richtig -, alle Alternativen offenlegen,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

diese ehrlich durchrechnen und darüber in der Gesellschaft diskutieren. Dabei sollten wir aber mehr in den Sachverstand engagierter Bürgerinitiativen und Verbände investieren und ihnen mehr vertrauen - und nicht weniger, wie Sie es wollen. Erst danach kann es zur Entscheidung kommen. Dann muss die Finanzierung abgesichert werden.

Wenn sich die Bevölkerung so mit der Politik für ein Projekt entschieden hat, kann man sich an die Feinplanung begeben und das Planfeststellungsverfahren im Detail deutlich schneller durchziehen. Da bin ich mit Ihnen einer Meinung.

Das ist aber leider leichter gesagt als umgesetzt; denn die nötige ehrliche Gesamtrechnung, Herr Dürr, die zu Beginn auf den Tisch gehört, ist äußerst schwer aufzustellen. Dennoch ist das ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt. Die bisherige Unart, mit politischen Wunschzahlen zuerst für solche Projekte wie das in Stuttgart oder hier für die Y-Trasse gesellschaftliche Akzeptanz einzuwerben und erst am Ende, wenn alles fertig ist, dem Steuerzahler die Rechnung zu präsentieren, hat das Misstrauen der Bevölkerung geweckt, wenn die Bürgerinnen und Bürger mit solchen Großprojekten schlichtweg über den Tisch gezogen werden. Das muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Wir brauchen also ein anderes Planungsrecht und eine neue Planungskultur, wie ich sie gerade beschrieben habe, mit mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung, damit wir die große Transformation von der alten ölgetriebenen Industriegesellschaft zur postfossilen Innovationsgesellschaft schaffen können. Dafür wäre es gut, einen parteiübergreifenden Konsens für ein neues, transparenteres, aber auch beteiligungsfreundlicheres Planungsrecht zu erarbeiten.

Ob allerdings die FDP, so wie sie sich unter dem ersten und auch dem zweiten Punkt der Aktuellen Stunde dargestellt hat, dazu wirklich bereit ist, halte ich nach dem heutigen Stand für sehr zweifelhaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Toepffer von der CDUFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin meinen Vorrednern dankbar, dass sie deutlich gemacht haben, wie komplex dieses Problem ist. Es hat primär etwas mit Wirtschaft zu tun, es hat etwas mit Juristerei, aber auch ganz viel mit Demokratieverständnis zu tun.

Auf den ersten Blick klingt es natürlich einfach: Wir machen das Planungsrecht einfacher; dann wird es transparenter, und dann geht auch alles schneller. - Ich glaube, wir vergessen dabei, dass wir den Bürger dabei nicht verändern können. Ich meine, wenn alles schneller werden soll, müssen wir erst einmal die Frage stellen, ob der Bürger das überhaupt will. Wir müssen kurz ganz grundsätzlich über das Verhältnis zum Ausbau von Infrastruktur reden.

Herr Dürr, Sie haben das eben so in den Raum gestellt nach dem Motto: In diesem Hause ist es unumstritten, wir wollen mehr und schnellere Infrastruktur. - Im Januar ist im Spiegel ein ganz interessantes Essay des Philosophen David Precht erschienen. Er hat geschrieben, wir brauchen eigentlich gar nicht mehr Infrastruktur in unserem Land. Er hat gesagt, aufgrund des demografischen Wandels - wir werden immer weniger Menschen - brauchen wir keine neuen Straßen und keine neuen Flughäfen. Ich glaube, diese Einstellung herrscht in der Bevölkerung mittlerweile vor oder gewinnt zumindest immer mehr Raum. Er nannte diejenigen, die eine andere Meinung vertreten, die „Freunde von Opas Fortschritt“.

Um das klarzustellen: Wir in der CDU bekennen uns dazu. Wir sind noch die „Freunde von Opas Fortschritt“. Wir wollen ihn noch, den Bau der A 20, der Y-Trasse oder auch den Ausbau des Flughafens Münster/Osnabrück.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun zur Vereinfachung des Rechts. Ich denke, mit der Vereinfachung des Rechts muss man ein wenig vorsichtig sein. Herr Dürr, Sie haben in der Tat viele Punkte genannt, über die man nachdenken darf. Aber ich meine, wir dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen das vorhandene Recht nicht so weit beschneiden, dass das Misstrauen beim Bürger noch größer wird. Dann würden wir nämlich genau das Gegenteil erreichen und erleben, dass Bürgerproteste noch stärker werden.

(Zustimmung von Hans-Henning Adler [LINKE])

Dann stehen wir vor einer Art Überrumpelungseffekt und haben das Gegenteil erreicht. Dann geht es nämlich nicht schneller.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Da ha- ben Sie recht!)

Jetzt sind wir bei der Gefühlslage des Bürgers. Das ist ganz wichtig. Heute ist es eben so, dass diese Verfahren sehr komplex sind. Das waren sie übrigens früher auch schon. Wer sich mit dem Ausbau der Startbahn West in Frankfurt beschäftigt hat, der weiß, dass er auch 20 Jahre gedauert hat - mit Bürgerprotesten, die die Republik erschüttert haben. Heute passen die Planungsunterlagen für ein solches Vorhaben nicht mehr in einen 12 cm breiten Aktenordner, sondern nebeneinander gestellt haben die Aktenordner Kilometerlänge. Die will heute niemand allein lesen. Das war damals genauso.

Nun sind wir beim Grundproblem. Früher haben sich die Bürger der Politik als Mittler in solchen Fragen bedient. Da hat man darauf vertraut, dass Politik die Dinge richtig vorbereitet. Ich glaube, dieses Vertrauen - das müssen wir hier selbstkritisch einräumen - ist in diesem Maße nicht mehr vorhanden. Das ist traurig, aber in irgendeiner Weise müssen wir auf diese Situation eingehen.

Ein denkbarer Weg - das wurde hier noch nicht angesprochen - ist die Einführung von Mediationsverfahren im Planungsrecht. Herr Dürr, da gebe ich Ihnen recht: Wenn man solche Bürgerbeteiligung macht, dann muss das während des Verfahrens schnell geschehen und nicht nach dem Verfahren. Solche Mediationsverfahren - ich bleibe bei dem Beispiel des Frankfurter Flughafens - haben in der Vergangenheit vieles bewirkt. Sie haben die Verfahren nicht immer schneller gemacht. Heute geht es in Frankfurt um den Neubau der Landebahn Nordwest. Das hat 14 Jahre gedauert - das Media

tionsverfahren allein 18 Monate -, aber zumindest kam es nicht zu bürgerkriegsähnlichen Krawallen.

Was wir wollen und als CDU dem Bürger anbieten, ist die Aufnahme solcher Mediationsverfahren begleitend im Bauplanungsrecht. Was wir aber nicht wollen, ist Folgendes: Diese Verfahren sollen nicht draufgesattelt werden. Das ist hier auch richtig gesagt worden. Wenn sie durchgeführt worden sind, dann muss auch zügig entschieden und nicht noch einmal diskutiert werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Denn eines ist natürlich klar - mehr können auch solche Mediationsverfahren nicht leisten -: Am Ende wird irgendjemand weiterhin dagegen sein. Nicht jeder wird überzeugt werden. Wir haben es jetzt wieder erlebt: Im Wirtschaftsausschuss hatten wir eine Petition zu einer Ortsumgehung. Der Kollege Hagenah als Berichterstatter hat dort über zwei Petitionen berichtet. Die einen wollten die Ortsumgehung, die anderen nicht. Da helfen auch das beste Mediationsverfahren und die beste Bürgerbeteiligung nicht. Da muss Politik entscheiden. Zu diesem Primat der Politik bekennen wir uns ganz ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir sollten nicht vergessen, dass wir nicht nur Verantwortung für diejenigen haben, die nicht mehr zur Wahl gehen, sondern wir haben auch Verantwortung für diejenigen, die noch zur Wahl gehen und darauf vertrauen, dass wir die Dinge verantwortungsvoll regeln.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile dem Kollegen Will von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Toepffer, das war durchaus reflektiert und wohltuend im Vergleich zu Ihrem Kollegen Dürr von der FDP-Fraktion, der anscheinend überhaupt nichts aus der Entwicklung gelernt hat.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Jens Na- cke [CDU]: Ich bin gespannt, ob Sie das Niveau halten können!)

Meine Damen und Herren, gerade die schnelle und gezielte Umsetzung verkehrspolitischer Elemente - z. B. der Konjunkturpakete I und II - hat gezeigt, wie wichtig vorausschauende Planung ist. Konjunkturprogramme hätten nie stabilisierende Wirkung entfalten können, wenn nicht fertige Planungen zugrunde gelegen hätten.

Aber wir wissen auch: Jeder Planungsdruck lässt nach, wenn Haushalte mit vorausschauender Planung nicht mithalten können. Viele Haushaltstitel sind hoffnungslos überzeichnet durch die Verkehrsprojekte. Wir alle wissen doch, dass viele Projekte nicht wegen der lang andauernden Planung verzögert werden, sondern häufig wegen des fehlenden Geldes liegen bleiben. Nicht von ungefähr wurden jetzt in Niedersachsen im Zuge der Umsetzung des Konjunkturpaketes neun fertig geplante Ortsumgehungen endlich begonnen. Gleichzeitig haben wir leider immer wieder Planungsengpässe wegen fehlenden Geldes oder Personalmangels. Hier kann durchaus auch privates Baumanagement mit einbezogen werden, um beispielsweise die Warteliste zu verkürzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken wir z. B. an die sogenannte Hafenhinterlandanbindung Oldenburg–Wilhelmshaven. Hier fehlen in erster Linie Planungs- und Finanzierungsvereinbarungen zwischen Land, Bund und Bahn, z. B. für die Elektrifizierung der Strecke. Hier liegt es gar nicht an den lang andauernden Planungsprozessen, sondern am fehlenden Geld auch für den Ausbau selber. Wer möchte schon planen, wenn noch völlig unklar ist, wann endlich gebaut werden kann, weil die Finanzierung nicht gesichert ist.

Oder die Y-Trasse, die hier schon angesprochen wurde und deren Bau der Landtag bereits mit großer Mehrheit in der vergangenen Legislaturperiode gefordert hat. Bremen und Niedersachsen müssen sogar einen Teil der Planungsmittel vorschießen, die eigentlich der Bund bereitstellen müsste. Schaut man in den Haushalt und die Mipla des Landes, stellt man fest: 2010 - 1 Million Euro vorfinanzierte Planungsmittel, 2011 - Fehlanzeige, 2012 - Fehlanzeige, 2013 - 8 Millionen Euro, 2014 - 7 Millionen Euro Planungsmittel im Haushalt. Sie haben anscheinend alle Zeit der Welt, um die große Infrastrukturmaßnahme wirklich voranzubringen. So treiben Sie von Jahr zu Jahr durch Liegenlassen die Baukosten in die Höhe.

Gleichzeitig haben wir Visionen des Ministerpräsidenten, der Autobahnen achtspurig ausbauen oder Ostumgehungen von Hamburg finanzieren will.

Wohin wollen Sie eigentlich? Machen Sie doch erst einmal die Hausaufgaben hier im Land!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn Sie endlich beginnen, dann muss es aber ganz schnell gehen. Dann sollen die Verfahren verschlankt werden. Plötzlich sind Bürger, Verbände, Betroffene und Anlieger für den schleppenden Fortgang verantwortlich. Ich darf daran erinnern, dass es die SPD war, die in den 70er-Jahren die Beteiligungsrechte der Bürger erst geschaffen und gesetzlich verankert hat. Heute steht an, sie weiterzuentwickeln.

Mit einer Reihe von Beschleunigungs- und Vereinfachungsgesetzen konnten bereits wichtige Erfolge bei der Beschleunigung der Planungsverfahren erreicht werden. Die SPD bekennt sich ausdrücklich zur Industriegesellschaft und zur Industriepolitik in Deutschland. Wir ziehen im Gegensatz zur CDU, vor allem aber zur FDP die richtigen Schlüsse - nicht „Weg mit dem Verbandsklagerecht!“, wie es hier gerade gefordert wurde. Wir halten nichts von weitgehenden Überlegungen zu einer weiteren Straffung der Verfahren, Ausweitungen des sofortigen Vollzugs und z. B. der Beweislastumkehr in der FFH-Richtlinie oder der Vogelschutzrichtlinie.

Meine Damen und Herren, um heute Planungen zu beschleunigen, müssen wir sicherstellen, dass Bürger an den Entscheidungen über Großprojekte besser beteiligt werden. Das hat Stuttgart 21 ja gezeigt. Wir wollen Bürger künftig stärker von Anfang an einbeziehen, um eine bessere Akzeptanz von Großprojekten zu erreichen.

Die Alternative heißt: entweder mehr Bürgerproteste oder mehr Bürgerbeteiligung. - Wir wollen mehr Beteiligung.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb lehnen wir das von Herrn de Maizière geplante Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren ab. Dieses Gesetz würde nämlich Behörden die Möglichkeit gegeben, auf öffentliche Erörterungen völlig zu verzichten.

Wir müssen die Planungskultur auch in Niedersachsen weiterentwickeln und einen Ausbau zu einem für alle Bürger offenen Verfahren vornehmen. Warum sollen wir nicht Raumordnungsverfahren als erste Stufe der Planung zu einem öffentlichen Prozess mit Bürgerbeteiligung, also zu einem Raumordnungs- und Bürgerbeteiligungsver

fahren, aufwerten? Damit könnten wir die anschließenden Planfeststellungsverfahren verkürzen; denn die Verpflichtung der Behörden, sich mit den Argumenten der Bürger verbindlich auseinanderzusetzen, würde deutlich vorgezogen. Dafür gibt es bereits positive Beispiele wie z. B. die Planung des Gotthardtunnels.