Protocol of the Session on January 21, 2011

„Ich will Bedingungen schaffen, die nicht automatisch zur Tierquälerei führen.“

Er will also Bedingungen für die Zukunft schaffen. Das heißt: Willkommen in der Wirklichkeit! Wir haben nämlich momentan Bedingungen, die zur Tierquälerei und zu tierquälerischen Haltungsformen führen, meine Damen und Herren.

(Ingrid Klopp [CDU]: Man kann aber doch nicht verallgemeinern!)

Deshalb ist es so wichtig, dass den Worten der Anerkennung der Realität jetzt Taten folgen. Wir haben viele Vorschläge dazu gehört. Wir Grüne haben mehrere Anträge dazu eingebracht. Der konkrete Vorschlag zur Putenhaltung liegt noch in den Ausschüssen. Wir haben zur Hühnerhaltung Vorschläge gemacht. Wir erwarten jetzt, dass im Zusammenhang mit der Beratung dieses Antrags konkrete Vorgaben gemacht werden. Diese können aber nicht dadurch erfüllt sein, wie es die CDU diese Woche bei der Regierungserklärung verkündet hat: Wir machen jetzt Tierschutz, indem wir die Tierschutzkommission stärken. - Wir müssen auch etwas an den Richtlinien und an der Praxis ändern. Wir können ja keinen Klimaschutz betreiben, indem wir eine Klimaschutzkommission einrichten, die dann jahrelang diskutiert, und nichts passiert. Aus diesem Grund müssen wir etwas tun.

Gerade die Geflügelhaltung ist der größte Problembereich. Da haben wir eine Verschlechterung erlebt. Ich glaube, Herr Lindemann, Sie waren als Staatssekretär bei den Verhandlungen zur Umsetzung der EU-Richtlinie dabei.

Wir hatten früher eine freiwillige Vereinbarung mit der Geflügelmast. Danach waren 35 kg/m² - in diesem Bereich redet man immer von Kilo - zulässig. Nach den Vorgaben des Bundesrates wurde das auf 39 kg/m² erhöht. Das ist zwar unter der EU-Vorgabe, aber es ist eine Verschlechterung für die Tiere, die gehalten werden.

Jetzt dürfen bis zu 25 Hühner auf einen Quadratmeter gequetscht werden. So eng war es in den Ställen noch nie. Es kommt zu den beschriebenen Zuständen, die wir von der TiHo Hannover mitbekommen haben. Es gibt eine Studie, die im Ministerium lange zurückgehalten worden ist. Wir wis

sen, wie qualvoll die Bedingungen in der Putenhaltung sind: 30 % Brustblasen bei den jetzigen Putenhaltungen und 100 % Fußballenentzündungen, so eine Studie der Uni Leipzig.

Es gibt riesige Probleme, die wir angehen müssen. Da muss man etwas tun. Man muss etwas an der Fläche tun. Es gibt Studien für die EU, die sagen, höchstens 20 kg/m² - dies wäre doppelt so viel Platz - seien erforderlich, um die gröbsten Tierquälereien zu unterbinden.

Wir fordern Sie nun auf, den Worten Taten folgen zu lassen. Ich freue mich darüber, dass wir jetzt hier im Landtag nicht mehr darüber streiten müssen, dass die industrialisierte Massentierhaltung, die Sie unterstützen und fördern, organisierte Tierquälerei ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Pia-Beate Zimmer- mann [LINKE])

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Dammann-Tamke.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entschließungsantrag „Artgerechte Tierhaltung in Niedersachsen voranbringen“, eingebracht durch die Linke, hat mich zunächst einmal zu der Überlegung geführt - insbesondere nach dem Lesen des Antrags -, ob wir alle uns hier im Hause vielleicht einmal vorweg darauf einigen sollten, was artgerechte Tierhaltung überhaupt ist. In diesem Antrag habe ich nämlich festgestellt, dass hier offensichtlich Unterschiede bestehen.

Laut Wikipedia ist es folgendermaßen: Artgerechte Haltung bezeichnet eine Form der Tierhaltung, die sich an den natürlichen Lebensbedingungen der Tiere orientiert und auf die artspezifischen Verhaltensweisen der Tiere Rücksicht nimmt. So versucht sie, im Gegensatz zur konventionellen Haltung, beispielsweise der Massentierhaltung, sich den Bedürfnissen der Tiere anzupassen und ihnen eine Existenz zu ermöglichen, die den angeborenen Eigenschaften und der ursprünglichen Lebensweise nahekommt. - So weit Wikipedia.

Die Formulierung „im Gegensatz zur konventionellen Haltung“ zeigt in meinen Augen die fundamentale Schwäche Ihres Antrags auf. In der Begründung zu Ihrem Antrag schreiben Sie:

„In der öffentlichen Diskussion über Tierhaltung und Tierschutz ist oft ein Schwarz-Weiß-Denken vorherrschend. Oft werden als Indikatoren für eine gute bzw. schlechte Haltung nur Bestandsgröße und Bestandsdichte herangezogen. Dies greift aber zu kurz, wie auch die Diskussionen unter Fachleuten anschaulich darstellen. Ob landwirtschaftliche Nutztiere ihrem artgemäßen Verhalten entsprechend gehalten werden, ist nur bedingt eine Frage der Größe einer Stallanlage. Vielmehr kommt dem Zusammenwirken der einzelnen Haltungsfaktoren und der arttypischen Verhaltensweisen eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt für alle Nutztiere. Jedes Tier hat spezifische Verhaltensweisen. Es steht außer Frage, dass die natürlichen Verhaltensweisen in der Nutztierhaltung per se eingeschränkt werden.“

In den weiteren Ausführungen und abgeleitet in Ihrem Forderungskatalog wird dann allerdings genau diese kritisierte Schwarzmalerei betrieben, und das diskreditiert Ihren Antrag.

Frau König, erklären Sie mir doch bitte einmal, was die artgerechte Haltung von Nutztieren in Deutschland und Niedersachsen mit dem aktuellen Dioxinskandal zu tun hat! Wir haben uns vor einem Dreivierteljahr hier im Niedersächsischen Landtag über die hohen Funde von Dioxin in Lebern von Schafen unterhalten, die an der Ems gegrast haben. Was hatten diese Schafe und die Form der Haltung - weidende Schafe auf den Deichen an der Ems - mit Dioxin zu tun?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Unserer Auffassung nach ist die Verbesserung der Haltungsbedingungen sowohl in der landwirtschaftlichen Haltung als auch in der Haltung von Zoo- und Haustieren eine Daueraufgabe, die auch aufgrund gesellschaftlicher Veränderungsprozesse eine ständige Überprüfung und Weiterentwicklung erfordert. Gesellschaftliche Akzeptanz sowie wissenschaftliche, allen voran tiermedizinische Erkenntnisse sollten dabei die Entscheidungsbasis definieren.

Hier hat es aus Niedersachsen, insbesondere aufgrund der Bedeutung des Agrarbereichs, immer wieder innovative Ansätze im Sinne einer Verbesserung der Haltungsbedingungen gegeben: Ab

schaffung der Käfighaltung bei Legehennen, reduzierte Besatzdichte bei Masthähnchen, Abschaffung der Käfighaltung in der Ferkelaufzucht plus Zugang zu Beschäftigungsmaterial, Abschaffung der Anbindehaltung bei Sauen, erhöhtes Platzangebot plus Zugang zu Beschäftigungsmaterial bei Mastschweinen, Tageslicht in der gesamten Nutztierhaltung bei Neubauten, Standards für Luftqualität usw. Alle Beispiele wurden aus der Praxis zunächst abgelehnt. Forschung und Stallbaufirmen entwickelten Alternativen; diese sind heute allgemein akzeptierter Standard.

Eine verklärte, romantische Sichtweise auf einen Bauernhof wird den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht.

(Zustimmung bei der CDU)

Aus diesem Grund hat Ihr Antrag wenig Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit in diesem Haus.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Geuter für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zusammen mit der Ernährungswirtschaft, die die landwirtschaftlichen Rohstoffe zu Lebensmitteln weiterverarbeitet, ist die Agrarbranche der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in Niedersachsen.

Lebensmittel sind Vertrauensgüter; denn ihre Eigenschaften sind vom Verbraucher nicht oder erst nach Gebrauch feststellbar. Die gewünschten Herstellungsmerkmale, z. B. im Bereich der Fütterung, der Haltung und des Transports, lassen sich am Endprodukt nicht mehr feststellen. Transparenz, besonders in der Lebensmittelerzeugung, ist daher Grundvoraussetzung für die Akzeptanz dieser Branche.

(Beifall bei der SPD)

Mark Deimel von der Universität Göttingen hat 2010 bei einer Veranstaltung des NieKE anhand einiger konkreter Punkte erläutert, weshalb gerade Fleisch im Fokus der Transparenzdebatte steht. Die Gründe dafür sieht er in der schlechten Reputation der Fleischwirtschaft und der Tierhaltung und dem damit verbundenen abnehmenden

Grundvertrauen in Lebensmittel und Fleischprodukte.

Er verweist aber auch auf das begrenzte Wissen der Verbraucher, weil inzwischen der Bezug zur Produktion fehlt.

(Clemens Große Macke [CDU]: Das will Herr Meyer ja nicht verbessern!)

Für die Verbraucher - auch ein Ergebnis der Arbeit von Herrn Deimel - sind Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen im Lebensmittelbereich am vertrauenswürdigsten. Nationale staatliche Institutionen genießen nur wenig Vertrauen - das sollte uns zu denken geben. Die Glaubwürdigkeit der Lebensmittelhersteller ist inzwischen aber leider nahezu auf dem Nullpunkt angelangt.

Als Folge dieser Entwicklung fanden die öffentlichen Diskussionen zu diesem Thema in den letzten Wochen und Monaten oft ohne die Beiträge der Tierhalter und der Lebensmittelindustrie statt. Es ist eine nicht einfache, aber unverzichtbare Aufgabe für den Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft, daran zu arbeiten, dieses Vertrauen zurückzugewinnen.

(Beifall bei der SPD)

Neben dem heutigen Antrag der Fraktion der Linken sind bereits weitere Anträge zum Thema Tierschutz und Tierhaltung im Verfahren. Sie sind eine gute Grundlage, um gemeinsam ernsthaft über die Zukunft der Tierhaltung in Niedersachsen zu diskutieren.

Die Entwicklung der Fleischproduktion in Niedersachsen, die beispielsweise im Bereich der Geflügelwirtschaft einmalige Wachstumsraten erreicht hat, hat auch deshalb zu Fehlentwicklungen geführt, weil in erster Priorität darauf gesetzt wurde, eine hohe Produktivität zu möglichst niedrigen Kosten zu erreichen - auch mit erheblichen Auswirkungen auf den Bereich der Tiergesundheit und des Tierschutzes.

Im Bereich der Geflügelhaltung hat Professor Hartung von der Tierärztlichen Hochschule Hannover im letzten Jahr darauf verwiesen, dass aus seiner Sicht die Wahrung des Tierschutzes angesichts ständig steigender Tierleistung als problematisch anzusehen ist. Er sagt, dass wir an einer Grenze angelangt sind, an der wir darüber nachdenken müssen, wie wir diese Hochleistungstiere artgemäß und tierschutzgerecht halten können.

Die meisten Probleme hängen aus seiner Sicht mit einem zu schnellen Wachstum von Masthähnchen und Mastputen zusammen. In diesem Zusammenhang hat er dazu aufgefordert, den Zuchtfortschritt zukünftig nicht mehr nur auf Leistungssteigerung auszurichten, sondern besonders auch auf eine Verbesserung der Tiergesundheit, eine höhere Widerstandsfähigkeit der Tiere gegenüber Erkrankungen und auf die Verbesserung des Wohlbefindens der Tiere.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch die Bundestierärztekammer hat Ende 2010 zwei Hauptproblemfelder bei der Haltung von Nutztieren deutlich gemacht: zum einen veraltete Haltungsformen und zum anderen die Zucht auf Höchstleistung. „Bestimmte Zuchtziele überfordern die Tiere einfach“, so der Präsident der Bundestierärztekammer mit Hinweis auf die Putenhaltung.

Daher haben wir es sehr begrüßt, dass im letzten Jahr der Staatssekretär im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium diese Diskussion mit aufgegriffen und damit auch aktuellen Handlungsbedarf gesehen hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch die damalige Landwirtschaftsministerin Grotelüschen hat im Oktober letzten Jahres einen wichtigen Bereich angesprochen, in dem noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht, nämlich die Verbesserung der Sachkunde derjenigen, die für die Tiere verantwortlich sind und mit ihnen umgehen.

Das ist deshalb besonders wichtig, weil inzwischen eine große Arbeitsteilung im Bereich der Tiermast mit einem hohen Anteil an Lohnunternehmen besteht.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Reaktion des niedersächsischen Landvolks und der niedersächsischen Geflügelwirtschaft auf diese Überlegungen, nämlich von einem Frontalangriff gegen diese Tierhaltung zu sprechen und die Landesregierung aufzufordern, sich nicht durch populistische und medial inszenierte Vorträge kritischer Gruppen unter Druck setzen zu lassen, war in diesem Zusammenhang wenig hilfreich und sollte keinesfalls dazu führen, auf dem beschrittenen Weg zurückzurudern.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Rolf Meyer [SPD]: Das war eine Frechheit!)