Protocol of the Session on October 5, 2010

(Björn Thümler [CDU]: Jetzt mal But- ter bei die Fische!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Zielke, ich nehme sehr ernst, was Sie sagen. Natürlich ist der historische Kontext wichtig, und gerade für uns als Sozialdemokraten ist der Name Otto Wels sehr prägend.

Dennoch denken wir, dass es mit der Zeit eine Weiterentwicklung gegeben hat. Ich glaube, es wäre ahistorisch, zu sagen, dass eine Bannmeile damals zu einer anderen Entwicklung geführt hätte. Ich bitte um Sachlichkeit.

Wir müssen doch eine Regelung finden, die das, was wir im Moment erleben und in den letzten Jahren erlebt haben, übereinbringt. Nennen Sie mir bitte eine Demonstration, die die Handlungsfähigkeit des Hauses beeinträchtigt hätte, weil z. B. die Polizisten nicht auf der anderen Straßenseite, sondern vor dem Landtag Schutz hätten gewährleisten müssen oder Schülerinnen und Schüler legal und nicht durch Brechen der Regeln direkt an der Treppe demonstriert hätten! Ich glaube, dieser Vergleich ist etwas abenteuerlich.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Wortmeldung kommt von Frau Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Versammlungsrecht, das sich vom Recht auf freie Meinungsäußerung ableitet, ist eines der zentralen demokratischen Grundrechte, welches den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zusteht, und das aus gutem Grund. Die vorgelegte Novellierung der Regierungsfraktionen hingegen - darauf beziehe ich mich im Folgenden - ist ein Angriff auf demokratische Grundrechte und eine Ohrfeige gegenüber außerparlamentarischen Gruppen,

(Beifall bei der LINKEN)

die diese Form der öffentlichen Meinungsbekundung nutzen und dieses Grundrecht mit Leben erfüllen.

(Zuruf von der CDU: Das ist ja uner- hört!)

Meine Damen und Herren, der eingebrachte Gesetzentwurf ist vielmehr ein bürokratisches Monster. Vor allem der Anmeldevorgang mit seinen umfänglichen Datenerfassungen und den geplanten Geeignetheitsprüfungen erschwert insbesondere spontan organisierte Versammlungen erheblich. Weiter steckt dieser Gesetzentwurf voller schwammiger Formulierungen und Ungenauigkeiten, sodass sich ungeheure Interpretations- und Ermessensspielräume für die Behörden ergeben, die für den Anmelder im Vorfeld kaum absehbar sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Kleine Organisationen werden nach dem neuen Recht keine Demonstrationen mehr anmelden können, weil sie die gestellten Auflagen schlichtweg nicht erfüllen können.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das ist doch Quatsch! Es hat sich doch nichts geändert, Frau Kollegin!)

Von Anwenderfreundlichkeit oder gar Rechtssicherheit für den Anmelder kann daher nicht im Entferntesten die Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Dies scheint nicht unbeabsichtigt; denn der Herr Innenminister hat sich bislang nicht gerade als ausgesprochener Freund von Demonstrationen hervorgetan.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, äußerst spannend gestaltet sich auch das Vorhaben, die Anmelder künftig mit polizeilichen Aufgaben zu belasten, sie quasi als Hilfssheriffs auszustatten. Auch dass Sie die Verantwortung für das versammlungswidrige Verhalten von Teilnehmenden der Versammlung sowie von Ordnern nun dem Anmelder aufbürden, ist ein dolles Ding.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich, wer sich bereit erklären möchte, für Tausende, manchmal völlig fremde Personen die Verantwortung für deren Handeln zu übernehmen, besonders vor dem Hintergrund eines übermäßig verschärften und drakonisch anmutenden Straf- und Bußgeldkatalogs.

(Beifall bei der LINKEN - Jan- Christoph Oetjen [FDP]: Das ist doch Quatsch!)

Ebenso möchten Sie u. a. das Tragen von schützender Arbeitskleidung auf Demonstrationen untersagen. Bei spontanen Arbeitsniederlegungen oder Streiks haben sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also zukünftig vorher in Schale zu werfen, oder wie?

(Beifall bei der LINKEN - Thomas Adasch [CDU]: So ein Blödsinn! - Zu- ruf von der FDP: Oh, oh, oh!)

Das ist nicht nur eine unsinnige Kleiderordnung, es beeinträchtigt erheblich deren Einflussnahme bei Tarifauseinandersetzungen. Die Absicht dahinter ist durchschaubar.

(Hans-Heinrich Ehlen [CDU]: Die Vermummten sind doch nicht am Ar- beitsplatz!)

Meine Damen und Herren, dass bereits zwei Personen eine Versammlung sind, ist die Krönung.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Bannmeile: Die Bannmeile aus längst vergangenen Zeiten gehört abgeschafft. Sie haben zwar oberflächlich eine Erleichterung eingeräumt. So sollen Kleinstdemonstrationen an sitzungsfreien Tagen eventuell Ihre hoheitliche Erlaubnis finden. Die Logik dahinter verwundert allerdings. Denn wer geht schon ins Kino, wenn dort gar kein Film läuft?

(Beifall bei der LINKEN)

Die von Ihnen neu aufgelegte Diskussion um die Bannmeile ist einzig und allein als Ablenkungsmanöver zu bewerten. Sie wollen von den tiefgreifenden Einschnitten in die Versammlungsfreiheit ablenken und vertuschen, wie sehr Sie das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Versammlungsfreiheit mit den Füßen treten.

(Beifall bei der LINKEN - Hans- Christian Biallas [CDU]: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)

Dass Sie, Herr Minister, den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land nicht über den Weg trauen, haben Sie bereits an zahlreichen Stellen eindrucksvoll bewiesen.

Meine Damen und Herren, dass die Landesregierung mit ihrer sozial ungerechten und repressiven Politik Bedenken hat, es könnte vermehrt zu Demonstrationen kommen, ist sicherlich nicht unge

rechtfertigt. Den Menschen jedoch eine pauschale Gewaltbereitschaft unterstellen zu wollen, dokumentiert Ihre ideologisch geprägte Einstellung zur Versammlungsfreiheit. Die Kriminalisierung zivilgesellschaftlicher Proteste scheint eine Art Herzensangelegenheit der Landesregierung geworden zu sein, wie man aktuell bei ihrem Vorgehen bezüglich der Proteste im Wendland erleben darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Unschuldige Personen werden im Vorfeld wie Verbrecher behandelt, grundlos in Vorbeugehaft genommen, Bürgerinitiativen werden in die Ecke von Gewalttätern gerückt, und es werden Horrorszenarien kreiert, um schon jetzt die Legitimationsgrundlage für etwaige spätere Konfrontationen zu schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit dieser Strategie scheinen Sie wohl Ihren Kollegen in Stuttgart in Baden-Württemberg als Vorbild gedient zu haben.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das ist ja unerhört!)

Meine Damen und Herren, der uns vorliegende Entwurf ist ein Versammlungsverhinderungsgesetz, welcher nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft, sondern auch vor obrigkeitsstaatlichem Denken und Handeln strotzt.

Ein Versammlungsgesetz darf nicht davor abschrecken, eine Versammlung zu veranstalten oder daran teilzunehmen, sondern muss in einer lebhaften Demokratie gerade dazu einladen.

Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, kann gleich ehrlich zugeben, dass er keine Versammlungen mehr will. Meine Fraktion stimmt weder dem Gesetzentwurf der Landesregierung noch dem Antrag der Grünen zu, weil die Verbesserungen, die hier eingearbeitet sind, längst nicht weit genug gehen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN - Thomas Adasch [CDU]: Das ist unfassbar, was Sie von sich geben!)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Oetjen von der FDP gemeldet. Bitte!

Frau Kollegin Zimmermann, das, was Sie hier gerade dargeboten haben, ist eine Aneinanderreihung von kruden Theorien, die an keiner Stelle des Gesetzentwurfs abzulesen sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von der LINKEN: Das ist wirklich absurd, was Sie sagen!)

- Das ist überhaupt nicht absurd. Ich habe den Eindruck, dass Frau Kollegin Zimmermann in den Ausschussberatungen nichts von dem mitbekommen hat, was wir dort diskutiert haben.

Ich will Ihnen das am Bereich der Schutz- und Arbeitskleidung deutlich machen: Sie haben gerade behauptet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie Schutz- und Arbeitskleidung tragen, bei der Ausübung ihres Rechts auf Versammlung eingeschränkt sind und dabei behindert werden.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, darüber haben wir intensiv diskutiert. Der DGB hat in der Anhörung auch die Frage von Motorradfahrern angesprochen, die Motorradschutzkleidung tragen. Darüber haben wir diskutiert. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat uns einwandfrei gesagt: Nein, solche Schutzkleidung ist eben nicht darauf angelegt, den Eindruck von Gewaltbereitschaft zu vermitteln. Daher fällt sie auch nicht unter die Regelung, die Sie ansprechen.

Frau Kollegin, beschäftigen Sie sich einmal mit diesem Gesetz! Dann würden Sie hier nicht solche Reden halten.

Herzlichen Dank.