Protocol of the Session on September 8, 2010

Genau diese Entwicklung wiederholen Sie jetzt mit dem Haushalt 2011 - eine zutiefst unchristliche Politik, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Da stellt das Sozialministerium am 17. August - das ist noch gar nicht so lange her - auf eine Anfrage von uns fest:

„Mit der Weiterentwicklung der Behindertenhilfe trägt die Landesregierung dem weiterhin steigenden Bedarf an Werkstattplätzen, an Wohnangeboten und an Arbeitsplätzen Rechnung.“

(Glocke der Präsidentin)

Sie bestätigen also selbst deutlich steigende Bedarfe. Sie wissen um die Umsetzung der UNKonvention, und trotzdem streichen Sie wider besseres Wissen 30,5 Millionen Euro.

Ein letzter Satz!

Welch dramatischer Fall von Selbsthypnose! Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie endlich die UN-Konvention ernst, fangen Sie an zu handeln, und hören Sie auf, Ihre Haushaltskonsolidierung ausschließlich immer auf dem Rücken der Behinderten zu machen! Das ist hochgradig unanständig!

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Zu einer Kurzintervention seitens der CDU-Fraktion hat nun der Kollege Hilbers für eineinhalb Minuten das Wort.

Verehrte Präsidentin! Herr Schwarz, ich weiß nicht, wie man sich hier hinstellen kann und uns zutiefst unchristliche Politik sowie Konsolidierungspolitik auf dem Rücken der Behinderten vorwerfen kann, wenn man gleichzeitig weiß, dass Sie zu Ihrer Regierungszeit - ich weiß, worüber ich rede, weil ich damals in dem Bereich gearbeitet habe - die Streichung des Vorgabewertes selbst schon einmal praktiziert haben. Es ist eine Unverschämtheit, uns dann eine unchristliche Politik vorzuwerfen, wenn man diese Mittel selbst in Anspruch genommen hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Bei der Verabschiedung des SGB IX wurde 2001 eingeführt, dass jeder behinderte Mensch in den Werkstätten ein sogenanntes Arbeitsförderungsgeld aus Mitteln, wie es im Gesetz heißt, des Sozialhilfeträgers erhält. Das waren damals 50 DM, also 26 Euro. Von diesen 26 Euro haben Sie den Werkstätten ganze 9 Euro wiedergegeben, weil Sie gesagt haben: Den Rest können sie selbst erwirtschaften.

Das war damals Ihre Politik! Dann heute so zu tun, als würden wir der Behindertenhilfe ständig Abstriche zumuten! Die Mittel für die Behindertenhilfe,

die Eingliederungshilfe sind in unseren Haushalten Jahr für Jahr gestiegen. Das sollten Sie einmal anerkennen. Eine derart unverlässliche Politik, wie Sie sie damals betrieben haben, hat meine Einrichtung damals einen sechsstelligen Betrag gekostet. Eine solche Politik machen wir mit den Verbänden eben nicht. Wir sind da verlässlich. Was wir ihnen jetzt zumuten wollen, beruht darauf, dass eben keine Kostensteigerungen in der Größenordnung vorhanden sind. Das sollten Sie der Ehrlichkeit halber einmal sagen und hier nicht von unchristlicher Politik reden. Das ist unanständig!

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Schwarz, Sie haben noch einmal das Wort. Bitte schön!

Herr Kollege Hilbers,

(Heinz Rolfes [CDU]: „Ich bekenne“ - damit muss man anfangen!)

die Einrichtungsträger in der Behindertenhilfe können sich noch sehr gut an den Beginn der Amtszeit von Walter Hiller als Sozialminister erinnern.

(Ulf Thiele [CDU]: Aber auch an das Ende!)

Wir haben damals die Lohnfortzahlung eingeführt, wir haben deutlich mehr Plätze geschaffen, wir haben eine Fachkommission einberufen, und es hat in der Behindertenhilfe einen richtigen Quantensprung nach vorne gegeben.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben auf der Bundesebene die Sozialgesetzbücher eingeführt und erstmalig Behindertenrecht überhaupt manifestiert.

(Heinz Rolfes [CDU]: Habt ihr gekürzt oder nicht? Das war die Frage!)

Aber die eigentliche Frage, warum Sie bei 345 Millionen Euro den größten Betrag ausdrücklich bei den Behinderten einsparen, haben Sie noch nicht beantwortet!

(Zuruf von der CDU: Das hat er doch beantwortet! - Ulf Thiele [CDU]: Herr Schwarz, Sie hören nie zu, weil Sie Ihre Welt nicht zerstört sehen wollen!)

Ich sage Ihnen noch etwas: Diese Regierung mit der Vorvorgänger-Ministerin ist es gewesen, die 10 000 Blinde auf die Straße getrieben hat, weil sie auch auf die wirklich schlimmsten Behinderungen keine Rücksicht genommen hat.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Unglaublich! - Wider- spruch bei der CDU)

- In der Tat, Herr Rolfes, das war damals unglaublich. Das steckt einigen von Ihnen heute noch in den Knochen. - Der gleiche Umgang, den Sie jetzt praktizieren - - - Lesen Sie sich einmal alle Kommentare durch!

(Heinz Rolfes [CDU]: Sie müssen ge- rade über Umgang reden! Rüpel!)

Sie sind auf dem besten Wege, die behinderten Menschen wieder auf die Straße zu treiben. Das mag ja noch schön sein, weil es Ihre Regierung schädigt. Aber Sie machen den sozialen Konsens in dieser Gesellschaft kaputt, und das ist unverantwortlich!

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Karl- Heinz Klare [CDU]: Man muss ja nicht auf das eingehen, was der Vorredner gesagt hat! - Widerspruch bei der CDU)

Herr Kollege Rolfes, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf. Das Wort wiederhole ich nicht.

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Humke-Focks das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum vorliegenden Antrag sprechen. Mit dem Antrag geht es um die Umsetzung von bisher geltendem Recht. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass der Entwurf der Konvention in der UN-Vollversammlung wohl 2006 zum ersten Mal diskutiert wurde. In einem breiten Diskussionsverfahren ist auch die Bundesrepublik Deutschland dazu gekommen, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu unterzeichnen. Seit 2009 ist sie geltendes Recht. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Wir begrüßen den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich. Wir sind anders vorgegangen als die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir sind davon ausgegangen, dass wir, wenn die UN-Konvention geltendes Recht ist, entsprechende Vorschläge für den Haushalt machen müssen. Deshalb haben wir in den letzten beiden Jahren entsprechende Haushaltsvorschläge unterbreitet, die aber allesamt abgelehnt wurden. Wir dachten, das ist der Weg, um zur Umsetzung der UN-Konvention zu kommen und hier in Niedersachsen einen Anfang zu machen. Ein „Weiter so“ funktioniert nicht, weil sich die rechtliche Grundlage definitiv geändert hat.

Ich nenne exemplarisch einige Anträge. Einige unserer Anträge können Sie auch in unserer Broschüre nachlesen, wenn Sie nicht glauben, dass wir diese Anträge tatsächlich gestellt haben. Wir haben Anträge für einen barrierefreien Umbau von Wohnungen im Altbestand und eine Neuauflage eines barrierefreien sozialen Wohnungsbaus gestellt, mit entsprechender Mittelbeantragung und mit Deckungsvorschlägen. Wir haben uns für den Abbau von Barrieren im Personenverkehr und auf Bahnhöfen eingesetzt. Bereits seinerzeit wollten wir eine zeitnahe Evaluierung der Alltagssituation von Menschen mit Behinderungen, ähnlich wie es in Berlin vorgenommen wird, um dann zu einer Neuauflage einer Diskussion über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu kommen, vielleicht auf der Grundlage der Umsetzung der UN-Konvention.

Von Anfang an haben wir immer gefordert, die Betroffenenverbände, also die Betroffenen selber, sofort in den Prozess einzubinden. Viele von uns sind auch Vertreter in Stadträten, Kreistagen usw. Wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir doch, wie viele Fehler wir schon gemacht haben, wenn wir die Menschen mit Behinderungen nicht von Anfang an etwa in die Einrichtung von barrierefreien Straßen einbezogen haben. Deshalb müssen sie von Anfang an in diesen Prozess einbezogen werden.

(Beifall bei der LINKEN - Glocke der Präsidentin)

Dieser Antrag begleitet praktisch unsere künftigen Anträge dahin gehend, dass das Ganze jetzt systematisiert werden kann. Wie Herr Schwarz schon sagte, ist es eigentlich ein Trauerspiel, dass solche Initiativen vonseiten der Opposition kommen müssen. Der Antrag fasst die UN-Konvention sehr gut auf wenigen Seiten zusammen, dass er eine gute Grundlage für eine vernünftige und sachliche Dis

kussion mit der gemeinsamen Zielrichtung einer Umsetzung der UN-Konvention sein kann.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Schluss. - Ich möchte Sie wirklich bitten, die Möglichkeiten zu nutzen, die wir im Fachausschuss haben, und diesen Antrag konstruktiv zu diskutieren und nicht in Bausch und Bogen abzulehnen. Er ist eine gute Handlungsanleitung. Bitte öffnen Sie sich für eine vernünftige Diskussion!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Heidemarie Mundlos [CDU]: Nichts anderes habe ich gesagt!)

Für die FDP-Fraktion spricht Herr Riese. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Appell an die Diskussionsfähigkeit des Ausschusses erscheint mir gar nicht so notwendig, weil wir im Ausschuss in aller Regel sehr sachlich diskutieren. Die Diskussionen, die dort stattgefunden haben, werden im Plenum leider manchmal etwas verzerrt und überzeichnet wiedergegeben. Das mag damit zu tun haben, dass hier die eine oder andere Kamera oder das eine oder andere Mikrofon zugegen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die UNKonvention stellt einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Rechte behinderter Menschen weltweit dar. Sie ist das erste universelle Rechtsinstrument, das bestehende Menschenrechte, bezogen auf die Lebenssituation behinderter Menschen, konkretisiert. Sie würdigt Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens und überwindet damit das noch in vielen Ländern vorherrschende defizitorientierte Verständnis.

Deutschland hat sich auf der Grundlage seiner innerstaatlichen Gesetzgebung von Anfang an für die Erarbeitung eines modernen Menschenrechtsübereinkommens für Menschen mit Behinderungen eingesetzt. Damit gehört unser Land zu den Schrittmachern des Projektes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Mit dem Übereinkommen wird der Paradigmenwechsel weiter vollzogen, den wir in Deutschland bereits mit dem SGB IX eingeleitet haben. Das Übereinkommen stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderungen und wird

damit wichtige Impulse für weitere Veränderungsprozesse setzen. Das Ziel bleibt die volle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft - gar kein Zweifel, gar kein Dissens.