Protocol of the Session on June 9, 2010

Ich habe auch das Gefühl, dass ich nicht der Einzige bin, der das so sieht; denn gerade habe ich festgestellt: Der Fraktionsvorsitzende der FDP im Niedersächsischen Landtag, Christian Dürr, hat angesichts des Streits um die Gesundheitspolitik die Regierungsfähigkeit der CSU infrage gestellt.

(Oh! bei der SPD)

„Man muss sich an der Stelle fragen, inwieweit die CSU regierungswillig und -fähig ist“ - so zitiert dpa ihn heute. Das liegt mir gerade vor. Sie mischen da doch munter mit!

Natürlich haben Sie recht. Man muss sich in der Tat fragen, inwieweit diese Koalition in Berlin noch regierungsfähig ist - und zusätzlich, inwieweit man eine so kaputte Regierung diesem Volk noch zumuten kann, meine Damen und Herren.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nun erteile ich für die Landesregierung Frau Ministerin Özkan das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt in diesen Wochen in der Tat immer wieder gut gemeinte Vorschläge. Ich bleibe bei meiner Auffassung aus der letzten Debatte: Die Ergebnisse der im Februar 2010 eingesetzten Regierungskommission bleiben abzuwarten. Die Länder sind daran nicht beteiligt. Das ist sehr bedauernswert, aber es ist nun einmal so. Die Kommission soll einen Vorschlag zur künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens erarbeiten. Eine eigene Initiative aus Niedersachsen macht derzeit nun wirklich keinen Sinn.

Das künftige System soll mehr Beitragsautonomie und regionale Differenzierungsmöglichkeiten gewährleisten. Schrittweise sollen einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge inklusive Sozialausgleich sowie festgeschriebene Arbeitgeberbei

träge erarbeitet und eingeführt werden. Das sind schon die Eckpfeiler. Daran wird sich auch die Regierungskommission heranarbeiten. Dabei soll niemand überfordert werden. Von Bittstellern will wohl niemand sprechen. Von einer Zerschlagung oder Aushöhlung des solidarischen Gesundheitssystems, wie es im vorliegenden Entschließungsantrag formuliert wird, kann also keineswegs die Rede sein.

Meine Damen und Herren, ich begrüße es sehr, dass im Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Fraktionen eindeutige Weichenstellungen zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung aufgezeigt werden; denn das ist auch ein Teil des geplanten Verfahrens.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich unterstütze die geplante Abkehr vom bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der auf rein körperliche Beeinträchtigungen abstellt. Mit dem neuen teilhabeorientierten Begriff und dem neuen Verständnis von Pflege erreichen wir mehr Leistungsgerechtigkeit. Schauen Sie auch dahin; denn genau dies wird auch unsere Zukunftsherausforderung sein. Besonders dienen wird das z. B. Menschen mit einer Demenzerkrankung, die Hilfe und Betreuung in ihrem familiären Umfeld benötigen.

Die Umsetzung wird nach meiner Überzeugung nicht zum Nulltarif möglich sein. Dabei kommt nun einmal auch die altersbedingte Zunahme der Zahl pflegebedürftiger Menschen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ins Spiel. Das müssen wir bei einer Finanzreform der Pflegeversicherung mit berücksichtigen. Wir werden darauf achten, dass die pflegebedingten Sozialhilfeausgaben der Länder und Kommunen beherrschbar bleiben. Die Länder werden sich das natürlich sehr genau ansehen.

Im Übrigen ist - darüber sind wir uns alle einig - die Gesundheitsversorgung in Deutschland weltweit vorbildlich. Daran will auch keiner rütteln. An der Qualität wollen wir nichts verändern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir wollen einen Einstieg in ein gerechtes, transparentes und bürokratiearmes Finanzierungssystem. Dabei werden wir die soziale Ausgeglichenheit und die Solidarität, die Sie auch angesprochen haben, in den Vordergrund stellen. Daran muss sich jeder konkrete Vorschlag messen lassen. Darauf müssen wir auch reagieren.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin Özkan. - Jetzt kann ich die Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt schließen, weil dazu keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich Herrn Bartling von der SPD-Fraktion das Wort, der sich zur Geschäftsordnung gemeldet hat. Bitte schön!

Frau Präsidentin, ich habe die Bitte, dass wir die Sitzung kurz unterbrechen, bis die nicht entschuldigten Mitglieder der Landesregierung hier im Plenarsaal sind.

(Beifall bei der SPD)

Bei uns entwickelt sich der Eindruck, als sei bei der Landesregierung die Sommerfrische ausgebrochen und dass sie sich dem mehr widmet als dem, dem wir uns hier widmen. Das halten wir für unangemessen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ganz herzlichen Dank. - Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht jetzt Herr Kollege Thümler von der CDU-Fraktion. Bitte schön!

(Nach und nach betreten mehrere Mitglieder der Landesregierung den Plenarsaal und nehmen auf den Mi- nisterbänken Platz - Ah! bei der SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich könnte jetzt noch ein bisschen länger hier reden, Herr Kollege Bartling. Dann werden Sie feststellen, dass das Kabinett gleich fast vollzählig wieder an Bord ist. Ich hatte das schon gesehen, als Sie sich gemeldet haben. Daher frage ich Sie, Herr Bartling: Soll ich Ihnen jetzt noch fünf Minuten etwas erzählen? Oder können wir das so lassen?

(Heiner Bartling [SPD]: Wir sind schon sehr beeindruckt!)

Vielen Dank.

Herzlichen Dank. - Herr Kollege Bartling, in Ihrem Zwischenruf haben Sie deutlich gemacht, dass Sie sehr beeindruckt sind. Nun weiß ich nicht, ob Sie Ihren Antrag aufrechterhalten, sodass ich dann darüber abstimmen lassen müsste.

(Heiner Bartling [SPD]: Ich ziehe ihn zurück, Frau Präsidentin!)

- Herzlichen Dank, Herr Bartling.

Dann kann ich jetzt zu der geplanten Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 21 kommen.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/2406 ablehnen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, dass das Erste die Mehrheit war.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 und 23 vereinbarungsgemäß gemeinsam auf:

Zweite Beratung: Strukturreform des SGB II - Betreuung verbessern, Rechtssicherheit herstellen, Beschäftigung sichern - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1872 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 16/2534

Zweite Beratung: Neuordnung der Grundsicherung für Arbeitsuchende: Ja zu den „Zentren für Arbeit und Grundsicherung“ - Ja zur Entfristung und Entkontingentierung der Optionskommunen - Ja zur zügigen und kompetenten Betreuung aus einer Hand - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1858 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 16/2489

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/1872 abzulehnen und den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/1858 in geänderter Fassung anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen, sodass ich die Beratung gleich eröffnen kann. Zu Wort gemeldet hat sich von der Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Humke-Focks.

(Unruhe)

- Ich bitte um ein wenig Ruhe, damit wir mit den Beratungen beginnen können. - Einen kleinen Moment noch, Herr Humke-Focks! Sonst müsste ich Sie gleich am Anfang schon wieder unterbrechen. Das tue ich immer nur sehr ungern. - Herr Humke-Focks!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier liegen uns nun zwei Anträge zur abschließenden Beratung vor. Zum einen ist das der Antrag meiner Fraktion zur Strukturreform des SGB II. Wie wir schon im November 2009, also vor einem halben Jahr, in unserem Antrag formuliert haben, geht es uns nach wie vor darum, endlich eine Rechtssicherheit der Opfer des SGB II zu erreichen, den Grundsatz umzusetzen, Leistungen aus einer Hand zu sichern, für anständige Beschäftigungsverhältnisse in den Jobcentern einzustehen, Steuerungsmöglichkeiten der Kommunen zu sichern, die Regelsätze neu zu bemessen und die Zukunft von sogenannten Optionskommunen zu sichern.

(Beifall bei der LINKEN)

Hintergrund waren und sind nach wie vor das Verfassungsgerichtsurteil zur Neugestaltung der Verantwortlichkeiten zur Umsetzung des SGB II und der hanebüchene Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Fraktionen von CDU/CSU und FDP.

Nachdem wir im Ausschuss nicht ernsthaft dazu in der Lage waren, über unseren Antrag zu diskutieren - nur die SPD und zum Teil die Grünen signalisierten an einzelnen Punkten weiteren Diskussionsbedarf -, haben wir uns entschlossen, den Antrag quasi zu entzerren und ihn heute zur Abstimmung zu bringen. Einen wichtigen Punkt dieses Antrags, nämlich die Neuberechnung der Regelsätze des SGB II, werden wir in dieser Woche, am Freitag, noch unter einem anderen Tagesordnungspunkt diskutieren.

Wir werden die anderen Themen des SGB II so lange auf die Tagesordnung setzen, bis dieses aus unserer Sicht unsägliche Gesetz durch eine repressionsfreie bedarfsorientierte Grundsicherung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt werden konnte.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bündnisgrünen hingegen wollten mit ihrem Antrag erreichen, dass die Optionsregelung fortgeschrieben und ausgebaut wird. Dafür finden sie die

Unterstützung aller anderen Fraktionen hier im Landtag außer uns Linken.

Ich möchte ein Beispiel aus der Wirklichkeit einer Optionskommune anführen: So soll gerade zwischen dem Landkreis und der Stadt Göttingen eine Heranziehungsvereinbarung zur Fortsetzung des Optionsmodells und der damit verbundenen Umsetzung des SGB II beschlossen werden, die die Zustimmung der SPD, der Grünen und der CDU findet. Der FDP gehen diese Regelungen nicht weit genug. Nur die Linken im Stadtrat und Kreistag stimmen gegen diese Vereinbarung, und zwar aus gutem Grund. Es wird nach diesem Vertrag - er liegt mir vor; Sie können also auch einmal hineinschauen - Personal im Fallmanagement und in der Sachbearbeitung abgebaut, die Fallzahlen werden deutlich erhöht, das Controlling wird deutlich zulasten der Eingliederungsmittel ausgebaut, Kinderbetreuung und psychosoziale Betreuung im Zusammenhang mit dem § 16 a des SGB II wird nicht vertraglich sichergestellt, der politische Einfluss der Gremien wird beschnitten und anderes mehr - und dies mit einer Mehrheit aus CDU und Grünen seit fast einem Jahrzehnt.