Protocol of the Session on April 29, 2010

Vorab aber möchte ich noch kurz auf einen Artikel eingehen, der kürzlich in der Neuen Osnabrücker Zeitung erschienen ist. In seiner Überschrift wurde die Kritik der Deutschen Umwelthilfe - DUH - thematisiert, Minister Sander komme seinen Aufgaben nicht nach. Die DUH sieht die Artenvielfalt in Niedersachsen in Gefahr.

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: So ist es!)

In diesem Artikel wurde meines Erachtens zu Recht kritisiert, dass Niedersachsen zu wenig für den Erhalt der biologischen Vielfalt tut. Das Land verstößt nach Auffassung des DUH-Bundesgeschäftsführers Rainer Baake seit Jahren - genauer gesagt, seit 2001 - gegen die Vorgabe des Bundesnaturschutzgesetzes, Biotope, also Lebensräume für Tieren und Pflanzen, nicht einzeln auszuweisen, sondern diese auch zu vernetzen. Wenn dies nicht geschieht - darüber sind sich die Experten einig -, haben die Schutzflächen lediglich die Funktion kleiner Inseln, was aber Pflanzen und Tieren zum genetischen Austausch nicht genügt.

Deshalb wurde in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesregierung auch die

zentrale Bedeutung von zusammenhängenden Biotopverbundsystemen für den Erhalt der biologischen Vielfalt besonders hervorgehoben.

Der Minister hat es bis jetzt - übrigens als einziger Landesminister - aber nicht für nötig gehalten, diese Verpflichtung aus dem Bundesnaturschutzgesetz in Landesrecht zu überführen, auch bei der letzten Novelle des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes nicht. - So weit zur derzeitigen Situation des Naturschutzes in Niedersachsen zu Beginn des Internationalen Jahres der biologischen Vielfalt.

Unerwähnt darf aber auch nicht bleiben, dass die EU-Kommission im Januar dieses Jahres feststellen musste, dass in den Mitgliedstaaten das Artensterben trotz bisheriger Anstrengungen weiter fortgeschritten ist und das Ziel, den Verlust an biologischer Vielfalt in der EU bis 2010 aufzuhalten, verfehlt wurde.

Deshalb müssen nun neue Konzepte gegen das Artensterben erarbeitet und neue Ziele gesteckt werden.

In dieser Situation fordern die Regierungsfraktionen jetzt in ihrem Antrag, eine Änderung im Bundesnaturschutzgesetz vorzunehmen, um den Naturschutz qualitativ zu stärken. Sie wünschen die Gleichstellung von Ersatzgeld mit anderen Kompensationsmaßnahmen bei Eingriffen in die Natur, was einen Ablasshandel zulasten der Natur ermöglicht. Das ist unverantwortlich!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Glauben Sie denn wirklich, dass Sie mit diesem Antrag einen zukunftsweisenden Schritt vollziehen, um die enormen Probleme in Bezug auf das Artensterben zu lösen? Ich glaube eher, dass Sie einem langjährigen Wunsch Ihres Ministers nachkommen wollen oder müssen. Ihnen müsste doch eigentlich auch bekannt sein, dass Sie mit Ihrer Forderung in Deutschland allein auf weiter Flur stehen. Die anderen Bundesländer wollen diese Kompetenz, die Sie vom Bund fordern, gar nicht.

(David McAllister [CDU]: Das brau- chen sie doch auch nicht!)

Sie sind dagegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Erkundigen Sie sich doch einmal nach dem Fachgespräch, das im März dieses Jahres in Bonn

stattgefunden hat. Dort waren sich alle Experten bis auf die Vertreter aus Niedersachsen einig und haben dafür plädiert, die jetzige Regelung im Bundesnaturschutzgesetz beizubehalten; denn sie sehen in einer Veränderung, wie Sie sie wünschen, gravierende Nachteile.

Im Gegensatz zur Formulierung im dritten Absatz der Begründung Ihres Antrags sind die eben genannten Fachleute der Auffassung, dass das Ersatzgeld nicht zur Entbürokratisierung und Deregulierung beitragen wird, sondern sogar mehr Bürokratie nach sich ziehen wird, da die bisher in Verantwortung des Verursachers liegende Wiederherstellung des naturschutzfachlich gebotenen Zustandes von Natur und Landschaft durch Kompensationsmaßnahmen nun auf die Naturschutzverwaltung übertragen wird.

Außerdem verringert das Ersatzgeld nicht, wie Sie es sich erhoffen, die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzflächen; denn die Umwandlung von Ersatzgeldern in Kompensationsmaßnahmen erfordert ja in der Regel den Ankauf von Flächen.

Weitere Gegenargumente lauten: Das Ersatzgeld minimiert die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Eingriffe in Natur und Landschaft. Ersatzgeld schwächt die Eingriffsregelung, erschwert die Realisierung von Kompensationsmaßnahmen und führt somit zu einer schleichenden Verschlechterung von Natur und Landschaft.

Wenn Sie also etwas für eine qualitative Verbesserung des Naturschutzes in Niedersachsen tun wollen, dann ziehen Sie diesen Antrag zurück!

Von Natur aus bin ich an sich Optimistin. Herr Bäumer, nach Ihrer Rede - was gleich von der FDP kommt, weiß ich auch schon - habe ich aber Zweifel, dass Sie so einsichtig sein werden, auch wenn wir im Fachausschuss noch so lange und intensiv diskutieren.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Mit der Einsicht ist das so eine Sache!)

Wenn Sie dann schon nicht zur Einsicht kommen, dann hoffe ich aber wenigstens, dass man auf Bundesebene zu der Einsicht gelangt, dass dieser Antrag in die Mülltonne gehört.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Somfleth. Dann sind Sie jetzt genauso gespannt auf die Äußerungen des FDP-Abgeordneten Dr. Hocker wie wir alle. - Sie haben das Wort, Herr Dr. Hocker.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Somfleth, das war ja zu erwarten. Nach den unzähligen zähen Sitzungen des Umweltausschusses der letzten Zeit war in der Tat abzusehen, dass die Oppositionsfraktionen heute etwas Ähnliches versuchen wie bei vielen anderen Diskussionen und Beiträgen der vergangenen Wochen. Dass Sie bei unserem Antrag zur Gleichstellung des Ersatzgeldes mit anderen Kompensationsmaßnahmen wieder einmal eine Skandalisierung der niedersächsischen Umweltpolitik herbeizureden versuchen

(Christian Meyer [GRÜNE]: Es ist auch ein Skandal!)

und so tun, als würde die Sonne in Niedersachsen morgen nicht mehr aufgehen, war ja fast vorhersehbar - ganz so, wie es bei den zahlreichen Diskussionen der letzten Monate der Fall gewesen ist.

Dieses permanente Herbeireden von Skandalen, die dann schließlich doch keine sind, nutzt sich mit der Zeit ab

(Christian Dürr [FDP]: Sehr richtig!)

und wirkt auf die Menschen eher einschläfernd, als dass sie sich von dieser auf Effekthascherei ausgerichteten Politik wirklich vertreten fühlen würden, Frau Somfleth.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Christian Meyer [GRÜNE]: Einschlä- fernd ist etwas anderes!)

Ich würde mich gerne endlich davon überzeugen lassen, dass Sie auch die Disziplin Sachpolitik beherrschen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dem vorliegenden Antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, analog dem Koalitionsvertrag für die Möglichkeit einer Gleichstellung des Ersatzgeldes mit anderen Kompensationsmaßnahmen zu sorgen, haben wir ein Thema aufgegriffen, das vielen Landesregierungen in Deutschland - übrigens egal, von welchen Parteien sie getragen werden - tatsächlich unter den Nägeln brennt.

Qualitativ hochwertiger Umwelt- und Naturschutz kostet Geld, das meistens nicht ausreichend vorhanden ist, während die aktuelle Kompensationsregelung Unternehmen bei ihren Investitionen viel Zeit kostet.

Mit der Gleichstellung von Ersatzgeldzahlungen mit anderen Kompensationsmaßnahmen erleichtern wir es Unternehmen in Niedersachsen, ihre Investitionen schneller zu verwirklichen sowie Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen.

Außerdem ermöglichen es die zu erwartenden Einnahmen, neben dem quantitativen Umweltschutz in Niedersachsen ganz gezielt auch den qualitativen Umweltschutz zu verbessern und zu flexibilisieren. Diese zusätzliche Flexibilität wird helfen, den Flickenteppich, der sich aus der bisherigen Kompensationsregelung ergeben hat, zu schließen und größere ökologische Refugien von hoher Wertigkeit zu schaffen. Insbesondere die Verbindung etwa durch Linien- und Trittsteinbiotope, also die Schaffung von Biotopverbundsystemen, wird mit dieser größeren Flexibilität endlich möglich.

Meine Damen und Herren, selten kann eine Gesetzesänderung die Interessen von Naturschutz, Unternehmen, landwirtschaftlichen Betrieben und den Menschen in Niedersachsen so gut vereinbaren, wie es mit dem vorliegenden Antrag gelingt. Mit der Gleichrangigkeit von Ausgleichsflächen und Ersatzgeld realisieren wir noch mehr qualitativ hochwertigen Umweltschutz. Wir vereinfachen Investitionen und erleichtern die Neuschaffung von Arbeitsplätzen in Niedersachsen.

Dass schon verschiedene Naturschutzverbände unseren Antrag hinter vorgehaltener Hand unterstützen, bestätigt unsere Position.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Haben Sie die Pressemitteilung des NABU heute gelesen? Die Umweltverbände lehnen das ab!)

Deshalb bitte ich auch Sie um die Unterstützung dieses Antrags.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Hocker. - Zu dem gleichen Punkt spricht Herr Herzog für die Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute einen Antrag von CDU und FDP, der zum Ziel hat, das Herauskaufen mittels Ersatzzahlung bei der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft noch weiter zu erleichtern. Eigentlich unverständlich - haben Sie doch kürzlich Ihre neuen Naturschutzgesetze mit hängender Zunge durch den Landtag gepeitscht.

Interessant ist dieser Antrag aber auch noch aus einem anderen Grund. CDU und FDP in Niedersachsen misstrauen offenbar der CDU/CSU-FDPBundesregierung so abgrundtief, dass sie glauben, sie an ihr im Koalitionsvertrag vorgesehenes Vorhaben erinnern zu müssen.

(David McAllister [CDU]: Wir ermun- tern!)

Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, nach allem, was Sie hier im Plenum - Herr McAllister, nach Ihrem Parforceritt durch die Naturschutzgesetzgebung - von sich gegeben haben, ist klar, wen und was Sie vorrangig jedenfalls nicht schützen wollen: die Natur. Schon bei dem Wie der Kompensationen haben Sie die Möglichkeiten genutzt, Verordnungen von Bundesebene zuvorzukommen - selbstverständlich um Standards abzusenken, nicht zum Wohle der Natur.

Auch bei der Höhe von Ersatzzahlungen nutzten Sie alle Möglichkeiten, dies zu tun, und führten einen völlig sachfremden 7-%-Deckel ein - wieder nicht zum Nutzen der Natur.

So ein Vorgehen ist auch keine flexible Lösung ohne Absenkung der Qualität des Naturschutzes, wie Sie in Ihrer Begründung schreiben, also ein Vorgehen, das womöglich das Scheitern des Kopenhagen-Gipfels begriffen hat. Nein, es ist schlicht Aufweichung von naturschutzfachlichen Grundsätzen, um nicht zu sagen: Lobbyarbeit gegen die Natur.