Protocol of the Session on April 29, 2010

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion folgt jetzt Herr Kollege Schwarz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Landtagsfraktion hat am 22. April einen umfassenden Aktionsplan zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung vorgelegt. Ich muss sagen: Es passiert uns ganz selten, dass sich die FDP auf einem ihrer Bundesparteitage mit einem unserer Papiere beschäftigt, gleichzeitig dieses Thema heute aber zur Aktuellen Stunde angemeldet hat. Sie sollten dies mit unseren Vorschlägen häufiger machen; denn dann bliebe uns hier viel erspart, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Zur Sache will ich sagen: Sie haben darauf hingewiesen, dass wir nicht darüber reden, dass wir in Deutschland - auch in Niedersachsen - zu wenige Ärzte haben. Im Gegenteil, in den letzten zehn Jahren ist eine deutliche Zunahme der Zahl der Ärzte zu verzeichnen. Allein in Niedersachsen hatten wir im Jahr 2000 rund 10 000 niedergelassene Ärzte. Gegenwärtig haben wir rund 13 000 niedergelassene Ärzte. Im Vergleich dazu gab es auf Bundesebene im Jahr 1990 rund 90 000 niedergelassene Ärzte, zurzeit sind es etwas mehr als 130 000.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Unser Problem ist, dass die Anzahl der Facharztrichtungen immer weiter ausufert und dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte bereit sind, sich im ländlichen Bereich als Allgemeinmediziner niederzulassen. Das ist das Problem, um das es hier geht. Der Hausärzteverband - angeführt von Herrn Dr. Jarmatz - weist seit vielen Jahren darauf hin - das sehe ich anders, als es Herr Riese hier eben dargestellt hat -, dass, was hier auf uns zukommt, in der Tat alarmierend ist. In Niedersachsen gibt es zurzeit ca. 5 000 Hausärzte. Wenn diese Entwicklung so weitergeht und das eintritt, was die KV prognostiziert, dann werden uns in zehn Jahren mindestens 1 000 davon fehlen, die nicht ersetzt werden.

Wir haben schon heute die Situation, dass in Niedersachsen in 33 von 44 Zulassungsbereichen - also in drei Vierteln aller Zulassungsbereiche - Hausärzte fehlen. Das, meine Damen und Herren, geht in erster Linie zulasten einer älter werdenden und nicht mobilen Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Deshalb sind wir, glaube ich, gemeinschaftlich gefordert. Herr Rösler weist, wie ich finde, zu Recht darauf hin, dass die Länder an dieser Stelle intensiv und stärker als bisher gefordert sind. Sicherstellungsauftrag, gerechte Bezahlung im Verhältnis zwischen Hausärzten und Fachärzten, das nicht weitere Kreieren von neuen Facharztgruppen - all dies fällt in die Zuständigkeit der ärztlichen Selbstverwaltung. Diese Aufgaben sollen Sie bitte wahrnehmen.

Sie haben gerade von „Notarztversorgung“ gesprochen. Das meinten Sie aber nicht, weil es um den Bereitschaftsdienst ging. Das aber, was die KV da gemacht hat, hat die Volksseele so richtig zum Kochen gebracht. Von den Wochenenddiensten müssen jetzt riesige Einzugsbereiche abgedeckt werden mit der Folge, dass weder die Patienten rechtzeitig erreicht werden können, wenn wirklich etwas los ist, noch die Ärzte wissen, in welchem Bereich sie eigentlich eingesetzt werden.

Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen das Land intensiv gefordert ist. Diese möchte ich jetzt nur stichpunktartig ansprechen: Wir brauchen mehr Studienplätze im Bereich Medizin.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in Niedersachsen nur knapp 400. Wir brauchen eine gezielte Leitung von Medizinstudentinnen und -studenten Richtung Hausarztausbildung. Von diesen 400 absolvieren eine solche Ausbildung nur 50 junge Studentinnen und Studenten pro Jahr. Wir brauchen ein zeitgemäßes Medizinstudium, nicht aber eines, das vor 30 Jahren schon genauso ausgesehen hat. Wir brauchen mehr als nur einen Lehrstuhl für die Allgemeinmedizin. Wir brauchen gezielte Stipendien, um jungen Leuten Anreize zu geben, in den Bereich des Allgemeinmediziners zu wechseln. Wir brauchen eine deutliche Steigerung von Weiterbildungsstellen.

Meine Damen und Herren, all das sind Aufgaben dieser Landesregierung, die in den letzten Jahren mit Ausnahme der Einrichtung eines runden Tisches nichts, aber auch gar nichts bewegt hat.

(Beifall bei der SPD - Glocke des Prä- sidenten)

Ich will Ihnen sagen, was wir nicht unbedingt brauchen: die Abschaffung des Numerus clausus. - Das ist eine rein abstrakte Debatte. Durch die Abschaffung des NC ändern Sie weder die Strukturen, noch gewinnen Sie dadurch nur einen einzigen Landarzt mehr. Sorgen Sie stattdessen dafür, dass die Universitäten so verändert werden, dass mehr Studenten diesen Beruf anstreben.

(Beifall bei der SPD)

Meine letzte Bemerkung: Sie haben eben selbst darauf hingewiesen, Herr Riese - da sind wir überhaupt nicht auseinander -: Wir stehen vor der Situation, dass 60 % der Studierenden Studentinnen sind und dass zwischenzeitlich 60 % aller Ärzte Frauen sind. Das ist, glaube ich, eine gute Entwicklung. Das setzt aber voraus - die Präsidentin der Ärztekammer hat es vor zwei Tagen abends erst wieder gesagt -, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter so ausgebaut werden, dass dies auch funktioniert.

(Glocke des Präsidenten)

In diesem Punkt ist Niedersachsen nach wie vor Schlusslicht, meine Damen und Herren. Das ist eine zentrale Frage, wenn es um die ländliche Versorgung geht.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte darauf hinweisen - letzter Satz, Herr Präsident -, dass es sich die Landesregierung meiner Meinung nach zu einfach macht - wir werden es von Frau Mundlos und anderen ja gleich

hören -, wenn sie immer nur auf den runden Tisch hinweist. Wenn man dies hört, sagen Teilnehmer des runden Tisches: Toll, dass wir wieder darüber geredet haben. Bewegt hat sich aber nichts. - Fangen Sie endlich an, da etwas zu bewegen! Das ist ein ernstes Problem. Wir reichen Ihnen die Hand, das gemeinsam zu versuchen, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Herr Humke-Focks. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab einige Zahlen und Fakten: Das Durchschnittsalter der in Niedersachsen niedergelassenen Hausärzte liegt inzwischen bei über 55 Jahren, wenn man den Stand von 2007 nimmt. Für das Jahr 2020 ergibt sich eine rechnerische Prognose dahin gehend, dass die hausärztliche Versorgung in allen Kreisen und Städten Niedersachsens bei unter 75 % liegen wird. In Haftanstalten gibt es immer weniger Ärzte. Das ist ein Aspekt, den wir immer ausklammern. Die Gründe hierfür sind u. a. die schlechte Bezahlung und auch die Standorte der Haftanstalten. Auch bei der Versorgung mit Fachärzten wird es - wenn man die Prognosen ernst nimmt - in einigen Jahren nicht anders aussehen.

Die Entwicklung der Studienplätze im Fachbereich Medizin - wir sind uns sicherlich darin einig, dass wir mehr Ärztinnen und Ärzte ausbilden müssen - ist bundesweit rückläufig. In Niedersachsen betrifft das insbesondere die Standorte Göttingen und Hannover. Die Gründe hierfür sind u. a. die im Vergleich zu anderen Studienfächern hohen Ausbildungskosten und auch die damit verbundene einseitige Belastung der Globalhaushalte der Universitäten mit einer medizinischen Fakultät.

Zum Einkommen müssen wir nichts sagen. Die Einkommensmöglichkeiten von Ärztinnen und Ärzten gerade in den ländlichen Regionen sind beschränkt. Deshalb verwundert es wenig, dass viele in Deutschland ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner heutzutage ins Ausland gehen. Die Ruhruniversität Bochum hat dazu im vergangenen Jahr ernüchternde Untersuchungsergebnisse veröffentlicht.

Ich betone ausdrücklich, dass überall dort, wo Ärzte fehlen, die Zahl der stationären Behandlun

gen in Krankenhäusern anstelle einer ambulanten Versorgung ansteigt. Das ist nicht die Entwicklung, die wir Linken unterstützen möchten.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zur FDP: Bei Ihnen ist es in den vergangenen Monaten ja Mode geworden, simple Phrasen als Sozialpolitik zu verkaufen. Ich möchte hier gar nichts zu den Ferienjobs, zur Anerkennung der Einkommen von Hartz-IV-Empfängern und zu Regelsatzkürzungen und anderem mehr sagen. Angesichts der akuten Problematik der ärztlichen Versorgung auf dem Land nutzen Sie wieder jede Gelegenheit zu einer Phrasendrescherei. Dabei können wir uns an weniger als fünf Fingern abzählen, wohin sich unsere allgemeine Gesundheitsversorgung unter einem Minister Rösler entwickeln wird. Dazu war heute u. a. in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung auf Seite 2 ein Artikel zu lesen: „Ärzte fürchten Enteignung“. Diese Überschrift mag etwas übertrieben klingen. Herr Rösler möchte aber frei werdende Arztpraxen in Ballungszentren schließen lassen, um Ärztinnen und Ärzte auf dem Land anzusiedeln. Das ist eine Milchmädchenrechnung; denn Sie unterschlagen dabei beispielsweise, dass es in sozialen Brennpunkten, in größeren Städten und Ballungsgebieten ebenfalls eine Unterversorgung gibt. Das können Sie in der aktuellen Ausgabe der ver.di PUBLIK nachlesen. Vielleicht sollten Sie dies auch einmal zu Ihrer Lektüre machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Grundlage Ihrer Gesundheitspolitik sind die Zweiklassenmedizin und die beste Versorgung für Leute mit einem großen Portemonnaie, während Sie die Versorgung für diejenigen Leute, die weniger Geld in der Tasche haben, am Rande auslaufen lassen. Das interessiert Sie nicht wirklich.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Um nun aber die Attraktivität der Niederlassung für Ärztinnen und Ärzte auf dem Land zu steigern, bedarf es einer ganzen Reihe von Maßnahmen. Die von der Landesregierung angekündigte Bundesratsinitiative zur Änderung der Approbationsordnung mag richtig sein. Gleiches gilt für die Idee eines Stipendienprogramms. Das ist keine Frage. Diese Schritte allein werden letztendlich aber nicht ausreichen.

Eine Lösung des Problems der ärztlichen Versorgung erfordert deutlich mehr. Das beginnt bei der Verbesserung der Einkommenssituation. Auch andere Aktivitäten von Krankenkassen, wie z. B.

der Hausarztvertrag der AOK Niedersachsen, können zur Bewältigung des Versorgungsmangels beitragen.

So oder so - wie ich bereits erwähnt habe, wird man für einen wirklichen Lösungsansatz nicht um eine Gesundung unseres Gesundheitssystems herumkommen. Wir müssen zuallererst das Einnahmeproblem der gesetzlichen Krankenversicherung lösen. Der sozial gerechte Weg dorthin ist eine Bürgerversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass wir Linke in diesem Hause schon mehrfach zinsgünstige Kredite und Anschubhilfen bei der Niederlassung von jungen Ärztinnen und Ärzten gefordert haben ebenso wie die Wiedereinführung der Gemeindeschwester, die auch zu einem wesentlichen Element der Flächenversorgung werden kann.

Wir Linke wollen die bestmögliche Versorgung aller Menschen und keine Zweiklassenmedizin; denn Gesundheit ist einfach keine Ware.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehört nun einmal auch die flächendeckende Versorgung mit Ärzten. Das muss endlich ein richtiger Bestandteil unseres gemeinsamen Gesellschaftsvertrages werden - nicht mehr und nicht weniger.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Ehrenloge, vor der Sie gerade auch den Herrn Ministerpräsidenten sehen, haben der Herr Botschafter der Republik Benin, Seine Exzellenz Herr Isidore Bio, und der Botschaftsattaché, Herr Ludovic Dakossi, Platz genommen.

(Beifall)

Ich heiße Sie im Namen des Niedersächsischen Landtages sehr herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen angenehmen und informativen Aufenthalt in Niedersachsen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir fahren in der Aktuellen Stunde fort. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Helmhold das Wort.