Protocol of the Session on March 17, 2010

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur zu einigen wenigen Punkten Stellung nehmen, weil ich die entsprechenden Aussagen einfach richtigstellen muss.

In der heutigen Debatte ist behauptet worden, wir würden Massenabschiebungen von Roma in den Kosovo durchführen. Ich darf Ihnen einmal die Zahlen nennen. Im Jahr 2009 waren es insgesamt drei und im Jahr 2010 mit dem heutigen Tag insgesamt zehn Fälle. Wenn hier von Massenabschiebungen gesprochen wird, kann man das also wohl nur zurückweisen. Das hat auch gar nichts damit zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Völlig zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass jeder Einzelfall geprüft werden muss. Das ist in der Vergangenheit auch geschehen. Bei denjenigen, die heute zurückgeführt worden sind, ist es ebenfalls geschehen.

Hier ist der Fall geschildert worden, dass zwei Personen aus Rotenburg/Wümme abgeschoben worden seien, bei denen die Reisefähigkeit nicht gegeben gewesen sei. Erstens sind direkt vor dem Flug noch Untersuchungen durchgeführt worden, und zwar von zwei Ärzten unabhängig voneinander, und es ist die Reisefähigkeit festgestellt worden. Zweitens ist diese Familie dennoch nicht abgeschoben worden. Wenn hier etwas anderes dargestellt wird, ist das also auch nicht richtig. Direkt vor dem Abflug ist hier aber auch noch einmal die Reisefähigkeit festgestellt worden.

Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nur noch auf einen Aspekt näher eingehen, der hier immer wieder falsch dargestellt wird, und Ihnen schildern, wie die Rückführung tatsächlich durchgeführt wird und wie man sich vor allen Dingen direkt vor Ort um die Familien kümmert, wenn sie denn im Kosovo angekommen sind.

Ich möchte Ihnen einmal einen Bericht der Deutschen Botschaft in Pristina über eine aus Deutschland abgeschobene Roma-Familie darlegen:

„Bei Ankunft in Pristina waren nicht nur Mitarbeiter des Monitoringteams des UNHCR anwesend. Es stand auch eine Mitarbeiterin des kosovarischen Ministeriums für Arbeit und soziale Wohlfahrt zur Verfügung, die Auskunft über Fragen der Beantragung von sozialhilfeähnlichen Leistungen und Personaldokumenten geben konnte. Ein Diplompsychologie sowie ein Sozialarbeiter, die sich im Rahmen des von den Ländern BadenWürttemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mitfinanzierten Rückkehrprojekts URA 2 des Bundesamtes im Kosovo aufhalten, waren ebenfalls vor Ort, um den Rückkehrern ihre Hilfsangebote zu unterbreiten. Diese umfassen neben temporärer Unterkunft, Verpflegung, sozialer Beratung insbesondere auch Hilfestellung beim Umgang mit den kosovarischen Behörden.“

Diese Unterstützung erhalten alle Rückkehrer, und zwar völlig unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit.

Herr Minister, gestatten Sie ein Zwischenfrage von Frau Zimmermann?

Gerne.

Herr Schünemann, Sie haben Maßnahmen für Abgeschobene genannt, die dorthin zurückkehren, also dort wieder anlanden. Wissen Sie eigentlich, dass diese Unterstützungen nach 14 Tagen aufhören und dass dann nicht gegeben ist, dass die Menschen eine Wohnung haben und eine Arbeit bekommen? Wissen Sie eigentlich, dass sie Sozialhilfeleistungen nur in dem Ort bekommen, aus dem sie kommen? - Das sind im Übrigen nur 30 Euro für eine ganze Familie. Wissen Sie das eigentlich, und könnten Sie sich vorstellen, dass man davon leben kann?

Ich weiß genau, dass diese Unterstützung nachhaltig ist. Dies kann ich an dem Beispiel der Familie deutlich machen, die eben Gegenstand der Debatte gewesen ist.

Bereits im Jahr 2006 - darauf hat der Ministerpräsident hingewiesen - hat die Familie unterschrieben, dass sie freiwillig zurückkehrt. Daraufhin hat man sich danach erkundigt, ob es im Kosovo Familienangehörige gibt, die sich um diese Familie kümmern können. Dort lebt ein Bruder. Da das Haus, in dem der Bruder lebt, nicht groß genug ist, hat man angeboten, dass Rückkehrgelder zur Verfügung gestellt werden, um dieses Haus umzubauen und an dieses Haus anzubauen, damit man diese Familie dort vernünftig, sogar im Familienverbund, unterbringen kann. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass auch für einen Kiosk, der wohl vom Bruder mit unterhalten wird, eine Unterstützung gewährt wird, damit die Familie einer Beschäftigung nachgehen kann.

Ich glaube, nachhaltiger kann eine Unterstützung nicht sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn man diese Unterstützung allerdings nicht annimmt, dann ist das meiner Ansicht nach schwierig.

Der Fall, den ich gerade geschildert habe, ist kein Einzelfall. So wird mit jedem verfahren, der zurückkehrt. Die Behauptung, dass man diejenigen, die zurückgeführt werden, alleine lässt, ist haltlos. Sie sollten sie nicht wiederholen, weil dies nicht der Wahrheit entspricht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das Land Niedersachsen und auch kein anderes Bundesland haben die Kompetenz und die Verantwortung dafür, festzustellen, wie die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort sind. Vielmehr ist ausschließlich das Auswärtige Amt dafür zuständig, die Berichte zu erstellen und den Bundesländern zur Verfügung zu stellen. In der Innenministerkonferenz werden diese dann dargelegt.

Ich habe gesagt, es ist wichtig, dass auch das Land Niedersachsen genaue Informationen bekommt, damit wir in einer solchen Debatte darüber reden können. Wenn wir Rückkehrangebote mitfinanzieren, ist es sinnvoll, sich selbst ein Bild davon zu machen. Deshalb ist eine Delegation meines

Ministeriums dort hinunter gefahren und hat einen Bericht erstellt. Zugegeben: Auch ein solcher Bericht kann nicht alle Aspekte umfassen. Ich will auch nicht sagen, dass das die 100-prozentige Realität ist.

Aber auch die Berichte, die Sie anführen, Herr Wenzel, sind immer nur eine Teilansicht. Deshalb ist es richtig, dass sich das Auswärtige Amt diese Berichte anschaut und dann der Innenministerkonferenz unabhängig berichtet, damit die Entscheidungen getroffen werden können. Das müssen wir uns anschauen. Wir haben hier eine klare Zuständigkeit. Aber objektive Berichte können wir nur von denjenigen Stellen erhalten, die die Verantwortung dafür haben, nämlich vom Auswärtigen Amt.

Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass das Auswärtige Amt in der Vergangenheit gut gearbeitet hat und dass es uns jetzt die richtigen Berichte vorlegt.

Meine Damen und Herren, zum Teil ist es schwer erträglich - dies muss ich deutlich sagen -, wenn in der Öffentlichkeit immer wieder dargestellt wird, wie inhuman und unmenschlich abgeschoben wird und dass man Familien mit ihrem Schicksal alleine zurücklässt. Dies ist in vielen Fällen nicht der Fall. Gerade in diesem Fall und bei den Roma im Kosovo ist das überhaupt nicht der Fall. Ich freue mich insofern über Ihren Antrag, als wir dies einmal in aller Breite darstellen konnten; denn die Bevölkerung sollte die Wahrheit wissen, damit die Kampagnen, die da gefahren werden, irgendwann einmal aufhören. Die Bevölkerung sollte wissen, wie es wirklich ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, mir liegen noch zwei Wortmeldungen vor: zum einen von Frau Seeler für zusätzliche Redezeit und zum anderen von Herrn Wenzel für eine Kurzintervention. Er weiß, dass das bei Ministern nicht geht. Ich deute das einmal in einen Antrag auf zusätzliche Redezeit um.

Jetzt kommt zunächst Frau Seeler. Zwei Minuten!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich bin die Einzige hier, die inzwischen dreimal im Kosovo war, und zwar seinerzeit noch mit dem damaligen Präsidenten Herrn Gansäuer

zusammen. Wir haben uns auf diesen Reisen auch mit der Thematik der Roma beschäftigt und haben mit den Roma gesprochen. Leider kann ich aus diesen Gesprächen das, was der Innenminister eben gesagt hat, nicht bestätigen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Auch nicht der Ministerpräsident! - Zuruf: Wann war das?)

- Das war im Jahre 2007. So lange ist das also noch nicht her.

Die Roma fühlten sich damals völlig alleine gelassen, gerade diejenigen, die wieder dorthin zurückgegangen sind. Außer den 14-tägigen Unterstützungen, die eben angesprochen worden sind, hatten sie keinerlei Unterstützung.

Sie haben dort in einer Situation gelebt, die wir uns hier überhaupt nicht vorstellen können. Aus meiner Sicht waren die Bedingungen dort dramatisch und grauenhaft. Es gab keine ärztliche Versorgung, weil man sie sich nicht leisten kann. Es gab keine Arbeit, weil es für die Roma im Kosovo keine Arbeit gibt. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie es ist, in einem Land keine Arbeit zu haben, in dem es nicht so ein System gibt wie bei uns hier in Deutschland. Deswegen halte ich es für völlig unzumutbar, diese Menschen - es sind Menschen! - dorthin abzuschieben - ohne Arbeitsmöglichkeit, ohne eine vernünftige Unterstützung, ohne all das, was wir hier für selbstverständlich halten.

Ich glaube, wir sollten noch einmal darüber nachdenken und uns informieren, was dort wirklich los ist. Vielleicht ist es ja möglich, dass einige von uns einfach einmal hinfahren und sich vor Ort informieren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, Herr Wenzel hat um zusätzliche Redezeit gebeten. 90 Sekunden!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Innenminister, Sie sprechen hier von einer Kampagne. Ich möchte nur einmal aus einem Brief zitieren. Das Schreiben stammt von Herrn Professor Orth, Pfarrer außer Dienst. Er schrieb an Bischof Trelle, den Bischof von Hildesheim. Herr Trelle antwortete: Ich freue mich immer wieder um Menschen zu wissen, die sich für eine Flüchtlings

politik engagieren, die christlichen Maßstäben entspricht.

Wenn Sie das für eine Kampagne halten, Herr Schünemann, dann ist das Ihr Problem. Ich glaube, dass es - so, wie Herr Trelle es hier ausdrückt - am Ende christlichen Maßstäben entspricht, sich für die Schwächsten zu engagieren.

Ein Vorgänger von Herrn Ministerpräsident Wulff - dies war meines Wissens Ministerpräsident Ernst Albrecht - hat einmal gesagt, dass es nach acht Jahren eigentlich nicht mehr zulässig ist, Menschen wieder abzuschieben, gerade wenn es sich dabei um Kinder handelt, die hier geboren sind, die keine andere Sprache sprechen, die im Kosovo keine Schule finden, wo man Deutsch spricht, und die die Sprache im Kosovo nicht sprechen, weil sie hier aufgewachsen sind.

Natürlich gibt es Integrationsprobleme. Aber da müssen wir uns doch fragen: Was haben wir in den letzten 17 Jahren als Gesellschaft versäumt? Warum haben wir es in den letzten 17 Jahren nicht geschafft, Integration so sicherzustellen, dass auch die Mutter die Sprache erlernt?

Herr Kollege Wenzel, letzter Satz, bitte!

Das Problem können wir in Europa mit Abschiebungen nicht mehr lösen, sondern nur mit freiwilliger Rückkehr.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Kollege Adler hat ebenfalls um zusätzliche Redezeit gebeten. Herr Minister, ich nehme an, dass Sie ganz am Ende das Wort ergreifen möchten. Herr Adler, Sie haben 90 Sekunden. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, wir haben es mit folgendem Problem zu tun. Wenn Sie die abgeschobenen Kosovo-Flüchtlinge alle so ausstatten, wie Sie das eben in einem Einzelfall geschildert haben - es hieß, dass sie eine neue Existenzgrundlage bekommen, dass sie beispielsweise auch einen Kiosk betreiben können; sie würden nicht so leben, wie es nach unseren Informationen der Fall ist; danach

leben sie nämlich in Lagern -, würde es im Kosovo eine Neidkampagne derjenigen geben, die nicht Roma sind, weil man, wie sie genannt werden, die Zigeuner in dieser Weise fördert. Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass in der Gesellschaft des Kosovo eine Bereitschaft, die Roma aufzunehmen, nicht besteht. Sie geraten in ein Dilemma. Sobald Sie die einen zusätzlich fördern, wird sich die Gefahr für die Sicherheit der Roma erhöhen, weil sie dann Opfer einer Neidkampagne werden können. Gegenwärtig ist es noch nicht zu Pogromen gekommen. Die letzten Pogrome liegen schon etwas zurück. Es besteht aber immer die Gefahr, dass es zu Pogromen kommt. Die Gefahr erhöht sich desto mehr, je mehr Roma dort hingeschickt werden. Wenn es nur einzelne sind, mag es nicht zu Pogromen kommen. Sobald es sich aber um eine größere Gruppe handelt, besteht die Gefahr neuer Pogrome.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Innenminister Schünemann hat das Wort. Bitte!