Protocol of the Session on March 17, 2010

„Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“

Ihr gutes Recht ist es, das in Ordnung zu finden. Aber es ist unser gutes demokratisches Recht als Linke, das nicht richtig zu finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu Sylvia-Yvonne Kaufmann: Wie bei allen Parteien werden auch bei uns die Kandidaten für die Europawahl in demokratischen Wahlen auf entsprechenden Parteitagen aufgestellt.

(Beifall bei der LINKEN - Björn Thüm- ler [CDU]: Ob das denn wohl demo- kratisch ist?)

Wenn eine Kandidatin bei der vorhergehenden Aufstellung verspricht, gegen die damalige EUVerfassung abzustimmen und dann kurz darauf doch dafür stimmt, dann darf sie sich nicht wundern, wenn sie beim nächsten Mal nicht wieder aufgestellt wird. Das wäre in Ihrer Partei nicht anders.

(Beifall bei der LINKEN - Ulf Thiele [CDU]: Das ist Demokratie? Das kann ja nicht sein! - David McAllister [CDU]: Wir alle haben dafür gestimmt!)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/2172 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - So ist beschlossen, meine Damen und Herren.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung: Kostenlose Kontrazeptiva (empfängnisverhü- tende Mittel) für Personen mit Leistungsbezug gemäß SGB II, SGB XII, dem Asylbewerberleistungsgesetz und mit vergleichbar geringem

Einkommen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2276

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, ich würde gern den ersten Redner aufrufen. Aber dazu müsste es etwas leiser werden. - Vielleicht auch auf der Regierungsbank.

Wir kommen zur Einbringung.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Humke-Focks. Bitte schön!

(Beifall bei der LINKEN)

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin und Herr Präsident! Da ist ja fliegender Wechsel. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus meiner langjährigen kommunalpolitischen Erfahrung kenne ich es leider, dass politische Themen, die sich im näheren oder weiteren Sinne mit dem Thema Sexualität beschäftigen, gerne ausgeklammert werden. Ich gehe aber davon aus, dass das bei uns heute und in den Ausschussberatungen nicht der Fall sein wird, sondern dass wir uns damit ernsthaft auseinandersetzen werden. Das ist meine ehrliche Überzeugung.

Ich war ganz überrascht, als ich in dieser Woche neben anderen Quellen, die Sie in anderen Zeitungen und auch im Internet finden können, einen Artikel im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL gefunden habe mit dem Titel „In den Betten des Prekariats“, in dem dieses Thema aufgegriffen worden ist.

Die Tatsache, dass Frauen aufgrund finanzieller Not ungewollt schwanger werden, ist zweifelsfrei ein großer sozialpolitischer Missstand. Auch wenn niemand ganz genaue Zahlen hierzu vorlegen kann - weder für Niedersachsen noch bundesweit -, so bleibt das Problem doch gravierend; denn jeder individuelle Fall ist ein Fall zuviel. Die Diakonie in Niedersachsen hat aus der Erfahrung ihrer Arbeit in der Schwangerschaftskonfliktberatung die Problematik bereits eindrücklich in die Öffentlichkeit getragen. Gleiches gilt für pro familia. Besonders hervorheben möchte ich das Ergebnis einer Untersuchung von pro familia in Köln: Nach Einführung von Hartz IV war unter den Sozialleistungsbeziehern die Quote der Frauen, die regelmäßig verhüten, von vormals 67 % auf 30 % abge

sunken. Das wurde tatsächlich untersucht. Von 69 befragten Frauen zwischen 11 und 45 Jahren waren 27 Frauen schwanger geworden, alle 27 ungewollt. Ich betone: Selbst wenn diese Zahlen nur zur Hälfte auf alle Hartz-IV-Empfängerinnen in dieser Altersgruppe hochzurechnen wären, kann die Bezeichnung „sozialpolitischer Missstand“ allenfalls noch als diplomatisch bezeichnet werden.

(Unruhe - Uwe Schwarz [SPD]: Man versteht hier nichts! Es ist unruhig!)

Dieser Missstand kommt nicht von ungefähr. Die Ursachen lassen sich vielmehr an fünf Fingern abzählen. Der Anteil für Medikamente und therapeutische Geräte im Regelsatz der Leistungen nach dem SGB II beträgt aktuell gut 13,17 Euro pro Monat. Wenn die Verhütungsmittel, wie in unserem Antrag aufgeführt, nicht aus diesen Kosten finanzierbar sind - u. a. wegen der Praxisgebühr und sogenannter Bagatellmedikamente -, dann stellt sich die Frage, aus welchem Teil des Regelsatzes diese Kosten stattdessen abzuzwacken seien. Es ist aus unserer Sicht nicht aus den 16,41 Euro für ÖPNV oder Fahrräder oder aus den 25,59 Euro für Strom möglich. Oder lieber doch?

(Anhaltende Unruhe - Glocke der Prä- sidentin)

Ich könnte jeden einzelnen Posten aufführen, den es in den Regelsätzen gibt. Langer Rede, kurzer Sinn: Es ist nicht allein aus diesen Mitteln finanzierbar, sondern die Betroffenen brauchen eindeutig unsere Hilfestellung. Darauf müssen wir eine Antwort finden. Zum Glück ist auf breiter gesellschaftlicher Basis endlich bereits eine Debatte darüber eingetreten, wie wir an diesem Punkt weiterkommen. Deshalb mein Appell, dass wir uns mit diesem Thema ernsthaft beschäftigen; denn schon lange vor dem Karlsruher Urteil war jedem Menschen, der es wissen wollte, klar, dass es sich hier nicht wirklich um Optionen handelt, wenn man seinen Lebensunterhalt aus den Leistungen des SGB-II-Regelsatzes bestreiten muss. Insofern sollten wir auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bezüglich der Würde des Menschen ernst nehmen.

Finanzielle Not macht die Krisenentscheidung über die Frage, ob ich es mir leisten kann, ein Kind zu bekommen, oder nicht, wahrlich nicht einfacher. Wenn das Ringen im Alltag gerade darin besteht, einen Weg aus der Erwerbslosigkeit und somit aus der Armut zu finden - vielleicht durch eine Umschulung, wenn vom Jobcenter ein entsprechendes Angebot gekommen ist, oder durch den Sprung in

die Selbstständigkeit, auch das ist ja möglich, oder durch was auch immer -, dann kommt eine ungewollte Schwangerschaft wie eine Hiobsbotschaft. Wenn diese ungewollte Schwangerschaft auf chronischem Geldmangel und der hierdurch verursachten mangelnden Verhütung beruht, können und müssen wir sogar von einer Tragödie sprechen - von einer Tragödie deshalb, weil sie vermeidbar gewesen wäre. Und genau dafür tragen wir hier gemeinsam die Verantwortung.

Zur genauen Problematik im SGB V: Die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel werden nach § 24 a Abs. 2 bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommen. Danach aber ist man dafür selbst verantwortlich.

Die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche werden indes altersunabhängig nach § 24 b durch die Kassen übernommen. Letzteres ist natürlich richtig. Warum aber in aller Welt sollten nicht auch die Kosten für die Verhütung ungewollter Schwangerschaften nach dem 20. Lebensjahr übernommen werden. Der Grundsatz „Prophylaxe geht vor Eingriff“ sollte doch nicht ausgerechnet bei dieser Frage ausgeblendet werden.

Wir halten Familienplanung für ein so wesentliches Gut der Selbstbestimmung von Menschen, dass sie generell in der Sozialpolitik verankert sein sollte. Das heißt: Wenn es nach meiner Fraktion ginge, würde es eine generelle Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel durch die Kassen geben. Ebenso wie der unerfüllte Kinderwunsch als Diagnose anerkannt und ein Grund für eine weitreichende Kostenübernahme medizinischer Behandlung ist, sollte auch die gewollte Empfängnisverhütung einen Grund zur Kostenübernahme darstellen. Das ist uns in diesem Zusammenhang sehr wichtig.

Aber natürlich kennen wir die Mehrheitsverhältnisse in Land und Bund. Deshalb haben wir in unserem Antrag den Lösungsansatz so formuliert, dass eine Kostenbefreiung mindestens für jene Menschen gelten muss, die ihren Lebensunterhalt nach SGB II, SGB XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen oder aber über ein vergleichbar geringes Einkommen verfügen. Wir hoffen zum Wohle dieser Menschen inständig, dass hierzu eine Art Minimalkonsens möglich sein wird.

Abschließend muss ich noch zur männlichen Rolle dieses Problemfeldes kommen. Ungewollte Schwangerschaften treffen Frauen zwangsläufig viel stärker. Die Verantwortung dafür liegt aber bei

beiden Geschlechtern. Daher haben wir die Kostenübernahme für Kondome in unserem Antrag explizit aufgenommen. Kondome, die nicht ärztlich verordnet werden müssen, fallen aus den wenigen Bereichen heraus, in denen aktuell die Kosten für Verhütungsmittel übernommen werden, also nach § 49 SGB XII, nach § 24 a SGB II oder in kommunalen Vorbildprojekten wie in Flensburg, worüber wir vielleicht im Ausschuss noch sprechen sollten.

Neben ungewollten Schwangerschaften verhüten Kondome auch Infektionen, darunter so gefährliche wie HIV oder Syphilis. Das trifft bei Frauen und Männern zu. Die vornehmliche Verwendung von Kondomen kann bei Frauen zudem das Risiko verringern, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Umgekehrt enthält hormonelle Kontrazeption diverse Nebenwirkungen und Risiken. So ist selbst die sogenannte Minipille für Frauen, die weitere Risikofaktoren für einen Herzinfarkt tragen, nicht bedenkenfrei zu empfehlen.

Die Frage nach der Form der Verhütung muss von den Menschen mit der Unterstützung durch ärztliche Beratung selbst getroffen werden. Für die Kostenerstattung haben wir sozialpolitisch Sorge zu tragen.

Abschließend möchte ich an meinen eingangs geäußerten Appell erinnern und darauf hinweisen, dass ich inständig hoffe, dass wir über dieses Thema im Ausschuss eine wirklich ernsthafte Diskussion führen. Wir können die Berichte und auch all die Erkenntnisse der Diakonie oder anderer Verbände wie etwa pro familia oder auch die Berichte, die wir z. B. im Nachrichtenmagazin Spiegel lesen konnten, nicht einfach beiseite schieben. Wir sollten uns ernsthaft darüber unterhalten, was zu tun ist und welche Möglichkeiten wir als Land haben, um Kommunen zu unterstützen, die vielleicht ähnlich wie die Stadt Flensburg einen eigenen Weg einschlagen wollen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Herr Humke-Focks. - Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Twesten das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beinahe absurd, aber leider traurige Realität: Pille verweigert, Abtreibung bezahlt. - So lässt sich die

Situation von Empfängerinnen von ALG II wohl am Treffendsten beschreiben. Sie haben keinen Anspruch auf Verhütungsmittel. Doch im Fall der Fälle zahlt ihnen der Staat die Abtreibung. Kosten für empfängnisverhütende Mittel werden übernommen, wenn diese verschrieben werden, aber nur nach den Bestimmungen der Krankenkassen. Das heißt. Ab dem 20. Lebensjahr muss jede Frau oder jedes Paar die Kosten für empfängnisverhütende Mittel selbst tragen. Können sie das Geld für eine verordnete Schwangerschaftsverhütung nicht aufbringen, werden zunehmend viele Frauen ungeplant und ungewollt schwanger. Die Folge ist ein Schwangerschaftskonflikt mit allen damit verbundenen persönlichen Gewissensfragen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Immer mehr Frauen geben in den Beratungsgesprächen an, dass sie sich sichere Verhütung nicht leisten können, und immer mehr Kinder kommen ungewollt auf die Welt. Das ist der Umgang mit Verhütungsfragen im 21. Jahrhundert in Deutschland!

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, es ist eine Frage gesellschaftlicher Intelligenz, wenn das Thema Familienplanung - also die Entscheidung für eine Schwangerschaft oder die Verhütung einer Schwangerschaft und letztendlich für ein Kind - nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert wird. In der Konsequenz heißt das: Frauen, alle Frauen - auch die, die in einer wirtschaftlich prekären Situation leben - müssen einen angemessenen Zugang zu Verhütungsmitteln haben. „Angemessen“ heißt: Die reale wirtschaftliche Situation muss betrachtet werden. Wer dies ohne wie auch immer gefärbte Brillen tut, kommt zu der Einschätzung: Kosten für empfängnisverhütende Mittel werden übernommen - die Pille für die Frau, Kondome für Männer. Damit verhindern wir ungewollte Schwangerschaften mit all ihren negativen Konsequenzen; denn es ist ein Zeichen gesellschaftlicher Solidarität mit den Betroffenen, wenn wir ihnen einen angemessenen Zugang zu Verhütungsmitteln verschaffen. Was wir auf jeden Fall verhindern müssen, ist, dass Abtreibung zum Instrument der Familienplanung wird.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Unsere Gesellschaft lässt junge Frauen zu oft allein und empört sich gleichzeitig über Babyklappen und offensichtliche Hilfeschreie junger Mütter, die mit einem Kind schlichtweg überfordert sind. Das

passt nicht zusammen. Hier fehlen der achtsame Umgang mit den jungen Frauen, Verständnis und Anerkennung ihrer Situation sowie Fairness und Schutz. Welchen Sinn macht es, jungen Frauen, die Verantwortung für sich übernehmen wollen, weil sie sich als ALG-II-Empfängerinnen in einer wirtschaftlich prekären Situation befinden, die finanziellen Mittel für Empfängnisverhütung zu verweigern und als Ausweg im Fall einer Schwangerschaft nur ein Abbruch bleibt?

Bereits im September letzten Jahres haben die Schwangerenberatungsstellen des Diakonischen Werkes in dieser Frage einen dringenden Appell an die niedersächsischen Bundestagsabgeordneten gerichtet. Tenor: Hilfen zur Finanzierung von Verhütungsmitteln und Sterilisationen für Frauen mit geringem Einkommen, soweit von ihnen gewünscht. - Eine Petition mit diesem Thema - ebenfalls von Kirchenseite - ist bisher ohne Resonanz geblieben bzw. noch unbeantwortet. Wir meinen entgegen dem Bundesgesundheitsministerium: Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

(Beifall bei den GRÜNEN)