Protocol of the Session on March 17, 2010

Selbstverständlich gehört für uns auch dazu, traumatisierte ältere und kranke Menschen vor der Abschiebung zu bewahren.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir werden im nächsten Plenum hierzu einen Antrag besprechen.

Gestern haben die Fraktionen von SPD und Grünen im Landtag und im Rat der Landeshauptstadt einen gemeinsamen Brief an Ministerpräsident Wulff unterzeichnet, dessen Forderungen ich hier noch einmal vorlesen möchte:

Erstens. Stoppen Sie die Planungen für Massenabschiebungen in den Kosovo und setzen Sie sich kurzfristig für einen Abschiebestopp für Roma ein!

Zweitens. Gewähren Sie den Roma-Flüchtlingen in Niedersachsen einen gesicherten Aufenthaltsstatus und setzen Sie sich auch auf Bundesebene dafür ein!

Drittens. Lassen Sie den hier geduldeten Roma Sprach- und Ausbildungsförderung zukommen, und machen Sie den Arbeitsmarkt zugänglich!

So kann eine erfolgreiche Integration gelingen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Dr. Lesemann. - Das Wort hat jetzt Ministerpräsident Wulff. Bitte schön!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass wir den Betroffenen einen Gefallen tun, wenn wir in dieser Form der Verallgemeinerungen die Debatte fortsetzen.

Deutschland ist ein außerordentlich weltoffenes Land. Es gibt kein anderes Land in Europa, das in den 90er-Jahren so vielen - Hunderttausenden! - Menschen Zuflucht während des Balkankrieges gegeben hat wie Deutschland. Es hat einen großen Konsens in der Bevölkerung darüber gegeben, dass wir in dieser Art humanitär helfen wollen.

Wenn man Hunderttausende aufgenommen hat, dann hat man im Nachgang, wenn die Entwicklung dort eine andere ist, natürlich mehr, mit denen man sich auseinanderzusetzen hat, als wenn man sich vorher verweigert hat, wie das andere Länder in stärkerem Maße getan haben.

Die Akzeptanz einer solchen Politik, auch für die Zukunft, setzt voraus, dass diejenigen dann am Aufbau ihres Landes wieder mitwirken, die vorher hier Zuflucht gefunden haben, als ein Leben in ihrem Lande nicht möglich war.

Wenn dann von Massenabschiebungen gesprochen wird, wenn es z. B. um 40 geht, um die wir uns im Einzelnen kümmern, dann ist das ebenso daneben wie der Zwischenruf eben „Eine Schande“, als es um den Brief ging, der mir geschrieben worden ist, und zu dem wir uns anders entschieden haben, als das Fraktionen des Landtages offenkundig wollen.

Einen allgemeinen Abschiebestopp wollen wir nicht, weil er eine Einladung an alle auch von dort wäre, illegal einzureisen, um sich dann auf diesen Abschiebestopp von hier dorthin berufen zu können, sondern wir wollen weiterhin eine konsequente Politik, die berechenbar ist, und eine Prüfung in jedem Einzelfall.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eben ist hier vonseiten der SPD-Fraktion eine Familie ganz konkret angesprochen worden, mit der ich mich in den letzten Wochen auch wegen

des Hinweises der Kirchen beschäftigt habe, so wie ich mich auch mit anderen Einzelfällen gemeinsam mit dem Innenminister seit Längerem beschäftige. Ich habe mit allen Mitgliedern der Härtefallkommission mehrfach Gespräche geführt, über Einzelfälle Gespräche geführt und habe deswegen auch in dieser Sache Erkundigungen eingeholt.

Bei diesem Fall hört sich das unglaublich schlüssig an, was Sie vortragen, und unglaublich unbarmherzig, was wir vorhaben.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Aber wenn Sie dann die Fakten zur Kenntnis nehmen würden, Frau Lesemann, dann müssten Sie doch auch in der Lage sein, das Ganze differenzierter zu betrachten. Die Familie hat ein Asylverfahren unter Angabe albanischer Volkszugehörigkeit durchgeführt, das durch alle Instanzen 1997 rechtskräftig negativ beschieden wurde. Dann wurde ein Asylfolgeverfahren unter der Angabe der Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Ashkali betrieben. Auch das wurde im April 2004 rechtskräftig negativ entschieden. Dann konnte Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen nicht entsprochen werden. Weiter gab es keine Anerkennung als Härtefall im Petitionsverfahren im Juni 2006 im Landtag. Am 27. April 2006 wurde eine Erklärung zur freiwilligen Ausreise unterschrieben. Der inzwischen volljährige Sohn konnte durch die Altfallregelung begünstigt werden, da er seinen Lebensunterhalt vollständig aus einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis bestreitet. Aber die anderen konnten weder in die Begünstigung der Bleiberechtsregelungen noch der gesetzlichen Altfallregelungen kommen, weil sie auch nach 17 Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik über keine Deutschkenntnisse verfügen, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, sich nicht um die Erbringung des eigenen Lebensunterhalts kümmern, keine gemeinnützige Tätigkeit übernehmen wollen und trotz der Aufforderungen durch die Ausländerbehörde der Erfüllung ihrer Passpflicht nicht nachkommen.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat vor wenigen Tagen in einem weiteren der vielfältigen Verfahren in unserem Rechtsstaat entschieden: Eine auf Dauer angelegte Integration ist den Antragstellerinnen bisher nicht gelungen. Es gibt keinerlei Arbeitsbemühungen. Zu keinem Zeitpunkt - mit der Ausnahme von drei Tagen - ist eine Berufstätigkeit

ausgeübt worden. Auch deutschen Frauen wird eine Teilzeitarbeit zugemutet, wenn ihre Kinder im Grundschulalter sind. Trotz einem 17 Jahre währenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland wurden keine hinreichenden Deutschkenntnisse erworben. Die Kinder, die alle die Förderschule besuchen, haben zum Teil auch an dem Berufsvorbereitungsjahr in Niedersachsen teilgenommen: Bei 102 Fehltagen haben sie an 87 Tagen unentschuldigt gefehlt.

Das heißt, die Antragsteller leben seit 1993 aus öffentlichen Mitteln auf Kosten aller anderen in unserem Land, die diese Politik akzeptieren und im Konsens tragen sollen. Sie bemühen sich nicht, aus dieser Lage herauszukommen, sondern tragen mit dazu bei, dass die nächste Generation in derselben Lage in diesem Lande - ohne zu arbeiten - besser leben will als die Menschen dort, die in ihrem Land arbeiten. Das können Sie nicht vertreten!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aufgrund solcher Fälle fragen sich dann die Menschen, ob wir wirklich ausreichend viele Anforderungen an die Integrationsbereitschaft stellen oder schlicht mit pauschalen Aussagen - und solche habe ich hier gehört - denen Vorschub leisten, die eine Akzeptanz dafür auf Dauer nicht herstellen wollen. Wir gehen jedem Einzelfall nach. Wir sind für jeden Einzelfall offen. Wir entscheiden auch in vielen Einzelfällen zugunsten der Betroffenen. Aber in diesem Fall gab es ein Angebot - Herr Schünemann kann das alles ausführen -, dass wir einen Anbau beim Schwager im Kosovo mit finanzieren usw.

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hier ist ein Einzelfall geschildert worden. Ich habe unsere Sicht dazu geschildert. Über dieses Thema sollte im Ausschuss weiterberaten werden, auch über solche Einzelfälle, damit man sich über die Fakten klar wird. Ich wehre mich dagegen, dass hier pauschal Behauptungen aufgestellt werden, die der Nachprüfung nicht standhalten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist Herr Oetjen von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass Abschiebungen immer einen dramatischen Schritt für die Betroffenen bedeuten, weil es dabei um Einzelfälle, um persönliche Schicksale geht. Das sollten wir uns in diesen Debatten auch stets vor Augen halten.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob es einen generellen Abschiebestopp für Roma aus dem Kosovo geben soll, haben wir im Ausschuss zahlreiche Unterlagen erhalten und geprüft. Schließlich haben wir uns dafür entschieden, diesen Antrag abzulehnen. Der Fall Zizaku ist gerade von der Kollegin Polat geschildert worden. Ich möchte ergänzend zu dem, was der Ministerpräsident gerade richtigerweise ausgeführt hat, anmerken, dass es nach 2006, als die Petition im Landtag negativ beschieden wurde - ich weiß nicht, ob darüber abgestimmt oder ob sie damals zurückgezogen wurde -, drei Jahre lang die Möglichkeit gegeben hätte, sich an die Härtefallkommission zu wenden. Es muss uns doch zu denken geben, dass ein solches Ersuchen - unabhängig davon, wie die Härtefallkommission dann entschieden hätte - nicht an die Härtefallkommission gerichtet wurde. Dies wirft die Frage auf, ob die Beratung, die der Familie zuteil geworden ist, richtig gelaufen ist.

Es gibt ein Rückführungsabkommen mit dem Kosovo. Ich kann verstehen, dass kritisch hinterfragt wird, ob das, was im Kosovo passiert, den Roma immer nur dienlich ist. Sicherlich liegt nach einem solchen Bürgerkrieg vor Ort das Augenmerk nicht in erster Linie auf der Integration von Minderheiten, sondern zunächst werden vermutlich grundsätzlichere Lebensprobleme in Angriff genommen. Ich kann diese Skepsis durchaus verstehen; denn im Kosovo gibt es ja auch Interessen, europäische Mittel zu erhalten. Unter anderem deswegen wurde das Rückführungsabkommen ja geschlossen.

Letztlich handelt es sich dabei aber um eine bundespolitische Frage, wie wir mit einer Rückführung in den Kosovo umgehen. Die Kollegin Lorberg hat bereits ausgeführt, dass wir in Niedersachsen bei den Abschiebungen im Prinzip nur die Verwaltungsarbeit, beispielsweise die Abschiebung, leisten. Die inhaltliche Ausgestaltung ist allerdings

Bundessache. Deswegen wäre eine solche Debatte auf Bundesebene richtig angesiedelt.

Bezogen auf die Einzelfälle - meistens geht es ja um Familien, die viele Kinder haben - wollen wir als FDP-Fraktion uns in den zukünftigen Debatten über das Bleiberecht sehr dafür einsetzen, dass junge Menschen und Heranwachsende, die bei uns gut integriert sind, einen eigenen Aufenthaltstitel bekommen, damit sie unabhängig von ihren Eltern hier bleiben können. Das sind nämlich sehr viele. Gerade die Jungen, die hier geboren sind, hier zur Schule gehen, hier eine Ausbildung machen, haben bei uns eine gute Zukunftsperspektive. Oft kennen sie das Land, aus dem ihre Eltern stammen, gar nicht. Von daher muss es auch unsere Anstrengung sein, in der zukünftigen Bleiberechtspolitik dafür zu sorgen, solchen jungen Menschen eine Bleiberechtsperspektive zu geben.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Noch einmal kurz zu dem vorliegenden Antrag: Aus den genannten Gründen lehnen wir diesen Antrag heute ab. Ich sage aber noch einmal sehr deutlich: Mir ist wichtig, jeden Einzelfall genau zu betrachten. Frau Kollegin Lesemann, Kranke werden nicht abgeschoben. Wir sollten hier weiter differenziert diskutieren, uns an die Sachlage halten und nicht Verallgemeinerungen in den Raum stellen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat jetzt Frau Zimmermann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Oetjen, wenn Menschen fluchtartig ihr Land verlassen müssen, weil dort Krieg ist, und sich in einem anderen Land niederlassen und etablieren, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, wie sie sich entwickeln. Es kommt immer ein bisschen darauf an, wo man hinkommt, welche Chancen man hat und wie man selber gestrickt ist. Manche Menschen, die nach Deutschland kommen, müssen durch unsere Sozialsysteme aufgefangen werden, weil sie es allein nicht schaffen, weil sie ihre Kinder aus welchen Gründen auch immer nicht richtig erziehen können - über unentschuldigte Fehltage usw. ist eben berichtet worden.

Ich frage Sie: Sind Sie der Auffassung, dass diese Menschen, wenn sie in den Kosovo abgeschoben werden, dort soziale Verhältnisse vorfinden, in denen sie besonders gut gefördert und unterstützt werden können? - Es ist doch eigentlich hanebüchen zu sagen „Wir schieben sie dorthin ab, weil sie hier nicht tragbar sind und es hier nicht geschafft haben“. Denn dort werden sie es noch weniger schaffen.

Die heute aufgeworfene Frage, ob Kranke wirklich nicht abgeschoben worden sind, muss noch einmal überprüft werden. Vielleicht müsste man in diesem Zusammenhang auch einmal die Begriffsdefinition klären, wann jemand „krank“ ist.

(Glocke des Präsidenten)

Eine letzte Anmerkung: Wir haben ja schon mehrfach gehört, dass das Rückführungsabkommen - - -

Frau Kollegin, bitte noch einen Satz!

Der letzte Satz. - - - aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten unterschrieben worden ist. Das zeigt doch ganz deutlich, dass die Bedingungen im Kosovo noch nicht so sind, wie es uns hier weisgemacht wird. Das ist - - -