Das In-den-Wind-Schlagen durch die Mehrheitsfraktionen scheint sich hier zu wiederholen. Zu dem jetzt zu beratenden Antrag hat sich das Deutsche Kinderhilfswerk sehr gezielt geäußert und die Ansätze der Grünen unterstützt, was nicht weiter verwundert. So scheinen einige Passagen aus dem Vergleich der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu entstammen; sie ähneln zumindest einander.
Die SPD-Fraktion setzt sich für eine Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein, in der es heißt, dass Kinder und Jugendliche in allen sie berührenden Angelegenheiten zu beteiligen sind.
Im Wissen, liebe Frau Vockert, dass die Kommunen für diesen Bereich speziell zuständig sind - das haben Sie auch angeführt -, ist es dennoch richtig, dass das Land die Kommunen bei den Aktivitäten unterstützen sollte. Sie sagten, das machen Sie bereits. Aber ein wenig mehr kann in diesen Fällen nicht schaden. Deshalb unterstützen wir diesen Antrag.
Wir sagen Ja zu der vorgeschlagenen Kampagne zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Die Servicestelle kann die Kommunen unterstützen, ihnen mit der Benennung von Maßnahmen anderer Gebietskörperschaften gute Beispiele geben und damit insgesamt zur Vernetzung und zur Vielfalt bei der Beteiligung beitragen. Wir sagen auch Ja zur Benennung von Kinderbeauftragten, wobei man anfügen muss, dass es nicht so gemeint sein kann, dass sie nur benannt werden, sondern dass ihnen auch Aufgaben und Stellenanteile übertragen werden müssen. Das reine Benennen hätte ja keinen Effekt. Es muss ja etwas dahinterstehen. So ist es bei Ihnen nicht genannt. Aber ich gehe
In Salzgitter gibt es seit zwei Jahren eine Kinder- und Familienbeauftragte, und zwar, wie ich denke, mit recht gutem Erfolg.
Wir sagen auch Ja zur frühzeitigen Beteiligung in Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen. Das halten wir für richtig, weil auch das zur Entwicklung von eigenständigen Persönlichkeiten beitragen kann. Dabei ist unverzichtbar, dass immer Personen diese Prozesse einleiten, die sich mit Beteiligungsmodellen auskennen. Daher ist die Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Lehrkräften in den verschiedenen Einrichtungen aus unserer Sicht unverzichtbar.
Wir halten den Antrag für eine gute Grundlage, weiter an diesem Thema zu arbeiten, und werden ihn getreu unserer stetigen Förderung von Beteiligung und Partizipation auch unterstützen.
Meine Damen und Herren, für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Kollegen Humke-Focks das Wort. Bitte!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz vorweg: Ich glaube, Studien und Gutachten werden auch dazu verfasst, um Politik zu beraten und damit deren Ergebnisse gegebenenfalls Einfluss auf die Politik haben. Insofern finde ich es okay, dass man so etwas einmal zur Hand nimmt. Das ist genau das, was auf der anderen Seite manchmal fehlt.
So haben beispielsweise Sie, Frau Vockert, im Ausschuss Ihrer Sorge Ausdruck gegeben, dass Kommunen gegängelt würden, wenn sie Vorgaben erhielten, Kinder und Jugendliche in bestimmte Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Sie sagten
in der Debatte gleichzeitig, dass Demokratie ein hohes Gut sei, das ständig weiterentwickelt und gesichert werden müsse. Dennoch legen Sie hier heute nicht einmal einen Änderungsantrag vor. Insofern disqualifizieren Sie sich aus meiner Sicht selbst. Aber Sie werden sicherlich gleich darauf eingehen.
Demokratie wird von vielen Menschen in unserem Lande leider auf ein Nur-zur-Wahl-Gehen reduziert. So oder so rührt eine solche Auffassung von Demokratie im Wesentlichen daher, nie andere Erfahrungen gemacht zu haben, nicht erlebt zu haben, dass es sich lohnen kann, informiert zu sein und sich einzumischen, nicht erlebt zu haben, dass die Übernahme von Verantwortung einen selbst bereichern kann, dass man etwas lernt. Oder ganz anders formuliert: Demokratie muss individuell und in der Gruppe erfahrbar gemacht werden.
Es geht uns ganz besonders darum, die Beteiligung der Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft zu erhöhen, also die direkte Demokratie auszubauen. Je mehr Menschen sich direkt an den Belangen der Gesellschaft beteiligen, umso stärker wird das Gerüst unserer Demokratie mit Leben gefüllt.
Diese Beteiligung muss aber erlernt und erfahrbar gemacht werden; ich habe darauf hingewiesen. Wir können nicht 18 Jahre lang brave und gehorsame Kinder und Jugendliche erwarten, die dann als Erwachsene schlagartig politische Verantwortung übernehmen. Wir dürfen uns nicht langatmig über eine unpolitische Jugendkultur beschweren, wenn wir nicht genügend Angebote unterbreiten, die den jungen Menschen die Politik auch im Alltag näherbringen.
Nun noch zur Einbeziehung des Kinderwillens. Kinder sind sehr früh dazu in der Lage - ich verzichte jetzt auf das Zitat von Hurrelmann; dann könnte der Vorwurf kommen, dass wir alle uns auf die gleichen Grundlagen beziehen, was die Sache aber nicht falsch macht -
- genau, das ist der Grund -, nicht nur zu erkennen, was sie wollen, sondern sie sind ebenfalls früh
dazu fähig, mit anderen darüber in einen Austausch zu treten. Das kennen alle, die Kinder erziehen, aus eigener Erfahrung. Man kann diese Fähigkeit der Kinder eben nicht unterdrücken - das wäre schlecht -, man kann sie auch nicht ignorieren - das wäre ebenso falsch -, sondern wir müssen diese Fähigkeiten ausbauen und fördern. Das muss auf der politischen Ebene unser Weg sein. Ich empfehle in diesem Zusammenhang auch die Lektüre des Artikels 12 der UN-Kinderrechtskonvention. Der uns vorliegende Antrag kann dieser Rechtsnorm einen Namen geben. Ich beziehe mich auch an dieser Stelle noch einmal auf § 22 e der Niedersächsischen Gemeindeordnung, der Städte und Gemeinden bereits heute zur Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen verpflichtet und der in das geplante Kommunalverfassungsgesetz übernommen werden soll.
Ich möchte Sie abschließend noch einmal ermuntern, Ihre Bedenken über Bord zu werfen und dem vorliegenden Antrag zuzustimmen. Begraben Sie bitte Ihre Vorbehalte gegenüber Kindern und Jugendlichen! Beziehen Sie sie und ihre Wünsche in die Entscheidungsprozesse mit ein! Ich denke, dann kämen wir einen Schritt weiter. Wir wollen mündige Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen Kinder und Jugendliche, die sich einsetzen und engagieren, um damit der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken.
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren Kollegen! Wenn man den Vorrednern zugehört hat, könnte man glauben, sie leben in einem anderen Land. 18 Jahre lang sind die Kinder und Jugendlichen brav und hören nur den Eltern zu, danach fangen sie an, sich zu entscheiden. - Das ist doch gar nicht wahr! Waren Sie noch nie in der Schule? Da gibt es eine gut ausgebaute Schülermitverwaltung, die beispielsweise ein guter Einstieg in demokratische Mitbeteiligungsprozesse ist.
Meine Damen und Herren, der Antrag, den uns die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute vorlegt, enthält einige redundante Forderungen. Wenn man ihn genau durchliest, dann stellt man fest, er
enthält zehn einzelne Forderungen, und zehn Forderungen, die darin enthalten sind, bieten zehn Gründe, den Antrag abzulehnen, wozu ich Sie hiermit herzlich auffordere.
Erstens. Das Land soll eine Kampagne starten. - Die Grünen sind - wie immer - inkonsistent. Gestern hat sich Frau Helmhold an dieser Stelle noch über Pflegepaketchen amüsiert. Da sind Kampagnen verkehrt, hier aber sind sie richtig. Das ist inkonsequent.
Zweitens. Das Land soll eine Servicestelle einrichten. - Ich möchte den Landesjugendring und auch die ihn tragenden Verbände nicht arbeitslos machen. Da wird in diesem Sinne Hervorragendes geleistet. Ich erinnere z. B. an das Programm „neXTvote“.
Drittens. Das Land soll für Aus- und Fortbildungsangebote für Kinderbeteiligungsmoderatoren sorgen. - Wir können noch einmal darüber diskutieren, wie Sie sicherstellen wollen, dass die Moderatoren nicht klüger sind als die Kinder selbst, was die Frage angeht, wie die Kinder ihre Interessen äußern sollen. Das lässt sich wahrscheinlich darstellen. Ich möchte von Ihnen aber vor allem wissen: Wie viele Moderatoren soll es geben, und wer soll sie einstellen und bezahlen?
Viertens die Fortbildungen. - Das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hat im Jahre 2009 einen umfassenden Fortbildungskatalog vorgelegt, der u. a. folgende Veranstaltungen enthielt: Planen mit Fantasie, nachhaltige Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, Wirkung und Nachhaltigkeit der Jugendarbeit; auch da ging es um Beteiligungsprozesse.
Fünftens. § 22 e NGO enthält eine Sollvorschrift. - Wären Sie konsequent, hätten Sie gefordert, diese in eine Mussvorschrift umzuwandeln. Es gibt gute Gründe, warum das eine Sollvorschrift bleiben sollte.
Sechstens. Die Kommunen sollen § 22 e evaluieren. - Ich finde, das sollten sie tun, aber das Land muss es ihnen nicht vorschreiben.
Siebtens. Die Vergabe von Mitteln soll an die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Planung gebunden sein. - Da sei Gott vor! So weit kommt es noch: noch höhere Auflagen, noch bürokratischere Nebenbedingungen - nein!
Achtens. Es soll in jeder Verwaltung einen Kinderbeauftragten geben. - In jeder Verwaltung, also z. B. auch im Landesamt für Bezüge und Versorgung! Ich möchte gerne einmal wissen, was da der Kinderbeauftragte machen soll!
Neuntens. Es soll gemeinsame Fortbildungsangebote für kommunale Planer und Kinderbeteiligungsmoderatoren geben. - Erklären Sie erst einmal den Kindern solch ein schönes langes haariges Wort wie „Kinderbeteiligungsmoderator“!
Zehntens. Kindertagesstätten, Schulen und Jugendeinrichtungen sollen die Kinder- und Jugendlichenbeteiligung in ihr Leitbild aufnehmen. - Meine Damen und Herren, die Kindertagesstätten und die Schulen entscheiden noch immer selber, was sie in ihr Leitbild aufnehmen.
Ich glaube, ich habe alle Punkte erwähnt. Die übrigen Punkte sind redundant. Wie Sie sehen meine Damen und Herren, gibt es gute Gründe, den Antrag abzulehnen.
Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte!
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Riese, ich kann gar nicht auf alle Ihre vorgeschobenen Gründe eingehen, aus denen Sie den Antrag ablehnen. Aber einige Sachen haben mich doch sehr geärgert. Diese bitte ich Sie gleich in Ihrer Antwort richtigzustellen.
Sie haben als Beispiel für unsere Forderung nach Benennung von Kinderbeauftragten in den Verwaltungen das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung angesprochen. Wenn Sie den Antrag genau gelesen hätten, dann hätten Sie gesehen, dass es unter Nr. 2 ausdrücklich um die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen im kommunalen Bereich geht. Das steht in der Überschrift. Die Unterpunkte beziehen sich natürlich auf die Beteiligung im kommunalen Bereich. Ein Landesamt gehört nicht zum kommunalen Bereich, Herr Riese. Lesen Sie also bitte den Antrag sorgfältig, bevor Sie solche Behauptungen aufstellen!