Wer, meine Damen und Herren, definiert denn diesen Eindruck, und was ist denn, bitte schön, einschüchternd? Vielleicht 500 Gewerkschafter, die lautstark mit Trommeln und Trillerpfeifen gegen die schreiende soziale Ungerechtigkeit in diesem Land demonstrieren?
„Die zuständige Behörde kann Personen die Teilnahme an einer Versammlung untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen gegen ein Verbot nach Absatz 1 oder 2 verstoßen werden.“
Um das zu beurteilen, muss man doch wohl mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet sein. Die Beliebigkeit der Auslegung ist hier vorprogrammiert.
Die überhöhte Rolle staatlicher Behörden wird in § 10 des Entwurfs deutlich. Ihre vorgesehene Regelung, dass die zuständigen Behörden die Mitteilung der persönlichen Daten der Ordnerinnen und Ordner von der Leiterin bzw. dem Leiter verlangen kann, wird - das sage ich Ihnen jetzt schon voraus - nicht die Ausnahme sein, sondern die Regel werden. Zudem können Leiterinnen und Leiter sowie Ordnerinnen und Ordner abgelehnt werden, wenn sie ungeeignet erscheinen. Meine Damen und Herren, was ist denn das für ein Freibrief für die Ordnungsbehörden?
In § 13 „Schutzausrüstungs- und Vermummungsverbot“ wird Ihre ideologische Ausrichtung und Beliebigkeit der Möglichkeiten, die Sie den Ordnungsbehörden zubilligen, ganz besonders deutlich. Was ist denn eigentlich eine Schutzausrüstung? Eine Regenjacke bei Regen? Mütze und Schal bei Kälte? Was sind denn besondere Polsterungen? Vielleicht die Daunenjacke im Winter? Mich wundert, ehrlich gesagt, dass Sie nicht schon längst eine Demonstrationskleiderverordnung erlassen haben.
Der größte Klopfer aber, meine Damen und Herren, steckt hinter dem Verbot, schützende Arbeitskleidung zu tragen. Damit verhindern Sie die Spontandemonstrationen der Versammlungen von Arbeiterinnen und Arbeitern. Sie ersticken damit jegliche Möglichkeit der Einflussnahme in Tarifauseinandersetzungen, und ich bin mir sicher: Das wollen Sie auch.
Ein weiteres Beispiel für die breite Möglichkeit der Auslegung finden wir in § 14 zu Bild- und Tonauf
zeichnungen. Hier kann ich mich den Ausführungen meines Kollegen Briese anschließen. Das ist absolut schwammig formuliert.
Haarsträubend ist auch der im Fünften Teil geregelte Straf- und Bußgeldkatalog. Da ist man als Versammlungsleiterin oder Versammlungsleiter schnell mehrere Tausend Euro los. Wenn z. B. Herr Humke-Focks und ich in der Fußgängerzone Flugblätter verteilen wollen
- ja, wir wollen das gerne -, dann kann das kostspielig werden, je nach Auslegung. Meine Damen und Herren, ich habe Sie eben ein bisschen auf den Leim geführt, und Sie sind schön darauf gegangen. Da wird auch deutlich, wohin Sie eigentlich wollen.
Je nach Auslegung der Ordnungsbehörden kann die Versammlung aufgelöst werden. Spazieren wir beide aber trotzdem weiter, kann das mal eben ein Bußgeld von 3 000 Euro pro Person bedeuten.
Meine Damen und Herren, was Sie mit diesem Gesetz fabriziert haben, ist keineswegs benutzerfreundlich oder leicht verständlich, wie es Herr McAllister zu suggerieren versucht. Das Gesetz hebelt vielmehr das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sowie das Recht aus, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden.
Zur FDP: Sie haben ausdrücklich mit Ihrer im März 2009 noch hoch gehaltenen langen liberalen Tradition zum demokratischen Grundrecht der Versammlungsfreiheit gebrochen. Sie haben nicht Einfluss genommen und sich nur in ganz wenigen Punkten durchgesetzt. Ziel ist und bleibt es aber, ein liberales Versammlungsrecht für das Land Niedersachsen zu gestalten, welches dieses hohe, grundgesetzlich verankerte Gut kreativ ausgestaltet und nicht durch gesetzliche Winkelzüge letztendlich aushöhlt, staatlich überreguliert und somit in der Konsequenz verhindert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Länder dürfen zwar schon seit 2008 das Grundrecht auf Versammlungen mit eigenen Gesetzen gestalten. Es ist aber kein Nachteil, wenn wir uns in Niedersachsen erst jetzt, im Jahre 2010, damit beschäftigen. Das könnte uns nämlich eine Pleite ersparen, wie sie die CSU in Bayern erlebt hat, die ein sehr restriktives Versammlungsrecht - Herr Oetjen weiß Bescheid; die korrigieren das gerade - auf den Weg gebracht hat. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das Gesetz in einer Eilentscheidung in wichtigen Punkten kassiert. Karlsruhe hat deutlich gemacht, dass unsere Verfassung keine Bastelstube für konservative Hardliner ist.
Damit ist die Richtung auch für unsere Beratungen ganz klar vorgegeben, und die heißt: Keine Experimente mit unseren wichtigsten Grundrechten!
Meine Damen und Herren, das Recht auf Freiheit der Versammlung gehört zu den grundlegenden Bürgerrechten in unserer Verfassung. Es leitet sich unmittelbar aus dem Recht auf Meinungsfreiheit ab. Eine demokratische Gesellschaft ist ohne Versammlungsfreiheit nicht denkbar. Wir als SPD möchten ein modernes, liberales und anwendungsfreundliches Versammlungsgesetz für unser Land, und ein solches Gesetz muss folgende verfassungsrechtlichen, politischen und praktischen Anforderungen erfüllen. Ich will die wichtigsten kurz nennen.
Erstens. Ein niedersächsisches Versammlungsrecht muss Demonstrationen und Kundgebungen möglich machen wollen und darf nicht auf Verhinderung angelegt sein.
Bürgerinnen und Bürger können und sollen öffentlich, friedlich, demokratisch für ihre Anliegen einstehen. Das muss der Duktus dieses Gesetzes sein.
Fraglich ist, ob man das mit zwei Seiten umfassenden Buß- und Strafgeldvorschriften erreicht, wie sie in Ihrem Gesetzentwurf enthalten sind. Herr Biallas, Sie haben gesagt, man solle nicht mehr
regeln als nötig. Ich sehe da die erste Baustelle, um Sie an dieser Aussage zu messen. Ich denke, das werden wir in den Beratungen tun.
Zweitens. Ein Versammlungsrecht muss ein hohes Maß an Rechtssicherheit gewährleisten. Im Umfeld von Demonstrationen, unter hohem Zeitdruck, müssen Entscheidungen getroffen werden, die eindeutig sein müssen. Das heißt, sie müssen vor den Verwaltungsgerichten schnell überprüft werden können, wenn es zu strittigen Entscheidungen kommt. Das sind wir den Polizisten, den Versammlungsbehörden, den Richtern und nicht zuletzt natürlich auch den demonstrierenden Menschen schuldig.
Drittens. Ein niedersächsisches Versammlungsrecht muss unbürokratisch und anwendungsfreundlich sein. Abschreckende Regelungen müssen vermieden werden; das hatte ich schon gesagt. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nennen: Wenn niedersächsische Schülerinnen und Schüler gegen die schlechte Bildungspolitik dieser Landesregierung demonstrieren - dazu gibt es leider oft Anlass -, darf es nicht sein, dass sie dazu den Rat eines Rechtsanwalts benötigen, um Sanktionen oder Bußgelder zu vermeiden. Das darf nicht sein!
Viertens. Karlsruhe hat in seiner Entscheidung sehr klar gesagt: Wer an Versammlungen teilnimmt, darf nicht ohne besonderen Grund in seinen Grundrechten eingeschränkt werden. - Insbesondere beim Thema Videoüberwachung - das ist von meinen Kollegen Briese und Zimmermann schon angesprochen worden - bestehen dafür enge Grenzen. Nur da, wo die öffentliche Ordnung nicht tatsächlich und erheblich gefährdet ist, darf nicht gefilmt und aufgezeichnet werden. Es ist richtig, dass das jetzt in diesem Gesetzentwurf geregelt ist. Ich behaupte aber, dass Ihnen das Karlsruhe und nicht Herr Schünemann in die Feder diktiert hat. Das ist meine Einschätzung.
Fünftens, lieber Herr Biallas, dürfen wir natürlich nicht naiv sein. Feinden der Demokratie, Gegnern unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung müssen wir die Rote Karte zeigen; ihnen darf das Versammlungsrecht keinen Schutz für Ihre demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Um
triebe bieten. Rechte Aufmärsche, faschistische Kundgebungen an Orten, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern - so etwas dulden wir nicht.
Hier muss bei aller Liberalität das Versammlungsrecht versuchen, klare und eindeutige Regelungen zu treffen. Der Entwurf enthält den § 12, der versucht, die Würde der Opfer des Nationalsozialismus zu schützen. Das begrüßen wir als SPD ausdrücklich. Allerdings - das hat Herr Briese schon angemerkt - ist das juristisch schwieriges Terrain. Wir müssen in den Beratungen sehen, welche Formulierung wir finden und ob wir eine hinreichende Bestimmtheit konstruieren können. Trotzdem begrüßen wir hier ganz klar, dass Sie das geregelt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch zu einem Punkt kommen, der hier schon verschiedentlich angesprochen wurde und auch in der Presse diskutiert wurde. Es geht um den § 20, den sogenannten befriedeten Bezirk, die Bannmeile. Ich gebe zu, wir als SPD haben die Bannmeile in den früheren Diskussionen in diesem Hause immer verteidigt. Auch ich habe das bei der letzten Rede zu diesem Thema ganz klar getan. Wir haben das aus historischen Gründen getan, aber auch weil wir der Einschätzung waren oder uns die Einschätzung mitgeteilt wurde, dass ein sicherer und ungestörter Parlamentsbetrieb nur so gewährleistet werden kann. Sie haben es mitbekommen, und auch eben in der Diskussion ist es angesprochen worden: Diese Diskussion hat durch zahlreiche Stellungnahmen der jüngsten Zeit, nicht zuletzt auch durch den DGB und die Einzelgewerkschaft der Polizei, also die Vertretung der Polizisten, neue Nahrung bekommen. - Wir als SPD verschließen vor dieser Diskussion nicht die Augen!
Wenn die Beratungen zu diesem Gesetz ergeben sollten - dazu können wir auch die Landtagsverwaltung und die Polizei hören -, dass die Sicherheit dieses Hauses eine Bannmeile nicht mehr erfordert, wenn also beispielsweise durch den Umbau des Landtages eine neue Situation im Einlassbereich entsteht, dann sind wir in dieser Frage offen und dann können wir uns als SPD vorstellen, über einen künftigen Verzicht auf die Bannmeile zu diskutieren. Wir werden sehen, was die Diskussio
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Niedersachsen braucht ein modernes, ein demokratisches und freiheitliches Versammlungsrecht. Es muss Spielregeln enthalten. Aber diese Spielregeln dürfen nicht das Spiel selbst unmöglich machen. Ob Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, diesen hohen Ansprüchen genügt, werden wir uns im Ausschuss anschauen müssen und in den Anhörungen sehen. Darüber werden wir beraten müssen. Wir freuen uns auf diese Diskussionen.