Protocol of the Session on December 16, 2009

Zweitens. In einer Zeit, in der die Folgen der Weltwirtschaftskrise erstmalig im Haushalt deutlich werden und sich die Spaltung der Gesellschaft vertieft, braucht Niedersachsen einen grundlegenden und nachhaltigen Perspektivwechsel in der Sozialpolitik. Davon allerdings ist dieser Sozialhaushalt weit entfernt.

(Zustimmung von Wolfgang Jüttner [SPD])

Vielmehr ist er das exakte Spiegelbild der Arbeitsweise unserer Sozialministerin, nämlich ideenlos, konzeptlos, lustlos. Keines der drängenden Probleme wird wirklich angepackt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in der niedersächsischen Sozialpolitik ist nicht der Schlafwagen angesagt, sondern der ICE. Frau Ministerin, schön wäre es, wenn Sie endlich umsteigen würden; denn auf Dauer wird auch Ihr Pressesprecher aus Stroh nicht Gold machen können.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Haushaltseinbringung haben Sie behauptet, die Landesregierung habe tiefe Einschnitte in den Ressorthaushalt vermieden. Diese Aussage ist falsch. Denn obwohl der Sozialetat nur 13 % am Gesamthaushalt ausmacht, muss er erneut mit mehr als 29 Millionen Euro 30 % der globalen Minderausgabe erwirtschaften. Das geht seit 2007 so. Warum? - Weil Sozialpolitik in dieser Landesregierung und in den sie tragenden Koalitionsfraktionen nach wie vor keinerlei Stellenwert hat.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Das macht 40 % Ihrer freiwilligen Leistungen aus. Interessant ist immer, wo dann gekürzt wird. 2008 waren es beispielsweise minus 3 Millionen Euro für die Pflege, minus 3 Millionen Euro für die Kran

kenhäuser, minus 13 Millionen Euro für Städtebau und Wohnungswesen.

Meine Damen und Herren, Sie täuschen bewusst die Öffentlichkeit.

(Norbert Böhlke [CDU]: Nein!)

Spätestens wenn dieses Kabinett Anfang Januar in Klausur geht, hat der heute beratene Haushalt allenfalls noch Altpapierwert.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE] - Bernhard Busemann [CDU]: Immer diese Wortwahl! Jedes Jahr dassel- be!)

- Das ist jedes Jahr dasselbe, Herr Minister Busemann - Sie haben völlig recht -, weil Sie jedes Jahr die gleichen unverhältnismäßigen Kürzungen im Sozialhaushalt vornehmen.

(Beifall bei der SPD - Bernhard Bu- semann [CDU]: Sie halten jedes Jahr dieselbe Rede, und die Welt bricht trotzdem nicht zusammen!)

Wenn wir uns die Krankenhäuser anschauen - wir haben darüber heute Morgen ja bereits länger geredet -,

(Norbert Böhlke [CDU]: Genau!)

dann sind wir uns an einem Punkte einig: In unserem ländlich strukturierten Bundesland ist eine qualifizierte wohnortnahe Krankenhausversorgung unverzichtbar.

(Norbert Böhlke [CDU]: Richtig!)

Herr Kollege Schwarz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Möllring?

Nein, danke. Ich hoffe doch, der kennt den Haushalt besser als ich.

(Ja! und Beifall bei der CDU)

- Ja, das finde ich auch! So ist es. Insofern braucht er keine Fragen zu stellen; denn er könnte höchstens bestätigen, was ich hier vortrage.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Trotzig erklärt die Ministerin bei der Einbringung: Die Krankenhausfinanzierung bleibt ein Schwerpunkt der Landesregierung, und es gibt sogar 15 Millionen Euro mehr.

(Bernhard Busemann [CDU]: Siehste!)

Tatsächlich streichen Sie der NBank, die das Landesprogramm abwickelt, sogar über 24 Millionen Euro für die Tilgung der Kredite. Dadurch provozieren Sie zusätzlich 82 Millionen Euro Zinsbelastungen, meine Damen und Herren. Diese 82 Millionen Euro fehlen für die Krankenhäuser vor Ort. Ich finde, das ist im Gegensatz zu dem, was heute Morgen vorgetragen wurde, eine sehr unseriöse Haushaltspolitik. Das ist Haushaltspolitik der schlimmsten Art, die Sie da betreiben.

Übrigens bleiben von den 15 Millionen Euro mehr unter dem Strich 9 Millionen Euro weniger. Meine Damen und Herren, auch das ist hoch erstaunlich. Dafür schreibt Ihnen der Landesrechnungshof ins Stammbuch:

„Alle Bundesländer bis auf Niedersachsen änderten inzwischen die landesgesetzlichen Regelungen zur Krankenhausförderung. … Gleichwohl legte das Ministerium bisher - entgegen wiederholter Ankündigungen -“

- ich füge hinzu: seit 2003 -

„keinen Gesetzentwurf zur Novellierung des Nds. KHG vor.“

Heute haben Sie erklärt, dass das frühestens Ende 2010 etwas wird. Allein die Auslassungen des Landesrechnungshofs sind schon eine Ohrfeige erster Klasse für diese Landesregierung!

(Beifall bei der SPD)

Niedersachsen ist bei aller Statistikreiterei Schlusslicht in der Krankenhausfinanzierung. Das führt dazu, dass unsere Krankenhäuser vor Ort in der Substanz ausbluten. Frau Ministerin Ross-Luttmann, das ist ausschließlich Ergebnis Ihrer verfehlten Krankenhauspolitik.

(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Das haben wir hier heute Mor- gen diskutiert, und da kommen wir zu anderen Ergebnissen!)

- Herr Böhlke, Ihr Zwischenruf hat noch nicht einmal phonetischen Wert. - In der Kinder- und Jugendpolitik sieht Ihre Bilanz nicht besser aus. Die Ministerin erklärt fortwährend: Kein Kind darf verloren gehen! - In dieser Feststellung sind wir uns

einig. Aber dafür, dass keine oder möglichst wenige Kinder verloren gehen, müssen andere sorgen, vornehmlich die Kommunen. Vier Jahre haben Sie gebraucht, um endlich ein Gesetz für die Einladungen zur Kindervorsorge zu verabschieden. Dabei hätten Sie nur bei anderen Bundesländern abschreiben müssen. Die haben übrigens wesentlich bessere Gesetze. Sie hingegen kippen den Jugendämtern 300 Adressen vor die Tür, unterstellen schlankweg Kindeswohlgefährdung und schlagen sich in die Büsche. Sie reden von Erziehungslotsen, aber bezahlen dürfen das die Kommunen - oder „Hoch lebe das Ehrenamt!“.

(Bernhard Busemann [CDU]: Letztes Jahr haben Sie in der gleichen Rede 200 gesagt! - Gegenruf von Heiner Bartling [SPD]: Der macht das eben aktuell!)

Sie loben zu Recht die Bedeutung der Familienhebammen für den Kinderschutz, aber zahlen dürfen die Kommunen. Frau Ross-Luttmann, fragen Sie doch einmal den Landrat in Ihrem eigenen Landkreis Rotenburg (Wümme), warum es dort noch keine Familienhebammen gibt! Sie wollen eine Verordnung zur Weiterbildung für Familienhebammen. Das unterstützen wir. Aber die notwendigen Finanzmittel im Haushalt - Fehlanzeige!

Der Gipfel ist: Wer sich im Haushalt den Abschluss des Kapitels „Allgemeine Jugendhilfe, Kinder- und Jugendschutz, Gender Mainstreaming“ ansieht, der wird feststellen: Ausgaben 2009 10,2 Millionen Euro, Ausgaben 2010 7,8 Millionen Euro. Das sind exakt 25 % weniger.

Meine Damen und Herren, das ist die Realität Ihrer Jugendpolitik: eine einzige Bankrotterklärung!

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Vor wenigen Wochen haben wir hier erneut unser Kinderschutzgesetz eingebracht. Mit unserem 15-Millionen-Euro-Kinderschutzprogramm wollen wir u. a. verbindliche Vorsorgeuntersuchungen, flächendeckend Familienhebammen, 50 Familienzentren als Anlaufstellen, und zwar finanziert aus Landesmitteln. Das geht im Übrigen problemlos durch Umschichtungen aus dem Programm „Familien mit Zukunft“.

Obwohl Sie den Kommunen Ihr 20-Millionen-EuroProgramm zwischenzeitlich wie Sauerbier aufdrängen, sind im Jahr 2007 lächerliche 2 Millionen Euro davon abgeflossen. Im Jahre 2008 waren wiederum 9 Millionen Euro übrig. Zwischenzeitlich

ist dieses Programm mehr oder weniger die Verfügungskasse des Sozialministeriums, wenn es darum geht, die Verteilung von pressewirksamen Wohltaten vorzunehmen. Aber wenn es darum geht, lächerliche 1,5 Millionen Euro für ein Schulobstprogramm für unsere Schulkinder lockerzumachen, haben Sie kein Geld. Dann wird auch klar, wes Geistes Kind Sie wirklich sind, wenn es um Kinderschutz geht, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Im Übrigen gilt das zwischenzeitlich auch im Zusammenhang mit der Häufung von Kinderleukämiefällen in der Elbmarsch. Seit Mitte 2006 liegen dem Landtag dazu Anträge vor. Es hat diverse Anhörungen von Wissenschaftlern gegeben, immer mit dem gleichen Ergebnis: Es gibt diese Häufung von Kinderleukämie in der Nähe von Kernkraftwerken. Andere Ursachen sind dafür nicht erkennbar oder erklärbar. Die Wissenschaftler machen deutlich: Hier ist eine politische Entscheidung notwendig.

Wieso, meine Damen und Herren, müssen eigentlich betroffene Eltern die Ursachen für die schwere Erkrankung ihrer Kinder klären, und warum muss nicht die mächtige Lobby der Kernenergie nachweisen, dass sie nicht Verursacher ist?

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Bern- hard Busemann [CDU]: Weil das eine weltweite Rechtslage ist!)

Meine Damen und Herren, wir fordern die Umkehr der Beweislast zulasten der Kernkraftwerksbetreiber. Ich sage Ihnen: Machen Sie nach vier Jahren endlich den Weg frei für eine Entscheidung dieses Parlaments zum Wohle der dort lebenden Kinder, meine Damen und Herren.