Einzige (abschließende) Beratung: Konsequenzen aus dem Umgang mit den Bodenbelastungen an der Ems - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/417 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung - Drs. 16/1008 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/1104
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich erwarte ich zu diesem Punkt eine Entschuldigung der Minister Sander und Ehlen. Umweltminister Sander ist bei diesem Tagesordnungspunkt, bei dem es um ein Umweltproblem geht, gar nicht anwesend. Als wir das erste Mal über die Dioxinproblematik an der Ems sprachen, wurde uns lückenlose Information und Transparenz versprochen. Doch was wir seit Beginn des Skandals erleben mussten, ist eine einzige Kette des Vertuschens, Leugnens und Fehlinformierens.
(Clemens Große Macke [CDU]: Das ist doch Quatsch! Wir haben doch ein paar Mal zusammen gesessen! Da waren Sie doch dabei!)
Ein Beispiel: Die Landesregierung und Sie, Herr Thiele, haben hier im Plenum und in der Öffentlichkeit jeglichen Zusammenhang zwischen Sommerstau und Dioxinbelastung vehement abgestritten. Das Umweltministerium war sich schon wenige Tage nach dem Stau ganz sicher: Der Fluss ist nicht die Ursache der Dioxinbelastung. Die Überschwemmung der Weiden durch den Sommerstau ist kein Problem. - Auch jetzt noch sagt der Staatssekretär Herr Ripke in der taz vom 20. Februar 2009:
Herr Thiele sprach im Parlament von einer „Riesensauerei“, einen Zusammenhang zwischen Dioxinfunden und Aufstauung überhaupt nur zu denken.
Noch im Januar weigerte sich die Landesregierung, auf eine Kleine Anfrage von uns die Messergebnisse der Grasproben an der Ems vor und nach dem Sommerstau zu veröffentlichen, um ihre Behauptungen zu überprüfen. Die Ostfriesen-Zeitung schrieb dazu: Müssen Analysen erst passend gemacht werden? Dieses Abschotten scheint denen recht zu geben, die mutmaßen, dass hier mehr verschleiert als aufgedeckt wird.
Dieses Verheimlichen der Messergebnisse hatte in der Tat einen tieferen Grund. Sie standen im Gegensatz zu dem, was Sie öffentlich behauptet ha
ben. Alle Messergebnisse waren verheerend für die Sommerstaulobbyisten. Bei allen nach dem Stau gezogenen Grasproben hatte sich die Giftbelastung deutlich über den Dioxingrenzwert erhöht, teilweise um das Fünffache, und zwar innerhalb von nur drei Tagen. Ist das alles Zufall? Gibt es keinerlei Zusammenhänge? - Das müssen Sie erklären.
Auch bei der Messung der Bodenbelastung in den Überschwemmungsgebieten fanden sich im Durchschnitt fünfmal so hohe PCB- und Dioxinwerte wie binnendeichs. Die Experten aus dem Ministerium haben uns mitgeteilt - das wurde dann in der Öffentlichkeit anders kommuniziert -, dass sie zu der Schlussfolgerung kommen, dass Einträge über den Wasserpfad offensichtlich höhere Schadstoffeinträge verursachen als über den Luftpfad. Auf Deutsch: Die Überschwemmungen verschärfen das Problem erheblich.
Schließen Sie eigentlich immer noch jeglichen Zusammenhang mit dem Sommerstau komplett aus, und warum nehmen Sie keine weiteren Proben in dieser Richtung? Bei der letzten Schiffsüberführung im Februar haben Sie sich geweigert und gesagt, Sie hätten kein Geld dafür.
Wir fordern Sie auf, weitere Verschärfungen des Dioxinproblems durch Aufstauungen zu unterlassen. Es ist ein Skandal, dass sich die Landesregierung hier aus wirtschaftlichen Gründen unbekümmert zeigt.
Auch der von Ihnen viel gepriesene Verbraucherschutz ist nicht gewährleistet. Bei fünf von sechs Rindfleischproben - mehr wurden an der Ems nicht gezogen - lag die PCB-Belastung deutlich über dem Auslösewert des Krebsgiftes, bei einem Tier sogar über dem Summenhöchstwert für Dioxine und PCB. Trotzdem sehen Sie keinen Handlungsbedarf, wollen im Gegensatz zur SPD auch keine weiteren Rinder beproben und fordern in den Empfehlungen als Maßnahme eine Halbtagsbeweidung belasteter Flächen zur Schadstoffreduzierung. Das ist Missachtung des Gesundheitsschutzes vor Krebsgiften.
In unserem Antrag kritisieren wir daher zu Recht die mangelnde Information der Öffentlichkeit und Falschaussagen. Das Vertrauen in der Region ist massiv gestört. Die Bevölkerung hat das Gefühl, die Regierung will von vornherein jeglichen Zu
sammenhang mit dem Fluss, den Ausbaggerungen, den Sommerstaus und der Verdreckung und der Verschlammung des Flusses ausschließen. Es kommt zu immer neuen Theorien. Letztes Jahr war es der Luftpfad, jetzt soll das Gift überall vorhanden sein, obwohl das, wie ich geschildert habe, nicht erklärt, weshalb wir einen überproportionalen Anstieg des Giftes in den Überschwemmungsgebieten feststellen. Übrigens ist die Belastung nicht nur an der Ems, sondern auch an der Weser um ein Vielfaches höher als im Binnenland. Sie tricksen bei den Grenzwerten und sagen, Sediment und Boden seien nicht belastet. Aber Sie wissen: Für Sedimente und Böden gibt es gar keinen Grenzwert, sondern nur für Lebens- und Futtermittel.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen - das ist weiterhin die Devise der Landesregierung zu diesem Umweltproblem. In unserem Antrag fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission zu der Giftproblematik, in der auch kritische Wissenschaftler zu Wort kommen sollen und nicht nur Regierungsvertreter. Professor Kruse, führender Toxikologe aus Kiel, sagte etwa dem NDR am 11. November 2009:
„Mir ist schon ungefähr seit 20 Jahren bekannt, dass die flussnahen Marschgebiete belastet sind - durch das Übertreten des Wassers aufs Land. … Wenn das Wasser wieder zurückgeht, bleiben die Giftstoffe liegen.“
Wir wollen daher eine ehrliche Ursachenanalyse ohne Tabus und auch mit Konsequenzen für die Aufstauungen und Eingriffe an der Ems. Die Landesregierung hat beim Verbraucherschutz und der Aufklärung des Giftskandals völlig versagt. Daher brauchen wir endlich eine unabhängige Untersuchungskommission, wie wir Grüne, die LINKE - und jetzt auch die SPD, worüber ich mich freue -
Meine Damen und Herren, von der SPD-Fraktion hat sich jetzt Frau Stief-Kreihe zu Wort gemeldet. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen datiert aus dem September 2008. Hätten wir damals zeitnah abgestimmt, hätten wir ihm wahrscheinlich bis auf die Nr. 5 - Probestau oder Sommerstau; ich komme darauf gleich noch zurück - zugestimmt. Sieben Monate später sollte man allerdings zur Kenntnis nehmen, dass inzwischen Untersuchungsergebnisse vorliegen - ob sie uns passen oder nicht -, und darauf auch eingehen.
Ich finde es nicht ganz redlich, aus politischen Gründen alles nur unter dem Gesichtspunkt Sommerstau betrachten zu wollen. Die ersten Untersuchungsergebnisse, deren sehr späte Veröffentlichung wir durchaus kritisiert haben, stammen schließlich aus dem Jahr 2007, und damals gab es noch keinen Sommerstau. Von daher können nicht alle Belastungen in einem Zusammenhang mit dem Probestau stehen. Wir müssen untersuchen, ob die Belastungen durch den Probestau erhöht werden. Aber einfach davon auszugehen, dass dies der Fall ist, wäre zu kurz gegriffen; denn in jedem Jahr gibt es ja auch natürliche Hochwasser.
Dass wir auch nach den Unterrichtungen durch ML und MU mit den Ergebnissen nicht zufrieden sein können, wird auch an einer Presseveröffentlichung deutlich - ich zitiere die Überschrift aus dem Hamburger Abendblatt -: „Dioxin an der Ems, und keiner weiß, woher es kommt.“
Meine Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen. Die Frage lautet: Muss die Ursachenforschung nicht intensiviert werden?
Ich möchte erneut darauf hinweisen, dass wertvolle Zeit verlorengegangen ist. Schließlich hat das LAVES bereits im Sommer und im Herbst 2007 in den Vordeichflächen der Ems im Landkreis Leer Belastungen mit dioxinähnlichen PCBs im Grasschnitt und im Boden festgestellt. Die Behörde, deren Arbeit ich ansonsten sehr schätze, hat aber weder den Landkreis Leer noch die Landwirte oder
die Öffentlichkeit über diese Befunde unterrichtet und damit in Kauf genommen, dass schadstoffbelastete Nahrungsmittel wie z. B. Schafsleber und Futtermittel zu den Verbrauchern gelangen konnten. Erst im Juli 2008 wurden die Landkreise, die Landwirte und die Öffentlichkeit unterrichtet. Die Betroffenen waren über diesen mangelnden Informationsfluss zu Recht empört.
Auch der Beginn der Untersuchungen stellt sich gerade hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen ML und MU zumindest in der Öffentlichkeit ziemlich chaotisch dar. Nicht umsonst hat der Landkreis Leer Proben von privaten Laboren untersuchen lassen, um schneller an Ergebnisse heranzukommen, auf die die Öffentlichkeit, die Landwirte und die Verbraucher warteten. Ergebnis dieser nicht gerade sehr vertrauenerweckenden Vorgehensweise des Ministeriums muss sein, dass ein Alarmierungsplan erstellt wird, der eine frühzeitige, schnelle und aktuelle Informationsweitergabe an die jeweils Betroffenen gewährleistet.
Inzwischen wurde die Verantwortungsgemeinschaft Ems gegründet. Das ML hat die Betroffenen bisher zweimal über den Stand der Untersuchungen unterrichtet. Damit sind die Landkreise aber nach wie vor nicht zufrieden. Sie fühlen sich nicht ausreichend eingebunden. Ein Landkreisvertreter hat wörtlich gesagt: „Wir werden verschaukelt.“ Dieses Zitat macht den Unmut deutlich.
Der Unmut wird aber auch noch dadurch verstärkt, dass der Landkreis Leer bei der Untersuchung der Futtermittel zu anderen Ergebnisse gelangt ist als das ML. Dem Wunsch des Landkreises auf Nachkontrollen - schriftlich formuliert an die beiden Staatssekretäre - wurde bisher nicht entsprochen. Im Bericht des ML heißt es, die Fragen nach den Ursachen der Futtermittelkontaminationen könnten derzeit weiterhin nicht schlüssig beantwortet werden. Meine Damen und Herren, warum verweigern Sie sich einem Probenvergleich bzw. entsprechender Kontrollproben, wie sie der Landkreis Leer erbeten hat?
Die Niederländer, die ebenfalls der Verantwortungsgemeinschaft angehören, übernehmen keine Verantwortung. Bis zum 19. Februar, dem Termin der zweiten Unterrichtung, lagen von der holländischen Emsseite keinerlei Untersuchungsergebnisse vor. Ich bezweifle, dass dort überhaupt schon Proben entnommen worden sind. Wie lange, frage ich mich, wollen sich das ML oder das MU diese Ignoranz noch gefallen lassen?
Fest steht, dass man den Ursachen auch nach den bisher erfolgten Untersuchungen und verstärkten Probenahmen noch nicht auf die Spur gekommen ist. Fest steht auch, dass die Fachbehörden hinsichtlich ihrer fachlichen Kompetenz an Grenzen stoßen. Daher müssen zwingend Experten der Hochschulen, der Forschungsinstitute und der Fachbehörden aus den relevanten naturwissenschaftlichen Bereichen hinzugezogen bzw. entsprechende Aufträge zur Erforschung der Belastungsursachen vergeben werden. Ein sogenannter Expertenworkshop zwei Tage vor der offiziellen Unterrichtung, an dem hauptsächlich wiederum nur die Landesbehörden teilgenommen haben, reicht da nicht aus.
Um der Frage nachgehen zu können, ob es sich bei der Belastung mit dioxinähnlichen PCBs um ein allgemeines Umweltproblem handelt, muss natürlich auch auf Bundesebene eine Expertengruppe eingesetzt werden. Das entbindet die Landesregierung aber nicht von der Aufgabe, für die Ems und andere niedersächsische Gewässer eine intensive Ursachenforschung zu betreiben.
Eine Übertragung von Aufgaben auf die Bundesebene darf nicht beinhalten, dass die eigenen Aktivitäten eingeschränkt oder sogar eingestellt werden. Dass dies passieren soll, diesen Eindruck konnte man einigen Stellungnahmen des ML allerdings entnehmen.
Meine Damen und Herren, es bleibt noch viel zu tun. Wir haben in unserem Änderungsantrag eine Reihe von Forderungen hinsichtlich notwendiger Untersuchungen aufgelistet, denen Sie sich nicht verschließen sollten. Solange wir die Belastungsursachen nicht kennen, wird es an der Ems, aber auch an anderen niedersächsischen Flüssen keine Ruhe geben.