Protocol of the Session on April 9, 2008

Wir werden ein so wichtiges Gesetz mit so weitreichenden Folgen nicht in drei Wochen novellieren können. Schließlich sollen die Belange der Betroffenen möglichst umfassend berücksichtigt werden.

Damit es allen klar ist: Auch CDU und FDP wollen faire Bedingungen für die Bauhandwerker. Wir wollen keine Willkür- oder Dumpinglöhne. Deshalb müssen wir prüfen, wie wir das nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs am besten erreichen können.

(Zustimmung bei der CDU)

Wie bei allen Gesetzesvorhaben gilt auch hier: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir sollten uns immer darüber im Klaren sein: Mit vielen hier beschlossenen gesetzlichen Regelungen greifen wir direkt oder indirekt in das Lebensumfeld und oft auch in die Einkommensverhältnisse der Betroffenen ein. Deshalb achten wir ganz penibel darauf, Gesetze, Erlasse oder Verordnungen nur dann auf den Weg zu bringen, wenn sie sinnvoll und überprüfbar sind - die Überprüfbarkeit ist gerade beim Landesvergabegesetz ganz wichtig - und den Bürgern tatsächlich Vorteile bringen. Im Gegensatz zu Ihnen auf der linken Seite wollen wir trotzdem weniger und nicht mehr Staat.

Natürlich gibt es auch Notwendigkeiten für staatliches Handeln. Dazu zählen die Wettbewerbsverzerrungen im Baubereich, die vermieden werden müssen.

Es gilt nun, genau zu prüfen, wie wir die heimische Bauwirtschaft zukünftig vor Verwerfungen schützen können. Meine Damen und Herren, Voraus

setzung für die nächsten Schritte ist eine qualifizierte Bewertung und Prüfung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Das ist bis heute nicht erfolgt. Erst danach werden wir entscheiden, wie ein angepasstes Vergabegesetz aussehen könnte oder ob ein Vergabegesetz in der jetzigen Form überhaupt noch sinnvoll ist. Für das Baugewerbe gibt es übrigens - das wurde gesagt - seit mehr als zehn Jahren bundesweit einen gültigen Tarifvertrag, den Mindestlohn. Der gilt für Arbeitgeber mit Sitz in Deutschland genauso wie für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland.

Wir werden uns auch die Zeit nehmen, mit den betroffenen Verbänden zu reden und - wo möglich und noch nicht geschehen - deren Interessen zu berücksichtigen.

Eines sage ich Ihnen allerdings auch ganz deutlich: Eine Ausweitung des Landesvergabegesetzes auf den ÖPNV oder andere Branchen wird es mit uns nicht geben.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, eigentlich ist das heute für mich eine seltsame Veranstaltung. Die Debatte zum jetzigen Zeitpunkt zeigt doch: SPD und Linke kommt es anscheinend überhaupt nicht auf seriöse Problemlösungen zugunsten der Beschäftigung im Baugewerbe an, sonst wären sie für unser Angebot im Ausschuss offen gewesen. Unser Vorschlag war, gemeinsam eine Bewertung des GBD anzufordern und abzuwarten, um danach fundiert und mit mehr Hintergrundwissen und Sachkunde über eine eventuelle Folgelösung zu beraten.

Wir alle wissen: Schnellschüsse bringen uns nicht weiter. Die SPD aber ist mit ihrer heutigen Gesetzesvorlage nur wieder einmal mehr den Linken hinterhergelaufen. Das hat schon eine gewisse Tragik und erinnert mich fatal an den Wettlauf zwischen Hase und Igel. Sie können sich anstrengen, wie Sie wollen. Egal was Sie tun, der Igel ist immer schon da, bevor, Herr Haase, die SPD als Hase ankommt.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Die SPD hat dem Antrag der Linken noch hektisch den eigenen, alten Gesetzentwurf nachgeschoben, obwohl heute noch niemand unsere niedersächsischen Möglichkeiten letztendlich und umfassend beurteilen kann. Deshalb ist die Debatte zum jetzigen Zeitpunkt überflüssig. Sie dient weder der Sache noch den betroffenen Menschen.

Die CDU und die FDP werden jedenfalls die Möglichkeiten nach dem EuGH-Urteil reiflich prüfen und erst danach beraten und entscheiden, wie eine wirksame Nachfolgeregelung - die wollen auch wir - für das Vergabegesetz aussehen soll. Die heutige Diskussion mit den überholten und überstürzt eingebrachten, teilweise unsinnigen Vorschlägen zeigt aber einmal mehr, dass weder SPD noch die Linken ein Interesse an einer zielführenden Zusammenarbeit und damit auch kein Interesse an der Lösung von Problemen für die Beschäftigten des Baugewerbes in Niedersachsen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Gerd Ludwig Will [SPD]: Unver- schämt! Frechheit!)

Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoppenbrock, ich finde die Debatte heute überhaupt nicht überflüssig. Sie hat zumindest schon ziemliche Abgründe in den Koalitionsfraktionen deutlich gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Ich kann Frau König insofern noch entschuldigen, als sie in der letzten Wahlperiode nachgerückt ist und es deshalb vielleicht versäumt hat, sich bei den Fraktionskollegen und Ihnen zu erkundigen. Denn das jetzt vom EuGH inkriminierte Gesetz wurde tatsächlich von Ihnen beschlossen. Insofern ist nicht ein SPD-Gesetz abgewatscht worden, sondern ein CDU/FDP-Gesetz.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Vor- sicht, Vorsicht! - Björn Thümler [CDU]: Dünnes Eis!)

Ich kann Ihnen sogar vorlesen, wie der damalige baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Herr Dinkla, diese Verabschiedung seinerzeit gefeiert hat. Er hat nämlich gesagt, das jetzt inkriminierte Gesetz sei - Herr Werren, hören Sie zu! - unbürokratisch, kontrollierbar und mittelstandsfreundlich. So viel dazu.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Das waren unsere Ergänzungen! Die wa- ren unbürokratisch!)

Wenig hilfreich war deswegen, dass Staatssekretär Werren kurz nach der Urteilsverkündung versuchte, das Urteil ganz im Sinne von Frau König zu instrumentalisieren und reflexhaft nach Entbürokratisierung rief. Entbürokratisierung ist nämlich kein Selbstzweck, Herr Bode. Die acht Bundesländer in Deutschland mit Vergabegesetzen haben es sich nicht zur Aufgabe gemacht, Kommunen, öffentliche Vergabestellen und Firmen grundlos zu ärgern. Vielmehr versuchen diese Bundesländer ein Mindestmaß an Fairness im Wettbewerb aufrechtzuerhalten - im fairen, freien Wettbewerb, Herr Bode. Das ist auch zukünftig mehr als nötig. Frau König sollte sich vielleicht bei Ihnen etwas Nachhilfe holen, warum es in den neuen Bundesländern weniger Vergabegesetze gibt. Dazu, welche Tarife dort gelten, könnte Ihnen Herr Schminke vielleicht etwas Aufklärung geben.

Es kann auf keinen Fall darum gehen, das Landesvergabegesetz abzuschaffen. - Ich bin Herrn Hoppenbrock dankbar, dass er das immerhin nicht zur Disposition gestellt hat. Da zähle ich auf die CDU als größeren Koalitionspartner. - Wer das verlangt, öffnet Verhältnissen, wie sie beispielhaft in Rosdorf vor knapp vier Jahren durch Zufall und durch aktive Arbeit der Gewerkschafter zutage traten - nicht etwa durch Kontrolle, wie sie hier in Niedersachsen dringend nötig wäre -, Tür und Tor.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Beset- zung der Baustelle nach Robin-Hood- Manier!)

Denn Kontrolle ist bisher in Niedersachsen viel zu wenig in Übung. In diesem Bereich sind Stellen abgebaut worden.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Althusmann, wir brauchen auch zukünftig ein Landesvergabegesetz. Wir konnten nämlich in Rosdorf nur so schnell reagieren, Sanktionen ergreifen, dem Hauptunternehmen kündigen, das Unternehmen auf einen Index setzen und als Land Niedersachsen eine Vertragsstrafe einklagen, weil es ein Landesvergabegesetz gab.

(Zuruf von der CDU: Alles rechtswid- rig!)

Deswegen müssen wir auch zukünftig eines haben.

Das EuGH fordert nicht, dass wir künftig kein Vergabegesetz mehr haben. Ich empfehle, das Urteil durchzulesen. Laut Urteil ist einzig und allein nicht vereinbar, dass man örtliche Tarifverträge in das Vergabegesetz mit hineingenommen hat. Das kann man leicht ändern. Wir haben im Baubereich einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag nach Entsendegesetz. Das müsste man im niedersächsischen Vergabegesetz entsprechend nachbessern. Dann wäre das Gesetz nach dem EuGHUrteil anwendbar und mit seinen Sanktionen gültig.

Wir Grüne sehen in dem EuGH-Urteil die Aufforderung, das Gesetz weiterzuentwickeln. Mittlerweile leiden weitaus mehr Branchen als der Bau unter Wettbewerbsverzerrungen. Deswegen setzen wir uns dafür ein, beispielsweise die Vergabe beim öffentlichen Nahverkehr zukünftig wieder in das Gesetz aufzunehmen, wie es einmal war. Das war richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das EuGH-Urteil macht zudem deutlich, dass wir uns in Deutschland in möglichst allen Branchen auf Mindestlöhne verständigen sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn das ist die eigentliche Botschaft des EuGHUrteils: Es geht schlicht davon aus, dass Länder in der EU in allen Branchen Mindestlöhne haben. Man muss sich fragen: Warum hat Deutschland das nicht?

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sonst sind wir schlichtweg nicht wettbewerbsfähig.

Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat sich Herr Minister Hirche zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die kurze Debatte hat schon ergeben: Beide vorgelegten Anträge gehen ins Leere. Denn der Europäische Gerichtshof hat letzte Woche entschieden, dass die Tariftreueregelung des nie

dersächsischen Vergabegesetzes nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. In der Tat - Herr Schminke hat daran angeknüpft - ist der Fall Rosdorf der Auslöser gewesen. Der Finanzminister als Zuständiger hat Unternehmen eine Vertragsstrafe auferlegt. Dagegen ist geklagt worden. Das OLG Celle hat das am Ende dem EuGH vorgelegt. Wir haben es schwarz auf weiß, dass das so auf keinen Fall geht.

Ich darf die drei Gründe nennen, die der EuGH ausgeführt hat. Erstens hat er ausdrücklich festgestellt, dass auch das Landesvergabegesetz an den Voraussetzungen der Entsenderichtlinie zu messen ist, obwohl es nicht die Entsendung von Arbeitnehmern regelt.

Zweitens sei der Lohnsatz des Baugewerbetarifvertrages nicht nach den Regeln der Europäischen Entsenderichtlinie festgelegt worden. Diese Entsenderichtlinie gilt für alle Arbeitnehmer, die im Rahmen eines Dienstleistungsauftrages in einem anderen Land der EU arbeiten. Sie garantiert, dass bestimmte Mindestarbeitsbedingungen, wie z. B. Arbeitszeit, Mindestentlohnung und Urlaubsansprüche des Gastlandes, in dem der Auftrag ausgeführt wird, für alle entsendeten Arbeitnehmer gelten. Diese Mindestarbeitsbedingungen können durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes und/oder für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge festgelegt werden. Genau das sei aber im vorliegenden Fall nicht geschehen. Der Baugewerbetarifvertrag ist nicht für allgemein verbindlich erklärt worden. Die Tariftreueerklärung musste nur bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zugrunde gelegt werden. Sie erfasste also nicht private Aufträge. Genau das, Herr Schminke, was Sie eingefordert haben, dass der öffentliche Bereich sozusagen eine Vorbildfunktion haben sollte, ist an dieser Stelle zum Fallstrick geworden, weil das europäische Gericht gesagt hat: Gleichbehandlung im gesamten Bereich ohne Unterscheidung zwischen öffentlich oder privat. Daraus folgt insgesamt: Weil der Tarif nicht allgemein verbindlich ist, kann er nicht als Mindestbedingung im Sinne der Entsenderichtlinie angesehen werden.

Drittens. Es ist den Mitgliedstaaten verwehrt, grenzüberschreitende Dienstleistungen von Bedingungen abhängig zu machen, die über den Mindestschutz der Entsenderichtlinie hinausgehen. Weitergehende Bedingungen unterbinden oder behindern den freien Dienstleistungsverkehr und sind auch nicht durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt - so der EuGH. Er weist noch einmal darauf hin, dass es nicht zulässig ist,

nur Arbeitnehmer bei öffentlichen Aufträgen, nicht aber Arbeitnehmer bei privaten Aufträgen als des Schutzes des Lohnsatzes des BaugewerbeTarifvertrages bedürftig anzusehen. Im Übrigen sieht der EuGH auch keine Gefährdung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. - So weit zu dem Urteil.

Für die Praxis der öffentlichen Vergaben in Niedersachsen bedeutet das, dass ab sofort die Tariftreueerklärung nach dem Landesvergabegesetz bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr gefordert werden darf. Wenn ich „ab sofort“ sage, dann bedeutet das seit Donnerstag letzter Woche. Genau das hat der Finanzminister in der letzten Woche gesagt. Zusammen mit dem Finanz- und dem Innenminister habe ich für die Zeit bis zur Aufhebung der beanstandeten Regelungen im Landesvergabegesetz vorläufig klarstellende Empfehlungen für die öffentlichen Vergabestellen in Niedersachsen herausgegeben:

Erstens. Bei allen neuen Bauvergabeverfahren ist auf die Tariftreueerklärung zu verzichten.

Zweitens. Bei Vergabeverfahren, die zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung noch nicht abgeschlossen waren, sind angemessene Lösungen zu finden, die dem jeweiligen Verfahrensstand entsprechen.