Protocol of the Session on January 15, 2009

Wir zumindest haben begriffen, dass Krieg nicht durch noch mehr Krieg zu Frieden wird.

Der zweite wichtige Kritikpunkt der Linken am Lissabon-Vertrag ist eben die mangelhafte Absicherung sozialer Grundrechte. Ich möchte hier einmal schildern, wie die Situation momentan ist: Weil eben nicht klar geregelt ist, dass soziale Grundrechte Vorrang vor wirtschaftlichen Freiheiten haben, entwickelt der Europäische Gerichtshof in diesem unklaren Rahmen durch seine Urteile das Recht fort. Der Europäische Gerichtshof hat z. B. in den Urteilen Viking, Laval, Rüffert, VW und Luxemburg darüber zu entscheiden gehabt, was Vorrang hat: die sozialen Grundrechte, die Arbeitnehmerrechte oder die wirtschaftlichen Freiheiten von Unternehmen. Er hat sich in all diesen Fällen für die wirtschaftlichen Freiheiten und gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entschieden. Im Fall Luxemburg wurde es sogar als unzumutbarer Zwang beurteilt, wenn die Arbeitsverträge der entsandten Arbeitnehmer vorgelegt werden müssen. Ich bitte Sie: Wenn schon das Vorlegen von Arbeitsverträgen eine Unzumutbarkeit ist und aus

reicht, um Arbeitnehmerrechte zu kippen, dann gute Nacht Europa!

(Beifall bei der LINKEN)

Dass wir hier eine Schieflage haben, wissen wir sicherlich alle. Dass eine einseitige Ausrichtung von Politik auf Wirtschaftsinteressen und Profitmaximierung nicht dauerhaft funktioniert, wird uns allen gerade ganz brutal durch die Wirtschaftskrise vor Augen geführt. Der Lerneffekt geht ja auch schon so weit, dass wir inzwischen auch von der CDU Forderungen hören, die uns noch vor wenigen Monaten die Gegenwart im Verfassungsschutzbericht und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gesichert haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich will hier weder Richterschelte betreiben, noch will ich mich hier darüber auslassen, welche Bundesregierung zu welchem Anteil die einseitig wirtschaftlich orientierte EU zu verantworten hat. Das hilft uns allen nicht weiter. Was ich aber will und von allen Fraktionen in diesem Landtag erwarte, ist Folgendes: Tun Sie, was Sie können, damit unsere Grundrechte im europäischen Rechtsgefüge klar abgesichert sind! Unser Grundgesetz legt Sozialstaatlichkeit fest, sogar mit Ewigkeitsgarantie versehen. Natürlich können die Menschen von demokratischen Parteien auch erwarten, dass sie solche grundsätzlichen Prinzipien unserer Verfassung durchsetzen und verteidigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb werden sicherlich alle Fraktionen hier im Landtag für die primärrechtliche Absicherung unserer Grundrechte auf EU-Ebene stimmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme jetzt zum Antrag der Linken „Europa bewusst machen - Wahlbeteiligung erhöhen“. Am 7. Juni dieses Jahres sind die in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger der EU aufgerufen, ein neues Europäisches Parlament zu wählen. Wenn sich der Trend der vergangenen Wahlen fortsetzt, werden die Europaabgeordneten diejenigen Parlamentarier mit der geringsten Legitimation sein. An keiner anderen Parlamentswahl nehmen so wenige Bürgerinnen und Bürger teil.

Dafür gibt es natürlich eine Reihe von Ursachen, die sich unserer Ansicht nach in drei Kategorien zusammenfassen lassen: Informationsdefizite, Imageprobleme und vor allem ein Problem in der politischen Richtung, die sich im Institutionen

geflecht aus Europäischem Rat, Europäischer Kommission und Europäischem Gerichtshof durchzusetzen scheint.

Zu diesen Institutionen ein paar Bemerkungen: Solange der Europäische Rat, die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof die Wettbewerbsklauseln und den Antidiskriminierungsschutz dazu nutzen, soziale Rechte in den Mitgliedstaaten abzubauen, wird Europa nicht in den Herzen der Menschen ankommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Urteile wie die vorhin von mir genannten führen sicherlich nicht zu mehr Akzeptanz der EU.

Meine Damen und Herren, wer nicht weiß, worüber er eigentlich abstimmen soll, was er eigentlich wählen soll, der wird nicht zur Wahl gehen. Die Europäische Union, aber auch die Mitgliedstaaten tun zu wenig, um die Menschen über die Arbeit und Funktion der Gremien zu unterrichten. Dabei ist das Europäische Parlament schon jetzt extrem wichtig: Es wählt den neuen Kommissionspräsidenten oder, wie ich hoffe, die neue Kommissionspräsidentin. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier verabschieden den Haushalt. Ihre Berichte und Stellungnahmen können die Ausrichtung der EU-Politik stark beeinflussen. Aber vielen Menschen ist das leider nicht klar.

Wir erkennen die Leistungen des Europäischen Informations-Zentrums ausdrücklich an. Sie sind ein Anknüpfungspunkt für eine landesweite Informationsstrategie.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wir müssen zusammen noch mehr tun. Wir müssen die Menschen darüber aufklären, wie sehr Europa sie angeht, dass Europa mitten in Niedersachsen ist, und wir müssen sie da abholen, wo sie sind: sprachlich so, dass sie uns verstehen, räumlich da, wo sie ohnehin sind; denn die meisten werden nicht extra zu Veranstaltungen kommen, um informiert zu werden. Hier steht das Land Niedersachsen in der Verantwortung. Wir machen in unserem Antrag konkrete Vorschläge dazu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass Sie alle die Zielsetzung des Antrags der Linken aus demokratischer Überzeugung teilen, nämlich die Erhöhung der Wahlbeteiligung. Ich gehe auch davon aus, dass Sie alle bereit sind, im Ausschuss mit uns konstruktiv über unsere Vorschläge zu diskutieren und noch weitere gute Ideen einzubringen - für mehr Information

über Europa und für mehr Identifikation mit Europa.

Damit Europa aber nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen der Menschen ankommt, streiten wir als Linke europaweit für die Durchsetzung sozialer und ökologischer Standards anstelle der kalten Wettbewerbslogik. Wir wollen ein Europäisches Parlament, das ein volles Initiativrecht hat und dem nicht - wie durch den Lissabon-Vertrag - politisch durch die Verträge die Hände gebunden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hoffe, dass es uns gelingt, aus dem Europäischen Parlament eine echte Volksvertretung zu machen, und dass diese Wahl der Anfang einer Demokratisierung der EU ist, die der sozialen und humanistischen Tradition Europas Rechnung trägt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt bringt Herr Tanke den Antrag der SPDFraktion unter Tagesordnungspunkt 21 ein. Sie haben das Wort, Herr Tanke.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa ist ein faszinierendes Projekt. Leider merkt man davon bei der Landesregierung nichts. Meine Feststellungen und Kommentierungen zum Haushaltsplan 2009 vom Dezember letzten Jahres gelten deshalb auch noch einen Monat später; denn auch jetzt liegen noch keine Initiativen der Landesregierung oder der Regierungsfraktionen vor. Ein halbes Jahr vor der Europawahl liegen auch noch keine Anträge vor. Deshalb freuen wir uns auf die heutige Debatte mit Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

In unseren Augen hat sich Europa zur globalen Friedensmacht entwickelt - das ist eine gute Identität -, die auch erst jetzt wieder wahrnehmbar ist, wenn der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier Waffenstillstandsverhandlungen in Nahost führt. Ich denke, wir alle, Herr Rösler, wünschen ihm dazu Erfolg.

Europa muss weiterhin als handlungsstarker Akteur in den internationalen Beziehungen für eine friedliche und sozial gerechte Gestaltung der Globalisierung wirken. Europa ist und war auch ökonomisch immer erfolgreich. Auch Niedersachsen profitiert von dem freien Warenverkehr auf dem größten Binnenmarkt der Welt mit 500 Millionen Menschen. Allein zwei Drittel der niedersächsischen Exporte gehen in die Mitgliedstaaten der EU.

Es gibt aber auch Schattenseiten der Freizügigkeit, auch der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wie das Rüffert-Urteil gerade offenbar hat. Die Menschen spüren Lohndumping und rufen nach Veränderungen. Ich darf aus den EU-Nachrichten vom Juli zitieren. Nach den dort veröffentlichten Ergebnissen einer Umfrage glauben 57 % aller Menschen in Europa, dass sie aufgrund des Wettbewerbs in 20 Jahren weniger verdienen werden. Der Kommissar Vladimir Spidla begründet das Programm der Europäischen Kommission mit den Worten - ich zitiere -:

„Ein soziales Europa ist wichtiger denn je, doch in der Binnenmarktgesetzgebung der EU ist die soziale Dimension oftmals ein Schlagwort am Rand geblieben.“

(Beifall bei der SPD)

„Seit die Märkte unter einem zunehmenden globalen Wettbewerbsdruck stehen, vergrößern sich die Einkommensunterschiede, zunehmend mehr Unionsbürger geraten in eine soziale Schieflage.“

Diese Analyse, der wir uns anschließen, hat dann ja dazu geführt, dass die Europäische Kommission ein entsprechendes Programm zur Verstärkung der sozialen Rechte in Europa und des Schutzes von Menschen aufgelegt hat. Deswegen freuen wir uns auch darüber, dass es die Möglichkeit gibt, im Europawahljahr zum Juni hin darüber intensiver zu diskutieren; denn für uns ist die Europawahl schon eine Richtungsentscheidung als Signal des Aufbruchs für ein starkes und soziales Europa der Zukunft. Dies ist der Anspruch der SPD als der Europapartei Deutschlands, und es ist das sozialdemokratische Leitbild für das Europa des 21. Jahrhunderts.

(Beifall bei der SPD)

Konservative und Liberale setzen auf ein Europa des Marktes. Wettbewerb und Liberalisierung sol

len Vorrang vor politischer Gestaltung und sozialer Gerechtigkeit haben. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD)

Die Linkspopulisten - wir haben es eben wieder gehört - verharren in überholten rhetorischen Denkmustern. Auf Ihre Einlassungen zum Lissabon-Vertrag, Frau Flauger, komme ich noch zu sprechen. Beide Seiten verkennen die gestalterische Chance, die wir haben, durch ein politisch, wirtschaftlich und sozial erfolgreiches Europa eine Antwort auf die Globalisierung zu geben.

Wir wollen die europäische Tradition der Sozialstaatlichkeit progressiv weiterentwickeln. Dazu muss auch das Wirtschaften im europäischen Binnenmarkt in eine politische und soziale Ordnung eingepasst sein. Einem einseitigen marktliberalen Modell erklären wir eine klare Absage; denn für uns steht in Europa nicht der Markt, sondern der Mensch im Mittelpunkt.

(Beifall bei der SPD)

Der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wollen wir eine Europäische Sozialunion im gleichen Rang zur Seite stellen. Wir wollen, dass sämtliche EU-Rechtsakte auf ihre sozialen Folgen für die Menschen überprüft werden. Mit einem europäischen Pakt gegen Lohndumping wollen wir dafür sorgen, dass in allen EU-Mitgliedstaaten existenzsichernde Mindestlöhne gelten. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass eine christdemokratische Partei, wenn sie zu ihrem Leitbild zurückkehrt, auch dafür sorgt, dass Menschen zu existenzsichernden Löhnen arbeiten können. Das müsste für eine Partei, deren Namen mit C beginnt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Das ist es auch - schon lange!)

Im Kern wollen wir mit unserem Antrag erreichen, dass die Institutionen der Europäischen Union an soziale Standards und Rechte gebunden werden. Deswegen machen wir uns für eine Klausel, in der auf den sozialen Fortschritt abgestellt wird, im EUPrimärrecht stark.

Für öffentliche Dienstleistungen und die Daseinsvorsorge wollen wir mehr europäische Rechtssicherheit schaffen. Sie dürfen nicht einem einseitigen Zwang zur Liberalisierung ausgesetzt werden. Vor allem sollen soziale Schutz- und Arbeitnehmerrechte mindestens den gleichen Stellenwert wie die Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarkt erhalten. Wir wollen auch die EU-Entsende

richtlinie verbessern und erweitern. In Europa muss gelten: gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

(Beifall bei der SPD)

Die internationale Finanzmarktkrise ist ein mahnendes Beispiel für den Schaden, der für das Gemeinwohl entsteht, wenn Märkte unreguliert sich selbst überlassen bleiben. Die Marktideologie von Konservativen und Liberalen ist endgültig gescheitert. Trotzdem erzählt uns Herr Rösler hin und wieder noch das Märchen von der belebenden Steuersenkung, obwohl eine solche Maßnahme, wie in vielen Fällen nachzuvollziehen ist, eher zum Ruin von Staatsfinanzen führt.