Protocol of the Session on February 27, 2008

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich wünsche mir eine offene Debatte in diesem Land,

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sie dürfen aber nicht nur mit den großen Kon- zernen reden, Herr McAllister!)

bei der wir auch auf die Arbeitgeberverbände, auf die Industrie- und Handelskammern und auch auf die Gewerkschaften setzen, beispielsweise auf die IG BCE. Wir müssen uns in unserem Land darüber Gedanken machen, dass unser Wohlstand eng damit zusammenhängt, dass wir Industriestandort sind. Dass wir Industriestandort sind, hängt eng damit zusammen, dass wir bisher zuverlässig Energie zu bezahlbaren Preisen liefern konnten.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Und dass wir vernünftig mit Energie umgehen!)

Wer an der Energieschraube dreht, wer dafür Sorge trägt, dass die Energieversorgung nicht mehr sicher ist oder unbezahlbar wird, der gefährdet den Industriestandort und damit wiederum den Wohlstand in unserem Land. Das führt wiederum zu weiteren Kürzungen bei Sozialmaßnahmen, Herr Dr. Sohn.

(Björn Thümler [CDU]: Sehr richtig!)

Eines hängt mit dem anderen zusammen. Diese energiepolitische Debatte ist überfällig. Ich halte sie geradezu für eine Schicksalsfrage für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte drittens einige Anmerkungen zum Thema Bildung und Familie machen. Dazu ist heute Morgen bereits sehr viel gesagt worden. Kinder sind unsere Zukunft. Wir wollen jungen Menschen Mut machen, sich wieder mehr für Kinder zu entscheiden. Dazu brauchen sie die Wahlfreiheit, um ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Herr Jüttner, Politik hat jungen Eltern nicht vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu gestalten haben.

(Zustimmung von Gesine Meißner [FDP])

Das sollen die jungen Menschen selbst entscheiden. Die jungen Väter wie auch die jungen Mütter sollen selbst entscheiden, ob sie nach der Geburt ihrer Kinder einige Zeit zu Hause bleiben oder ob sie gleich wieder in den Beruf gehen. Manche wollen das, manche müssen das auch. Die Politik hat das nicht zu kommentieren. Beide Lebensentwürfe sind absolut gleichberechtigt. Aber die Politik hat die Rahmenbedingungen zu setzen, damit die Wahlfreiheit nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich ist.

Es ist unbestritten: Wir haben in Deutschland einen großen Nachholbedarf, wenn es um die frühkindliche Erziehung, Bildung und Betreuung geht.

(Johanne Modder [SPD]: In Nieder- sachsen! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Jahrelang gepennt!)

- Herr Jüttner, was heißt „jahrelang gepennt“?

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist ein falsches Familienbild!)

- Ich habe zwischen 1998 und 2005 keine Initiativen von der rot-grünen Bundesregierung erlebt. Erst seit Frau von der Leyen Familienministerin ist, ist das in Deutschland Thema geworden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Man kann ja ein Defizit auch einmal gemeinsam parteiübergreifend einräumen. Das ist so eines. Hier liegen wir im internationalen Vergleich weit hinten. Das ist völlig unbestritten. Deshalb wollen wir in Niedersachsen unseren Beitrag dazu leisten, bis 2013 die Betreuungsquote von 35 % durch den Ausbau von Krippenplätzen zu erreichen, aber nicht nur mit Krippenplätzen. Gerade im ländlichen Raum - Niedersachsen ist zu großen Teilen ländlicher Raum - sind die Tagesmütter und Tagesväter eine ganz wichtige Ergänzung des Betreuungssystems.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten. Der Bund gibt Geld. Das Land muss kofinanzieren. Natürlich sind auch die Kommunen gefordert.

Heute Nachmittag haben wir die Nachricht erhalten: Die Große Koalition, Frau von der Leyen und Herr Steinbrück, hat sich verständigt. Ab 2013 wird es einen Rechtsanspruch auf Betreuung für die Null- bis Dreijährigen geben. Das ist ein richtiger Schritt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, selbst wenn wir 2013 eine Betreuungsquote von 35 % haben, werden umgekehrt noch immer 65 % der Eltern die frühkindlichen Erziehungs- und Betreuungsplätze nicht in Anspruch nehmen. Im Hinblick auf die Wahlfreiheit und die Vorgabe, dass die Politik den jungen Menschen keine Vorschriften zu machen hat, halte ich es für sehr angemessen, dass dann diese Wahlfreiheit in beiden Richtungen gilt.

Herr Jüttner, ich bin aufgrund meiner eigenen Lebenssituation zurzeit sehr viel mit jungen Eltern zusammen, häufig mit jungen Müttern, aber auch mit jungen Vätern, die nach der Geburt ihres Kindes ganz bewusst entschieden haben, sie möchten sich erst einmal für eine ganz bestimmte Zeit ausschließlich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern. Ich finde, diese Eltern leisten eine ganz wichtige gesellschaftspolitische Arbeit. Sie verdienen genauso Dank und Anerkennung wie alle anderen Eltern. Wir haben die Lebensentwürfe der Eltern in der Politik nicht zu kommentieren. Beide sind uns gleich wichtig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es geht nicht nur um Dank und Anerkennung.

Übrigens, Herr Jüttner, habe ich mir das neue Grundsatzprogramm der SPD angeschaut. Das ist dieses Programm, in dem Sie sich zum demokratischen Sozialismus bekennen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

- Sie sehen ja schon, woher der Applaus kommt. Ich glaube, die SPD und die Linkspartei sind noch die einzigen beiden Parteien, die es in Europa gibt, die sich in ihrem Programm zum demokratischen Sozialismus bekennen. Wer noch? Sagen Sie es mir einmal!

(Jörg Bode [FDP]: DKP!)

Raúl Castro? Genau, die Kubaner sind auch noch dabei. Aber sehr viel mehr habe ich nicht gefunden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In diesem Grundsatzprogramm der SPD steht mit keinem einzigen Satz etwas über die Anerkennung der erzieherischen Arbeit von Eltern. Ich sage Ihnen eines: Krippenausbau und Ausbau der Betreuungsplätze sowie Betreuungsgeld gehören zusammen, weil nur beide tatsächlich die Wahlfreiheit für die jungen Eltern garantieren.

Herr Tanke, Sie brauchen jetzt gar nicht mit dem Kopf zu schütteln. Sie kennen wahrscheinlich noch nicht den neuesten Stand: Herr Steinbrück und Frau von der Leyen haben sich heute Mittag darauf verständigt, dass im Bund ab 2013 das Betreuungsgeld eingeführt wird. Frau von der Leyen hat sich durchgesetzt. Wir stehen zur Großen Koalition.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Frau von der Leyen hat sich durchgesetzt? Die wollte das doch nie! Das ist Dialektik!)

Meine Damen und Herren, wir wollen bis 2013 alle drei Kindergartenjahre beitragsfrei stellen. Das ist das finanzpolitisch ambitionierteste Ziel dieser Regierungskoalition. Das wird viel Arbeit bedeuten. Das ist finanziell zwar schwer zu wuppen, aber wir halten es für einen sinnvollen Beitrag, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und die frühkindliche Bildung zu stärken.

Zur Schulpolitik hat Minister Hirche heute Morgen alles Wesentliche gesagt. Wir werden in den nächsten Monaten und Jahren sicherlich noch einige schulpolitische Debatten in diesem Hause führen.

Herr Jüttner, ich möchte Ihnen nur eines deutlich machen und Ihnen widersprechen, weil Sie da offensichtlich einer Fehleinschätzung unterlegen sind:

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Nicht die einzige!)

Wir haben vor der Wahl gesagt, wir werden das strikte Errichtungsverbot für neue Gesamtschulen lockern. Wir haben vor der Wahl bestimmte Sachen angekündigt, und wir werden das nach der Wahl auch tun. Ich darf Ihnen hier nochmals mitteilen, damit Sie aufhören, falsche Behauptungen aufzustellen: Wir werden in enger Zusammenarbeit

mit der neuen Kultusministerin Frau Heister-Neumann noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf zu diesem Punkt vorlegen. Wir sagen: Dort, wo der Schulträger es mehrheitlich wünscht, dort, wo es die Eltern mit qualifizierter Mehrheit möchten, und dort, wo das bewährte gegliederte Schulangebot nicht gefährdet wird, wird das Land Niedersachsen weitere Gesamtschulen zulassen. Wir haben das vor der Wahl gesagt und werden es nach der Wahl umsetzen.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Hoffentlich geht das nicht wie bei der Landes- wahlkommission!)

Herr Jüttner, am 27. Januar sind Sie mit einer Schulpolitik angetreten, ebenso die Grünen und die Linken: Flächendeckende Einheitsschule für alle!

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Gesamt- schule! Das ist etwas anderes! Das ist nicht eine Soße!)

- Einheitsschule, Gesamtschule, es ist egal, ob wir das Kind nun „Gesamtschule“ oder „Einheitsschule“ nennen. Grüne und Linke sind mit dem Ziel, die Gesamtschule einzurichten, offen angetreten. Die Sozialdemokraten haben es verdeckt gemacht. Aber eines hat der 27. Januar doch beeindruckend gezeigt:

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Jetzt hört gut zu!)

Die Mehrheit der Eltern will Ihre Schulpolitik nicht; denn wenn es so gewesen wäre, dann müssten Sie ja eine Mehrheit in diesem Hause haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich weiß nicht, ob wir Erfolg haben werden. Aber wir bieten Ihnen an, den schulpolitischen Streit, insbesondere den ideologisch motivierten Streit der 70er-Jahre über Schulstrukturen, in diesem Land zu beenden.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das wird aber schwer, Herr Jüttner!)