Protocol of the Session on November 8, 2012

Bei den 700 Beschäftigten und 45 Auszubildenden der SIAG Nordseewerke Emden geht nach der öffentlich bekannt gewordenen Weigerung der CDU/FDP-Landesregierung vom 10. Oktober 2012 zur Übernahme einer neuen Landesbürgschaft für das traditionsreiche Unternehmen - nach dem Ausstieg der ThyssenKrupp AG aus dem Unternehmen vor drei Jahren und dem damit einherge

henden Abbau Hunderter Arbeitsplätze - wiederum die Zukunftsangst um.

Die Beschäftigten und Auszubildenden sowie der Betriebsrat der SIAG Nordseewerke Emden protestieren seit dem 10. Oktober 2012 Seite an Seite mit Gewerkschaften, mit Betriebsräten weiterer regionsansässiger Unternehmen, mit dem Stadtrat Emden sowie mit der Landtagsopposition für die Sicherung des Standorts sowie ihrer Arbeits- und Ausbildungsplätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Es fanden zwischenzeitlich Spitzentreffen mit dem Ministerpräsidenten David McAllister, CDU, am 15. Oktober 2012 sowie danach mit den für die Bürgschaftsablehnung verantwortlichen Ministern Jörg Bode, FDP, und Hartmut Möllring, CDU, statt. An diesen Treffen nahmen jeweils auch Vertreter der NORD/LB teil.

Nicht einmal 48 Stunden nach dem Treffen beim Ministerpräsidenten meldete die Geschäftsführung der SIAG Nordseewerke Emden beim zuständigen Amtsgericht Insolvenz an, obwohl David McAllister noch am 15. Oktober erklärt hatte, dass dies die schlechteste aller Lösungen für die SIAG Nordseewerke Emden sei.

Nach Medienberichten verschärft sich die Situation der SIAG Nordseewerke Emden und ihrer Belegschaft zusehends. Das zeigt sich vor allem nach der Absage eines Insolvenzkredites seitens der NORD/LB, so auch ndr.de vom 27. Oktober 2012. Damit sei nach Medieninformationen weiterhin ungeklärt, wie der Großauftrag des Emder Unternehmens für den Windpark Global Tech I finanziell abgesichert sei. Auch in der Frage der Gewinnung eines geeigneten Investors für das Emder Offshoreunternehmen werden seitens der Landesregierung und der Geschäftsführung des Emder Unternehmens der Öffentlichkeit bislang keine Ergebnisse präsentiert.

Das gesamte Krisenmanagement der Landesregierung wird von der Landtagsopposition kritisiert. Auch der Vorschlag des DGB-Landesbezirks Niedersachsen für eine Landesbeteiligung am Unternehmen wurde von der Landesregierung bislang ebenso abgelehnt wie der von Teilen der Landtagsopposition nach Einrichtung einer Transfergesellschaft für Beschäftigte der SIAG Nordseewerke.

Nach Aussage der Landesregierung sei für die Entscheidung über eine neue Landesbürgschaft für die SIAG Nordseewerke vor allem ein Gutach

ten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC ausschlaggebend gewesen. Offen ist allerdings, wie intensiv sich die Landesregierung mit diesem Gutachten befasst haben kann und ob auch Alternativgutachten eingeholt wurden.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie viel Zeit hat die Landesregierung dafür verwendet, um vor der Entscheidung, keine neue Bürgschaft für die SIAG Nordseewerke Emden zu übernehmen, das Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC zu prüfen?

2. Warum hat die Landesregierung neben dem Gutachten von PwC keine anderen Gutachten zur Situation des Emder Unternehmens eingeholt und geprüft?

3. Welche Unternehmen an welchen Standorten mit jeweils wie vielen Arbeits- und Ausbildungsplätzen wären bundesweit nach Einschätzung der Landesregierung von einer Insolvenz des Unternehmens in Ostfriesland betroffen?

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Es antwortet Herr Minister Bode.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Weisser-Roelle, wir haben bereits gestern in der Aktuellen Stunde das Thema intensiv diskutiert, und die wesentlichen Bestandteile Ihrer Dringlichen Anfrage sind bereits gestern von der Landesregierung beantwortet worden. Ich nehme aber die Gelegenheit heute gerne wahr und stelle Ihnen erneut die Sachverhalte, die Abläufe und die Position der Landesregierung dar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Jahr 2009 hat sich ThyssenKrupp Marine Systems entschlossen, den Standort Emden und damit die Nordseewerke nach Hamburg zu verlagern. Das war damals ein schwerer Schlag für Emden und Niedersachsen. TKMS hat die Idee entwickelt, einen Verkauf und eine Umstrukturierung zu einem Offshorewindenergieanlagenzulieferer anstelle einer Werksschließung vorzunehmen. Damals war es schon ein fordernder Weg für alle Beteiligten, aber aufgrund der Aussichten, die damals für diese gesamte Branche bestanden haben, auch eine

große Chance für die Nordseewerke, für Emden und auch für Niedersachsen.

Die Norddeutsche Landesbank unterstützte diesen Neuanfang mit Krediten in zweistelliger Millionenhöhe. Das Land Niedersachsen hatte sich bereit erklärt, über Bürgschaften den größten Teil des Finanzierungsrisikos zu übernehmen. Das ist auch erfolgt. Das ist also eine in dieser Höhe absolut außergewöhnliche Unterstützung durch das Land Niedersachsen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Entwicklung im Offshoregeschäft mit Windenergie ist leider anders verlaufen, als es damals angenommen wurde. Das haben wir auch heute Morgen erneut diskutieren müssen. Daraus hat sich ergeben, dass die SIAG Nordseewerke, anders als geplant, bis Mitte 2011 noch keine Umsätze aus dem Offshoregeschäft realisieren konnten. Hinzu kam, dass die Muttergesellschaft in Schwierigkeiten geriet und Insolvenz anmelden musste. Das Land hat die Nordseewerke auch in dieser Situation weiter unterstützt, sowohl bei Auftraggebern als auch bei den Finanzierungspartnern. Des Weiteren war das Land Niedersachsen bereit, bei einem positiven Fortführungsgutachten zusätzliche Kreditlinien zu verbürgen.

Es ist aber nicht so, wie es oft dargestellt und manchmal sogar wider besseres Wissen behauptet wird, dass es ein positives Fortführungsgutachten gab. Vielmehr stellte FMC fest, dass es unter einigen Bedingungen eine positive Fortführungsprognose gibt. PwC als Mandatar des Landes Niedersachsen in Bürgschaftsangelegenheiten hat bei der Bewertung des FMC-Gutachtens und der Würdigung des aktuellen Sachverhalts festgestellt, dass der Eintritt der von FMC erwarteten und vorausgesetzten Bedingungen mit einem mehr als sehr hohen Risiko verbunden ist bzw. sie teilweise nicht eingetreten sind.

Der Vertreter der Norddeutschen Landesbank hat seinen Antrag auf Verbürgung eines Neukredites daraufhin noch vor einer abschlägigen Entscheidung des Landeskreditausschusses zurückgezogen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedaure die Entwicklung sehr. Ich kann auch die Sorge der Beschäftigten der Nordseewerke nachvollziehen. Aber auch nach der Stellung des Insolvenzantrages am 17. Oktober 2012 hält die Landesregierung daran fest, die Nordseewerke nach Kräften zu unterstützen. Es ist das erklärte Ziel der Landesregierung, die Weiterführung des Unter

nehmens zu erreichen und einen möglichst großen Teil der rund 700 Arbeitsplätze zu erhalten. Insbesondere gilt es, den Auszubildenden des Betriebes die erfolgreiche Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermöglichen. Auch hieran arbeitet die Landesregierung.

Dafür ist es aber erforderlich, dass ein Investor die Nordseewerke übernimmt und damit die Grundlagen für eine Zukunft als Offshorewindenergieanlagenzulieferer schafft. Die Gespräche mit mehreren Investoren über den Verkauf der SIAG Nordseewerke laufen nach Angaben der Geschäftsführung unverändert konstruktiv und aussichtsreich weiter. Die Landesregierung unterstützt diese Gespräche und wird auch einen Investor je nach seinem Konzept bei der Umsetzung unterstützen.

(Zustimmung bei der CDU)

Damit dies erfolgreich sein kann, müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit der Betrieb jetzt fortgesetzt werden kann. Das bedeutet in einem ersten Schritt, dass mit Lieferanten und Kunden durch die Geschäftsführung entsprechende Vereinbarungen getroffen werden müssen.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Aufgrund der schwierigen Situation der Nordseewerke hat sich halt herausgestellt, dass gerade die Beiträge der Auftraggeber zur Weiterbearbeitung ihrer Aufträge eine wesentliche Voraussetzung zur Rückzahlungsfähigkeit eines Massekredites sind. Ohne derartige sich zum Unternehmen bekennende Erklärungen ist eine Kreditgewährung für die NORD/LB schlicht unmöglich. Die Geschäftsführung der Nordseewerke ist jetzt also gefordert, weiter intensiv an Lösungen zur Fortführung des Betriebes zu arbeiten. Das geht aus den eben geschilderten Gründen zu Anfang nur ohne Massekredit, aber im Einvernehmen mit den Kunden und den bisherigen Gläubigern. Soweit der Weg bereitet ist, kann dann ein neuer Antrag für einen Massekredit gestellt werden.

Die Landesregierung wird darüber hinaus überall dort, wo sie kann, mithelfen, die bestehenden Kunden- und Lieferantenbeziehungen zu stabilisieren. Mit dem Hauptkunden Global Tech habe ich - selbstverständlich in Abstimmung mit der Geschäftsführung - bereits Gespräche mit dem Ziel geführt, dass die Nordseewerke dessen Aufträge weiter bearbeiten können.

Jetzt sind daher als Erstes die Eigentumsfragen bezüglich der Materialien bei den Nordseewerken

zu klären; denn sonst kann kein Auftrag weiterbearbeitet werden. Hierfür ist eine Einigung der Nordseewerke und der Lieferanten mit den Gläubigern, also mit der NORD/LB, erforderlich.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen der Fraktion DIE LINKE wie folgt:

Zu Frage 1: Allein zuständiges Gremium für die Entscheidung über Landesbürgschaften ist nicht die Landesregierung, sondern der Landeskreditausschuss, der in Niedersachsen unabhängig und unter Abwägung der betriebswirtschaftlichen Vertretbarkeit über die Vergabe von Landesbürgschaften entscheidet. Den Mitgliedern des Landeskreditausschusses lag die hierfür übliche, im Rahmen des Mandatarvertrages erbrachte gutachterliche Stellung der PwC am Montag, den 8. Oktober 2012, zu Dienstbeginn vor. Genaue Uhrzeit des Eingangs: 3.44 Uhr.

Am Dienstag, dem 9. Oktober 2012, ist in der Sitzung des Landeskreditausschusses nach gründlicher Erörterung die gemeinsame Entscheidung gefallen, dass eine weitere Ausweitung des Bürgschaftsengagements für von der NORD/LB zu gewährende Kredite nicht mehr möglich sei, weil das Ausfallrisiko unvertretbar hoch wäre. Die NORD/LB hat daraufhin den Antrag auf Bürgschaftserteilung zurückgezogen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Zeitfenster zwischen Eingang der gutachterlichen Stellungnahme der PwC und der Sitzung des Landeskreditausschusses auch deshalb verhältnismäßig eng gewesen ist, weil die SIAG Nordseewerke einerseits erforderliche Informationen und Unterlagen verspätet vorgelegt haben - so lag z. B. die letzte Aktualisierung des Sanierungsgutachtens erst am Freitag, den 5. Oktober 2012, bei der PwC vor -, andererseits aber der Liquiditätsbedarf vom Unternehmen als dringlich geltend gemacht wurde, sodass eine Befassung des Landeskreditausschusses am 9. Oktober 2012 im Interesse des Unternehmens ermöglicht wurde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ein Unternehmen über die Bank eine Landesbürgschaft beantragt und geltend macht, dass die Liquiditätsnotwendigkeiten so dringend sind, dass es eine schnelle Entscheidung braucht, wäre es von dem Gremium unverantwortlich gewesen zu sagen: Wir müssen den Sachverhalt noch einen Monat oder drei Monate lang prüfen. Das gilt insbesondere, weil die beteiligten Landesstellen in dem Fall auch monatelang kontinuierlich die Maßnahmen und die Diskussion begleitet haben, sodass

die gutachterliche Stellungnahme der PwC in Teilen bereits bekannte Informationen wiedergegeben hat, und weil aufgrund der Tatsache, dass es ja bereits einmal eine Bürgschaftsstellung gegeben hat, das Unternehmen dem Ausschuss selbstverständlich bekannt gewesen ist.

Zu Frage 2: Die gutachterliche Stellungnahme der PwC ist kein Gutachten im herkömmlichen Sinn, sondern eine vertrauliche Sitzungsvorlage für die Mitglieder des Landeskreditausschusses, die in eine Risikoeinschätzung der PwC hinsichtlich des Bürgschaftsrisikos mündet. PwC erstellt diese Sitzungsvorlage in ihrer Funktion als Bürgschaftsmandatar des Landes. Es bestand ebenso wie bei allen anderen Bürgschaftsbefassungen des Landeskreditausschusses keinerlei Veranlassung, eine zweite Sitzungsvorlage einer anderen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einzuholen.

Zu Frage 3: Bei den Nordseewerken sind insgesamt 723 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - 680 bei den SIAG Nordseewerken und 43 bei SIAG Engineering - sowie 43 Auszubildende beschäftigt. Bereits freigestellt wurden 180 Beschäftigte, die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung für die Nordseewerke tätig waren. Die Summe der indirekt Betroffenen, also die Anzahl der Mitarbeiter der für die Nordseewerke tätigen Auftragnehmer, Zulieferer und Dienstleister, beläuft sich auf ca. 200 Beschäftigte. Davon sind rund 110 bei verschiedenen Betrieben in der Region Ostfriesland sowie insgesamt 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei zwei Tochterunternehmen der SIAG-Gruppe in Brandenburg und Sachsen und bei diversen Arbeitsvermittlern im gesamten Bundesgebiet tätig.

Der Landesregierung liegt eine detaillierte Aufschlüsselung der Mitarbeiterzahlen der indirekt betroffenen Unternehmen vor. Ich bitte um Verständnis, dass ich diese Daten nicht veröffentliche, weil sie schützenswerte Interessen der entsprechenden Unternehmen berühren. Über die indirekt betroffenen Ausbildungsplätze sind keine seriösen Annahmen zu treffen.

Alle Angaben, die ich gemacht habe, beruhen auf Auskünften der Geschäftsführung der SIAG Nordseewerke.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir kommen zu den Zusatzfragen. Die erste Zusatzfrage stellt Herr Hagenah für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass sie ja quasi bis fünf nach zwölf gewartet hat, als bei der SIAG die Insolvenz unmittelbar bevorstand, bis sie - für uns jedenfalls spürbar - auf die zugespitzte Situation dort reagiert hat, und das bei einem ganz erheblichen Landesrisiko mit 50 Millionen Euro verbürgtem Kredit und einem von der NORD/LB insgesamt noch höher ausgegebenen Kredit, wie sie denn ab dieser Bürgschaftsübernahme das Unternehmen begleitet hat, mit welchem Controlling, mit welcher Controllingtiefe, in welchem Rhythmus sie sich über den positiven Verlauf dieser Landesbürgschaft kundig gemacht hat und was sie in dieser Zeit für das positive Weiterlaufen getan hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hagenah! Zunächst ist eine Bürgschaft eine Verbürgung eines Kredits, die teilweise auch im Risiko des Kreditgebers, in diesem Fall also der NORD/LB, liegt. Also hat es zunächst einmal eine Überwachung des Kreditgebers des Unternehmens - aufgrund der Größenordnung und Dimension natürlich auch eine enge Begleitung durch die NORD/LB - gegeben.

Im Bürgschaftsverfahren gibt es Prozesse, die hier wie in allen anderen Bürgschaftsverfahren eingehalten worden sind. Man muss allerdings hier sehen und erkennen, dass es im Jahr 2009 die erste Entscheidung von TKMS gab, eine Umstrukturierung vorzunehmen, dass es zur Insolvenz der Mutter gekommen ist, vorher auch schon Kreditnotwendigkeiten, die sich z. B. im Avalbereich abzeichneten, bestanden, und dass Unternehmensberatungen versucht haben umzustrukturieren - FMC war auch nicht der Erste, der versucht hat, umzustrukturieren -, sodass es in diesem Fall schon vorher eine Begleitung gegeben hat. Die Landesregierung selbst war ja auch durch den Beirat im Unternehmen vertreten.

Das heißt, wir haben auch insoweit die Umstrukturierungsbemühungen gemeinsam begleitet. Ich habe damals Herrn Schaaf nach Algerien begleitet,