Protocol of the Session on June 22, 2012

Herr Schünemann, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2008, das Sie zitiert haben, hat in Anerkennung der Tatsache, dass Computer heute wirklich auch im Kernbereich privater Lebensführung eingesetzt werden, auf Risiken hingewiesen und recht dezidiert dargelegt, was Sie alles absichern müssen und was Sie alles sicherzustellen haben.

Sie haben gesagt, Sie haben sichergestellt, dass nur die laufende Telekommunikation überwacht wird. Das haben Sie aber nicht sichergestellt. Sie haben nur den Hersteller gefragt, ob er zusichert, dass nur die laufende Telekommunikation überwacht wird. Das ist in unseren Augen keine Absicherung. Das ist eher blauäugig, insbesondere bei einem Unternehmen wie DigiTask, das einen wirklich sehr zweifelhaften Ruf hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann haben Sie gesagt, theoretisch gebe es die Möglichkeit zu hacken. Ich will Ihnen sagen: Das ist keine theoretische Möglichkeit. Vielmehr hat der Chaos Computer Club das ganz praktisch und mit wenig Aufwand gemacht. Das ist leicht.

Bei der Software, die Sie eingesetzt haben, sind die Sicherheitsvorkehrungen schwach; die Scheu

nentore stehen weit offen. Diese Software genügt nicht einmal den banalsten Anforderungen. Es gibt genug Unsicherheiten. Unser Antrag ist keineswegs hinfällig.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Herr Minister spricht noch einmal. Bitte!

Erstens. Damit Sie das nicht falsch mitbekommen: Ich hoffe, dass ich die Software ab September wieder einsetzen kann, nicht erst in zwei Jahren.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Klären Sie das mit Frau Jahns!)

Zweitens. Der Chaos Computer Club hat es eben nicht geschafft, das Ganze in einem laufenden Verfahren zu hacken. Vielmehr handelte es sich um eine andere Software, die in keinem konkreten Fall eingesetzt worden ist. Wenn die Polizei eine solche Software in einem konkreten Fall einsetzt, dann - das habe ich hier dargelegt - ist es nahezu ausgeschlossen, dass man das Ganze hacken kann. Denn man kann gar nicht wissen, in welchem Computer diese Software geschaltet ist.

Insofern sind Ihre Befürchtungen tatsächlich nur theoretischer Natur. Das ist in der Praxis gar nicht umsetzbar.

Drittens. Die Innenministerkonferenz hat - noch einmal - einmütig höhere Standards beschlossen, an die sich in der Zukunft alles Bundesländer und auch der Bund halten. Es ist sogar ein unabhängiges Expertengremium eingesetzt worden, das das Ganze noch einmal kontrolliert. Insofern sind all die Befürchtungen für die Zukunft nun wirklich widerlegt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/4175 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen?- Enthaltungen? - Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Abschließende Beratung: Doppelte Staatsbürgerschaft erleichtern - Mehrstaatigkeit nicht nur für Ministerpräsident McAllister! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/4584 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 16/4850

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Zu Wort gemeldet hat sich für die SPD-Fraktion Frau Dr. Lesemann. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Seit Januar 2008 sind die ersten jungen Erwachsenen vom sogenannten Optionszwang betroffen. Von Jahr zu Jahr werden es mehr werden.

Die Folgen: viel Arbeit für die Behörden und für die Verwaltungsgerichte, große Verunsicherung der jungen Erwachsenen, die hier als Deutsche aufgewachsen sind. Da werden junge Menschen, die hier gerade Abitur machen, in einem Sportverein als Übungsleiter sind oder eine Lehre begonnen haben, aufgefordert, sich zwischen dem Herkunftsland ihrer Eltern und dem Land zu entscheiden, in dem sie geboren sind und in dem sie seit mehr als 18 Jahren leben. Oft genug kennen sie das Herkunftsland ihrer Eltern bestenfalls von Urlaubsreisen. Dennoch besteht eine über die Familie vermittelte kulturelle und emotionale Bindung an dieses Land, das eine endgültige Entscheidung verkompliziert.

Um den Geschichtsklitterungen vorzubeugen, die bei diesem Thema gern in Angriff genommen werden, will ich erklären, wie es überhaupt zu dieser lebensfremden Regelung kommen konnte.

1999 hat Rot-Grün eine Gesetzesreform vorgelegt, die mit dem von 1913 an bis dato geltenden Abstimmungsprinzip, dem Jus sanguinis, dem Blutsrecht, Schluss machen wollte, das die Nationalität des Kindes an die Abstammung der Eltern band. Rot-Grün forderte das Geburtsrecht ein, das Jus soli, und erleichterte die Einbürgerung der in Deutschland geborenen Kinder. Damit wurde Mehrstaatlichkeit als Faktum einer Integrationsgesellschaft hingenommen.

Was darauf folgte, war eine beispiellose Kampagne im hessischen Landtagswahlkampf - es ist schon lange her -, der an den Wahlständen in offene Ausländerfeindlichkeit mündete.

(Jens Nacke [CDU]: Frau Kollegin, das stimmt doch gar nicht!)

Es wurde nicht nur über das Staatsangehörigkeitsrecht diskutiert, sondern die dumpfe Frage gestellt: Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben? - Daraufhin setzte der schwarz-gelbe Bundesrat den nunmehr geltenden faulen Kompromiss durch: Wer volljährig ist, für den besteht der Zwang, zwischen deutscher Staatsangehörigkeit und Staatsangehörigkeit der Eltern zu wählen.

Meine Damen und Herren, mit diesem Webfehler im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir Schluss machen. Deshalb fordert die SPD auf Bundesebene, aber auch hier im Landtag Erleichterungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft.

(Beifall bei der SPD)

Niedersachsen braucht eine neue Willkommenskultur, die die Integration der bereits im Land lebenden Migrantinnen und Migranten und ihrer Kinder vertieft, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft verfestigt und neue Zuwanderer anzieht. Deshalb muss der Optionszwang weg und muss die doppelte Staatsbürgerschaft erleichtert werden.

Wer hier eingebürgert werden will, muss im Regelfall seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Es gibt bereits eine Reihe von Ausnahmeregelungen, aus denen faktisch in mehr als der Hälfte der Fälle Doppel- und Mehrstaatlichkeit hingenommen werden. Das gesetzliche Ziel, die Mehrstaatlichkeit zu vermeiden, wird schon jetzt nicht mehr erreicht. Aus völkerrechtlicher Sicht ist das auch unproblematisch.

Das seit 2000 geltende sogenannte Optionsmodell nach § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes hat sich offenkundig nicht bewährt. Der Zwang für junge Menschen, sich für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden, ist hochproblematisch. Das sagen uns die Betroffenen immer wieder selbst, erst gestern in einer Besuchergruppe, die ich mit meiner Kollegin, Frau Tippelt, begleiten durfte.

Teilweise wird aus Unwissenheit der Entscheidungszeitpunkt verpasst mit der Folge, dass junge und gut integrierte Menschen ihre deutsche Staatsangehörigkeit durch Unachtsamkeit verlieren. Integrationspolitisch ist es völlig sinnlos, die

sen Menschen diese deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen, nur weil sie sich nicht oder zugunsten ihrer zweiten Staatsangehörigkeit entschieden haben.

Nicht nur integrationspolitisch, sondern auch verwaltungstechnisch sind diese ganzen Optionszwänge, Optionspflichten absurd. Die Zahlen und somit der Arbeitsaufwand in den Behörden werden steigen. Darauf weist im Übrigen wiederholt der Bericht der Bundesintegrationsbeauftragten, Frau Böhmer, hin, die das auch hochproblematisch sieht. Wir hoffen, dass es demnächst zu einer Evaluation kommt, die zu dem Schluss kommt, dass der Optionszwang fallen muss.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem wachsenden Arbeitsdruck auf die Behörden durch die steigenden Fallzahlen wird auch der Druck auf die Politik wachsen, dieses Bürokratiemonstrum zu beseitigen. Der Aufwand nämlich für die Durchführung eines Optionsverfahrens ist bei den Staatsangehörigkeitsbehörden nach den bisherigen Erfahrungen in der Praxis mindestens so groß wie der Aufwand für ein vollständiges Einbürgerungsverfahren.

Schon bei der heutigen Situation mit Fallzahlen von etwa 3 000 bis 4 000 Optionskindern pro Jahr bundesweit wurde von größeren personellen Schwierigkeiten bei der Umsetzung berichtet. Verbunden wurden diese Berichte oft mit Befürchtungen für die Zeit ab 2018, wenn jährlich ungefähr 40 000 Jugendliche bundesweit optionspflichtig werden. Die bürokratischen Probleme sind bereits jetzt sehr gut erkennbar.

Meine Damen und Herren, ich finde es überaus positiv, wie sich Ministerpräsident McAllister immer wieder zu seinen schottischen Wurzeln bekennt und dies auch in Form seiner doppelte Staatsbürgerschaft bekräftigt und zum Ausdruck bringt.

Mittlerweile ist die doppelte Staatsbürgerschaft in 19 europäischen Staaten Normalität. Ich frage aber: Warum verweigern Sie anderen Menschen halsstarrig das, was anderswo, in anderen Ländern schon längst akzeptiert wird?

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Verehrte CDU, Ihr Koalitionspartner FDP ist da schon eine ganze Ecke weiter, befindet sich aber in gewisser selbst verschuldeter Abhängigkeit, gefesselt durch einen Schwur an den großen Koalitionspartner. Ich denke, bei abnehmender Be

liebtheit Ihrer Partei wird es nicht einfacher werden, diese Abhängigkeit zu lösen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen Integration und keine erzwungene Assimilation für dauerhaft hier lebende Ausländer, wenn sie ihre staatsbürgerlichen Rechte ausüben wollen. Wenn die doppelte Staatsbürgerschaft möglich wäre, müssten wir auch keine Debatten mehr über Ausländerwahlrecht führen.

Die Aussage der CDU, Migranten sollen sich ohne Vorbehalte zum deutschen Staat bekennen und daher ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft ablegen, sorgt unter Migranten für viel Aufruhr.

(Glocke des Präsidenten)

Mit Ihrem fortwährenden Bekenntnis zur Optionspflicht setzen Sie ein fatales Signal. Ich finde es merkwürdig, wie eine Partei, die jahrzehntelang behauptet hat, Deutschland sei gar kein Einwanderungsland, und somit in gewisser Weise all die Menschen verleugnete, die hierher gekommen sind und schwere Arbeit für uns geleistet haben, nun plötzlich möchte, dass sich diese Menschen zu unserem Staat bekennen.

Frau Kollegin, letzter Satz, bitte!