Protocol of the Session on June 20, 2012

Meine Damen und Herren, zur Historie der Sicherungsverwahrung ist das eine oder andere schon gesagt worden. Es geht um Personen, die nach verbüßter Strafhaft als hochgradig rückfallgefährdet eingestuft werden und von denen man sagt, dass sie in irgendeiner Form von Gewahrsam bleiben müssen; ich formuliere das einmal so allgemein.

Das muss rechtsstaatlich organisiert werden. Auch Karlsruhe sagt, Sicherungsverwahrung ist und bleibt weiterhin möglich. Das, Herr Adler, können Sie nicht mit altem Nazirecht in Verbindung bringen und sagen, deshalb befassen wir uns damit nicht. Nein, das hat Karlsruhe fein auseinandergehalten.

Nun zur Linken. Wir haben die Töne aus dem Bundestag durchaus vernommen. Ich darf auch auf meinen Justizministerkollegen in Brandenburg verweisen. Auch da verfolgt man die Politik: Sicherungsverwahrung kennen wir nicht, wir wollen sie nicht haben, also tun wir so, als müssten wir es nicht regeln.

Meine Damen und Herren, über die Sicherungsverwahrung - auch über die nachträgliche Sicherungsverwahrung - gab es lange Streit. Dann hat es ein Bundesgesetz gegeben, über das wir auch innerhalb des bürgerlichen Lagers kontrovers gestritten haben. Dann gab es die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Und ganz am Ende der Entwicklung, am 4. Mai 2011, bekamen wir das Urteil aus Karlsruhe, das besagt: Alles, was ihr bislang geregelt habt, ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar; es ist zwar übergangsweise noch bis zum Mai 2013 anwendbar, aber dann müsst ihr etwas Neues machen; ihr müsst vom Grunde her etwas tun, aber auch in Bezug auf die Unterbringungsbedingungen und das Abstandsgebot. - Genau auf diesem Wege sind wir nun ganz gut unterwegs.

Dem Bund hat Karlsruhe eine Art Leitlinienkompetenz zugewiesen. Der Bundesgesetzgeber muss also nach wie vor festlegen, welcher Personenkreis unter welchen Bedingungen in die Sicherungsverwahrung geschickt werden kann. Darüber kann man, Kollege Zielke, sicherlich streiten. Ich denke aber, dass wir dem Bundesgesetzgeber helfen, wenn wir das hinsichtlich des Kanons der Anlasstaten gerade nicht tun. Ich denke, wir sollte das so lassen, wie es ist.

Ich bin auch damit einverstanden, dass der Bundesgesetzgeber sagt, bei entsprechender Erkenntnislage kann in das Urteil der Vermerk geschrieben werden, dass gleich nach Strafverbüßung Sicherungsverwahrung erfolgen soll, bzw. dass es im Falle einer Beobachtungssituation auch eine Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt geben kann. Einen Dissens haben wir allerdings insofern, als dass der Bundesgesetzgeber meint, mit diesen beiden Merkmalen seien alle, um die es geht, erfasst, während wir es für denkbar halten, dass sich im Verlauf einer langen Strafhaft noch ergeben kann, dass eine nachträgliche Sicherungsverwahrung bzw., nach dem neuen Gesetz, eine nachträgliche Therapieunterbringung hätte verfügt werden müssen. Das möchte ich - das sage ich hier so offen - in den nächsten Monaten aber nicht ausdiskutieren.

Der Bundesgesetzgeber hat den Entwurf für einen neuen § 66 c Strafgesetzbuch vorlegt, in dem das so geregelt wird, dass wir damit arbeiten können. Das wäre soweit in Ordnung. Die Anlasstaten bleiben die gleichen. Es geht nicht um Ladendiebe und Heiratsschwindler, sondern um Schwerkriminelle bzw. Sexualstraftäter, bei denen die Gefahr der Wiederholung besteht, wenn sie denn in Frei

heit kämen. Auch da sollten wir den Personenkreis richtig eingrenzen.

Für die Unterbringung sind nun die Länder zuständig. Wir müssen vollziehen, wenn die Gerichte gesprochen und die Zeiten sich entsprechend entwickelt haben. Dazu haben wir in der Vergangenheit mit einem, wie ich denke, großen Kraftaufwand schon einiges vorbereitet. 2010 wurde dazu eine bundesweite Arbeitsgruppe unter Federführung Niedersachsens eingesetzt. Darin haben wir einen ganzen Katalog von Kriterien entwickelt, wie sich das Ganze gestalten müsste, nachdem Karlsruhe gesprochen hat. Auf der Basis dieses Kriterienkatalogs haben wir unseren Gesetzentwurf formuliert. Damit haben wir - das dürfte auch jeder neutrale und unbefangene Beobachter so sehen - ein sehr wertvolles Gesetzgebungsverfahren angestoßen. Der Gesetzentwurf wird jetzt von den Fraktionen von CDU und FDP vorgelegt, sodass wir ihn miteinander beraten können.

Angesichts meiner knappen Redezeit will ich jetzt nur noch kurz auf einige Schwerpunkte eingehen. Der Leitgedanke der Sicherungsverwahrung ist das freiheitsorientierte und therapiegerichtete Gesamtkonzept. Darin liegt die oberste Aufgabe, die in der Sicherungsverwahrung erfüllt werden muss, und alles andere hat sich danach auszurichten. Therapie bzw. individuelle Behandlung sind sogar als Rechtsanspruch formuliert. Selbst die Leute, die therapieunwillig oder -unfähig sind, müssen und werden wir immer wieder anhalten und motivieren, sich einer entsprechenden Therapie zuzuwenden und sich einzubringen. Das kann man auch mit Vergünstigungen erreichen; ich nenne in diesem Zusammenhang beispielhaft die Themen Taschengeld und Ausgang.

Wie gesagt, Betreuung und Therapie sind dauerhaft angesagt. Diesen Anspruch werden wir anerkennen und den Auftrag entsprechend erfüllen. Es gilt auch das Prinzip der Freizügigkeit in der Gesamteinrichtung, also über den eigenen Unterkunftsbereich hinaus. Wir tun das Menschenmögliche, dass das machbar ist.

Ein wichtiger Bereich - das will ich hier noch einmal ganz deutlich ansprechen - ist die individuelle Unterkunft.

In der ersten Planungsphase haben wir zugegebenermaßen mit 54 Unterbringungsplätzen operiert. Wir waren der Meinung, dass eine Grundfläche von 20 m2 inklusive Nasszelle und vielleicht Küche ausreichend sei. Liebe Kollegen, dann gab es eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg,

der zufolge es mindestens 20 m2 plus Nasszelle und Küche sein sollten. Das ergibt insgesamt mindestens 23 oder 24 m2. Wir haben dann die Planung umgestellt. Wir werden jetzt 45 Plätze mit jeweils 20 plus 3 oder 4 m2 bauen, um auf der sicheren Seite zu sein. Allerdings sagen die Gerichte - auch die in Straßburg und Karlsruhe - nie, wie die Unterbringung genau aussehen muss. Sie kontrollieren nur hinterher, ob die Unterbringung in Ordnung war.

Wir stellen uns der Herausforderung. Ich hoffe und denke, wir machen da alles richtig. Wir senken die Zahl der Unterbringungsplätze auf 45. Das reicht für Niedersachsen und zwei Fälle aus Bremen. Damit sind wir auf der sicheren Seite. Kooperationen mit Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern verfolgen wir aber nicht mehr. Diese Länder sind zum Teil eigene Wege gegangen. Damit haben sich die Kooperationsüberlegungen erledigt.

Meine Damen und Herren, grundsätzlich sollen sich die Sicherungsverwahrten selbst verpflegen. Das bedingt eine Erhöhung des täglichen Verpflegungszuschusses um 7 Euro. Grundsätzlich soll auch die Mindestbesuchszeit von einer Stunde pro Monat auf zehn Stunden pro Monat angehoben werden.

Ein ernstes Thema ist die Arbeitspflicht. Wenn die Verhältnisse in der Sicherungsverwahrung an die im normalen Leben angenähert werden sollen, dann sollte man vermuten, dass die Sicherungsverwahrten auch arbeiten sollen, können und müssen. Hier sagt aber das Gesetz auf der Basis der Karlsruher Rechtsprechung: Nein, es besteht keine Arbeitspflicht für die Sicherungsverwahrten. So sie aber Ideen entwickeln und arbeiten möchten, müssen wir Arbeitsangebote unterbreiten. Wenn sie arbeiten, geschieht das bei besseren Verdienstmöglichkeiten. Der Tagessatz wird von 11 Euro auf 20 Euro angehoben.

Ich spare mir jetzt einen Ausflug in den Bereich des Jugendvollzuges. Da kann man sich analoge Regelungen vorstellen.

Die Kollegen haben es gesagt: Wir hatten vor einigen Wochen in Rosdorf den ersten Spatenstich. Die Baumaßnahme läuft. Sie kostet 12,4 Millionen Euro. Ich danke dem Finanzministerium, dem Baumanagement und allen anderen Beteiligten, auch vor Ort in der Anstalt. Wir werden im Herbst das Richtfest feiern. Die Anlage wird im Mai rechtzeitig fertig werden und betriebsbereit sein.

30 zusätzliche Personalstellen sind etatisiert. Es ist nicht leicht - das gilt für ganz Deutschland -, genügend Therapeuten zu finden, die den hohen Ansprüchen genügen. Aber am Ende werden wir das hinbekommen.

Dass wir für Arbeitsvergütungen und für Verpflegung mehr Geld ausgeben, versteht sich von allein.

Ich bitte um konstruktive Beratung in den nächsten Wochen im Ausschuss. Wir sind auf einem guten Wege und werden der Karlsruher Rechtsprechung bis Mai gerecht werden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll sich der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, mitberatend der Ausschuss für Haushalt und Finanzen mit dem Thema beschäftigen. Gibt es jemanden, der dem widerspricht? - Gibt es jemanden, der sich enthält? - Dann ist es so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich rufe nun, wie heute Morgen beschlossen, die Tagesordnungspunkte 9 bis 11 zusammen auf:

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse in Niedersachsen - Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/4860

Erste Beratung: Eine aufgabengerechte Finanzausstattung des Landes sicherstellen - Für eine zukunftsfähige Politik und als Voraussetzung für eine funktionierende Schuldenbremse und einen wirksamen Fiskalpakt - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/4863

Erste Beratung: Landesregierung soll Kreditaufnahmeverbot (sogenannte Schuldenbremse) vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4867

Wir kommen zur Einbringung. Zunächst werde ich dem Kollegen Klein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort zu den Tagesordnungspunkten 9 und 10 erteilen. Danach kommt dann die Fraktion DIE LINKE zu Tagesordnungspunkt 11 zu Wort.

Herr Klein, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen heute unseren Gesetzentwurf zur Umsetzung der Schuldenbremse in Niedersachsen vor.

Wir haben uns bisher mit öffentlichen Positionierungen zu diesem Thema weitgehend zurückgehalten. Wir haben das in der Erwartung getan, dass die seit einem Jahr laufenden interfraktionellen Gespräche und Beratungen dadurch erleichtert werden könnten.

Allerdings waren CDU und FDP nicht davon zu überzeugen, dass das eine sinnvolle Strategie ist. Die gelegentlichen Beratungen haben mit sehr viel Getöse und noch mehr Schuldzuweisungen vorher und nachher stattgefunden. Daher habe ich den Verdacht, dass es hier weniger um die Umsetzung einer sinnvollen Regelung, sondern vor allem um das Setzen von politischen Botschaften geht. Dazu passt, dass die Regierung sehr viel von Haushaltskonsolidierung redet, es aber nicht tut.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das ist wieder so eine Unverschämtheit!)

Dazu passt auch die Einbringung des Entwurfs für eine sehr schlichte einfachgesetzliche Umsetzung der Schuldenbremse, nämlich in der LHO, durch CDU und FDP.

Unser Gesetzentwurf ist zunächst einmal die Alternative zu dieser einfachgesetzlichen Regelung. Auch er sieht eine einfachgesetzliche Regelung vor. Dieser Gesetzentwurf kann aber ohne Weiteres auch das notwendige Ausführungsgesetz zu einer verfassungsmäßigen Umsetzung der Schuldenbremse sein. Ich bin zwar skeptisch, dass eine solche Verfassungsänderung noch zustande kommt. Aber die Verantwortung dafür liegt in anderen Händen. An den Grünen kann das bekanntlich nicht scheitern.

Unser Gesetzentwurf sieht, wie vom Grundgesetz gefordert, Ausnahmen vom Kreditaufnahmegebot beim Abweichen der Konjunkturentwicklung vom Normalfall sowie bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notlagen vor. Wir sind der Auffassung, dass in solchen Fällen ein Landtagsbe

schluss mit einfacher Mehrheit genügt. Dieser Beschluss sollte allerdings mit einem Tilgungsplan verbunden werden. Außerdem sollte eine gesonderte Darlegungspflicht vorgesehen werden.

Herr Minister Möllring und die Koalition machen inzwischen keinen Hehl mehr daraus, dass es ihnen bei der Schuldenbremse vor allen Dingen darum geht, zunächst einmal die Nettokreditaufnahme formal auf null zu bringen. Wir definieren die Schuldenbremse stärker im Sinne des Grundgesetzes als Ausgleich der strukturellen Einnahmen und Ausgaben. Das Ziel soll also ohne Vermögenstransaktionen, ohne Schattenhaushalte und ohne andere Haushalts- und Buchungstricks erreicht werden. Deswegen steht in unserem Gesetzentwurf etwas mehr als nur der schlichte Abbaupfad wie im CDU-Konstrukt.

Zunächst einmal geht es uns natürlich darum, dass die Schuldenbremse nicht durch einen Ausverkauf des Landesvermögens eingehalten wird. Umschichtungen bleiben natürlich möglich. Das heißt, wenn etwas verkauft wird, muss der Erlös werthaltig wieder angelegt werden oder zur Schuldentilgung verwendet werden; auch das erhält den Vermögensstatus des Landes.

Bei den Nebenhaushalten haben wir die Landesbetriebe mit angesprochen und einbezogen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es ist rechtlich kaum möglich, das anders zu machen. Aber man weiß ja nicht, zu welchen Ideen man unter dem Druck einer Schuldenbremse kommt.

Wenn juristische Personen ganz im Besitz des Landes stehen oder das Land wesentlich an ihnen beteiligt ist, sind diese immer dann einzubeziehen, wenn Zins und Tilgung direkt aus dem Landeshaushalt zu zahlen sind. Das bedeutet: Natürlich werden wir uns nicht in die Finanzierung bei VW einmischen. Aber z. B. bei NPorts könnte man sich durchaus solche Konstruktionen vorstellen.

Unter diesem Aspekt haben wir außerdem die investiven Ausgaben für ÖPP-Projekte, die kreditähnliche Geschäfte darstellen, mit berücksichtigt.

Berücksichtigt haben wir des Weiteren die Tatsache, dass es Unterschiede zwischen Haushaltsplan und Haushaltsvollzug geben kann. Dafür richten wir ein Kontrollkonto, orientiert an den Vorgaben des Bundes, ein, in das auch die Abweichungen und Ausnahmen in Bezug auf die Konjunkturentwicklung und bei Naturkatastrophen sowie Notfällen aufgenommen werden sollen. Wir wollen dieses Kontrollkonto darüber hinaus auf 10 % der

Steuereinnahmen in Niedersachsen deckeln; das wären heute etwa 1,8 Milliarden Euro. Das soll verhindern, dass die Ausnahmen die gleiche Entwicklung zeigen wie bei der bisherigen Schuldenbremse.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der größte Streitpunkt ist natürlich die Übergangsregelung. Wir haben uns hier an der Hamburger Lösung orientiert, die in der letzten Woche nach Verhandlungen zwischen SPD, FDP und Grünen mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet worden ist. Wir schlagen vor, dass der Abbau des strukturellen Defizits kontinuierlich und möglichst gleichmäßig erfolgen soll. Das Ziel einer Neuverschuldung null soll 2019 erreicht sein. Damit hat man einen Puffer bis zum endgültigen Termin 2020.

Wir wollen weiter eine detaillierte Finanzplanung für die Zielerreichung, die langfristig angelegt ist, aber jährlich fortzuschreiben ist. Das heißt, wir orientieren uns jedes Jahr wieder an der Istsituation und den aktuellen Möglichkeiten zum weiteren Abbau des strukturellen Defizits. Das heißt natürlich auch, das kann mal mehr sein, als es der Koalitionsvorschlag im Moment zulässt. Das heißt aber auch, es kann mal weniger sein.