Protocol of the Session on March 21, 2012

Pauschal zu sagen, wir schließen für immer jede Art von Netzsperren aus, ist zu kurz gedacht. Wir dürfen nicht ohne Not auf zukünftige eventuell effektive Möglichkeiten, Internetkriminalität zu unterbinden, verzichten. Herr Minister hat es im Rahmen der Besprechung der Großen Anfrage eben verdeutlicht.

Natürlich unterstützen wir die Aussage des UN-Sonderbeauftragten Frank La Rue, der zu Recht sagt - ich zitiere aus seinem Untersuchungsbericht vom 3. Juni 2011 -:

„Es sollte so wenig Beschränkungen des freien Informationsflusses im Internet geben wie möglich.“

Wir lehnen es ab, dass durch Sperrung des Netzes politische Teilhabe unterbunden wird. Deswegen war es gut, dass Deutschland den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert hat.

Artikel 5 des Grundgesetzes sichert unsere Meinungs- und Informationsfreiheit, aber doch nicht im rechtsfreien Raum, meine Damen und Herren, doch nicht ohne jede Grenze; denn in Artikel 5 Abs. 2 heißt es konkret:

„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Ich will es einmal an dem Beispiel der unerlaubten Glücksspielangebote im Internet festmachen. Der Glücksspielstaatsvertrag liegt ja gerade der EU-Kommission zur Überprüfung vor. Die Frage ist doch, ob die Gesetzesgrundlage in Artikel 5 Abs. 2 ausreichend ist, um Netzsperren zu installieren.

Ebenso ist zu hinterfragen, zu welchem Zweck sie den Informationsfluss an welcher Stelle konkret unterbrechen sollen und ob es möglicherweise mildere Mittel gibt, um das gleiche Ziel, die Verhinderung von unerlaubtem Glücksspiel, zu erreichen.

Dasselbe Prinzip gilt beim Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes. Auch dieses Grundrecht kann - nach Artikel 10 Abs. 2 - eingeschränkt werden. Also auch hier sind wir nicht schrankenlos.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, das ist ein sehr komplexes Thema, für das keine pauschalen Antworten gefunden werden können. Nicht umsonst gibt es in der UN zurzeit eine sehr lebhafte Diskussion darüber, wie die Freiheit im Internet zu gewährleisten und zu gestalten ist.

Der Antrag der Linken beinhaltet einige diskussionswürdige Aussagen, wie ich bereits im Ausschuss ausführte. Dennoch beinhaltet er auch zwei Punkte, die für uns so nicht umsetzbar und zustimmungsfähig sind.

Erstens. Wir werden auch künftig keinem Gesetzesvorhaben zustimmen, das jede Filterung pauschal - ich betone: pauschal - verbietet; denn - wie eben ausgeführt - es muss auch eine Schutzfunktion möglich sein.

Zweitens. Ihre Forderung, eine Universaldienstverpflichtung für einen Internetzugang mit einer konkreten Bandbreite gesetzlich zu verankern, halten wir schlichtweg für Unsinn. Auch hier können wir nicht zustimmen, da dies eine Gleichstellung von Rundfunk und Breitband bedeuten würde. Der Staat müsste eintreten, wenn eine bestehende Lücke nicht geschlossen ist. Meine Damen und Herren, wer soll das denn finanzieren?

(Johanne Modder [SPD]: Unsinn, Frau Pieper!)

Ich möchte auch noch Folgendes sagen: Das Thema Zugangsfreiheit zum Internet ist viel komplexer, als dies in dem Antrag der Linken zum Ausdruck gebracht wird. Natürlich ist der Antrag durchaus ein Baustein und eine Grundlage für weitere Diskussionen oder auch Entscheidungen im Bereich der Netzpolitik. Diese Diskussion wird

zu Recht auf allen Ebenen der EU, des Bundes und des Landes geführt. Gegenwärtig wird über einen Vorschlag auf EU-Ebene diskutiert - ich zitiere -, „wonach die Einrichtung von Internetsperren nicht verpflichtend ist, sondern im Ermessen der Mitgliedstaaten steht“, nachzulesen im Ratsdokument 11987/11.

Eine derartige Festschreibung, wie von den Linken gefordert, halten wir für nicht sachgerecht. Aus diesem Grunde müssen wir sie ablehnen. Löschen statt Sperren wird schon gemacht. Es ist ein Weg. Aber wir wollen uns nicht alles versperren.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention zu dem Beitrag von Frau Pieper haben sich Frau Flauger für die Fraktion DIE LINKE und Frau Behrens von der Fraktion der SPD gemeldet. Bitte schön, Frau Flauger, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Pieper, ich bin schon überrascht. Ich hatte damit gerechnet, dass Sie das Thema Universaldienstkatalog hier ansprechen. Dass Sie damit Probleme haben, hatten Sie schon geäußert. Gleichwohl finde ich es ein bisschen merkwürdig, dass Sie jetzt sagen, da müsse der Staat irgendwo einspringen; denn das passiert jetzt schon genauso. In den profitablen Gegenden, in denen es sich lohnt, Internetanschlüsse zu verlegen, kassieren die Privaten die Gewinne, die damit verbunden sind, ab, und die weißen Flecken fördern wir mit Fördergeldern, damit die Leute da auch endlich einmal ans Netz kommen. Von daher wird es Zeit, dass wir da vielleicht zu einer Mischkalkulation kommen und der Staat auch die profitablen Gegenden mit versorgen kann. Dann wird es vielleicht auch ausgewogener.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wirklich überrascht hat mich, dass wir in der Debatte einen Rückfall auf das Niveau des letzten Jahres,

(Daniela Behrens [SPD]: Auf das vor- letzte Jahr!)

auf die Mitte des letzten Jahres erleben, indem Sie sagen, Netzsperren könnten vielleicht doch eine

tolle Idee sein. Ich dachte, darüber seien wir hinweg. Der Bundestag hat im letzten Jahr über alle Fraktionsgrenzen hinweg entschieden, dass es nicht sinnvoll ist, mit Netzsperren gegen Kriminalität verschiedenster Art vorzugehen.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Jetzt kommen Sie und sagen „Vielleicht ist die Idee doch nicht so schlecht, wir wollen uns das alles offen halten“. Das halte ich wirklich für einen Rückfall. Damit haben Sie mich überrascht, Frau Pieper. Insofern ist es wirklich wichtig, dass wir den Antrag hier besprechen, damit deutlich wird, wer solche Positionen vertritt, wie Sie es tun, nämlich dass wir im Internet doch blödsinnige Stoppschilder aufstellen müssen, und wer meint, dass das keinen Sinn hat, wie es der Bundestag bereits ziemlich einhellig beschlossen hatte.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Behrens, Sie haben ebenfalls 90 Sekunden. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Geehrte Kollegin Pieper, das Thema Universaldienstleistungen hat Frau Flauger aufgeführt. Dabei geht es um die Frage der Teilhabe und der Gerechtigkeit. In den Gebieten, in denen es keinen Internetanschluss gibt, muss sich der Staat darum kümmern, dass die Menschen dort die Möglichkeit erhalten, einen Internetanschluss zu bekommen. Diese Frage diskutieren wir auch im Bereich der Post und des Telefons. Heute ist das beim Thema Internet natürlich genauso wichtig.

Viel schlimmer sind allerdings Ihre Ausführungen zu dem Thema „Löschen statt sperren“.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ja!)

Sie stehen völlig im Gegensatz zu dem, was die CDU-Bundestagsfraktion von sich gibt und worauf wir uns auf Bundesebene gemeinsam verständigt haben.

In Deutschland - dafür kämpft übrigens Ihre Bundeskanzlerin auf EU-Ebene - gilt „Löschen statt sperren“. Wir wollen keine Netzsperren, weil wir dafür eine Sperrinfrastruktur brauchen, die kontrolliert werden muss. Einer muss sagen, was gesperrt wird und was nicht gesperrt wird. Ein Zweiter muss

das kontrollieren. Ein Dritter muss die technische Infrastruktur dafür liefern. Das ist mit einer demokratisch organisierten Gesellschaft nicht vereinbar. Diesen Konsens hatten wir bereits im vergangenen Jahr nach einer wirklich schwierigen Debatte zum Zugangserschwernisgesetz erreicht. Sie erinnern sich an die dämlichen roten Stoppschilder vor irgendwelchen Internetseiten.

(Jens Nacke [CDU]: Vorsicht!)

- Ich entschuldige mich für den Begriff „dämlich“.

(Jens Nacke [CDU]: Darauf wollte ich gerade hinweisen! Ich habe dafür mal meinen ersten Ordnungsruf bekom- men!)

Die Erfolgsstatistiken des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter zu der Frage, welche Seiten durch das Löschen bereits aus dem Netz genommen werden konnten, zeigen, dass das der richtige Weg ist.

(Glocke des Präsidenten)

Die Kollegin Pieper hat die letzten zwölf Monate der Debatte anscheinend nicht mitbekommen.

Ein letzter Satz, bitte!

Ein letzter Satz, Herr Präsident. - Sie sagen, „wir als CDU wollen wieder Netzsperren“. Es tut mir wirklich leid, in dieser Debatte kommen Sie völlig zu spät, Frau Pieper.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Frau Kollegin Pieper möchte antworten. Bitte sehr!

Sehr verehrte Frau Kollegin Flauger und Frau Kollegin Behrens, entweder haben Sie mir nicht richtig zugehört, oder Sie wollen es nicht verstehen.

(Ulrich Watermann [SPD]: Wir haben Sie schon verstanden!)

Wir sind nicht dagegen, dass keine Netzsperren vorgenommen werden. Aber wir sind dagegen, pauschal und von vornherein quasi einen Persilschein auszustellen. Wir müssen uns die Gegebenheiten und das, was gefordert ist, genau anse

hen. Ich denke, diese Debatte sollten wir unbedingt führen, und zwar zum Wohle aller.

(Zustimmung bei der CDU - Kreszen- tia Flauger [LINKE]: Sie müssen schauen, was Ihre Fraktion im Bun- destag vertritt!)