Protocol of the Session on January 19, 2012

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung: Sechs-Punkte-Plan für eine Zäsur beim Umgang mit atomarem Müll: Vertrauen schaffen - Endlagersuche wirklich neu beginnen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/4347

Wir kommen zur Einbringung. Herr Wenzel, Sie haben das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erstmals seit 35 Jahren wird mit Vertretern aus dem Norden, aus dem Süden, aus dem Westen und aus dem Osten und von allen politischen Farben über die Zukunft der Endlagersuche, über einen Neubeginn der Endlagersuche verhandelt. Der letzte Versuch, dies zu bewerkstelligen, den Rot-Grün im Bund mit Kraft vorangetrieben hat, ist letztlich an CDU und FDP gescheitert. CDU und FDP haben die Uhren wieder zurückgedreht. Aber völlig offen ist, ob der Versuch, der in einer Arbeitsgruppe der Länder von der Ministerpräsidentenkonferenz angestoßen wurde, zum Erfolg führt. Ich will auf die Probleme, auf die Herausforderungen, die Bedenken und die kritischen Punkte hinweisen.

Zunächst ist da das Märchen von der Erkundung, das wir hier im Landtag schon häufig gehört haben. Da hieß es: „Die Erkundung wird wieder aufgenommen.“ - Wir haben hier immer gesagt: Nein, das ist keine Erkundung, was Sie dort machen. Sie bauen faktisch weiter. Sie bauen faktisch ein Endlager und versuchen, ohne die erforderlichen atomrechtlichen Genehmigungen ein Endlager zu errichten. - Sie haben daraufhin immer gesagt: Nein, das stimmt nicht. Wir wollen nur erkunden.

Es war ein denkwürdiger Moment, als Herr Röttgen auf der letzten Pressekonferenz nach der vorletzten Sitzung der Arbeitsgruppe mitteilte, dass es einen Baustopp gebe und die Auffahrung der Stollen unterbrochen werde.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Seltsam!)

Zu dem Zeitpunkt sind die Bohrungen aber weiter fortgeführt, und zu dem Zeitpunkt sind die Tiefenbohrungen weiter durchgeführt worden. Ich fand auch bemerkenswert, dass die Sequenz, in der Herr Röttgen den Baustopp verkündet hat, herausgeschnitten war, als das Video dieser Pressekonferenz später veröffentlicht wurde. Auch das macht misstrauisch. Aber davon gibt es Audiomitschnitte. Insofern ist klar: Es hat diese Aussage gegeben.

Jetzt komme ich zur vorläufigen Sicherheitsanalyse. Auch das ist ein wunderbarer Begriff. Aber „vorläufige Sicherheitsanalyse“ ist meines Erachtens ein Begriff, der im Kern eine Teilgenehmigung umschreibt, der nämlich den Versuch umschreibt, einen Teil der Genehmigung vorzubereiten. Von daher werden wir nicht akzeptieren, Herr Minister Birkner, dass diese Maßnahme so weitergeführt wird.

Man kann nicht auf der einen Seite von Ergebnisoffenheit sprechen und auf der anderen Seite an diesem politisch hoch belasteten und ungeeigneten Standort unter diesem Begriff weiter an vorläufigen Genehmigungsunterlagen arbeiten.

(Zustimmung von Miriam Staudte [GRÜNE])

Dann begegnen wir dort auch Beteiligten wie dem ehemaligen Vattenfall-Chef, der eine Firma mit Sitz in Schwülper im Landkreis Gifhorn gegründet hat. Sie nennt sich Nuclear Safety International Research oder so ähnlich. Einen sehr großen Namen hat sie. Wenn man dann aber in das Handelsregister schaut, stellt man fest: Sie ist in Schwülper angemeldet, und offensichtlich handelt es sich um eine Firma, die nicht viel mehr Know-how hat als

das ihres Chefs. Meine Damen und Herren, auch das ist eine Merkwürdigkeit in diesem ganzen Verfahren.

Der Salzstock, über den wir reden, ist der Salzstock der Willkür, politisch ausgewählt, mit Gas- und Kohlenwasserstoffvorkommen, ohne Deckgebirge an entscheidenden Stellen, mit Rissen, die, wie wir nach dem Desaster in der Asse wissen, dazu führen können, dass das Wasser eindringt, und die sich nicht von allein schließen, wie das Dogma früher immer hieß.

Meine Damen und Herren, dann kommt noch der Trick mit dem Salzlabor hinzu, der offensichtlich von Herrn Hennenhöfer erdacht und in die Verhandlungen eingespeist wurde. Damals wurde in Gorleben ein Antrag zur gewerblichen Erkundung, zur gewerblichen Aufsuchung gestellt. Das macht es sehr schwer, in die Salzrechte der Nachbarn einzudringen. Deshalb haben sich einige Strategen offensichtlich überlegt, dass man jetzt eine Aufsuchung zu wissenschaftlichen Zwecken machen will, um es zu erleichtern, auch in die Salzrechte der Nachbarn zu kommen.

Das alles sind Dinge, die wir nicht akzeptieren werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man tatsächlich einen Neubeginn bei der Endlagersuche will, dann muss diese Trickserei aufhören, und dann muss auch die Priorität umgekehrt werden. Dann dürfen Sicherheitskriterien nicht wieder politisch definiert werden, die dazu führen, dass Gorleben drinbleibt, sondern dann müssen Sicherheitskriterien wissenschaftlich unangreifbar definiert werden, und dann muss man sicherstellen, dass nicht wieder eine politische Entscheidung gefällt wird.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Dann muss man erst zu Ende erkun- den, damit wir wissen, worüber wir re- den!)

Meine Damen und Herren, das ist ein essenzieller Punkt. Wenn Gorleben Referenzstandort bleibt, wie es jetzt immer hieß, dann besteht doch die Gefahr, dass am Ende nur ein anderer Standort mit diesem Standort verglichen wird, möglicherweise ein schlechter Standort mit einem ganz schlechten Standort, und plötzlich kommt Gorleben wieder zum Vorschein.

Das wollen wir nicht akzeptieren. Wir wollen, dass man nach 35 Jahren endlich erkennt, dass es ei

nen Neubeginn braucht. Ich glaube, im Kern haben das alle Akteure erkannt. Im Kern wissen wir alle: Wir können einen unbelasteten Neubeginn nur dann schaffen, wenn wir die Fehler der Vergangenheit hinter uns lassen.

Deshalb erwarte ich, dass Niedersachsen jetzt tatsächlich deutlich macht und sich dafür einsetzt - Herr Birkner, Sie sind in der Arbeitsgruppe -, dass die Erkundungen vollständig beendet werden, dass die sogenannte vorläufige Sicherheitsanalyse sofort beendet wird, dass die Bohrungen und die Baumaßnahmen sofort beendet werden und dass die Sicherheitskriterien nach wissenschaftlichen Maßstäben nach vorne gezogen und zunächst und als Allererstes definiert werden.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Dr. Hocker das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir haben allein in den vergangenen zwei Jahren bestimmt ein Dutzend Mal über das Thema Gorleben als Endlagerstandort diskutiert. Der Tenor der Anträge der Grünen - Herr Wenzel, so haben Sie es auch heute wieder vorgetragen - ist immer gewesen, Gorleben müsse sofort fallengelassen, und die Erkundung müsse sofort abgebrochen werden.

Herr Kollege Wenzel, wenn Ihre Partei in meinem eigenen Heimatwahlkreis, nämlich in Verden, ihren Landesparteitag abhält, dann können Sie davon ausgehen, dass ich da auch einmal Mäuschen spiele und mir anschaue und anhöre, welche Diskussionen Sie dort führen und welche Beschlüsse Sie dort fassen.

Ich habe auch in der Medienberichterstattung danach sehr aufmerksam mitverfolgt, wie Frau Harms und Sie sich zum Thema Endlagersuche eingelassen haben. Das war sehr interessant, vor allem, wenn man Ihre heutige Argumentation daneben legt.

Sie beide haben im November unisono gesagt, Sie könnten Gorleben nicht mehr definitiv als Endlagerstandort ausschließen. Das ist natürlich interessant. Sie haben es mit dem Argument erklärt, dass das die Solidarität mit Ihren Parteifreunden im Süden über Gebühr strapazieren und auch die

Kompromisssuche zwischen Bund und Ländern erschweren könnte. Man muss sich das einmal genau vorstellen: Hier markieren Sie nach wie vor den starken Max und wollen Gorleben endgültig fallen lassen; auf Ihrem eigenen Landesparteitag in Verden, in meiner Heimatstadt, sind Sie aber nicht in der Lage, eine entsprechende Resolution auf den Weg zu bringen.

Ich sage Ihnen: Sie sprechen da mit gespaltener Zunge. Es gibt einen tiefen Riss zwischen dem, was Sie als Partei formulieren, und dem, was Sie hier als Fraktion vortragen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich meine, dass ein solcher Antrag vielleicht ins Schaufenster für enttäuschte Fundis gehört, aber ganz bestimmt nicht in diesen Landtag.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Was Sie in Verden verabschiedet haben, das ist - das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - ein fauler Kompromiss. Da haben Sie verabschiedet, dass es wiederum einen Erkundungsstopp in Gorleben geben soll. Ich sage nur: Nachtigall, ick hör dir trapsen. Das hatten wir alles schon einmal. Wir haben vor zehn Jahren beobachtet, dass ein grüner Bundesumweltminister ein Moratorium in Gorleben verhängt hat. Dieses Moratorium hat Niedersachsen, hat den Steuerzahler viele Millionen Euro gekostet, hat uns aber nicht einen Millimeter weitergebracht bei der Frage: Wohin mit dem atomaren Müll?

Sie haben aus der Geschichte, aus Ihren eigenen Fehlern überhaupt nichts gelernt. Sie drücken sich um eine Entscheidung herum. Wir lassen Ihnen nicht durchgehen, dass das in dieser Frage noch einmal passiert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in diesem Hohen Haus sitzen, wenn alle da sind, 152 Abgeordnete. Wir haben geguckt, was für Kompetenzen sie mitbringen. Wir haben siebzehn Lehrer in diesem Parlament, elf Landwirte, acht Rechtsanwälte. Aber nur fünf Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause würde ich tatsächlich unterstellen, dass sie aufgrund ihres beruflichen Hintergrundes in der Lage sind, ein Stück weit eine eigene Entscheidung treffen zu können, ob Gorleben als Endlagerstandort geeignet ist oder nicht. Wir haben nur fünf Ingenieure oder technische Angestellte. Das ist jeder Dreißigste. Ich sage ausdrücklich, dass ich mich selber nicht dazuzähle. Ich bin aufgrund meines

beruflichen Hintergrundes eben nicht in der Situation, das entscheiden zu können, sondern brauche da wissenschaftliche Expertise.

Herr Dr. Hocker, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Flauger?

Nein, jetzt nicht, danke.

Die Grüne-Fraktion hat zwölf Abgeordnete. Zwei Studenten sind dabei, eine Hausfrau ist dabei, ein Architekt, jemand hat in der Verwaltung gearbeitet und jemand anderes in der Bildung, bevor die Kolleginnen und Kollegen, die ich sehr schätze, Mitglieder dieses Hauses wurden. Ich frage mich, wenn ich mir das angucke, wie die Grüne-Fraktion für sich in Anspruch nehmen kann, eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob Gorleben als Endlagerstandort geeignet ist oder nicht,

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Wir lesen Gutachten! - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Herr Dr. Hocker, das ist nicht allein auf unserem Mist gewachsen! Ganz bestimmt nicht!)

bevor die Wissenschaft hat sprechen können und bevor die Wissenschaft letzten Endes dazu beigetragen hat, dass wir uns ein Bild machen können. Diese Arroganz müssen Sie mir einmal erklären.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von Kreszentia Flauger [LINKE])

- Ich habe ausdrücklich gesagt, Frau Flauger, dass auch meine berufliche Qualifikation mich nicht in die Lage versetzt, solch eine Entscheidung zu treffen. Genau deswegen will ich ja die wissenschaftlichen Ergebnisse, will ich die Erkundung abwarten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist doch absurd!)

Ich sage Ihnen: Gorleben muss im Topf bleiben. Es muss, bevor schon wieder die Politik spricht, erst die Wissenschaft das Wort haben. Deswegen müssen wir abwarten, welche Ergebnisse die Erkundung zutage bringt. Vorher sollten wir als Politiker uns zurückhalten. Wer etwas anderes fordert, der riskiert die Zukunft von Tausenden Generationen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)