Ihr moralischer Zeigefinger ist ganz großes Kino. Ihre wirklichen Interessen in dieser Sache sind ganz kleines Karo, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das fällt ja nicht nur uns auf, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit. Der Chefredakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Matthias Koch, schreibt am 8. Januar 2012 in der HAZ:
„Überdreht ist übrigens auch die Forderung von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nach einer Neuwahl des Bundestages für den Fall eines Rücktritts von Wulff.“
„Mehr und mehr rücken aber jetzt seine Gegner in den Blick - und machen ebenfalls einen alles andere als vorbildlichen Eindruck.“
Im Berliner Tagesspiegel ist am 8. Januar 2012 zu lesen, Sigmar Gabriel habe seine Generalsekretärin zurückgepfiffen, weil sie sich nicht an seine Linie gehalten hatte. Zitat:
„… die Tonlage in der Präsidentendebatte nicht zu überziehen und sich den Wählern nicht allzu offensichtlich als Machttaktierer zu präsentieren…“
„denn Nahles Attacke widersprach der Behauptung, es gehe um die Würde des Amtes statt um den Nutzen der SPD.“
Wir können uns die Frage stellen, ob es der SPD um machttaktische Spielchen geht. Wir können uns fragen, ob ein albernes Taschenheft der Grünen im Internet mit Zitaten des Bundespräsidenten angemessen und der Würde des Amtes dienlich ist. Aber eines brauchen wir uns nicht mehr zu fragen - das ist seit Wochen klar: Sie machen Machtpolitik auf dem Rücken des Amtes des Bundespräsidenten und lassen dazu allzu oft die richtige Tonalität vermissen. Mit Würde hat Ihr Verhalten, meine Damen und Herren, schlicht und einfach nichts mehr zu tun.
Damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Wir wollen ebenso Aufklärung und Transparenz wie alle hier im Parlament.
Ich möchte daher der Landesregierung ausdrücklich für ihre wirklich außergewöhnlichen Bemühungen danken, Transparenz zu schaffen. Wenn weit mehr als 100 Fragen der Opposition - - -
Meine Damen und Herren, vielleicht können wir Herrn Dürr ein bisschen reden lassen. - Herr Dürr, bitte!
Wenn weit mehr als 100 Fragen der Opposition innerhalb weniger Tage beantwortet werden, ist das keine Selbstverständlichkeit. Deshalb richtet sich mein Lob ausdrücklich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatskanzlei, die bis in die Nacht hinein an der Beantwortung dieser Fragen gearbeitet haben.
Ich persönlich bin ganz fest von einem überzeugt: Glaubwürdigkeit können Politikerinnen und Politiker nicht an einem Tag oder innerhalb weniger Wochen gewinnen oder verlieren. Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren, muss sich jeder Politiker jeden Tag erarbeiten.
Das gilt für den Bundespräsidenten, das gilt aber eben auch für Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten und von den Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Wochen geht es in den Medien um erwiesene und mögliche Verfehlungen des Bundespräsidenten. Das ist keine Kleinigkeit, weil die Menschen gerade an einen Bundespräsidenten hohe moralische Erwartungen haben und auch haben dürfen.
Der Bundespräsident hat in seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen Vorteile in Anspruch genommen, die ihm nur deshalb zugänglich waren, weil er eben Ministerpräsident war. Besonders erschreckend finde ich, dass dem Bundespräsidenten völlig das Gefühl dafür abzugehen scheint, dass nicht jede Freundlichkeit und jede in Anspruch genommene Vorteilsgewährung allein seiner Person gilt. Carsten Maschmeyer z. B., damals AWD-Chef und verantwortlich für tragische finanzielle Verluste vieler Kleinanleger, hat sich mit Wulff doch erst gezielt angefreundet, nachdem dieser Ministerpräsident geworden war. Wie verzerrt muss die Wahrnehmung von Christian Wulff sein, wenn er sich einredet, dass dieser Maschmeyer zu Parties und in seinen Weinkeller einlädt und seine Villa auf Mallorca an ihn vermietet, nur weil er Wulff so nett findet und ohne dass das einen Bezug zu seinem Amt hätte?
Wie kann Wulff sich einreden, dass die Kreditkonditionen, die er bei der BW-Bank erhalten hat, nichts mit seinem Amt zu tun hätten und also jedem anderen mit gleicher Bonität ebenso zur Verfügung gestanden hätten?
Wie kann er verdrängen, dass solche Art Entgegenkommen durchaus in der Hoffnung auf entsprechendes Wohlwollen bei politischen Entscheidungen erfolgen kann?
Allein diese Realitätsverweigerung disqualifiziert ihn eigentlich für das Amt des Bundespräsidenten.
Es disqualifiziert ihn auch, dass er mit zweierlei Maß misst. Zur Flugaffäre des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau sagte Wulff: „Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.“
Wissen Sie, ich sehe nicht den großen qualitativen Unterschied zwischen dem, was Wulff damals durchaus zu Recht an Rau kritisiert hat, und dem, was er heute oder in den vergangenen Jahren selbst getan hat.
Ich will Ihnen aber auch sagen: Mich stört an der ganzen Debatte, dass es jetzt nur um Wulff, Wulff und noch einmal Wulff geht; denn sein Verhalten ist ja leider kein Einzelfall. Nur ein Beispiel: In den gleichen Hannoveraner Partykellern wie Wulff hat auch schon Gerhard Schröder mit Maschmeyer gefeiert,
und er hat Maschmeyer dann mit der Einführung der Riester-Rente eine, wie Maschmeyer es nannte, sprudelnde Ölquelle verschafft.
Eine Kultur des Vorteile-Annehmens und der Gefälligkeitspolitik ist leider weit verbreitet. Aber, meine Damen und Herren, mit Demokratie hat es eben nicht viel zu tun, wenn die, die solche Vorteile gewähren können, politische Entscheidungen beeinflussen bzw. kaufen können, während die übergroße Mehrheit der Menschen diesen gekauften Entscheidungen dann ausgeliefert ist.
Die Niedersächsische Landesregierung müsste daher eigentlich bemüht sein aufzuklären. Aber sie macht sich zur Mittäterin und qualifiziert sich als Königin der Vertuschung.
Schon im Sommer vergangenen Jahres hat die Landesregierung einen großen Teil unserer Fragen zu Maschmeyer und seinen Verflechtungen mit der niedersächsischen Politik unter Verweis auf das Steuergeheimnis oder übergroßen Aufwand verweigert. Mindestens drei Termine zwischen Maschmeyer und Wulff hat sie in der Antwort unterschlagen und damit gegen die Landesverfassung verstoßen.
Auch jetzt wieder werden das Steuergeheimnis, der Schutz der Privatsphäre, die Nichterreichbarkeit des ehemaligen Sprechers Wulffs, Glaeseker, und jeder andere passende Vorwand herangezogen, um Antworten nicht zu geben.
Die Grünen haben nach dem Nord-Süd-Dialog gefragt, einer Netzwerkveranstaltung zwischen Wirtschaft und Politik, die abwechselnd in Niedersachsen und Baden-Württemberg stattgefunden hat. Wulff war Schirmherr. Und dann antwortet die Landesregierung, Wulff habe ein Interview gege
ben, das auf den Internetseiten der Niedersächsischen Staatskanzlei per Livestream habe verfolgt werden können. Meine Damen und Herren, das ist nicht einmal ein Zehntel der Wahrheit. Die gesamte Veranstaltung - mehrere Stunden - wurde von der Staatskanzlei übertragen. Warum überträgt die Staatskanzlei eine solche Werbeveranstaltung von Unternehmen?