Protocol of the Session on November 11, 2011

Ja, darin lag eine gewisse Raffinesse.

(Heiterkeit)

Herr Minister Schünemann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn es unparlamentarisch war: In diesem Punkt haben Sie wirklich recht.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis, dass Innenminister, ganz gleich, ob sie im Amt gewesen sind oder aktuell im Amt sind, durchaus mit Zurückhaltung auf die Bundeswehrreform reagieren. Wenn es um die Ausrichtung auf Auslandseinsätze geht, so ist diese sicherlich richtig und notwendig. Das ist gerade noch einmal thematisiert worden. Aber man darf in dem Zusammenhang auch daran erinnern, dass im Grundgesetz der subsidiäre Einsatz der Bundeswehr bei Naturkatastrophen und bei Großschadenslagen eindeutig festgelegt worden ist. Dann kann man nicht nach dem Motto handeln „Wenn wir vielleicht noch Kräfte übrig haben, können wir sie vielleicht zur Verfügung stellen“ - das ist nicht der richtige Ansatz -, sondern in der Verfassung ist die Unterstützung in solchen Situationen festgelegt. Dann muss man auch dazu in der Lage sein. Insofern muss man das auch unter diesem Gesichtspunkt sehen.

Fest steht, dass die Wehrpflicht ausgesetzt worden ist. Wenn man ehrlich ist, wird sie wahrscheinlich über einen langen Zeitraum nicht mehr eingesetzt werden. Man kann also auch von einer Abschaffung sprechen. Dass dies weitreichende Folgen für die Struktur hat, ist klar. Deshalb ist es richtig, dass Standorte insgesamt reduziert und auch geschlossen werden. Hier ist von allen Seiten gesagt wor

den, dass wir in Niedersachsen nach der Umsetzung dieser Strukturreform in den Jahren 2015 bis 2017 in der Bundesrepublik die meisten Dienstposten haben, also wirklich ein Bundeswehrland bleiben. Das ist mir als Innenminister besonders wichtig.

Ich bin dem Bundesverteidigungsminister wirklich dankbar, dass er Wort gehalten hat. Von seinem Vorgänger gab es durchaus Tendenzen zu untersuchen, ob die Fähigkeiten an wenigen Standorten zusammengezogen werden sollen. Das hätte für die Präsenz in der Fläche schwierig zu handhabende Folgen gehabt. Diese Ausrichtung hat der Bundesverteidigungsminister Dr. de Maizière eindeutig nicht verfolgt, sondern er ist in der Fläche geblieben und hat Standorte reduziert.

In Niedersachsen geht es faktisch um fünf Schließungen. Drei sind so benannt worden, wobei meiner Meinung nach Schwanewede die problematische ist. Ehra-Lessien und Lorup sind Kleinststandorte, wo es hoffentlich sehr schnell Nachnutzungen gibt. Den Medien war zu entnehmen, dass es zumindest in Ehra-Lessien durchaus Interesse von größeren Firmen gibt, sodass die Schließung dort schnell kompensiert werden kann.

Bei den erheblichen Reduzierungen ist Visselhövede besonders betroffen, aber auch Diepholz. Insofern müssen wir anstreben, dass wir den Kommunen in diesem Zusammenhang besonders helfen. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass gerade Visselhövede in einer schwierigen Situation ist, und zwar nicht nur auf die Einwohnerzahl bezogen, sondern auch auf die Lage. Die Stadt liegt nicht unbedingt nahe an einer Autobahn. Sie liegt zudem in einer strukturschwachen Region. Insofern kann man abschichten, wo besondere Unterstützung angezeigt ist. Ich glaube, darauf müssen wir ein besonderes Augenmerk richten.

Die Landesregierung hat darauf sehr schnell reagiert. Wir haben bereits am 2. November die Bürgermeister und die Landräte eingeladen, haben die BImA hinzugezogen, ebenso die Bundeswehr und die auf der Landesebene zuständigen Ressorts, die Unterstützung geben sollen.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir am 22. November ein Aktionsprogramm beschließen wollen. Herr Bartling, mir geht es um ganz konkrete Hilfe und um das, was am schnellsten erforderlich ist. Erstens geht es darum, so schnell wie möglich zu erfahren, wann der Abzug abgeschlossen sein wird und die Flächen zur Verfügung ste

hen werden. Das ist ein wichtiger Punkt, um überhaupt arbeiten zu können.

Zweitens sollte man nicht erst dann Überlegungen anstellen und Altlastengutachten vergeben, wenn die Soldaten abgezogen sind, sondern uns geht es darum, dass Gutachten möglichst sofort in Auftrag gegeben werden können, damit Klarheit herrscht, was ein Standort wert ist.

Wenn drittens der Wunsch der Kommunen besteht, das Gelände in Gänze zu übernehmen, ist es notwendig, dass wir mit dafür Sorge tragen, dass es möglichst kostengünstig - in strukturschwachen Gebieten möglichst umsonst - zur Verfügung gestellt werden kann. Das muss die Bundesregierung sicherstellen, weil die Bundeshaushaltsordnung derzeit ein solches Vorgehen nicht zulässt. Dafür müssen wir besondere Beschlüsse haben.

Viertens gibt es einen Bereich, der von der BImA zwar unterstützt wird, bei dem aber die Landesregierung meiner Ansicht nach sehr schnell helfen kann: Da geht es darum, gemeinsam mit den Kommunen schnell Vermarktungskonzepte zu erarbeiten. Wenn man sich die Fördertöpfe anschaut - die der EU, aber auch die für den Städtebau West und andere -, dann wird klar, dass solche Gutachten nicht bezuschusst werden. Deshalb wollen wir in diesem Zusammenhang sehr schnell zusätzliches Geld zur Verfügung stellen, um den Kommunen zu helfen, Vermarktungsstrategien zu erarbeiten, damit so schnell wie möglich nicht nur irgendetwas auf diesen Geländen passiert, sondern damit dort möglichst wieder Arbeitsplätze entstehen. Das muss das Ziel sein. Denn es kann nicht der Punkt sein, nur darüber nachzudenken, die Gelände irgendwie zu nutzen. Hier gehen Arbeitsplätze verloren, und in strukturschwachen Gebieten müssen wir so schnell wie möglich wieder zu Arbeitsplätzen kommen. Darum geht es, und deshalb wollen wir die Kommunen gerade in dieser Frage so schnell wie möglich unterstützen.

Meine Damen und Herren, natürlich unterstützen wir die Forderung, auf der Bundesebene insgesamt ein Struktur- und Konversionsprogramm aufzulegen. Dafür brauchen wir breite Unterstützung. Es ist klar, dass die Bundesregierung darauf hinweist, dass bei den vergangenen Bundeswehrstrukturreformen auch keine extra Programme aufgelegt worden sind. Aber das ist meiner Meinung nach kein überzeugendes Argument, insbesondere wenn man berücksichtigt, wie stark die Fläche betroffen ist. Die Innenminister haben verabredet,

dass sie detailliert auch zusammen mit den Kommunen überlegen, wo hierbei der richtige Ansatzpunkt für Hilfestellungen liegt. Wir werden auf der Innenministerkonferenz einen Maßnahmenkatalog beschließen, um der Bundesregierung hierzu die Forderungen zu geben.

Meine Damen und Herren, zusammengenommen ergibt sich meiner Meinung nach ein herber Verlust. 11 000 Dienstposten werden in den nächsten Jahren verloren gehen. Im Vergleich mit anderen Bundesländern können wir sagen, dass wir ein starker Bundeswehrstandort bleiben. Aber ich möchte gerne aufgreifen, was Herr Bartling angedeutet hat: Wir müssen uns besonders um diejenigen kümmern, die in zivilen Bereichen tätig waren. Das ist in der Öffentlichkeit nicht umfassend dargestellt worden. Ich bin froh, dass z. B. bei der Abschaffung der Wehrbereichsverwaltung eine Kompensation angeboten worden ist. Hier sollen mit dem Personal- und dem Baumanagement nicht nur Nachfolgestrukturen aufgebaut werden, sondern wir werden in Hannover sogar bundesweite Aufgaben übernehmen: das Travelmanagement, die Reisekostenabrechnung und Gebührenabrechnung. Somit gehen nur wenige zivile Dienstposten verloren.

Ich bin auch froh, dass es gelungen ist, ein Führungskommando bei den Feldjägern zusätzlich nach Hannover zu holen. Das ist insbesondere für einen Innenminister wichtig, weil wir schon jetzt mit der Feldjägerschule sehr gute Kooperationen haben. Das heißt, die Fachkompetenz im Bereich der Militärpolizei wird in Hannover angesiedelt sein. Es gibt Kooperationen mit der Polizeiakademie. Das kann in der Zukunft noch besser, noch reibungsloser organisiert werden.

Zusammengefasst: Es ist keine Frage, Konversion ist notwendig. Wir müssen die Kommunen unterstützen. Wenn das hier auf breite Unterstützung durch das Parlament fällt, dann ist das hilfreich. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ganz herzlichen Dank, Herr Minister Schünemann. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Zu allen drei Tagesordnungspunkten soll identisch beschlossen werden. Federführend soll der Ausschuss für Inneres und Sport tätig werden, mitbe

ratend der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann haben Sie so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Erste Beratung: Für eine neue Bleiberechtsregelung - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4129

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Kollegin Zimmermann zu Wort gemeldet, die den Antrag einbringt. Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Niedersachsen leben mehr als 10 000 Personen, die länger als sechs Jahre in Deutschland sind, ohne Aussicht auf einen unbegrenzten Aufenthaltsstatus. Wir reden hier über 10 000 Einzelschicksale von Menschen, denen jegliche Zukunftsperspektive fehlt, da sie nicht wissen, wo sie sich in ein, zwei oder drei Jahren befinden werden.

Auch wenn einige Tausend Menschen in der Vergangenheit vorerst ein Bleiberecht erhielten, wurde das Problem der sogenannten Kettenduldungen immer noch nicht gelöst. Diejenigen von ihnen, die ein Bleiberecht erhielten, müssen befürchten, es wieder zu verlieren, beispielsweise wenn sie arbeitslos werden. Vor diesem Hintergrund ist eine neue und humanere Bleiberechtsregelung dringend erforderlich.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wie unmenschlich diese Praxis der Landesregierung ist, beweist nicht zuletzt der aktuelle Fall der seit 19 Jahren hier lebenden und bestens integrierten Familie Nguyen aus Hoya nach Vietnam. Dieser Fall wurde gestern bereits mehrfach angesprochen. Es ist in der Tat erschreckend, mit welchen - das muss man hier so sagen, meine Damen und Herren - brutalen Mitteln diese Familie aus dem Land geschafft wurde. Mitten in der Nacht stand die Polizei vor der Tür, kassierte die Familie ein mit Ausnahme der ältesten Tochter, die fortan hier allein, ohne Eltern und ohne Geschwister, leben muss, schaffte sie nach Frankfurt und flog sie aus.

Die Familie Nguyen ist gut integriert gewesen. Beide Eltern haben in einer Baumschule gearbeitet

und für den wirtschaftlichen Unterhalt der Familie gesorgt. Die Kinder waren im Sportverein aktiv. Die älteste Tochter arbeitet im Krankenhaus und hat die Fachhochschulreife. Besser als diese Familie kann man nicht integriert sein, meint Andreas Ruh, evangelischer Pastor im Ort, wie wir gestern in der HAZ lesen konnten.

Herr Schünemann,

(Minister Uwe Schünemann: Ja!)

ich frage mich: Was wollen Sie eigentlich noch? - Ich finde Ihr Verhalten gruselig, da gerade Sie es sind, die dafür sorgen könnten, dass solche Abschiebungen nicht mehr stattfinden.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen auch Folgendes, Herr Schünemann: Ihr ewiger Verweis auf die Bundesgesetzgebung hilft Ihnen an dieser Stelle nicht; denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt ganz deutlich: Menschen mit einer Verwurzelung in einem Land dürfen nicht abgeschoben werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Die minderjährigen Kinder der Familie Nguyen sind in Deutschland verwurzelt, sie sind dort aufgewachsen und durften nicht abgeschoben werden und infolgedessen natürlich auch die Eltern nicht.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Herr Schünemann, dieser Fall ist einfach nur beschämend und bestätigt Ihre Rolle als Abschiebeminister.

Meine Damen und Herren, unser vorliegender Antrag geht im Grundsatz auf eine Initiative der Flüchtlingsorganisation PRO ASYL zurück, die auch von den Organisationen Caritas und Diakonie unterstützt wird. Diese Initiative wurde im Übrigen neben den Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen und Linken auch von Herrn Försterling und Frau Mundlos Ende September beim Vorlesemarathon am Braunschweiger Dom unterstützt. Ich bin gespannt, ob Sie hier im Parlament auf Ihre dort erklärte Unterstützung der Position von Diakonie und Caritas auch Taten folgen lassen und unsere Initiative mittragen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Frau Mundlos und Herr Försterling, fühlen Sie sich an dieser Stelle von mir herzlich eingeladen!

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die Landeregierung auf, sich auf Bundesebene für die Schaffung einer neuen Bleiberechtsregelung einzusetzen - das, Herr Schünemann, ist z. B. etwas, was Sie tun könnten -, bei der humanitäre und grundrechtliche Erwägungen den Vorzug vor Nützlichkeitskriterien und Kostenkalkülen erhalten. Denn hier wird schlichtweg in gute, also für das Land bzw. die Wirtschaft nützliche Menschen, und schlechte, folglich für die Wirtschaft unnütze Menschen, eingeteilt. Ein auf die ökonomische Verwertbarkeit reduziertes Menschenbild hat jedoch mit der Menschenwürde nach Artikel 1 unseres Grundgesetzes nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)