Resistente Krankheitskeime spielen in Deutschland eine immer größere Rolle bei Infektionsgeschehen in Krankenhäusern. Wie der NDR im Sommer dieses Jahres berichtete, sterben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jährlich mehr als 15 000 Menschen in Deutschland an multiresistenten Keimen. Auch bei den jüngsten Todesfällen der frühgeborenen Säuglinge im Krankenhaus BremenMitte wird vermutet, dass die verursachenden Keime resistent sind.
Seit Jahren weisen Fachleute auf die Gefahren des hohen Antibiotikaeinsatzes in der intensiven Tierhaltung hin.
Anfang Sommer 2011 berichtete der NDR, Niedersachsen hätte im vergangenen Jahr festgestellt, dass der Antibiotikaeinsatz in der Hähnchenmast gestiegen sei. Minister Lindemann wurde zitiert, dass er die Erfassung des Antibiotikaeinsatzes insbesondere bei Geflügel für mangelhaft halte und sein Ministerium inzwischen eigene Daten von Tierärzten und Mästern sammeln würde, um den Medikamenteneinsatz zu überprüfen. Selbst eine Bundesratsinitiative behielt er sich vor, um für mehr Erfassung und Transparenz beim Antibiotikaeinsatz zu sorgen.
Bislang ist beim Bundesrat eine solche Initiative aus Niedersachsen noch nicht eingegangen. Erste Ergebnisse über den Medikamenteneinsatz in der
2. Warum werden, wenn schon seit Monaten Daten in Niedersachsen gesammelt werden, keine Daten veröffentlicht?
3. Was ist aus der Bundesratsinitiative zur besseren Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes bei Geflügel geworden, die Minister Lindemann sich vorbehalten hat?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unbestritten sind Antibiotika wichtige Arzneimittel im Kampf gegen bakterielle Infektionen und damit verbundene Erkrankungen, und das sowohl im Human- als auch im Veterinärbereich. Der sorgfältige und gezielte Umgang mit diesen Arzneimitteln ist im Zusammenhang mit der Resistenzproblematik zwingend geboten.
Aber wir stehen nicht am Anfang einer Handlungskette, die auf das Ziel der Minimierung der Antibiotikaverwendung in den Nutztierhaltungen auf das unbedingt Notwendige für die Tiergesundheit ausgerichtet ist. Mein Haus hat schon im Oktober 2010 eine vergleichende, wenn auch nicht repräsentative Erhebung des Landkreises Osnabrück für die Jahre 2004 bis 2009 in der Öffentlichkeit thematisiert. Wir haben die damaligen Hinweise ernst genommen und eine landesweite Erhebung durch die Landkreisbehörden durchführen lassen.
Jeder Landkreis hat in seinem Zuständigkeitsbereich die Arzneimittelgaben im vierten Quartal 2010 in folgenden Betrieben erhoben: in jeweils vier Betrieben mit Masthühnern, und zwar in Betrieben mit mehr als 5 000 Tieren, in zwei Betrieben mit Puten, in der Regel in kombinierten Mast-/Aufzuchtbetrieben und reinen Mastbetrieben, in zwei Betrieben mit spezialisierter Kälbermast oder Fres
seraufzucht, in zwei Betrieben mit Mastschweinen im Alter von über zehn Wochen bis zur Schlachtung, und zwar in Betrieben mit mehr als 300 Mastplätzen. Die Daten wurden bei Masthühnern retrospektiv für fünf Durchgänge und für die anderen Tierarten für drei Durchgänge erhoben.
Im Ergebnis liegen uns nunmehr 206 Betriebsergebnisse zu insgesamt 894 Durchgängen hinsichtlich der Daten zum Antibiotikaeinsatz vor. Die Auswertung der Daten haben wir in Zusammenarbeit mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover durchgeführt, um den wissenschaftlichen Standard für die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse abzusichern.
Seit dem 7. November, also seit diesem Monat, liegen Ergebnisse vor, z. B. zur Anzahl der eingesetzten Wirkstoffe je Durchgang. Demnach wurden z. B. bei den Masthähnchen 1 Wirkstoff in 177 Durchgängen - d. h. bei 36,7 % der Durchgänge -, eingesetzt, 2 Wirkstoffe in 113 Durchgängen - d. h. bei 23,4 % der Durchgänge -, 3 Wirkstoffe in 64 Durchgängen - das entspricht 13,3 % -, 4 Wirkstoffe in 65 Durchgängen - also bei 13,5 % -, 5 Wirkstoffe in 38 Durchgängen - das sind 7,9 % -, 6 Wirkstoffe in 17 Durchgängen - das sind 3,5 % -, 7 Wirkstoffe in 6 Durchgängen - das sind 1,2 % - und 8 Wirkstoffe in 2 Durchgängen - das sind 0,4 % der Durchgänge. Die Zahlen beziehen sich auf insgesamt 82 überprüfte Masthühnerbetriebe mit 482 Mastdurchgängen. Zusammengefasst wurden in 73,4 % der Durchgänge bis zu 3 Wirkstoffe, in 26,6 % demnach bis zu 8 Wirkstoffe eingesetzt.
Insgesamt wurden in 85 % der geprüften Betriebe Antibiotika verabreicht. In 15 % der Betriebe erfolgte keine Behandlung. Aber wir haben auch für 266 Behandlungen eine Anwendungsdauer von 2 Tagen und für 64 Behandlungen eine Behandlungsdauer von 1 Tag festgestellt. Allerdings will ich mich auch insofern nicht unbesehen der Kritik Nordrhein-Westfalens anschließen, dass diese Befunde die Verwendung als Leistungsförderer belegen. Ich will Missbrauch im Einzelfall sicherlich nicht ausschließen, kann ihn aber auch nicht pauschal bestätigen. Denn es ist gar nicht so selten, dass nach einem oder zwei Anwendungstagen die Ergebnisse der Resistenzanalyse vorliegen oder der die Krankheit auslösende Keim spezifiziert wurde und in der Folge das Antibiotikum gewechselt wird, um gezielter und effektiver zu therapieren. Eine verlässliche Einschätzung ist erst dann möglich, wenn betriebsbezogen nachgeprüft wurde, ob ein vertretbarer Grund für die kurze Anwendungsdauer vorlag.
Eine Regressionsanalyse zwischen Tierzahl je Durchgang und Therapiehäufigkeit wies z. B. für Mastkälber und für Puten in Betrieben, die Aufzucht und Mast betreiben, eine signifikante negative Korrelation aus. Das bedeutet in diesen Fällen: je größer der Tierbestand, desto geringer die Therapiehäufigkeit. Für Masthühner ließ sich dieser Zusammenhang nicht statistisch absichern. Das bedeutet, die Daten für Masthühner bestätigen den Zusammenhang nicht, sie weisen aber auch nicht auf das Gegenteil hin, nämlich dass dieser Zusammenhang nicht gegeben ist.
Die Regressionsanalyse zwischen Tierdichte und Therapiehäufigkeit je Durchgang ergibt für die Tierart bzw. Nutzungsgruppe Masthuhn eine signifikant positive Korrelation, d. h. je höher die Tierdichte, desto höher die Therapiehäufigkeit je Durchgang. Wir prüfen u. a. in diesem Zusammenhang, ob durch den Einbau von Filteranlagen in Ställen der Austrag von Keimen unterbunden werden kann und welche Filter dafür geeignet sind. Damit verbinden wir die Hoffnung, auch einen positiven Einfluss auf die Therapienotwendigkeit in den Nutztierhaltungen bewirken zu können.
Das Ganze, das ich hier dargestellt habe, wurde völlig unabhängig von den Beratungen auf Bundesebene oder hier in diesem Hause angeschoben.
Heute am 10. November 2011 findet im Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit eine Besprechung mit den für die Arzneimittelüberwachung zuständigen Behörden zur zukünftigen Überwachungsstrategie zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes statt. Diese Strategie wird von drei Elementen getragen.
Erstens. Aus der Erhebung werden die Betriebe, die eine überdurchschnittlich hohe Therapiehäufigkeit aufweisen, vorrangig kontrolliert.
Zweitens. Kontrollschwerpunkte sind die Tierhalterpflichten gemäß § 58 des Arzneimittelgesetzes sowie die Tierarztpflichten gemäß § 56 a des Arzneimittelgesetzes.
Drittens. Der Betrieb wird aufgefordert, gemeinsam mit seinem Hoftierarzt ein Minimierungskonzept für den Arzneimitteleinsatz aufzustellen, das dann der zuständigen Behörde vorzulegen ist. Die zuständige Behörde prüft in der Folgezeit den Erfolg der Umsetzung der Minimierungsstrategie.
Alle Landkreise werden zur Erhebung der Arzneimittelanwendungen im Rahmen der Schlachttieruntersuchung aufgefordert. Aus den Daten wird die
Therapiehäufigkeit errechnet. Die Betriebe, die eine überdurchschnittliche Therapiehäufigkeit aufweisen, werden nach dem oben beschriebenen Konzept kontrolliert.
Zusätzlich sollen die Daten der Arzneimittelanwendungen an die für den Schlachtbetrieb zuständige Behörde übermittelt werden, die dann entsprechende Proben zur Rückstandskontrolle entnehmen muss. Damit wird auch der Verbraucherschutzaspekt gezielt in die Kontrollen einbezogen.
Im Übrigen ist der Einsatz von Tierarzneimitteln ein Schwerpunktthema in dem im April auch hier vorgestellten Niedersächsischen Tierschutzplan. Wir hatten auf der Grundlage unserer Erkenntnisse zum Arzneimitteleinsatz diesen als einen wichtigen Indikator für die Bewertung der Tiergerechtheit der Nutztierhaltung gesehen. Ich bin sehr froh, dass sich die Facharbeitsgruppen, die wir etabliert haben, dieser Auffassung angeschlossen haben. Dieser Indikator wird zur Minimierung des Arzneimitteleinsatzes beitragen.
Meine Damen und Herren, die Häufigkeit der Arzneimittelanwendung ist per se keine Aussage über eine missbräuchliche Anwendung. Ein gänzlicher Verzicht auf Antibiotika stellt aus Sicht des Tierschutzes auch keine Lösung dar; denn kranke Tiere müssen behandelt werden. Das gilt übrigens gleichermaßen für konventionelle wie für ökologische Tierhaltungen. Das heißt, auch jeder biozertifizierte Tierhalter muss ein Tier behandeln, wenn es erkrankt ist, auch mit Antibiotika. Wir müssen - das ist richtig - im Einzelfall immer die Hintergründe einer Anwendung überprüfen.
Innerhalb der Tierart oder Nutzungsgruppe, z. B. Masthähnchen, fällt allerdings die große Spanne der Therapiehäufigkeit auf. Einfach ausgedrückt, bedeutet das: Es gibt Betriebe mit vergleichbaren Tierzahlen, die gar keine oder wenige Antibiotika einsetzen, und Betriebe, die dies häufiger tun. Die Ursachen, die z. B. in massiven Krankheitsausbrüchen, in den Haltungsbedingungen oder im unzureichendem Management liegen können und die die große Spanne der Therapiehäufigkeit auslösen, müssen betriebsindividuell geklärt werden. Dies gehört im Übrigen zur Verantwortung dazu und ist Aufgabe der Überwachung der Arzneimittelanwendung, vor allem aber auch der Betriebe, der Verbände und der bestandsbetreuenden Tierärzte. Unsere Minimierungsstrategie sichert das Zusammenwirken aller Beteiligten.
lass zur Sorge. In Deutschland spielt der hospitalacquired MRSA im Gesundheitsbereich eine bedeutende Rolle, also resistente Staphylokokken, die durch Kontakt zwischen Krankenhauspersonal und Patienten übertragen werden. Bakterien sind grundsätzlich in der Lage, bei Einsatz von zunächst wirksamen Antibiotika Mechanismen aufzubauen, die die Arzneimittel unwirksam machen, sie resistent werden lassen.
Je häufiger solche Arzneimittel eingesetzt werden, desto erfolgreicher können sich Keime darauf einstellen. Ein gezielter Einsatz und sorgfältiger Umgang mit Antibiotika ist deshalb sowohl für den Einsatz im Nutztierbereich als auch - ganz besonders - in der Humanmedizin unumgänglich.
Die von uns entwickelte Minimierungsstrategie leistet einen wichtigen Beitrag zum sorgfältigen Umgang mit Antibiotika in der Nutztierhaltung. Parallel dazu werden auch in der Humanmedizin zahlreiche Maßnahmen durchgeführt, um einer Resistenzentwicklung von Bakterien entgegenzuwirken. Die Landesregierung hat in der Drs. 16/3596 zum Beschluss des Landtages „Maßnahmen bündeln und stärken im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime“ ausführlich dazu berichtet.
Die resistenten MRSA in der Nutztierhaltung sind im Übrigen - darauf will ich deutlich hinweisen - überwiegend nicht mit den MRSA-Keimen in Krankenhäusern identisch.
An dieser Stelle möchte ich deutlich klarstellen, dass sich Niedersachsen bei der Erarbeitung der DIMDI-Arzneimittelverordnung immer und zu jedem Zeitpunkt dafür eingesetzt hat, die Daten für den Arzneimitteleinsatz regional und so genau wie möglich zu erfassen und den zuständigen Behörden für eine zielorientierte Überwachung zur Verfügung zu stellen. Deshalb sind anderslautende Darstellungen in der Presse schlicht falsch.
Zum Nachlesen empfehle ich Ihnen die Landtagsdrucksache 16/3294 zur Kleinen Anfrage, die Sie, Herr Abgeordneter Meyer, zum Thema „Zunehmender Antibiotikaeinsatz in der Hühnermast - Bedrohung für die Gesundheit?“ gestellt haben.
In der Tat: Sie, Herr Meyer, hätten es besser wissen können und wissen müssen, als Sie es der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erklärt haben.
In der Antwort nimmt die Landesregierung ausführlich zu ihrer Position zur DIMDI-Arzneimittelverordnung Stellung.
Die insgesamt in der Tierhaltung in Niedersachsen eingesetzte Antibiotikamenge ist nicht bekannt. Dies gilt im Übrigen auch für alle anderen Bundesländer einschließlich Nordrhein-Westfalen.
Aus der Erhebung nach der DIMDI-Arzneimittelverordnung werden voraussichtlich im nächsten Jahr erstmals die in 2011 von Arzneimittelunternehmen und Großhändlern nach Niedersachsen abgegebenen Arzneimittelmengen verfügbar sein.
Für Deutschland insgesamt, also für die ganze Bundesrepublik, wurden im Jahr 2008 im Antibiotikaresistenz- und -verbrauchsatlas - GERMAP 2008 - für den Bereich der Humanmedizin ca. 250 bis 300 t jährlich eingesetzte Antibiotika ausgewiesen.
Der Bericht zur Deutschen Antibiotikaresistenzstrategie - DART - nennt für das Jahr 2005 784,4 t Antibiotika, die in der Veterinärmedizin vertrieben worden sind.
Die Daten für die Veterinärmedizin umfassen übrigens neben den Nutztieren auch die Heimtiere, z. B. 5,4 Millionen Hunde, 8,2 Millionen Katzen und 5,6 Millionen sonstige Kleintiere sowie sonstige Hobbytiere, z. B. mehr als 1 Million Pferde und Ponys. Andere als diese nicht direkt vergleichbaren Zahlen für den Human- und Veterinärbereich liegen nicht vor.
Zu Frage 2: Warum werden, wenn schon seit Monaten Daten in Niedersachsen gesammelt werden, keine Daten veröffentlicht?