Protocol of the Session on September 15, 2011

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächster hat sich der Kollege Mindermann von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Mindermann!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Linken beschäftigt sich mit dem Thema von Netzsperren im Internet, die den Zugang zu bestimmten Inhalten im Internet erschweren sollen. Dabei wollen die Linken Netzsperren komplett abschaffen.

Von einer Netzsperre spricht man - das zur Verdeutlichung -, wenn man als Internetsurfer statt einer Internetseite ein Stoppschild sieht, die Seite selbst also nicht sichtbar erscheint, aber in Wirklichkeit doch da ist. Das Problem ist, dass solche Netzsperren technisch leicht zu umgehen sind; das wurde ja auch schon gesagt. Sie sind aber ein Anfang, um in den sonst frei agierenden Verkehr der unerwünschten Internetseiten - Kinderporno- und sonstiger krimineller Seiten - einzugreifen.

Dass im Internet auch Schmuddelseiten online sind, die niemand will, ist unstreitig. Die Frage ist aber: Können solche Seiten solide und dauerhaft gelöscht oder gesperrt werden, auch wenn sie im Ausland liegen? Und wenn das grundsätzlich funktioniert, wollen wir das? Wer bestimmt über Existenz oder Löschen bestimmter Seiten?

Jede Sperre schränkt die Freiheit ein. Mich persönlich als Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr z. B. schränkt die Helmpflicht ein. Aber sie schützt mich im Einsatz. Darum ist sie auch richtig.

Wir müssen also wie bei Gurtpflicht, Helmpflicht oder Straßenverkehrsordnung abwägen zwischen den Freiheitsrechten der Bürger auf der einen Seite und der Pflicht des Staates auf Strafvereitelung bzw. Strafverfolgung auch im Internet auf der anderen Seite. Auch wenn Netzsperren nicht perfekt sind - wir sind es den Kindern, die Opfer von Missbrauchsdarstellungen geworden sind, schuldig.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Mindermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Flauger?

Nein, im Moment nicht.

Wir müssen entschieden gegen solche Darstellungen im Netz vorgehen - zur Not erst einmal mit einfachen Mitteln, aber schnell.

Das Zugangserschwerungsgesetz sieht solche Netzsperren derzeit für den Zugang z. B. zu kinderpornografischen Inhalten vor, und zwar auf Bundesebene. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde aber eine Aussetzung und Evaluierung dieses Gesetzes vereinbart. Somit sind wir im Prozess der Klärung und Meinungsbildung auf Bundesebene und bei den Ländern.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich weiß, dass Netzsperren im Grunde nur im öffentlichen Teil des Internets funktionieren. Der größte Teil kinderpornografischer Materialien aber - es sind deutlich mehr als 80 % - findet sich in Nicht-WWW-Bereichen wie z. B. Filesharing-Netzwerken. Hier würden solche Sperren natürlich nicht wirken.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen: Die CDU-Fraktion und ich sind ganz klar für die Freiheit im Internet, und wir geben dem Grundsatz „Löschen statt Sperren“ den Vorzug. Die optimale Lösung, diesen Grundsatz zu verwirklichen, ist aber noch nicht gefunden. Solange wir noch diesen Königsweg suchen, dürfen wir keine vollendeten Tatsachen schaffen.

Mit der Zustimmung zu dem Antrag der Linken würden wir aber genau diesen Eckpfeiler einschlagen. Wir hätten uns festgelegt. Es ist die eine Sache, dass der UN-Sonderbeauftragte für Meinungs- und Pressefreiheit, Frank La Rue, Netzsperren grundsätzlich ablehnt. Doch auf der anderen Seite sieht sein Bericht die Einrichtung von Netzsperren für Kinderporno-Seiten im Internet als durchaus angemessen an. Daher steht Ihre Argumentation auf wackeligen Füßen.

Eine ganz andere Betrachtungsweise haben wir, wenn es um die Situation des illegalen Glücksspiels im Internet geht. Die im Ausland ansässigen Anbieter von Online-Glücksspielen

(Helge Limburg [GRÜNE]: In Schles- wig-Holstein!)

verfügen meistens über eine Zulassung in dem jeweiligen Staat, in dem ihr Server steht und in

dem Glücksspiel erlaubt ist. Diese Dienste können Sie nicht verbieten. Sie können und dürfen sie auch nicht löschen. Vielleicht können Netzsperren als Übergangstechnologie geeignet sein.

Unsere Fraktion würde es begrüßen, eine schnelle Lösung zu finden. Darum sollten wir bei den Beratungen im Ausschuss sorgfältig diskutieren und auch abwägen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Limburg jetzt das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es klingt so gut - auch Sie haben diese Hoffnung ja gerade ausgedrückt, Herr Mindermann -: Wir machen ein Stoppschild, und dann ist das Betrachten einer kinderpornografischen Seite im Internet nicht mehr möglich.

(Ursula Körtner [CDU]: Das hat er nicht gesagt!)

Ein Stoppschild blockiert das Betrachten einer Seite eines Online-Glücksspiels, oder ein Stoppschild ist vor eine Seite mit Nazi-Propaganda geschaltet.

Meine Damen und Herren, das Problem ist: Es funktioniert nicht. Es funktioniert zumindest dann nicht, wenn wir auch im Zeitalter des Internets an den Prinzipien einer offenen und freien Gesellschaft festhalten wollen - und das wollen wir Grüne.

Um eines klarzustellen - auch das haben Sie richtig ausgeführt, Herr Kollege -: Freiheit des Internets bedeutet natürlich nicht Straffreiheit für Straftaten im Internet. Das ist klar. Auch der Strafanspruch eines Rechtsstaats gehört zum Rechtsstaat elementar dazu.

Zu einem Rechtsstaat - und da gibt es schon das erste Problem mit den Internetsperren - gehört aber auch ein geordnetes Verfahren, an dessen Ende dann eine Sanktion steht. Alle Modelle für Netzsperren, die diskutiert worden sind, sehen aber eine sofortige präventive Sperrung vor und höchstens nachträglichen Rechtsschutz. Angesichts der gravierenden Einschränkungen und Auswirkungen, die eine tage- oder gar wochenlan

ge irrtümliche Sperrung der Internetseite z. B. eines Unternehmens oder - Frau Flauger hat es ausgeführt - einer Universität haben kann, ist es einfach unzureichend, wenn erst nachträglich Rechtsschutz erlangt werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt ist die hohe Fehleranfälligkeit. Einige Dinge sind angesprochen worden. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass selbst das Bundeskriminalamt immer einräumen musste: Sie werden vermutlich diese hohe Fehlerquote nie eindämmen können. Dazu ist die Aufgabe des Erstellens der Sperrliste einfach zu komplex. Das BKA selber musste das einräumen.

Meine Damen und Herren, insofern sollten wir nicht sehenden Auges die Sperrung Tausender harmloser Seiten in Kauf nehmen, nur um damit vielleicht einige kriminelle Straftaten zu blockieren.

Der allerwichtigste Punkt - darauf geht der Antrag auch ein - und das Grundproblem ist aber: Wenn Sie eine effektive Sperre von Internetseiten implementieren wollen, müssen Sie das Internet in seiner gegenwärtigen Struktur in Deutschland abschaffen und hier faktisch eine Art nationales Intranet etablieren - nach den Vorbildern aus China oder dem Iran -, bei dem alles nur noch über zentrale Knotenpunkte läuft.

Eine solche Zentralisierung und absolute Kontrolle über die Kommunikation im Internet kann doch kein Demokrat in diesem Land ernsthaft wollen!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Darum unterstützen wir die Intention des Antrags der Linken ausdrücklich.

Ich möchte allerdings sagen, dass ich Ihren letzten Punkt, wir sollten den freien Zugang zum Internet zu einem Menschenrecht erklären, etwas skeptisch sehe. Aus meiner Sicht reicht es vollkommen aus, wenn die Informationsfreiheit im Internet weiterhin Ausfluss aus Artikel 5 unseres Grundgesetzes ist.

Das sind aber Dinge, die wir dann im Ausschuss diskutieren können. Ich freue mich auf die Beratungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Professor Zielke das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über Netzsperren bzw. ihre Ächtung im Bericht von Frank La Rue steht unter dem Eindruck der arabischen Freiheitsbewegungen und der Internetzensur in China. Der Bericht beschreibt explizit und akribisch, wie erfindungsreich Staaten darin sind, Informationsfluss im Internet zu verhindern. Da gibt es nicht nur Totalsperrungen des Netzes, sondern Teil- oder Vollsperrungen einzelner Provider oder Plattformbetreiber, Strafandrohung bzw. Bestrafung der Provider für die Verbreitung missliebiger Inhalte, die sie oft gar nicht kontrollieren konnten, Deanonymisierung und Einschüchterung der User bis hin zur Inhaftierung.

Der La-Rue-Bericht thematisiert darüber hinaus auch die mangelnde Verfügbarkeit von Internetplätzen in einigen Entwicklungsländern oder ungesicherte Stromversorgung. Viele Länder - auch europäische - prangert der Bericht in der einen oder anderen Hinsicht an. Einen Namen enthält er jedoch nicht: den Namen Deutschland. - In Deutschland haben wir offenbar keine ernsthafte Gefährdung der Meinungs- oder Informationsfreiheit durch tatsächliche oder beabsichtigte Netzsperren.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das soll auch so bleiben!)

Der freie Internetzugang wird in Deutschland nach Artikel 5 Grundgesetz durch die Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet. Die Gefahren, die dieser Bericht thematisiert, werden durch diesen Grundrechtsschutz umfassend abgewehrt. Für ein neues Grundrecht auf freien Internetzugang, wie es mit diesem Antrag gefordert wird, besteht schlicht keine Notwendigkeit. Einzelfälle, in denen hierzulande Netzsperren erwogen worden sind, sind nicht mehr aktuell bzw. bewegten sich - etwa bei der Kinderpornografie - immer im Rahmen dessen, was auch der La-Rue-Bericht für erlaubt hält.

Im Übrigen wäre es problematisch, ein 100-prozentig aus anderen Grundrechten abgeleitetes Recht als neues, eigenständiges Grundrecht zu kreieren.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Was?)

Das ist so, als würde man das aus dem Recht auf Eigentum abgeleitete Verbot von Diebstahl zum Anlass nehmen, eine Aufnahme des Diebstahlverbots in die Verfassung zu fordern.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das ist jetzt aber ganz falsch, Herr Kollege!)