„kann ein Arbeitgeber willkürlich Arbeitsbedingungen verändern, Löhne und Gehälter kürzen, Arbeitszeiten verlängern oder Beschäftigte entlassen.“
Man lasse es sich auf der Zunge zergehen: Ohne Tarifverträge kann ein Arbeitgeber willkürlich Arbeitsbedingungen verändern, Löhne und Gehälter
kürzen, Arbeitszeiten verlängern oder Beschäftigte entlassen! - Lieber Herr Schminke, glauben Sie ernsthaft, dass ein Arbeitnehmer in diesem Lande, der nicht durch einen Tarifvertrag geschützt wird, von seinem Arbeitgeber in diesem Land willkürlich entlassen werden kann? Ist Ihnen das Kündigungsschutzgesetz überhaupt ein Begriff?
Herr Kollege Toepffer, einen Augenblick! Herr Kollege Toepffer hat sich jetzt zurückzuhalten und Sie auch; denn Herr Schminke hat sich zu Wort gemeldet, der eine Zwischenfrage stellen möchte. Herr Toepffer, lassen Sie das zu?
Herr Toepffer, hätten Sie die Fairness, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich als Geschäftsführer einer Baugewerkschaft ganz viele Dinge erlebt habe, übelste Sachen? Alles das, was Sie beschreiben, was es angeblich nicht gibt, habe ich live erlebt. Das haben sehr viele andere in anderen Branchen ebenfalls erlebt. Das hat etwas mit kriminellen Machenschaften, mit Sozialversicherungsbetrug und mit Steuerhinterziehung zu tun - die ganze Palette.
Entlassungen von Arbeitnehmern waren dabei die alltägliche und gängige Praxis; denn es waren zumeist ausländische Arbeitnehmer, die überhaupt keine Gesetzeslage kannten und überhaupt nicht wussten, wie es in Deutschland zugeht und welche
Gesetze es hier gibt. Dementsprechend können Sie hier sonst was für Märchen erzählen: Ich kenne die Wahrheit, weil ich die Praxis kenne!
Das wäre auch ein Wortbeitrag für eine Kurzintervention gewesen. - Herr Kollege Toepffer, Sie haben das Wort.
Lieber Herr Schminke, ich kann Ihnen eines sagen: Vor Kriminalität in diesem Lande, die ich als Rechtsanwalt in früheren Jahren und auch jetzt noch häufig wahrgenommen habe, schützt uns eine starke Justiz, aber nicht ein Tarifvertrag.
Herr Schminke, jetzt will ich Ihnen sagen, weswegen wir Ihren Antrag trotzdem nicht einfach abgelehnt haben, sondern einen eigenen Antrag gestellt haben; denn in der Tat gibt das Tarifvertragssystem in diesem Lande Anlass, sich damit zu beschäftigen, aber aus positiven Gründen. Sie selbst haben „hire and fire“ in den Saal geworfen. Man muss sich einmal ansehen, was in den USA in den letzten Monaten passiert ist. In der zurückliegenden Weltwirtschaftskrise ist die US-Wirtschaftsleistung um die Hälfte des Wertes eingebrochen, den wir hier in Deutschland hatten. Gleichzeitig aber ist die Arbeitslosigkeit in den USA um das Doppelte angestiegen, während sie bei uns konstant geblieben ist.
Das ist eine Folge unseres funktionierenden Tarifvertragssystems, das Arbeitszeitverkürzungen - sprich: Kurzarbeit - ermöglicht hat. Das ist eine Folge kluger Entscheidungen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Das ist eine Folge unseres funktionierenden Systems.
Wir orientieren uns an dieser Realität und nicht am Fallbeispiel Atlas. Wir sagen: Unser System der Tarifautonomie ist gut und richtig, es funktioniert in diesem Land und verdient weiterhin unsere Unterstützung.
Lieber Herr Schminke, Sie haben den Vorwurf erhoben - und der hat mich wirklich verärgert -, die CDU habe sich in der Vergangenheit nicht ausdrücklich für dieses System ausgesprochen. Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wir haben 1947 im Aalener Programm
- ja, Herr Adler - unter Ziffer III die Neugestaltung der Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Betrieben thematisiert. Das Ganze ist 1949 durch die Düsseldorfer Leitsätze konkretisiert worden. Darin heißt es unter Nr. 7 - Herr Adler, ich will das gerne zitieren -: „… die Festsetzung von Arbeitsbedingungen muss dem Tarifvertragssystem überlassen sein.“
Meine Damen und Herren, wir haben uns immer für dieses Tarifvertragssystem eingesetzt, und wir werden uns auch weiterhin dafür einsetzen. Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Antrag eingebracht haben, von dem ich bitte, dass er auch so beschlossen wird.
Schönen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich auf den Antrag der CDU und der FDP eingehen, der ja vollkommen an der Realität vorbeigeht.
Das privatwirtschaftliche Eigentum sollte durch Markt und Wettbewerb gelenkt und durch den Sozialstaat gezähmt werden. Nie wieder sollte Wirtschaftsmacht so groß werden, dass sie die Märkte beherrschen und die Fundamente der Demokratie untergraben kann. - So weit, so gut.
Wie aber sieht es mit der Realität aus? - Das Meinungsforschungsinstitut Emnid gab nach einer repräsentativen Erhebung vom August 2010 be
kannt, dass sich 88 % der Bundesbürger - hören Sie gut zu: 88 %! - eine neue Wirtschaftsordnung wünschen. Die derzeitige Wirtschaftsordnung, der Kapitalismus, sorge weder für den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft noch für den Schutz der Umwelt, noch für einen sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen. - So das Ergebnis der Umfrage von Emnid.
Meine Damen und Herren, das war keine Abstimmung über die viel gepriesenen Ansprüche sozialer Marktwirtschaft, sondern eine Abstimmung darüber, was die herrschende Politik in Deutschland aus diesen Ansprüchen gemacht hat. Da fällt das Urteil nicht gut aus.
Daran haben CDU und FDP ein gerüttelt Maß Anteil. Anspruch und Wirklichkeit sozialer Marktwirtschaft klaffen massiv auseinander.
Lassen Sie mich einige Beispiele aufzählen. Kaum ein Arbeitsplatz ist mehr sicher, nicht einmal in Zeiten des Wirtschaftsbooms.
In der herrschenden Politik wird es oft schon als normal angesehen, dass Firmen auch bei bester Gewinnlage Tausende Stellen streichen und gleichzeitig die Dividenden der Aktionäre im Gleichschritt mit der Zahl der Leiharbeiter ansteigen lassen. Noch nie gab es in Deutschland so viele Millionäre, aber auch noch nie so viele Tafeln und Suppenküchen. Über die Hälfte aller neuen Jobs hierzulande sind befristet, und immer mehr Beschäftigte werden jämmerlich bezahlt, sodass sie von dem Geld, was sie verdienen, nicht mehr leben können. Ein gesetzlicher Mindestlohn wird von CDU und FDP nach wie vor abgelehnt. Wer ein kleines Unternehmen gründet oder führt, wird immer öfter vom Kreditgeiz der Banken in die Pleite getrieben.