Protocol of the Session on July 1, 2011

Meine Damen und Herren, wir brauchen in den Kommunen dringend Geld, damit wir die Situation der Bildung und die Situation von Förderung verbessern können, damit wir den Krippenausbau in unseren Kommunen weiter verbessern können. Ich finde, wer, so wie Sie, beim Ausbau der Krippen die Kommunen inzwischen um 300 Millionen betrogen hat, der darf sich nicht hier hinstellen und sagen, dass er etwas für die Kommunen mache, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Lies, einen kleinen Moment! Ich habe gerade das Mikrofon auf mich umgestellt. Sie wissen, dass wir mit dem Wort „betrogen“ hier im

Hause sehr empfindlich sind. Nehmen Sie es zurück, bitte!

Ja. Das Wort „betrogen“ war in der Wortwahl wohl unglücklich, aber im Kern schwer zu beschreiben.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Das ist eine Schweinerei! Hör’ auf damit!)

Herr Kollege Lies, die Verdopplung führt dazu, dass ich Ihnen jetzt einen Ordnungsruf erteile.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Diese Regierung, diese Mehrheit versündigt sich an der Zukunft der Kinder, weil es uns darum gehen muss, die Kinder zu fördern und nicht die Nachsorge zu betreiben. Wer in den Krippenausbau und in die Förderung der Kinder nicht investiert, der schadet den Kindern. Ich glaube, auf so einen einfachen Nenner kann man es bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Dazu kommt, dass noch eine ganze Reihe von fremdbestimmten Sozialleistungen übernommen werden muss, die also nicht in der direkten Verantwortung - - -

(Unruhe bei der CDU)

- Hören Sie doch einmal zu! Seien Sie doch nicht so aufgeregt! Es ist ja schrecklich für Sie zu hören! Ich kann mir das vorstellen. Aber Sie müssen das ertragen. So ist das in diesem Land.

(Beifall bei der SPD - Christian Gra- scha [FDP]: Ihre Wahlkampfrede kriegt niemand mit! Die Journalisten sind schon alle zu Hause!)

Ich erwarte eine klare Position einer schwarzgelben Landesregierung zu den fremdbestimmten Sozialleistungen. Stimmen Sie im Bund nicht Maßnahmen zu, deren Belastungen und Kosten auf die Kommunen übertragen werden. Auch das ist die Verantwortung, die Sie im Bundesrat übernehmen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall bei der SPD)

Bei allem, was wir hier diskutieren, kommt manchmal zu kurz: Kommunen sind keine Unternehmen. Kommunen sind keine Unternehmen, die man dann, wenn kein Geld mehr da ist, einfach schließen kann. Kommunen sind die Ebene, wo Menschen leben, die einen Anspruch auf ein menschenwürdiges und ein zukunftsfähiges Leben haben.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen brauchen wir eine vernünftige Finanzausstattung für die Kommunen. Ich nehme an, dass wir uns darin noch einig sind, oder nicht?

(Heinz Rolfes [CDU]: Ihr müsst schon eine vernünftige Kommunalpolitik ma- chen! Ohne sie geht es nicht!)

- Wir brauchen auch eine vernünftige Kommunalpolitik. Dafür werden wir hoffentlich mit großen Mehrheiten sorgen.

Aber es gehört noch mehr dazu. Vernünftige Finanzausstattung in den Kommunen hat auch etwas mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in den Kommunen zu tun. Lassen Sie mich die Gelegenheit ergreifen, noch einmal an einen Tag in der letzten Woche - an Freitag, wenn ich mich recht erinnere, ungefähr um diese Zeit - zu erinnern. Wir haben an dem Tag im Wirtschaftsausschuss das Thema „Tariftreue“ diskutiert. Das Thema „Tariftreue“ hat sehr viel mit der kommunalen Finanzsituation zu tun. Da geht es nämlich um Menschen, die in unseren Kommunen leben und anständiges Geld verdienen, und da geht es um Unternehmen, die in unseren Kommunen ansässig sind und anständige Aufträge bekommen. In diesem Ausschuss haben Sie in schwarz-gelber Verantwortungslosigkeit nicht einmal die Muße gehabt zu diskutieren. Sie haben das stumpf abgelehnt - zulasten der Menschen in unserem Land und zulasten der Kommunen. Das war die Entscheidung, die Sie dort getroffen haben.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Dabei haben wir doch an so vielen verschiedenen Stellen diese Zahlen gehört. Wenn Sie endlich bereit wären, einen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland einzuführen, dann hätten wir eine Entlastung um 7 Milliarden Euro. Die kommunalen Haushalte wären um mehrere Hundert Millionen Euro zu entlasten, und die Menschen hätten mehr Geld in der Tasche, das sie ausgeben könnten. Es bleibt Ihnen nicht erspart, dass wir das an jeder

Stelle wieder betonen, bis Sie es endlich begriffen haben. Irgendwann wird das ja der Fall sein.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Reinhold Hilbers [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch falsch!)

Lassen Sie mich auch noch auf ein anderes Feld eingehen. Herr Sander ist jetzt leider nicht da. Ich kann es ihm daher nicht mehr direkt sagen. Daseinsvorsorge vor Ort hat auch mit kommunalen Unternehmen zu tun, d. h. auch kommunale Daseinsvorsorge mit kommunalen Unternehmen. Was haben wir hier gestern erlebt? - Einen Minister, der sich hier hinstellt und erzählt: Es kann überhaupt nicht sein, dass sich Kommunen die Rosinen herauspicken! - Sehr geehrte Vertreter dieser Landesregierung, hier geht es nicht darum, ob sich Kommunen die Rosinen herauspicken. Hier geht es darum, dass sich mit Ihrer Gesetzgebung Unternehmen die Rosinen herauspicken, während das trockene Brot für die Kommunen und die Menschen, die dort leben, übrig bleibt. Das ist Ihr Bild von dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Das ist schon mehr als erschreckend. Ich will dem Ministerpräsidenten, auch wenn er jetzt nicht da ist, zugutehalten, dass er wirklich mit einem sehr zerknirschten Gesicht da saß, als Minister Sander gesprochen hat. Ich erwarte aber von einem Ministerpräsidenten dieses Landes nicht nur ein zerknirschtes Gesicht, wenn ein Mitglied seiner Landesregierung Kommunen diffamiert, sondern ich erwarte, dass er sich einsetzt, dass er einspringt und sagt: Stopp, jetzt reicht es! Nicht auf Kosten der Kommunen in diesem Land! - Das erwarte ich von einem Ministerpräsidenten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deswegen werden wir mit Sicherheit auch bei diesem Antrag noch einmal über die Frage der Schuldenbremse diskutieren. Wir werden darüber diskutieren, dass wir dann, wenn wir es mit der Schuldenbremse ernst meinen, nicht alles das, was wir im Land an Belastungen und Schulden haben, auf die Kommunen schieben. Es bedeutet, dass wir in unserem Land eine Daseinsvorsorge und eine kommunale Finanzausstattung brauchen, die es wirklich ermöglicht, für die Menschen das Lebensumfeld so zu gestalten, wie es nötig ist. Deswegen

brauchen wir keine Debatte über die Senkung von Steuern. Deswegen brauchen wir vernünftige Einnahmen, die genau das sicherstellen.

Ich hoffe, dass in der Beratung einmal deutlich wird, dass kommunale Finanzausstattung eine Einnahmeverbesserung erfordert. Und ich hoffe, dass Sie endlich einsehen, dass Sie mit Ihrer Politik auf dem Holzweg sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Herzlichen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE wird der Antrag von der Kollegin Zimmermann eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit der dramatischen Situation der kommunalen Finanzen ist eine der zentralen und dringlichsten Aufgaben, die sich derzeit der Politik stellen. Im Jahr 2010 hatten fast drei Viertel der Städte, Gemeinden und Samtgemeinden in Niedersachsen keine ausgeglichenen Haushalte. Das belegen nicht zuletzt die stetig wachsenden kommunalen Kassenkredite, welche im März zusammen über 5,4 Milliarden Euro betrugen und aller Voraussicht nach noch weiter steigen werden.

Meine Damen und Herren, die kommunale Haushaltskrise ist - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht selbst von den Kommunen verschuldet. Sie ist vor allem eine Folge des Vollzugs von kommunalschädlichen Bundesgesetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Allein im Zeitraum November 2008 bis Sommer 2009 wurden von der schwarz-gelben Bundesregierung zehn Gesetzesvorhaben für die Steuerentlastung beschlossen. Dies führte und führt zu massiven Einnahmeausfällen für niedersächsische Kommunen.

Die Recherchen des Deutschen Städtetages besagen, dass der Kassenkreditbestand im ersten Halbjahr 2009 bereits 32,6 Milliarden Euro betrug und in 2013 auf 80 Milliarden Euro ansteigen wird. Diese Zahlen sollten Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Die Gesetzesvorhaben, die im Bund beschlossen worden sind - das will ich hier ebenfalls erwähnen -, haben auch alle die Zustimmung der Niedersächsischen Landesregierung gehabt.

Gleichzeitig trägt die Landesregierung vor allem angesichts der seit Jahren nicht bedarfsgerechten Ausgestaltung der Finanzzuweisungen des Landes an die Kommunen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs unmittelbar Verantwortung für die Krise der Kommunalfinanzen.

(Zuruf von der CDU: Das ist in Berlin auch so!)

Herr Lies, Sie haben hier eine ganze Menge Richtiges gesagt. Ganz viel davon würde ich auch unterschreiben. Ganz besonders freue ich mich darüber, dass die SPD sich heute nun für die Kommunen starkmacht

(Johanne Modder [SPD]: Das war schon immer so!)

und, wie Sie es so schön sagen, die Kommunen als „Orte lebendiger Demokratie“ begreift.

Doch es ist wirklich schade, dass Sie nicht schon sehr viel früher damit angefangen haben;

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Da gab es Sie noch gar nicht!)

denn dann wäre die Situation der Kommunen heute nicht so dramatisch, wie sie jetzt ist. Die augenblickliche Situation ist nämlich auch Ausdruck Ihrer politischen Entscheidungen. Es waren nämlich Sie, die, als Sie gemeinsam mit den Grünen die Bundesregierung stellten, den Kahlschlag der kommunalen Finanzen eingeleitet haben. Im Zuge der Steuerreform hat Ihre rot-grüne Bundesregierung zusätzlich Schlupflöcher vor allem für große Konzerne geschaffen - wie Steuerfreiheit für Veräußerungen und Steuerfreiheit für Dividenden.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Wo wollen Sie eigentlich hin? Können Sie uns das einmal erzählen?)