Protocol of the Session on February 26, 2008

Amtsübernahme durch die gewählte Landtagspräsidentin oder den gewählten Landtagspräsidenten

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich darf Sie sehr herzlich zu dieser konstituierenden Sitzung des Niedersächsischen Landtages begrüßen.

Gestatten Sie mir, bevor ich weitere Ausführungen mache, dass ich mich gemäß der guten Sitte dieses Hauses bei Herrn Alterspräsidenten Lothar Koch für seine Sitzungsleitung bedanke.

(Beifall)

Es bedarf einer hohen Lebenserfahrung und Souveränität, eine konstituierende Sitzung, die stets eine Besonderheit darstellt, zu leiten. Sie, lieber Herr Koch, haben diese Aufgabe mit Bravour gemeistert. Nochmals vielen Dank dafür.

(Beifall)

An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank meinem Vorgänger im Amt, Herrn Jürgen Gansäuer, aussprechen. Sie, lieber Herr Gansäuer, haben in der vergangenen Wahlperiode unser Parlament mit Würde vertreten, und Sie waren als Präsident ein glaubwürdiger Repräsentant unserer Volksvertretung. Ihre Entscheidung, der niedersächsischen Landesgeschichte mit sehr erfolgreichen Veranstaltungen und Projekten - wie z. B. dem Hoffmann-von-Fallersleben-Erinnerungsprojekt - und Ihrem persönlichen Einsatz wieder einen angemessenen Stellenwert zu geben, wird mehr als nur sichtbare Spuren Ihres Präsidentenamtes hinterlassen. Als einer der dienstältesten Abgeordneten Deutschlands können Sie auf eine beeindruckende parlamentarische und politische Lebensleistung zurückblicken, die auch von sehr hohem Engagement in kirchlichen und sozialen Fragen gekennzeichnet war. Sie haben für unser Parlament, für unser Land und die Menschen in Niedersachsen eine herausragende Leistung erbracht.

Dafür gebührt Ihnen Respekt, Anerkennung und der Dank dieses Hauses.

(Beifall)

Für den neuen Lebensabschnitt wünsche ich Ihnen Gottes Segen, viel Gesundheit - und vielleicht auch Begegnungen mit Professoren, denen Sie noch die eine oder andere Facette der Landesgeschichte erläutern können.

(Heiterkeit)

Für viele hier im Parlament ist dies ein ganz besonderer Tag, und ich betone: Dies gilt auch für mich.

Ich möchte mich zunächst sehr herzlich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür bedanken, dass Sie mich mit großer Mehrheit über Parteigrenzen hinweg zum neuen Präsidenten des 16. Landtages von Niedersachsen gewählt haben. Dies ist für mich eine große Ehre. Ich weiß um die Bedeutung wie um die Grenzen dieses hohen Amtes und bedanke mich für den großen Vertrauensvorschuss.

Da man auf hoher See und auch an den politischen Ufern der Leine nicht alleine segeln sollte, will ich dieses Amt nach besten Kräften mit Ihrer Unterstützung ausüben. Mein Ziel ist es, dieses Amt unparteiisch und gerecht auszuüben. Es wird zu meinem Amtsverständnis gehören, Ansprechpartner für alle Abgeordneten dieses Hohen Hauses zu sein.

Die Arbeit in den Parlamenten ist immer einem Wechsel unterzogen: Der 16. Niedersächsische Landtag ist nach der Wahlkreisreform zahlenmäßig kleiner. Deshalb halte ich es für wichtig, auch auf die Auswirkungen hinzuweisen: Dies bedeutet in vielen Fällen, dass daraus bei einem Flächenland wie Niedersachsen eine höhere Belastung für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in der Betreuung der Wahlkreise und der Erledigung der Bürgeranliegen erwächst. Ich betone dies bewusst, weil nach meiner Überzeugung die Arbeit in den Wahlkreisen der ländlichen Regionen intensiver wird als in anderen Bereichen. Deshalb kann jede weitere Verkleinerung des Parlaments zu einem Verlust an Bürgernähe führen, der auch durch die aufwendigste Medienausstattung nicht kompensiert werden kann.

Auch sind zum Ende der 15. Wahlperiode viele Kolleginnen und Kollegen ausgeschieden, weil Sie auf eine erneute Kandidatur verzichtet haben. Dieser selbst gewählte neue Lebensabschnitt eröffnet

für viele neue Chancen, Möglichkeiten und auch Freiräume. Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute und auch Zufriedenheit. Mein Dank gilt aber ebenso den Kolleginnen und Kollegen, denen es durch die Pendelschläge der Wahl nicht vergönnt war, weiter politisch als Abgeordnete zu wirken. Das zeigt, dass auch die Diskussion über die Privilegien in der Politik solche Risiken, die sich aus einem politischen Engagement und einem Mandat ergeben, nur sehr bedingt berücksichtigen.

In diesem Parlament sitzen heute viele neue Kolleginnen und Kollegen, die zum ersten Mal an einer Plenarsitzung teilnehmen. Ich begrüße diese Abgeordneten besonders herzlich und hoffe, dass daraus neue Impulse und Ideen für die politische Arbeit erwachsen.

Nach meinem Verständnis ist die Tätigkeit als Abgeordneter keine Beschäftigung, kein Job, der dann mit Zeitverträgen verlängert wird. Es sollte - nein, es muss - uns bewusst sein, dass es eine Ehre ist, als Abgeordneter in diesem Parlament für Niedersachsen und die Menschen wirken zu dürfen. Daraus resultiert ein hoher Anspruch: Wir alle sind Gewählte und nicht Erwählte.

Es ist unsere Pflicht, unsere Stärken und Überzeugungen einzusetzen, um dem Land zu dienen - übrigens auch unabhängig von der Frage nach Regierung oder Opposition.

Wir brauchen einen Parlamentarismus, der Ansehen genießt und das Wesen überzeugender politischer Willensbildung nach außen ausstrahlt. Deshalb muss allen Abgeordneten auch klar sein, dass über die aktive lokale und regionale Verankerung, die gerade vor Wahlen große Bedeutung hat und die auch in den Medien vor Ort gewürdigt wird, das aktive Engagement im Parlament und in der gestaltenden Landespolitik nicht vernachlässigt werden darf. Zwischen dem Ansehen des Landespolitikers und dem Ansehen des Parlaments besteht eine untrennbare Wechselbeziehung. Die Menschen in Niedersachsen müssen wieder stärker spüren, dass wir für sie da sind, dass wir ihre Interessenvertreter sind.

Zu einer funktionierenden Demokratie, meine Damen und Herren, gehören auch Parteien, und ich darf von dieser Stelle aus betonen, dass Parteien keine Fremdkörper in unserer Demokratie sein dürfen. Sie sind unverzichtbar zur politischen Willensbildung in unserem Gemeinwesen, und deshalb appelliere ich an die jungen Menschen in unserem Land, sich nicht zurückzuziehen, sondern

zur Mitarbeit in demokratischen Parteien bereit zu sein.

Ich darf betonen, dass mir als Präsident des Landtages Bürgernähe und Öffnung des Parlaments nach draußen wichtige Anliegen sind. Insbesondere sollte uns allen die junge Generation dabei am Herzen liegen. Sie sollte für ein politisches und gesellschaftliches Engagement begeistert werden; denn nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch unsere Demokratie muss lebendig bleiben und zukunftssicher gemacht werden.

Aus diesem Grunde möchte ich die noch junge Tradition fortführen und im Jahre 2009 einen weiteren Tag der offenen Tür veranstalten. Leider haben immer noch viele Bürgerinnen und Bürger eine gewisse Scheu und auch manche Berührungsängste, den Landtag zu besuchen und sich über unsere Arbeit zu informieren. Der große Zuspruch am Tag der offenen Tür im Jahre 2007 mit über 20 000 Besuchern macht Mut, dass das Interesse der Bevölkerung für die Politik im Allgemeinen und für das Parlament des Landes im Besonderen geweckt werden kann. Und vielleicht gelingt es hier und da auch noch besser als zuvor, gezielt junge Menschen anzusprechen.

Ich will aber einen weiteren Gedanken ansprechen: Denken wir bei unseren Aktivitäten auch vielleicht noch stärker an diejenigen, für die sich oft keine Lobby stark macht. Dazu gehören Menschen mit Behinderungen, die manchmal nur leise und zurückhaltend ihre Wünsche äußern können. Ich schlage deshalb vor, einen „Tag der Behinderten“ im Niedersächsischen Landtag durchzuführen, der auch Möglichkeiten für Gespräche mit Abgeordneten eröffnet.

(Beifall)

Es wäre ein weiteres Signal für ein offenes Parlament und für alle Bevölkerungsgruppen. Die Bürger sind nicht für das Parlament, sondern das Parlament ist für die Bürger da.

Herr Alterspräsident Koch hat bereits die geringe Wahlbeteiligung angesprochen. Lassen Sie mich Folgendes ergänzen: Insgesamt haben sich gut 2,6 Millionen Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen entschieden, von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch zu machen. Diese Zahl muss nachdenklich stimmen. Wir alle sollten gemeinsam daran arbeiten, dass zukünftig wieder eine deutlich höhere Wahlbeteiligung erreicht wird.

Die Bürgerinnen und Bürger haben uns in Niedersachsen für fünf Jahre gewählt. Wir sollten diese

Zeit nutzen, um für neues Vertrauen in die Politik und in die Politiker zu werben. Die Gründe für die Unzufriedenheit und die Wahlenthaltung sind vielfältig. Schnelle Antworten sind in dem Zusammenhang sicherlich unbefriedigend.

Viele Menschen - besonders auch ältere Menschen - machen sich im Lande große Sorgen über ihre Lebenssituation und ihre Zukunft. Es sind dann nicht die großen Fragen der Politik, die sie bewegen und die sie diskutieren, sondern sie beschäftigt eher die anstehende Bezahlung der ständig steigenden Energiekosten und die Sorge, wie es weitergeht. Niemand im Lande wird leugnen können, dass „Liechtenstein“ zum Synonym für Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Verantwortungslosigkeit geworden ist.

(Beifall)

Viele Menschen sind in ihrem Gerechtigkeitsempfinden im Mark getroffen. Mit einer Kette solcher Vorgänge kann die Demokratie brüchig werden und scheindemokratischen Kräften Aufschwung geben, die mit populistischen Thesen auf Stimmenfang gehen.

„Diktaturen sind Einbahnstraßen - in Demokratien herrscht Gegenverkehr.“ Dieser Satz wird dem Italiener Alberto Moravia zugeschrieben. Er beschreibt die Herausforderung zur Sicherung unserer demokratischen Grundordnung.

Ich bin ferner davon überzeugt, dass viele politische Ziele und programmatische Aussagen die Menschen nicht erreichen, weil es uns nicht gelingt, eine immer komplexer werdende Politik auf eine verständliche Sprachebene zu bringen.

Wenn diese „Sprachschluchten“ entstehen, wird die Distanz zu den Wählerinnen und Wählern immer größer, und es entsteht dann zunehmend das Gefühl, mit der „einen Stimme doch nichts bewegen zu können.“ Dabei unterscheiden die Bürger bei der Frage der politischen Verantwortung auch nicht mehr nach der Frage der Zuständigkeit, ob Land, Bund oder EU, weil fast niemand mehr durchschaut, wer eigentlich wofür zuständig ist.

Gestatten Sie mir bitte eine Anmerkung und einen Blick über die Grenzen Niedersachsens hinaus zum Thema „Föderalismus und Europa“. Manche sorgen sich sehr, dass die Kompetenzen der Länder weiter schwinden und Verschiebungen zugunsten von Berlin und Brüssel eintreten. Diese Sorgen sind auch nicht ganz unbegründet und sollten wachsam beobachtet werden. Die Reform des Föderalismus ist eine Chance, die Neuvertei

lung von Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen. Bei weiteren Schritten müssen nach meiner Auffassung aber auch die Kommunen eingebunden werden.

Im Hinblick auf die Auswirkungen europäischer Politik wird immer wieder Kritik artikuliert, oft auch in der isolierten Betrachtung einzelner Vorgänge, die nur schwer vermittelbar sind. Es ist mir deshalb wichtig, dass sich niedersächsische Interessen und die Stimme des Landtages auch bis in die europäische Ebene Gehör verschaffen. Das heißt aber zudem, dass sich der Landtag zu den Fragen der europäischen Rechtsetzung rechtzeitig und fundiert einbringt.

Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich der Überzeugung, dass man Europa gegenüber aufgeschlossen sein muss. Theodor Heuss hat als erster Bundespräsident früh die Bedeutung Europas erkannt, indem er gesagt hat: „Deutschland braucht Europa - aber Europa braucht auch Deutschland.“ Wir müssen bei aller im Einzelfall berechtigten Kritik darüber nachdenken, wie wir unseren Bürgern in Niedersachsen besser vermitteln können, dass die Europäische Union für uns die beste Garantie ist, Freiheit, Frieden und Wohlstand nachhaltig zu sichern und ein friedliches Miteinander mit unseren Nachbarn zu garantieren. In der neuen europäischen Verfassung sind die Werte als Grundlage für unser Zusammenleben in Europa festgelegt. Parlamente können sich in besonderer Weise um Partnerschaften und Begegnungen mit den europäischen Nachbarn bemühen. Dazu gehören natürlich auch Kontakte von jungen Menschen, die Europa nicht nur als Wirtschaftsraum sehen, sondern als Ebene der kulturellen Vielfalt mit neuen Chancen.

Für uns als Parlament muss es selbstverständlich sein, dass unser Land weltoffen und tolerant ist. Niedersachsen ist offen für Integration und Miteinander. Die Bereitschaft hierzu muss allerdings auch vorhanden sein. Jedem Ansatz von Ausländerfeindlichkeit wird sich dieses Parlament entgegenstellen.

(Beifall)

„Lernen, miteinander zu leben - statt gegeneinander“ -, so hat Richard von Weizsäcker es einmal formuliert. Aber es bleibt eine große menschliche und politische Herausforderung - auch in der vor uns liegenden Periode.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der für die Aufgabe des Hauses eine große Bedeutung hat: Die Rolle und die Möglichkeiten des niedersächsischen Parlaments im „Medienzeitalter“. In den letzten Jahrzehnten hat sich unter den Bedingungen des Medienzeitalters und der Informationsflut viel verändert. Zur Zeit würde ich den Status des Hauses als den eines nüchternen Arbeitsparlaments definieren, der nur noch sehr bedingt der zentrale Ort für die öffentliche Meinungsbildung ist, zumal auch der Wettstreit der Parteien verstärkt außerhalb des Hauses stattfindet. Wir sollten uns mit der Überlegung beschäftigen, Rolle und Aufgaben des Parlaments auch gegenüber der kritischen Öffentlichkeit besser und anders zu vermitteln. Zu diesem Dialog mit den Medien bin ich gern bereit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der Stärken Niedersachsens ist das ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger im ganzen Land. 2,4 Millionen Menschen engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen, Kirchen, karitativen Einrichtungen, bei der Feuerwehr, im Katastrophenschutz, im Umweltschutz und in anderen Bereichen. Ohne diese ehrenamtlichen Tätigkeiten und Aktivitäten würde unser Gemeinwesen in Niedersachsen nicht funktionieren.

(Beifall)

Gerade auch im Bereich der Jugendarbeit werden hier Leistungen erbracht, die den Staat in hohem Maße entlasten.

Jugendliche, die integriert sind in Vereinsarbeit und für die Erwachsene Vorbildfunktion ausüben können, denen Werte wie Aufrichtigkeit und Höflichkeit, Mut und Toleranz, Gerechtigkeit und Fairness, auch Mäßigung und Dankbarkeit vermittelt werden, brauchen nach meiner Überzeugung keine Sozialpädagogen. Ich möchte heute allen ehrenamtlich Tätigen in Niedersachsen zu Beginn dieser Periode herzlich für diesen vorbildlichen Einsatz danken.

(Beifall)

Gesellschaft und insbesondere Jugendliche brauchen Vorbilder, und den Medien kommt eine große Bedeutung bei der Vermittlung zu. Jungen Menschen muss frühzeitig Gelegenheit gegeben werden, Demokratie zu erfahren. In dem Zusammenhang spielt auch der Stil der politischen Auseinandersetzung eine große Rolle. Die beste Werbung für eine künftig stärkere Beteiligung kann nicht das ausgeprägte profillose politische Harmoniebedürf