Protocol of the Session on March 24, 2006

(Zustimmung von Dr. Gabriele Andret- ta [SPD])

Richtig ist, dass dieser Staat einer Reform bedarf. Es besteht Handlungsbedarf, weil die Vermischung von Verantwortung Politikunfähigkeit erzeugt. Politik muss in der Lage sein, für eigene Entscheidungen die Verantwortung zu übernehmen. Das Motto „Weiterleiten macht frei“ sollte der Vergangenheit angehören, ebenso die Selbstblockade des Deutschen Bundestages mit dem Reparaturbetrieb Vermittlungsausschuss. 60 % zustimmungsbedürftige Gesetze in der letzten Legislaturperiode - so etwas kratzt an der Problemlösungsfähigkeit des deutschen Parlaments. Aber deshalb sollten wir diese Reform aller Reformen nicht mit einer heißen Nadel stricken. Wir sollten die ursprünglichen Ziele

nicht aus den Augen verlieren; sonst könnte aus der Mutter der Reformen schnell ein Stiefmütterchen werden. Dies sollte unter uns Reformanhängern auch nicht vertuscht werden:

Problem Nummer eins: Die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze soll um ein Drittel reduziert werden. Dies ist ein wunderbarer Vorschlag, allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler. Diese Zielvorstellung ist bisher nicht verifiziert worden. Herr Röttgen von der Union besteht auf diesem einen Drittel, will uns aber nicht verraten, woher er das weiß. In anderen Papieren wird diese Zahl bezweifelt.

Schließlich sollen mit Artikel 84 und Artikel 104 a Grundgesetz bezüglich der geldwerten Sachleistungen neue Regelungen mit einem neuen Zustimmungsrecht eingeführt werden. Was unter dem Strich dabei herauskommt, wenn man das eine Zustimmungsrecht streicht und ein neues einführt, soll jetzt erst einmal ein Gutachten klären.

„Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ ist hier richtig; denn wir wollen nicht, dass am Ende alles beim Alten bleibt.

(Zustimmung von Ralf Briese [GRÜ- NE])

Es gibt aber noch andere Gründe, warum diese Jahrhundertreform eine Reform braucht, und die heißen: Umwelt, Beamtenrecht, Heimrecht, Hochschulbau, Strafvollzug und Bildung.

Nach Einführung eines einheitlichen Umweltgesetzbuches sollen Abweichungen der Länder z. B. beim Hochwasserschutz ermöglicht werden. Diese Vorschläge können zur Lösung der Probleme im Umweltrecht nicht viel beitragen, heißt es - hören Sie gut zu - in einem Positionspapier des BDI. Umweltverbände stimmen ihm zu.

Dazu Die Zeit vom 19. März 2006:

„Die geplante Föderalismusreform sorgt für Verwirrung in der Umweltpolitik.“

Und Wirtschaftsminister Michael Glos:

„Dieser gesetzgeberische Pingpong führt zu erheblichen Hemmnissen für die deutsche Wirtschaft.“

(Zustimmung von Ralf Briese [GRÜ- NE])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so etwas sollte uns nachdenklich stimmen.

Dann die Bildung. Mit dem Ganztagsschulprogramm hat der Bund eine richtungweisende Entscheidung in Sachen deutscher Bildungspolitik getroffen. Aber mit dem neuen Artikel 104 b des Grundgesetzes wird vorgeschlagen, dass der Bund bei der Bildungspolitik keine Finanzhilfe mehr leisten darf. Dazu Peter Struck im Deutschen Bundestag:

„Ich kann mir schwer vorstellen, dass Länder erklären, sie wollen kein Geld vom Bund haben. Das war in den vergangenen 15 Jahren immer anders.“

Gleiches gilt für die Hochschulen.

Und das Beamtenrecht? Das soll Ländersache werden. Wir stehen vor einer großen Lehrerwanderung. Die Ungleichheit wird zunehmen. Die taz vom 10. Januar 2006 führt aus:

„Nein, bei diesem Szenario wird sicherlich das Abendland nicht untergehen. Es ist auch kein Plädoyer für den Beamtenstatus von Lehrern. Aber es spielt schon eine Rolle, wer sich in Zukunft den Zugriff auf die besten Lehrer des Landes sichert. Der Süden - so scheint es - spielt bei der Föderalismusreform mit gezinkten Karten.“

Auch die Zuständigkeit für den hochsensiblen Bereich, den Sicherheitsbereich des Strafvollzuges soll im Sinne einer Kleinstaaterei auf die Länder verteilt werden. Gestern Abend haben wir uns davon überzeugen können, dass unsere Landesregierung noch nicht einmal in der Lage ist, den schlichten Satz: „Mann und Frau sind gleich zu behandeln“ auf unsere niedersächsischen Justizvollzugsanstalten zu übertragen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Ralf Briese [GRÜNE])

Frauen werden dort eindeutig schlechter behandelt als Männer. Auch hier lebt unsere neue bürgerliche Regierung in der Vergangenheit. Warum warnen denn über 100 Wissenschaftler aus allen Berufsverbänden vor einer Zersplitterung des Strafvollzuges auf Länderebene?

Wenn Sie es nicht auf Niedersachsen beziehen wollen, Frau Kollegin Peters - zitieren Sie mich bitte beim nächsten Mal korrekt -: Ich habe mich

auf Hamburg bezogen. Wer wissen will, was daraus werden kann, der soll einmal einen Blick dorthin werfen. Kusch treibt es fürchterlich. Ronald Schill wird doch noch zu übertreffen sein.

(Zustimmung von Dr. Gabriele Andretta [SPD])

Hamburg ist auf dem besten Wege zu dem von Ihnen angesprochenen Verwahrvollzug. Dazu die Süddeutsche Zeitung vom 10. Januar 2006:

„Ein bloßer Verwahrvollzug ist nicht vorbildlich, sondern gefährlich.“

(Prof. Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Das haben wir auch gar nicht vor!)

„Eine ungebesserte Entlassung eines Gefangenen ist nämlich so riskant wie seine ungehinderte Flucht.“

Dieser Entwicklung wollen wir durch eine erweiterte Ländergesetzgebungskompetenz nach Kassenlage nicht Tür und Tor öffnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während sich in Europa eine gefestigte Rechtsprechung zu einheitlichen Haftbedingungen herauskristallisiert, votieren Sie für Kleinkariertheit. Für den Justizvollzug muss es aber nationale Standards geben. Gerade deshalb hat der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag gesagt:

„Ich frage Sie: Ist ein Wettbewerb um die härtesten und strengsten Knäste in Deutschland sinnvoll? Wollen wir das wirklich? Nur, weil es eingebracht worden ist, muss es nicht so beschlossen werden.“

Dieser Grundsatz gilt nach wie vor.

(Beifall bei der SPD)

Eine Föderalismusreform ist ein Stück Zukunft. Deshalb sollten hier auch keine Visionen fehlen. Ich denke hierbei an das Thema Länderneugliederung. Wir halten es für falsch, dieses Thema auszuklammern. Wenigstens sollte ins Auge gefasst werden, Artikel 29 des Grundgesetzes so zu ändern, dass im Falle einer von allen gewollten Neugliederung eine solche erleichtert wird.

Die SPD-Fraktion will diese Föderalismusreform. Wir sind aber keine nervösen Föderalisten. Wir

wollen Sachargumente mit einbeziehen, damit hinterher eine Reform herauskommt, von der wir alle sagen können: Es ist die Mutter der Reformen und kein Stiefmütterchen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Die vorliegenden Entschließungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD wollen die dringend notwendige Föderalismusreform ohne durchgreifenden Grund ausbremsen. Aber, meine Damen und Herren, wer A sagt, muss auch B sagen und darf nicht nach dem Motto verfahren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Sie sind zwar für die Entflechtung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Das begrüße ich, und das ist gut so; denn diese Entflechtung von Kompetenzen wird uns Folgendes bringen: Sie wird dafür sorgen, dass die politische Verantwortung wieder klarer entweder dem Bund oder den Ländern zugeordnet werden kann. Das bedeutet vor allem, dass die Menschen in unserem Land wieder erkennen können, wer eigentlich wofür verantwortlich ist, und auch entsprechend votieren können. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Sache.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe)

Diese Föderalismusreform wird auch dafür sorgen, meine Damen und Herren, dass die Entscheidungen in unserem Land wieder schneller getroffen werden können.

(Anhaltende Unruhe)

Einen Moment bitte, Frau Ministerin. - Können Sie ein bisschen mehr Ruhe halten, bzw. können die

jenigen, die sich unterhalten wollen, hinausgehen? - Bitte schön!

Meine Damen und Herren, die Föderalismusreform wird auch zu einem Wettbewerb - ich sage das ausdrücklich - um die besten Ideen und nicht um die schlechtesten Ideen in unserem Land führen. Ich glaube, diese drei Punkte braucht Deutschland. Sie werden unserem Land insgesamt gut tun.