Protocol of the Session on March 23, 2006

Nächste Rednerin ist Frau Steiner von Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Diagnose von Umweltschäden ist ja manches strittig, insbesondere zwischen der Regierungskoalition und uns zum Beispiel. Aber die Tatsache, dass Feinstäube erhebliche gesundheitliche Belastungen und Gefährdungen verursachen, ist unstrittig. Dankenswerterweise hat das Herr Behr schon im Detail ausgeführt.

2005, vor über einem Jahr, nach In-Kraft-Treten der EU-Feinstaubrichtlinie haben wir in der Öffentlichkeit die auch sonst zu beobachtende Kurve gehabt: schlagartige öffentliche Wahrnehmung des Problems, Diskussion über Ängste, Schockreaktionen, Ruf nach Konsequenzen. Und: Abflauen der Diskussion nach drei Monaten. Inzwischen wird, nachdem sich die Aufregung gelegt hat, die Dis

kussion in Niedersachsen eigentlich nur noch in den besonders betroffenen Städten geführt, und zwar meistens dann, wenn Überschreitungen der EU-Grenzwerte drohen.

Meine Damen und Herren, es ist wirklich kontraproduktiv, jetzt darüber zu diskutieren, ob die EUFeinstaubrichtlinie revidiert oder verändert werden müsse. Die wesentlichen Eckpunkte stehen. Handlungsbedarf besteht jetzt, und er ist im vergangenen Jahr nicht geringer geworden. Da muss ich mich jetzt doch einmal mit dem Änderungsvorschlag von CDU und FDP zu unseren beiden Anträgen befassen.

Sie schreiben hier - so haben Sie auch im Ausschuss immer argumentiert -: Mit örtlich begrenzten Aktionen können nur 20 % der Feinstaubbelastung beeinflusst werden. Sie reden dann davon, dass 80 % aus einer Hintergrundbelastung stammen, die nicht in Niedersachsen verursacht werde. Herr Behr, das ist falsch. Die Hintergrundbelastung entsteht auch im ländlichen Raum und in Ballungsräumen in Niedersachsen. Sie kommt nicht irgendwie aus dem bösen Osten. Dazu gehören z. B. auch die Punkte, die Sie genannt haben, wie Heizungen etc. Es ist nur schwieriger, an die Auslöser der Hintergrundbelastung heranzukommen. Aber das Hauptproblem sind die 20 %. Sie verteilen sich ja nicht gleichmäßig über das gesamte Land - das wäre eine Nivellierung -, sondern sie sind in Ballungszentren und an bestimmten Brennpunkten sehr viel höher. Deswegen heißt die Devise auch: Wir müssen an die Spitze ran und diese gerade in den Ballungsräumen und an Brennpunkten reduzieren. Es gibt Städte, die das geschafft haben und in denen die Grenzwerte der EU-Richtlinie bereits unterschritten werden, z. B. Münster. Dazu muss aber mehr passieren als das, was Sie in Ihrem Änderungsvorschlag mit Ihren sehr milden und sehr weichen Formulierungen vorschlagen, und mehr als das, was das Umweltministerium bisher in diese Richtung geleistet hat.

Ich möchte Ihnen einmal diejenigen niedersächsischen Städte nennen, denen Grenzwertüberschreitungen drohen. Mit Stand von gestern sind in Göttingen die Grenzwerte bereits an 32 Tagen überschritten worden, in Hildesheim an 31 Tagen, in Osnabrück an 29 Tagen und in Hannover an 28 Tagen. Angesichts dieser Zahlen wird schon die nächste Inversionswetterlage dazu führen, dass in allen diesen vier Städten - von Braunschweig habe ich jetzt absichtlich noch nicht gesprochen - spätestens Ende April die Grenze von 35 Tagen über

schritten sein wird. Deshalb sage ich: Hier müssen wir handeln. Gemeinsam mit den Kommunen müssen Aktionspläne erarbeitet werden, mit denen die Feinstaubbelastung an den Brennpunkten messbar verringert werden kann.

(Unruhe)

Frau Steiner, warten Sie bitte einen Augenblick! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss hier ruhiger werden. Die Einzigen, die hier verhandeln dürfen - weil sie es im Interesse aller tun -, sind die Parlamentarischen Geschäftsführer. Alle anderen sind jetzt bitte leise und hören Frau Steiner zu.

Danke, Frau Präsidentin.

Voraussetzung für die Entwicklung von Aktionsplänen, die wir brauchen, ist, dass auf der Basis der existierenden Daten Modellrechnungen in Auftrag gegeben werden, damit anschließend gemeinsam mit den Kommunen wirksame verkehrslenkende Maßnahmen entwickelt werden können. Dafür muss das Umweltministerium die Finanzierung sicherstellen. Das kann ja wohl nicht allein auf Hannover beschränkt sein, sondern das muss auch allen anderen betroffenen Städten ermöglicht werden.

Ich sage noch eines dazu: In Braunschweig, wo die Grenzwerte im Jahr 2005 bereits im Mai schon an 42 Tagen überschritten waren, gibt es keinen Messcontainer mehr. Der steht jetzt nämlich in Burgdorf. Einen Aktionsplan gibt es auch noch nicht, obwohl er schon im Sommer 2005 hätte fertig sein sollen. In Osnabrück soll erst im Herbst 2006 über einen Aktionsplan geredet werden, weil ja ein Jahr lang mit dem neuen Messcontainer gemessen werden muss. Dieser zeigte gestern aber schon 29 Überschreitungstage, und gerade im Frühling und im Sommer wird die Belastung der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger durch hohe Feinstaubkonzentrationen ansteigen. Meine Damen und Herren, jetzt ist Handeln gefragt, nicht aber Abwarten.

Ich sage Ihnen aber auch, warum Sie das Thema Aktionspläne in Niedersachsen so mit spitzen Fingern anfassen. Will man die Belastung durch Feinstäube an den Brennpunkten nämlich wirklich einschränken, muss man auch eine konsequente Verkehrslenkung planen. Dies muss eine Kombi

nation aus verschiedenen Maßnahmen sein: aus Tempolimits, Durchfahrverboten für Lkws - also eine Einschränkung des Transits durch Innenstädte -, Fahrverbotskonzepten und technischen Maßnahmen.

Bitte rufen Sie jetzt nicht „Folter durch Autofeinde“, wie es bei Herrn Behr schon ein bisschen anklang! Ich erinnere nur daran, dass in einer SpiegelUmfrage vor genau einem Jahr 68 % der Befragten Fahrverbote in der Stadt befürwortet haben, wenn damit der Grenzwert der EU-Feinstaubrichtlinie eingehalten werden kann.

Ich erinnere daran, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Ich musste aber lange warten, bis ich mit meiner Rede beginnen konnte, weil sich die Damen und Herren Geschäftsführer erst beraten mussten. - Ich komme aber zu meinem letzten Satz, Frau Präsidentin.

Meine Damen und Herren, wenn Sie in diesem Punkt Ergebnisse erzielen wollen, können Sie nicht nach dem Motto vorgehen „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, sondern müssen Sie etwas tun. Dass wir parallel dazu die Diskussion über den Einbau und die Förderung von Dieselrussfiltern führen, ist notwendig; das fordern die Grünen schon länger. Zu Beginn des Frühjahrs müssen wir für die betroffenen Städte in Niedersachsen aber endlich in die Strümpfe kommen. Ich bitte Sie, dass wir in diese Richtung zusammenarbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt erteile ich Frau Rakow von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns liegen zwei Anträge von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsvorschlag der Fraktionen der CDU und der FDP vor. Alle drei haben inhaltlich Recht, die einen mehr, die anderen weniger. In der ganzen Diskussion waren wir uns ja auch im Wesentlichen einig.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 1607 orientiert sich unserer Ansicht nach aber zu eng an Fragen des verkehrsbedingten Feinstaubs, sodass wir uns im Ausschuss der Stimme enthalten haben. Das werden wir auch heute im Plenum tun, zumal diese Thematik in dem zweiten Antrag ebenfalls aufgegriffen worden ist, sodass in der Beratung kein guter Gedanke untergeht.

Meine Damen und Herren, die ganze zunächst aufgeregte Feinstaubdebatte läuft zwischenzeitlich einigermaßen friedlich. Die Emotionen haben sich gelegt. Auch die Medien haben in der Zwischenzeit andere Themen gefunden, sodass man das Thema Feinstaub jetzt einigermaßen sachlich behandeln kann.

In dieser ruhigeren Diskussion ist dann auch klar geworden, dass die Lösung nicht ganz so einfach zu finden sein wird, dass es eine Patentlösung möglicherweise gar nicht gibt, dass ein pragmatisches parteiübergreifendes Vorgehen irgendwann aber hoffentlich doch möglich sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, am 22. April 2005 sagte Umweltminister Sander:

„Unser gemeinsames Ziel ist es, dafür einzutreten, die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Feinstäuben zu verringern.“

Wir hatten bisher sehr selten gemeinsame Ziele. Von daher fragen wir uns: Wie meint er das? Wann will er Feinstaub verringern? Welchen Feinstaub will er verringern? Wie viel Feinstaub will er verringern? - Was sagen uns solche Worte von einem Umweltminister, der eine Brennverordnung erlassen hat, durch die er die Kommunen und die Bürger im Grunde genommen ermutigt, jetzt erst einmal ordentlich Feinstaub zu produzieren?

(Beifall bei der SPD)

Bald ist wieder der 22. April. Von daher darf ich schon einmal fragen, was der Minister im vergangenen Jahr unternommen hat. Hat er das Problem im Griff? Ist der angedeutete Tatendrang inzwischen vielleicht doch schon eingestaubt? - Es kann ja nun wirklich nicht darum gehen - wie es hier in seiner Rede im vergangenen Frühjahr anklang -, dass man sich bei der EU dafür einsetzen solle, die Grenzwerte entsprechend anzupassen.

Das heißt ja auf Deutsch, die Grenzwerte den schlechten Gegebenheiten anpassen, also heraufzusetzen. Das kann nicht das Ziel sein; denn letzten Endes geht es hier um die Gesundheit der Menschen in Niedersachsen. Deshalb muss man verantwortungsvoll an die Sache herangehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich streiche jetzt einmal einen Passus aus meiner vorbereiteten Rede heraus; denn wir haben von Herrn Behr schon einiges zur Sache, also zu den Partikel kleiner als 10 bzw. kleiner als 1,5 µm sowie zu deren Gefährlichkeit gehört. Die Zeit können wir uns schenken. Einmal hören muss reichen.

Wir haben gehört, der Feinstaub stammt aus dem Verkehr. Rund ein Viertel des Feinstaubs wird durch den Verkehr verursacht. Haushalte, Schüttgutumschlag, Industrie, Kraftwerke und Landwirtschaft teilen sich den großen Rest, wobei dieses Problem in der Landwirtschaft durchaus immens ist und nicht so einfach beseitigt werden kann. Ich glaube, darüber sind wir uns auch einig. Es muss aber angegangen werden.

Laut EU-Berechnung sterben aufgrund des Feinstaubs rund 66 000 Menschen pro Jahr. Im Jahr 2000 ist die durchschnittliche Lebenszeit der EUBürger um 8,6 Monate gesunken, die der deutschen Bürger sogar um 10,2 Monate. Das ist ein schönes Stück Lebenszeit, das der Feinstaub den Bürger kostet. Auch die Kosten der feinstaubbedingten Krankheiten sind berechnet worden. In der EU-25 liegen sie zwischen 154 und 476 Milliarden Euro. Sie sehen, dass es sich bei dem Feinstaub wirklich nicht um ein lächerliches, sondern um ein ganz gewaltiges Problem handelt, das schon allein aufgrund der Gesundheitskosten dringend angegangen werden muss.

Meine Damen und Herren, wir können über die Sinnhaftigkeit des Grenzwertes von 50 µg an maximal 35 Tagen streiten. Das haben wir gemacht. Wir haben auch darüber gesprochen, dass man Seaspray herausrechnen muss, dass die Feinstaubanteile früher viel höher waren, dass nicht die Spitzenwerte entscheidend sind, sondern die Höhe der Dauerbelastung, dass die Hintergrundbelastung nur wenig durch Fahrzeuge vor Ort beeinflusst werden kann, dass Rauchen eine gefährliche Feinstaubbelastung hervorruft und dass die Sache mit der Innenluft und der Außenluft auch noch diskutiert werden sollte.

Das ist alles ein bisschen richtig, lenkt vom eigentlichen Problem aber nur ab, nämlich davon, dass die Landesregierung die Aufgabe hat - und die sollte sie unbedingt wahrnehmen -, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Bürger vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu schützen. Da haben wir bisher zu wenige Aktionen erlebt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, alle vorliegenden Anträge befassen sich mit der Fragestellung, wie der Anteil des Feinstaubs verringert werden kann, der durch Straßenverkehr hervorgerufen wird. In der Diskussion wurde immer gesagt, er mache nur ein Viertel aus. Dieses „nur“ ist hier überhaupt nicht angemessen; denn es ist das Viertel, das beeinflusst werden kann. Wir haben eben von Frau Steiner schon Hinweise gehört. Man kann den Verkehr so lenken, dass die Fahrzeuge nicht so viel anhalten und wieder anfahren müssen. Man kann die Geschwindigkeit begrenzen. Man kann dafür sorgen, dass die sehr viele Schadstoffe ausstoßenden Fahrzeuge von den Straßen fern gehalten werden. Eine weitere Möglichkeit der Schadstoffminderung wäre, großzügig Zonen einzurichten, damit der Fahrzeugverkehr so gelenkt wird, dass emittierende Fahrzeuge großräumig und nicht nur aus einzelnen Straßen, die massiv belastet sind, herausgehalten werden.

Der Bundesumweltminister bringt gerade eine Verordnung auf den Weg, die vorsieht, dass Fahrzeuge mit Plaketten gekennzeichnet werden, die die jeweilige Euronorm zeigen, sodass dann, wenn entsprechende Aktionspläne in Kraft treten, Fahrzeuge sehr schnell aus bestimmten Bereichen herausgehalten werden können. Diese Maßnahme wird sogar von der Automobilindustrie sehr heftig unterstützt. Sie freut sich darauf und hofft, dass sie dadurch diverse Fahrzeuge verkaufen kann, die weniger Schadstoffe ausstoßen. Hier handelt es sich also um eine Maßnahme, die sowohl gesundheitsfördernd als auch wirtschaftsfördernd ist.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Ist ei- gentlich die Redezeitbeschränkung aufgehoben?)

Meine Damen und Herren, das Wort Minister fängt mit „Mini“ an. Diesem Anspruch muss man nicht immer gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Unsere große Sorge in Bezug auf den Antrag von CDU und FDP ist, dass der Minister bei der Umsetzung des nicht sehr konkret gehaltenen Antrags nur minimale Lösungen umsetzen wird. Der Antrag ist sehr leichtfertig formuliert. Die Formulierungen sind nicht konkret genug und weisen nicht genug auf verantwortliches Handeln hin. Daher beschleicht uns doch die Sorge, dass dabei nicht genug herauskommen wird. Deswegen können wir dem Antrag von CDU und FDP wirklich nicht zustimmen. - Danke.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bevor ich Herrn Dürr das Wort erteile, bitte ich erneut darum, dass die Privatgespräche eingestellt werden. Bitte gehen Sie nach draußen. Hier im Raum herrscht ein unglaublicher Lärmpegel. - Herr Dürr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wortbeiträge vom Kollegen Behr - von ihm sind wir es gewohnt - und auch von Frau Rakow - bei ihr zumindest am Anfang, wenn ich es so bewerten darf - waren durchaus sachlich. Deswegen wende ich mich sehr liebevoll meiner Kollegin Steiner aus dem Umweltausschuss zu.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Eine heimliche Liebe, Herr Dürr?)

Ihr Beitrag hat mir zumindest gezeigt, dass die Überschrift des Antrags von FDP und CDU genau richtig ist. In der Tat müssen wir die Feinstaubdiskussion endlich versachlichen; dies hat der Redebeitrag wieder einmal gezeigt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)